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Dreh-Momente am Dienstag
Aerodynamik auf dem Mountainbike

Aerodynamik, das ist die Geschichte mit dem Luftwiderstand, oder aber – formeller – die Lehre vom Verhalten bewegter Körper in kompressiblen Fluiden. Aerodynamik beantwortet, stark vereinfacht gesagt, die Frage: Was passiert, wenn sich ein Körper durch Luft bewegt?

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Die Frage ist gerade für uns als Mountainbiker dann interessant, wenn es sich bei dem bewegten Körper um den eines Mountainbikers und dessen Zweirad handelt. Denn dann wissen wir alle genau, was passiert: Bewegen wir uns langsam durch die Luft, etwa beim Bergauf-fahren, dann ist es, als sei die Luft gar nicht da. Bewegen wir uns hingegen schnell durch die Luft, etwa beim Downhill, dann flattert das Trikot und die Tränen fallen horizontal aus den Augen. Der Effekt: Jede Menge Luftwiderstand!

# Damals wurde Aerodynamik noch groß geschrieben - kein Sonnenschutz am Helm, hautenge Klamotte.
# Bis zur Zehenspitze reicht der Wunsch nach wenig Luftwiderstand - John Tomac zeigt, was aerodynamisch ist.

Wer es vielleicht schon Mal gehört hat: Der Luftwiderstand steigt quadratisch mit der Fahrgeschwindigkeit. Damit unterscheidet er sich ganz deutlich von anderen Fahrwiderständen, allen voran dem Rollwiderstand – der ist nämlich ziemlich konstant, also unabhängig von der Fahrgeschwindigkeit. Wir Mountainbiker müssen die Summe aus Luftwiderstand, Rollwiderstand und etwaigen Steigungswiderständen überwinden, um uns vom Fleck zu bewegen. Ab einer Geschwindigkeit von etwa 15 km/h wird der Luftwiderstand zum größten Fahrwiderstand, was aber natürlich von der Aerodynamik und dem Rollwiderstand, also Sitzposition, Reifen, Kugellagern und so weiter abhängt.

Aber wie groß ist der Luftwiderstand genau? Er berechnet sich zu

# Die Geschwindigkeit fließt quadratisch in die Berechnung des Luftwiderstand ein.

Das soll jetzt keine Physik-Kolumne werden, deshalb in aller Kürze: Die Geschwindigkeit fließt quadratisch ein, was eben genau dafür sorgt, dass höhere Geschwindigkeiten den Luftwiderstand besonders stark ansteigen lassen. Doppelte Geschwindigkeit bedeutet vierfachen Luftwiderstand! Die Stirnfläche A geht linear ein, der Luftwiderstandsbeiwert ebenso. Den Luftwiderstandsbeiwert nennt man gern auch cw-Wert, in jedem Fall beschreibt er, wie windschlüpfrig eine Form ist. Für eine plane Fläche ist er beispielsweise grob 1, die Stirnfläche A geht also unvermindert in die Berechnung des Luftwiderstands ein. An genau diesen zwei Stellen setzt man an, wenn man sich auf dem Fahrrad duckt (man verringert seine Stirnfläche) oder ein Lycra-Outfit anzieht (man verringert den Luftwiderstandsbeiwert).

Fürs Gefühl liste ich hier einfach mal ein paar Luftwiderstandsbeiwerte auf:

Cw-Wert
Planes Quadrat1.1
Mensch, stehend0.78
Fahrrad samt Fahrer, aufrecht0.69
Fahrrad samt Fahrer, gestreckt0.53
Fahrad samt Fahrrad, Rennrrad0.4
PkW (Golf)0.29
Flugzeugtragfläche0.08

Am effektivsten ist offensichtlich, an beiden Stellschrauben zu drehen, also: Stirnfläche reduzieren und Luftwiderstandsbeiwert senken! Dann lässt sich nämlich mit der gleichen Leistung schneller fahren. Auch hier ein Rechenbeispiel: Die Geschwindigkeit v, die man fährt, lässt sich nämlich einfach aus Leistung P und Fahrwiderstand F berechnen. Der Fahrwiderstand setzt sich aus Luftwiderstand und Rollwiderstand zusammen (sofern man nicht beschleunigt und nicht bergauf fährt!). Die benötigte Leistung zur Überwindung des Luftwiderstands steigt kubisch, zur Überwindung des Rollwiderstands linear an.

Auf einem Mountainbike mit aufrechter Haltung berechnen wir aus Stirnfläche und Luftwiderstandsbeiwert eine effektive Stirnfläche von 0,55 qm. Luftdichte einberechnet, konstanten Rollwiderstand angenommen (er ist von der Geschwindigkeit unabhängig) und los geht’s: Mit 160 W fährt man in der Ebene 25 km/h. Jetzt kann man sich ducken, wobei man auch windschnittiger sitzt und zack, fährt man bei gleicher Leistung einfach mal 28 km/h. Doch ehe man sich versieht, wird man vom Rennradfahrer überholt. Leistet er mehr? Braucht er gar nicht – sein Luftwiderstand ist geringer, und auch der Rollwiderstand (auf Asphalt) hält ihn weniger auf. Er fährt mit derselben Leistung sogar 33 km/h!

Luftwiderstandsbeiwert []Stirnfläche [m²]Effektive Stirnfläche [m²]Leistung zur Überwindung des Rollwiderstands [W]Geschwindigkeit [km/h]
MTB Aufrecht0.690.80.5524825
MTB Geduckt0.530.70.3715528
Rennrad0.40.60.244833

Anzumerken ist, dass diese großen Unterschiede erst bei einiger Geschwindigkeit auftreten. Wenn man mit 15 km/h unterwegs ist, spielt die Aerodynamik noch eine untergeordnete Rolle. Bei hohen Geschwindigkeiten aber macht sie einiges aus. Logisch, dass die Downhiller nur in schnellen Passagen in die Aero-Hocke gehen.

# Auf dem Rennrad fährt man bei gleicher Leistung deutlich schneller - verantwortlich ist primär der geringere Luftwiderstand.

Mich wundert, dass Mountainbiker auf den ersten Blick die Aerodynamik weitestgehend zu ignorieren scheinen. Rennradfahrer ticken da anders, die kümmern sich ziemlich um ihren Luftwiderstand, von Triathleten ganz zu schweigen. Klar, Triathleten und Rennradler sind im Durchschnitt schneller unterwegs als Mountainbiker, aber schaut man sich die Geschwindigkeit im MTB-Rennsport an, dann sollte Aerodynamik eine Rolle spielen!

# Sam Hill in einem geschichtsträchtigen Moment - nicht nur, dass er gleich einen der berühmtesten Stürze der DH-Geschichte hinlegen wird. Es ist auch der letzte WM-Titel, der in hautengem Lycra ausgetragen wird.

Schaut man ein wenig genauer hin, dann merkt man: Im World Cup spielt Aerodynamik eine riesige Rolle, die Rennfahrer sind zu clever um die luftigen Vorteile liegen zu lassen. Aber die frühen Downhill-Sportler waren auch modebewusst, oder genauer: Sie kannten sich mit Vermarktung aus. Ihnen war klar, dass ihr Aussehen wichtig für die Werbewirkung und damit für die Finanzierung durch Sponsoren ist. Da gab es also auf der einen Seite die Jungs in Lycra, die realisierten, dass ihre Höchstgeschwindigkeit stieg, wenn sie das Visier vom Fullface-Helm entfernten. Auf der anderen Seite gab es Typen wie Shaun Palmer, die im Motocross-Outfit zum Rennen erschienen und auch ohne Aero-Tricks mächtig schnell unterwegs waren. Boah, sahen die cool aus! Doch die Verlockung der Aerodynamik war groß, es musste eine Regelung her. Selbst Steve Peat optimierte seinen Helm, doch irgendwann merkte er, dass diese Wettbewerbsverzerrung nirgendwo hin führte. Also nahm sich Steve Peat beim Weltcup ein Blatt Papier und schrieb „I’m not going to race without a peak on my helmet.” – und setzte seine Unterschrift darunter. Er ging durchs Fahrerlager und sammelte die Unterschriften der Top-Fahrer der Zeit. Seitdem wird im Downhill-Weltcup mit Visier gefahren. Bei den Weltmeisterschaften blieben Skinsuits aber eher die Regel, als die Ausnahme.

# Steve Peat einigte sich mit Shaun Palmer darauf, dass sie Helme mit "Schnabel" tragen wollen. - im Nachhinein betrachtet war das ein wichtiger Schritt für den Style, an den wir uns heutzutage gewöhnt haben.

Offensichtlich wurden die Vorteile der Aerodynamik später auch im Jahr 2008, als Skinsuits vom Team PVC eingesetzt wurden und Ben Cathro in Fort William das beste Ergebnis seiner Karriere einfuhr. Der Vorteil von eng anliegender, nicht flatternder Klamotte ist nicht zu bestreiten, und Rob Warners verunglimpfendes „condom on track“ hätte wohl nicht verhindert, dass das schnellere Outfit sich wieder durchgesetzt hätte, wenn nicht die UCI kurz darauf in Paragraph 3, Absatz 4.3.011 ein Verbot von „All lycra-elastane based tight-fitting clothing“ im World Cup ausgesprochen hätte. Da man aber natürlich fragen darf, was genau „tight-fitting“ Klamotten eigentlich sind, wird dennoch optimiert, was nur geht.

# Auf der Rennstrecke steckt das Trikot noch in der Hose. - Das ist halt einfach schneller.
# Auf dem Podium hat niemand sein Trikot mehr in der Hose. - Style ist eben auch wichtig.

So ist es leicht zu beobachten, dass viele DH-Racer im Ziel erst einmal das Trikot aus der Hose ziehen: Style im Ziel, geringerer Luftwiderstand auf der Rennstrecke. Durch genaueres Hinschauen lässt sich erkennen, dass die Shorts vieler Fahrer abgenäht oder ab Werk sehr eng geschnitten sind, um bei hohen Geschwindigkeiten weniger zu flattern. Als Norco-Teamfahrer Ben Reid noch aktiv unterwegs war, kam seine Mutter ab und zu mit zu den Rennen. Als sich herumsprach, dass sie eine Nähmaschine dabei hatte, nähte sie für die verschiedensten Fahrer die Shorts enger – Aero is everything!

# Weniger Luftwiderstand durch die Aero-Hocke - Joey Foresta zeigt, wie es geht.

Greg Minnaars Mechaniker Jason Marsh hat sich inzwischen einen Namen gemacht: Mit Marshguards, cleverem Kettenstrebenschutz und Reifeninserts hat er Produkte ausgetüftelt, die sich inzwischen jeder kaufen kann. Einen anderen Trick hat er dagegen nicht groß bekannt gemacht: vor entscheidenden Läufen sprüht er Gregs Trikots gerne mit Scotchgard ein. Scotchgard ist eigentlich eine Imprägnierung, aber sie hat den Nebeneffekt, dass sie den Stoff fast starr werden lässt, wenn man es nur dick genug aufträgt. Der Effekt: Kein Flattern, weniger Luftverwirbelungen, ein geringerer Luftwiderstand. Profis halt.

# Greg Minnaar ist Profi durch und durch - Kein Grund, mit einer flatternden Hose oder Trikot unterwegs zu sein.

Insofern: Aerodynamik ist im Rennsport schon länger ein Thema, als man glauben mag. Und wer weiß: vielleicht wird Aerodynamik ja das nächste große Ding, sobald Geometrie und Laufradgröße als Verkaufsargument nicht mehr ziehen. Aero-Felgen, verkleidete Bremsen, tropfenförmige Griffschalen? Nicht undenkbar, oder? Ein Blick ans Rennrad genügt. Außerdem passt es gut mit dem Trend zur Integration zusammen – warten wir ab, wie windschnittig unsere Sportgeräte noch werden.


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