Es kommt mir vor als wäre es erst gestern gewesen, wenn ich es mir genau überlege, war es gestern: Ein traumhafter, sich in Wärme und Farbspiel, stetig steigernder Herbsttag bot den richtigen Hintergrund für unseren Ausflug ins Brandenburgische. Die Natur kommt einem seit Jahr und Tag aber auch mit den immergleichen Scherzen. Wer kennt sie nicht: Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die Marx Brothers unter den Jahreszeiten? Erst Beinlinge, dann Wespen im Pflaumenkuchen, dann Eurobike, schlieÃlich Spikereifen ausverkauft - immer das gleiche, doch wir können nie genug davon bekommen. Auch war der Tag der Republik angesagt und bei dem ursprünglich geplanten linearen marxistisch-leninistischen Geschichtsverlauf wäre es heute wohl mit dem fetten Mifa und drei Gängen durchs Gelände gegangen. Es gibt da nichts zu bedauern und so wurden die Gesamtberliner Teilnehmer in KW (Kuzwellensender bei Berlin mit Bahnanschluss) von der Reiseleitung in Empfang genommen.
BekanntermaÃen kann man Reiseleiter, ähnlich wie Hexen oder Tumore, in gute und böse einteilen. Ich glaube, für alle Ãberlebenden der Expedition zu sprechen, Axls Thron wackelt. Rennschnecke führte die Meute sicher und geduldig, ohne überflüssige Pausen durchs Brandenburger Land. Das, in diesem harten und undankbaren Geschäft unverzichtbare, Gemüt einer Karl-Marx-Städter Eislauftrainerin kam nur gelegentlich und pädagogisch wohldosiert zum Vorschein. Dabei bellte die schnupfrüsselinduzierte angeraute Stimme mit solch autoritärem Wohlklang, dass bei jedem Worte aus ihrem entzückenden Munde sieben Boxpromoter ihren Job kündigten. Ansonsten beruhigte ein mokantes Lächeln, das man im Altertum der Korintherin nachsagte, die Fahrgemeinschaft.
Unseren Drillsergeant mal entspannt erwischt:
Tiefer Gram umwölkt die Stirn
Wahnsinn brütet ihr im Hirn
Für das Grundrauschen der Tour sorgte canYOn_/ der auf seinem Canyon durch die Wälder sramte und knallte wie weiland '96 Bjane Rijs auf seiner Zeitfahrmaschine. Aber ein Allmountain ist kein Pinarello; viel zu schwer zum Wegwerfen. Die Tour begann flott und gleich mit einem denkwürdigen Abschnitt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch den Begriff Trailmikromanagement in die Flowanalyse einbringen. Charakteristisch für diese Art der Streckengestaltung im urbanen Raum ist die wahnwitzige Aneinanderreihung kurzer verzwickter Streckenabschnitte; immer wieder unterbrochen durch einen Mülleimer, eine Bushaltestelle oder eine Industrieruine. Die kleinsten Baugrundstücke, Vorgärten und Miniparks wurden effektiv genutzt, da hatte jemand seine Hausaufgaben gemacht.
Geschichte wurde am Funkerberg besichtigt, die Reiseleiterin erzählte irgend etwas vom ersten Wellenpodcast Deutschlands. Ich erlaubte mir die Angaben zeitnah am Erklärschild zu überprüfen und konnte keine gravierenden Fehler ausmachen. Bevor es uns endgültig in die Weite Brandenburgs verschlagen sollte, ging es noch einmal kurz Richtung Berlin. Zeuthen wurde gestreift; das Rückzugsgebiet des Konameesters und checkerbunnys besichtigt und schlieÃlich auf der Schmöckwitzer Seepromenade flaniert.
Von Dean âDer Rote Elvisâ Reed - den ich zu diesem Zeitpunkt noch mit Gojko âWinnetou des Ostensâ MitiÄ verwechselte â wurde gesprochen und die als Hauptverwaltung ausgewiesene Villa des Kulturkaufmanns bestaunt. In unserer alternativen Geschichte des 7. Oktobers würden dort noch immer Gäste des MfS residieren. Dies war auch ein guter Zeitpunkt um allen Teilnehmern die noch im Dunkel der Uneingeweihtheit hausten, eine historische Einordnung des 7. Oktobers zu vermitteln. Die Wissenslücken erschreckten doch und einige Kandidaten flüchteten sich überwältigt und verunsichert in wirre Schilderungen schwäbischer Folklorefiguren. Ein Affe und ein Pferd, Mainzelmännchen und andere Schutzheilige wurden angerufen. Es folgte ein Feld -âfrüher war da ein Wegâ-ride der kräftigeren Sorte. Meine Meinung: Schmalbereifte CC-Schwucken taugen nicht wirklich zum Furchenziehen, auch scheint mir der Zeitpunkt für die Aussaat eher unpassend.
Am Orte der ersten richtigen Pause hatte plötzlich Schmadde genug. Man sieht sich und weiter ging es über etwas, was der Wernsdorfer Schinderberg nennen meint zu müssen. Auf der erfolglosen Suche nach Uckley, ging es durch die gewohnt sandige Hartmannsdorfer Heide.
Die Gruppe schlingerte in Festtagsstimmung durch den herrlich fluffigen Brandenburger Sand, eine der wenigen legitimen Schwestern deutschen Vollkornbrots: unersetzlich, das muss sein, kein Land macht es besser. Die Technohochburg Skaby war bald erreicht. Um Vergangenheit und Gegenwart des Skaby-Komplexes ranken sich viele Gerüchte. Die simple Erklärung, dass der groÃzügig eingemauerte Komplex als Wohnheim für Berufssoldaten der Grenztruppen diente, überzeugt nicht. Eine reichlich fantasielose Erklärung. Glücklicherweise konnte ein Loch in der Mauer interessierte Besucher sehr schnell vom Gegenteil überzeugen. Und was es da zu sehen gab! Verraten wird natürlich nichts. Um Leser, deren sittliche Festigkeit noch unvollkommen ist, vor irritierenden Spezialdurchblutungen zu verschonen, würde ich auf die Frage "Was denn so für Sachen?" nicht mit farbigen Einzelheiten, sondern nur mit einem vagen "Na, was für Sachen wohl!" antworten.
Bald war der Stahnsdorfer See erreicht und Rieplos bot ein weiteres Brandenburger Kleinod: Gaststätte "Zur Deutschen Einigkeit". Ein bisschen traurig, etwas vergessen am Wegesrand aber mit geschmackvoll geräucherten Gardinen. Immerhin.
Ulle, unerreicht.
Am Wegesrand wurde noch Jans Vermächtnis an die Nachwelt ehrfürchtig bestaunt und Inspirationen für anstehende Fahrradanschaffungen bei Didi geholt. Am GroÃschauener See sollte nach 65km erst einmal Fischpause sein. Zwischen Ankündigung und Vollzug lag eine ordentliche Wegstrecke und so ging Souldriver auf diesem zügig gefahrenen Teilstück leider verloren. Eine eingeleitete Suchaktionen blieb ohne Ergebnis.
Im Fischfachgeschäft verkniff Sprotte sich das Offensichtliche. Auch nutzte er die Pause um Fahrtechniken für Wurzelfahrten mit Starrgabel zu erläutern. Einziges Problem bei der Sache: nutzlos bei Wurzelteppichen. Rennschnecke hatte verstanden und nahm zwischen Selchow, Streganz, Prieros bis zum Frauensee jede verfügbare Wurzelformation mit.
ZK-Tagung Reiseverordnung ⦠Krenz übergibt Text der Reiseregelung an Schabowski: "Das wird ein Knüller!" ⦠Stunden später; Schabowski verliest Reiseregelung ⦠"Ab wann? Nach meiner Kenntnis sofort" ⦠ENDE
Am Traumtrail des Pätzer Hintersees wurde zum Abschluss noch einmal richtig MTB gearbeitet. Dann stand nur noch Krummensee zwischen der Gruppe und dem Bahnhof KW. Kein Problem: ein Plattenweg war vorbereitet. Der 17:30er Zug wurde vor Einbruch der Dunkelheit nach 125km Wegstrecke erreicht.
Danke Rennschnecke und Gute Besserung!
