Mein neues Carbon-Fully - The Next Generation

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Heute​

Erste Probefahrt … Wahnsinn! Muskelkater im Gesicht wegen Dauergrinsen.

Das hatten wir doch schon einmal? Oder zweimal? Genau – wer noch einmal nachlesen will, hier sind die Links zu meinen bisherigen Aufbau-Threads:

Mein neues Carbon-Fully

Mein neues Carbon-Fully – Reloaded

Warum ein neues Bike? Und vor allem: was für eins? Mit meinem Enduro von 2016 bin ich immer noch super zufrieden. Effizient und wippfrei bergauf, verspielt und trotzdem im Bikepark fast so potent wie mein Downhiller.

Aber dann gab es da so ein Schlüsselerlebnis. Bei den Laufradgrößen bin ich ja etwas speziell – Mini-Mullet (26 / 27,5) mit Plus-Bereifung finde ich absolut genial und das war für mich etwa 6 Jahre lang die beste Lösung. Und dann stand irgendwann letztes Jahr wieder eine Reifenbestellung an – aus die Maus! Es gab keine Maxxis Reifen 26x2,8“ mehr.

Das war der Startschuss für ein neues Bike.

Dieses Mal werde ich bei den einzelnen Projektphasen etwas mehr in die Tiefe gehen. Verstecken muss ich nichts – nur bei den Lastfällen bin ich etwas zurückhaltend. Da habe ich aus verschiedenen Projekten Input von EFBE bekommen. Das ist wertvolles Know-how und da will ich den Jungs nicht die Butter vom Brot nehmen. Aber sonst könnt ihr mich alles fragen: Konstruktion, FEM-Berechnung, Formenbau, Fertigung.
 
Hilfreichster Beitrag geschrieben von Onkel_Bob

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Konzept​

Der Aufwand für so eine Eigenentwicklung ist natürlich gigantisch. Das muss man sich etwas schönreden. Immerhin gab es nicht nur bei den Laufrädern, sondern auch sonst viele Veränderungen und Weiterentwicklungen:
  • Längere Sattelstützen: beim alten Bike passen nur 175mm Hub, jetzt sollen es wenigstens 200mm sein.
  • Metrische Dämpfer: eine Umstellung, die ich nicht unbedingt gebraucht hätte. Aber das nimmt man eben mit.
  • UDH: Universelles Schaltauge, cool. Wobei mich die Bauraum-Einschränkung am Hinterbau doch etwas stört.
  • 223mm-Bremsscheiben: die dürfen im neuen Hinterbau auch gerne Platz haben.
  • Die Rahmen-Geometrien haben sich über die Jahre auch verändert: steilerer Sitzwinkel, mehr Reach, flacherer Lenkwinkel.
  • An 29“ kann (will) ich mich nicht gewöhnen, aber 27,5+ vorn und hinten ist ok. Und durch den E-Bike-Boom ist da hoffentlich eine Weile die Ersatzteilversorgung gesichert.
Damit geht es ins CAD und es werden erst einmal alle grundlegenden Maße festgelegt:
RobertS2024_01_Konzept.jpg
 

Die Hinterbau-Kinematik​

Das alte Bike ist ein simpler Eingelenker mit hohem Drehpunkt und Umlenkrolle. Das hat all die Jahre fantastisch funktioniert. Deshalb wird das im Wesentlichen auch wieder so werden.
Jedoch mit einer Änderung: der Dämpfer wird nicht mehr direkt angelenkt, sondern über eine Umlenkplatte. Ähnliche Lösungen findet man häufig im Motocross-Bereich.
RobertS2024_02_Kinematik_1.jpg

Die Software zur Optimierung der Kinematik ist übrigens eine Eigenentwicklung. Wer mehr wissen will, findet hier den Thread dazu: Kinematik – neu gedacht

Mein High-Pivot ist doch etwas speziell – warum mache ich das so?

Der Drehpunkt ist nicht nur weit oben, sondern auch relativ weit vorn. Damit liegt er im Sag auf der 100%-Anti-Rise-Linie. Der Effekt: der Hinterbau ist beim Bremsen neutral, so etwas wie Bremsstempeln tritt nicht auf. Das geht mit einem Viergelenker auch nicht besser.

Beim Pedalieren wirkt im Radaufstandspunkt die Kraft in Richtung der 100%-Anti-Rise-Linie und geht im Sag durch den Schwingendrehpunkt (Grün) – es wird also kein Moment auf die Schwinge erzeugt.
RobertS2024_02_Kinematik_2.jpg

  • Die Umlenkrolle ist an der Schwinge befestigt. Das Zugtrum der Kette zwischen Kettenblatt und Umlenkrolle läuft ebenfalls durch den Schwingendrehpunkt und erzeugt damit auch kein Moment auf die Schwinge.
  • Der große Vorteil von diesem Konzept: es ist antriebsneutral in allen Gängen.
  • In dem Bild ist auch der Axle-Path des Hinterrades eingezeichnet. Das Hinterrad weicht bis zum Ende des Federwegs um ca. 40mm nach hinten aus.
Meine Software berechnet keinen Anti-Squat-Wert, sondern berechnet die Kräfte im Hinterbau nach den Regeln der technischen Mechanik. Als Ergebnis bekommt man eine virtuelle Kraft am Hinterrad, die das Wippen verursacht. Das Diagramm zeigt diese virtuelle Kraft über den gesamten Federweg für alle Gänge:
RobertS2024_02_Kinematik_3.jpg

Wie man sieht, schneiden alle Kurven bei ca. 1/3 des Federwegs die Null-Linie. Daher ist der Hinterbau im Sag in allen Gängen reaktionsfrei.

Die neue Dämpfer-Ansteuerung mit Umlenkplatte hat zwei Gründe:
  • Die direkte Anlenkung bei meinem alten Bike ist schon hart am Limit: eine Hebelübersetzung von ca. 3,5 und linear über den gesamten Federweg. Beim neuen Bike wäre das durch das größere Hinterrad noch krasser geworden.
  • Die Umlenkplatte ermöglicht eine progressive Ansteuerung des Dämpfers. Dabei bleibt die Hebelübersetzung lange recht konstant und sinkt erst im letzten Viertel des Federwegs stark ab, um ein Durchschlagen zu vermeiden:
RobertS2024_02_Kinematik_4.jpg
 

Rahmendesign​

Die Kinematik ist jetzt fix, die Drehpunkte und der Bauraum für den Dämpfer sind festgelegt. Kettentrieb, Kurbeldrehkreis und Laufräder werden grob modelliert – damit kann die kreative Phase beginnen.

Als erstes wird das Hauptrohr modelliert. Aus mehreren Schnitten mit Drahtgeometrie werden die Freiformflächen erzeugt. Im Bereich des Schwingendrehpunktes entsteht eine Tasche, um Platz für die Schwinge zu schaffen.
RobertS2024_03_Rahmendesign_1.jpg

Hier sind Steuerrohr, Sitzrohr und Sitzdom modelliert:
RobertS2024_03_Rahmendesign_2.jpg

Weitere Details folgen: die Bohrungen für die verschiedenen Lagerstellen, eine Tasche für die Zugstrebe der Kinematik und schließlich die Verrundung der Geometrie. Abschließend wird noch gespiegelt und die Außenhaut des Hauptrahmens ist fertig:
RobertS2024_03_Rahmendesign_3.jpg

Jetzt geht es an die Hinterradschwinge:
Die Schwinge besteht – wie auch beim alten Bike – aus zwei fast symmetrischen Bauteilen, die miteinander verschraubt werden.

Für eine möglichst einfache Fertigung sollen die beiden Schwingenteile ohne Hinterschneidung herstellbar sein. Die Trennebene der Form (blau dargestellt) liegt dabei schräg im Raum.
RobertS2024_03_Rahmendesign_4.jpg

Die Hauptflächen der Schwinge entstehen auf ähnliche Weise wie der Hauptrahmen. Jedoch gibt es hier zahlreiche Randbedingungen: Kurbeldrehkreis, Kettenlinie, Hinterrad, Fersenfreiheit und hinten auch noch die Bauraumbeschränkungen durch den UDH. Zwischen diesen ganzen Einschränkungen genug Raum für die tragende Struktur zu finden ist gar nicht so einfach. Denn die Schwinge soll ein großes Volumen haben, um genug Steifigkeit zu erzeugen.

Hier sind sämtliche Bohrungen für die Lagerstellen und die Verschraubung in der Mitte fertig. Hinten sieht man die Verjüngung, damit der Bauraum für den UDH eingehalten wird.
RobertS2024_03_Rahmendesign_5.jpg

Die Bohrungen sind natürlich parallel zur Y-Achse und stehen damit schräg zur Trennebene. Das wird bei der Formkonstruktion noch ein Thema.
Jetzt noch die asymmetrischen Teile der Schwinge. Auf der rechten Seite muss noch eine Bohrung für die Umlenkrolle eingebracht werden…
RobertS2024_03_Rahmendesign_6.jpg

… und auf der linke Seite fehlt noch die Bremsaufnahme:
RobertS2024_03_Rahmendesign_7.jpg

Die wichtigsten Carbon-Teile sind damit fertig. Zahlreiche Kleinteile wie Lager, Schrauben, Umlenkrolle, etc. sind nötig, um den Rahmen zu komplettieren.

Das Schwingenlager besteht aus Nadelhülsen (Rot), Innenringen (Grün) und Igus-Anlaufscheiben (Blau). Dazu kommt noch eine Achse mit Distanzhülse (Gelb) und eine Senkkopfschraube (Pink).

Die Nadelhülsen haben gegenüber Kugellagern einen großen Vorteil: sie haben eine deutlich höhere Tragzahl. Nadellager verwende ich an meinen eigenen Bikes mittlerweile seit über 15 Jahren – und ich musste noch nie (!) ein Lager wechseln.
RobertS2024_03_Rahmendesign_8.jpg

Und hier noch ein Blick auf die Kinematik. In die Verbindung der Schwingenteile ist ein Carbonteil (Rot) integriert. Rechts sieht man eine Zugstrebe (Blau), ebenfalls aus Carbon. Herzstück ist die Umlenkplatte (Grün), die Rot und Blau verbindet und letztlich die Kraft auf den Dämpfer überträgt. Auch hier sind alle Lagerstellen mit Nadellagern ausgerüstet.
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CAD – Zusammenbau​

Nachdem der Rahmen fertiggestellt ist, werden zahlreiche Anbauteile aus den digitalen Schubladen geholt und das Bike virtuell zusammengebaut:
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Ich habe aber nicht alle Teile selbst modelliert. Auf grabcad.com findet man eine Vielzahl von 3D-Modellen und darunter auch viele Mountainbike-Komponenten. Da gibt es ein paar Freaks, die machen echt einen super Job.

Besonderer Dank geht an:

Terho: SRAM-Code-Bremsen, SRAM-Code-Bremsgriffe, SRAM-X01-Eagle-Derailleur, RockShox-Dämpfer

Max morozov: Intend-Federgabel

Henk Kommers: Vorbau

Und noch ein extra „Danke schön“ an Hubert Ruff von HaigRip.de, der mir die CAD-Daten von seinen genialen Pedalen mit Nadellagern zur Verfügung gestellt hat. Dazu gibt es später im Kapitel „Feintuning“ noch ein paar interessante Infos.
 
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FEM-Berechnung​

RobertS2024_05_FEM-Berechnung_1.jpg

Die kreative Phase ist beendet, jetzt heißt es richtig arbeiten. Der nächste Step ist die FEM-Berechnung, um die Belastungen zu simulieren. Es werden verschiedene Lastfälle untersucht, und die Steifigkeit und die Materialausnutzung berechnet. Am Ende steht ein optimales Layup, d.h. die Faserorientierungen und die Anzahl der Faserschichten.

Wie immer bei der FEM-Berechnung: die drei Zutaten

1. Geometrie
Die CAD-Geometrie wird erst einmal vernetzt. Die Oberfläche wird in kleine Kästchen (= finite Elemente) aufgeteilt. Die verschiedenen Farben kennzeichnen hier verschiedene „Properties“ – dahinter verbirgt sich ein Layup, das die Anzahl und Winkel der einzelnen Faserschichten definiert. In Rot sieht man rechts die Verstärkungen für den Steuersatz.
RobertS2024_05_FEM-Berechnung_2.jpg

Anbauteile, die im Kraftfluss liegen werden entweder nur grob vernetzt oder sogar nur durch Balkenelemente abgebildet.
RobertS2024_05_FEM-Berechnung_3.jpg


2. Lastfälle
Hier eine Tabelle, was ich normalerweise für meine Carbon-Rahmen an Lastfällen berechne:

Lastfall Nr.BenennungArt
Lastfall 1Torsionssteifigkeit
Lastfall 2Sattelkraftstatisch
Lastfall 3Vollbremsung VRstatisch
Lastfall 4Vollbremsung HRstatisch
Lastfall 5Wiegetrittdynamisch
Lastfall 6Landung beidseitigstatisch
Lastfall 7Landung einseitigstatisch


Jedes Material (und die dazugehörige Verarbeitung) hat so seine Eigenheiten. Bei geschweißten Aluminium-Rahmen ist oft die Betriebsfestigkeit in den Schweißnähten das Problem. Bei hohen Lastspielzahlen kommt es durch die Kerbwirkung in den Schweißnähten zu Rissen und schließlich zum Bruch. Dafür verhalten sich metallische Werkstoffe bei Extremlasten aufgrund der hohen Bruchdehnung vergleichsweise gutmütig.

Bei Carbon ist es eher anders herum. Schweißnähte gibt es nicht und die Fasern lassen sich ohnehin nicht um eine scharfe Ecke verlegen. Typischerweise sind die Geometrien mehr oder weniger großzügig verrundet, dadurch gibt es kaum Kerbwirkung und die Bauteil-Betriebsfestigkeit ist sehr gut. Andererseits haben Carbonfasern eine sehr geringe Bruchdehnung und das wirkt sich ungünstig bei Extremlasten oder sogar Überlast aus: wird die Belastungsgrenze überschritten gibt es im schlimmsten Fall nur noch einen Knall und ein schlagartiges Versagen.

Ich konzentriere mich bei meiner Auslegung auf die Extremlasten (statische Lasten). Nur den Wiegetritt als dynamische Last sehe ich mir natürlich an.

3. Material
Die Materialdaten von Carbon sind ein heißes Thema. Bei metallischen Werkstoffen findet man in gängigen DIN-Normen oder auch in der FKM-Richtlinie alles, was man braucht. Bei Carbonfasern ist das sehr viel schwieriger. Denn das eigentliche Material entsteht ja erst, wenn Fasern und Epoxidharz zusammenfinden. Es spielen dann Faserorientierung und Faservolumengehalt mit hinein und ein ganz wichtiger Punkt ist die Anisotropie: im Gegensatz zu Metallen verhält sich Faserverbund in verschiedenen Richtungen unterschiedlich.

Für ein unidirektionales Laminat (d.h. alle Fasern in 0°-Richtung) kann man je nach Faservolumengehalt einen E-Modul von ca. 100.000 MPa erwarten. Die Kennwerte quer zur Faser und unter 45° sind aber sehr viel schlechter.

Ein Laminat mit +/-45°-Fasern kann dagegen einen Schubmodul („Ingenieurkonstante“) von etwa 25.000 MPa erreichen. Dafür sind dann die Werte in 0°-Richtung im Keller.

Und dann gibt es noch die „interlaminaren“ Kennwerte. Bei einer Biegebeanspruchung entsteht in der Regel auch ein Querkraftschub, der die Laminatschichten gegeneinander verschieben will – Stichwort „interlaminare Scherfestigkeit“.

Zu den Festigkeitswerten will ich hier gar nicht so viel sagen. Beachten sollte man, dass die Druckfestigkeit in der Regel etwas niedriger liegt als die Zugfestigkeit. Wenn man die Dehnung auf 0,5% begrenzt, liegt man auf der sicheren Seite.

Lastfall Vollbremsung VR
Jetzt aber etwas Konkretes: sehen wir und den Lastfall 3 „Vollbremsung VR“ an. Nach meiner Definition wirken hier 2000N als Bremskraft im Radaufstandspunkt und gleichzeitig eine vertikale Kraft von 2000N (keine Reibkraft ohne entsprechende Normalkraft).

Die Definition ist schon hart, das schafft man nur mit Bremsen auf glattem Trail nicht. Da muss schon noch eine Dynamik in Form eines soliden Schlaglochs mit dazukommen.
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Wie erwartet liegt die höchste Materialausnutzung unten hinter dem Steuersatz. 73% - da ist also noch genügend Luft.
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Vielleicht noch ein Wort zum Sicherheitskonzept: in anderen Bereichen wird meist mit hohen Sicherheiten auf der Materialseite und auf der Lastseite gearbeitet. Man will sicher sein, dass es sicher ist. Wenn man alle Abminderungs- und Sicherheitsfaktoren multipliziert landet man bei Faserverbund schon mal bei einem Faktor 4-5 für statische Beanspruchung. Für dynamische Belastung noch deutlich mehr.

Damit kann man natürlich keinen Leichtbau betreiben. Bei den Festigkeitswerten lasse ich mir schon etwas Reserve. Die Lastfälle sind „Worst-Case-Szenarien“, teilweise wären sogar plastische Verformungen zulässig. Und dann? Wird „auf Kante“ genäht.

Lastfall Wiegetritt
Beim Wiegetritt arbeite ich mit 1600 N Pedalkraft. Der Kettentrieb ist mit Hilfselementen nachgebildet und so wird die Kraft vom Kettenblatt an die Umlenkrolle und weiter ans Hinterrad geleitet. So entsteht ein realistischer Kraftfluss im FE-Modell.
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Die Materialausnutzung liegt hier bei 38% - genug Reserve auch für einen dynamischen Lastfall.

Am Ende der FE-Berechnung steht ein optimales Layup. Hier ein Auszug aus dem Belegungsplan:
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Die Hauptflächen (Gelb) bestehen aus 2 Lagen 45°-Gelege, 1 Lage 0° und 1 Deckschicht (Carbongewebe 0/90°). Für die großen Seitenflächen war mir das gefühlt doch etwas dünn und deshalb gibt es den orange-farbigen Bereich mit einer Dopplung der 45°-Gelege.

Das hat aber ganz einfach auch fertigungstechnische Gründe: das 45°-Gelege wird in zwei verschiedenen Zuschnitten von oben und von unten um den Kern gewickelt. In dem orange-farbigen Bereich überlappen sich diese Zuschnitte und sorgen für einen soliden Verbund.

Hier sieht man das im Schnitt: in Rot die Lagen von oben, in Grün die Lagen von unten. In der Mitte ein Bereich von ca. 2cm, in dem die Lagen sich überlappen.
RobertS2024_05_FEM-Berechnung_8.jpg
 

CAD-Modell mit Wandstärken​

Die FE-Berechnung war vielleicht doch etwas schwere Kost. Jetzt wird es wieder etwas „greifbarer“. Das berechnete Layup wird im CAD-Modell umgesetzt und durch entsprechende Offsets entsteht ein Modell mit realen Wandstärken. Das wird benötigt, um die Wachskerne und die dazugehörigen Formen zu konstruieren.
RobertS2024_06_CAD-Modell_mit_Wandstaerken_1.jpg

Gut zu erkennen sind hier die massiven Verstärkungen für den Steuersatz und die Überlappung in den Seitenflächen. Unten sieht man die Verstärkung hinter der unteren Lagerstelle: die Wandstärke steigt von ca. 1,7mm auf etwa das Doppelte an.
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In der Mitte gibt es eine kreisförmige Verstärkung für das Schwingenlager. Außerdem gibt es in diesem hochbelasteten Bereich eine Art „Manschette“, die das dünnwandige Hauptrohr umlaufend versteift. Hinten ist noch eine keilförmige Verstärkung am Zugstrebenlager zu erkennen.
RobertS2024_06_CAD-Modell_mit_Wandstaerken_3.jpg

Und zum Abschluss noch ein Längsschnitt durch die Schwinge. Die Schwinge ist im Wesentlichen ein Biegebalken und ist entsprechend biegemomentgerecht gestaltet, d.h. die Querschnitte werden nach hinten immer kleiner. Um trotzdem die Torsionssteifigkeit auf einem hohen Niveau zu halten, sind die letzten 15 cm mit zusätzlichen 45°-Lagen verstärkt. Und einige Zentimeter vor der Hinterradaufnahme wird die Schwinge sogar massiv. Eigentlich nicht wirklich massiv: ich arbeite in diesem Bereich mit Einlegeteilen aus dem 3D-Drucker, um die Belegung zu erleichtern und das Laminat genau in Form zu bringen. Dazu später mehr.
 

Konstruktion der Injektionsform​

Mit der Konstruktion der Wandstärken ist die Bauteilkonstruktion abgeschlossen. Jetzt geht es an die fertigungstechnische Umsetzung und dazu muss erst einmal die Injektionsform konstruiert werden.

Eigentlich nicht so kompliziert: man nimmt einen großen Klotz und die Bauteile werden mit booleschen Operationen herausgeschnitten. Die Teile werden möglichst eng gepackt, damit die Form nicht unnötig groß und schwer wird:
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Für die meisten Krafteinleitungsstellen müssen noch Einlegeteile oder Wickeldorne konstruiert werden. In der Mitte sieht man die Wickeldorne für den Steuersatz oben/unten. Die beiden Dorne sind recht kurz – damit sie nicht kippeln sind sie durch einen Rundstab verbunden. So sind die Lagerstellen perfekt zueinander ausgerichtet.

Rechts sieht man die Wickeldorne für die Schwinge. Sie haben einen Kegelsitz in der Form. Wie schon im Kapitel „Rahmendesign“ angekündigt: die Trennebene für die Schwingenteile liegt schräg im Raum und die Bohrungen stehen deshalb in einem Winkel von knapp 6° zur Trennebene. Damit die Wickeldorne trotzdem entformt werden können, sind sie mit diesem Kegel versehen.

Spannend ist noch die Bremsaufnahme an der linke Schwinge. Um die Spezifikationen einzuhalten, muss die Geometrie weit von der Trennebene entfernt sein. Das erfordert in der unteren Formhälfte ein etwas komplizierteres Einlegeteil – das wird später aus dem 3D-Drucker kommen.
RobertS2024_07_Konstruktion_der_Injektionsform_3.jpg

Rechts sieht man den Rundstab für das Sitzrohr. Er ist auf Passung gedreht und eine spanende Bearbeitung ist nach der Entformung nicht nötig.

Links daneben ein etwas komplizierteres Teil für die Dämpferaufnahme. Dieses Teil kommt ebenfalls aus dem 3D-Drucker.

Und ganz links gibt es noch diverse Formteile für kleinere Carbon-Teile: Schwingenverbinder, Zugstrebe für die Dämpferanlenkung und eine kleine Gabel, die die Umlenkrolle im Leertrum aufnimmt.

Links unten unter dem kreisförmigen Teil verbirgt sich die Carbon-Scheibe für die Umlenkrolle.
RobertS2024_07_Konstruktion_der_Injektionsform_4.jpg

Damit die Injektion gut funktioniert, muss die Form perfekt abgedichtet sein. Außen verläuft eine Nut (Blau), darin wird später eine Rundschnur aus NBR eingelegt. Bei dem Injektionsdruck von 4-5 Bar würde sich allerdings die Form in der Mitte stark verformen. Deshalb gibt es in der Mitte noch einige zusätzliche Schrauben und diese werden mit O-Ringen abgedichtet.

Dann gibt es noch eine weitere Nut (Grün): das ist der Harzkanal. Hier fließt das Epoxidharz vom Anguss bis in die letzte Ecke der Form, damit das Harz möglichst einfach alle Bauteile erreichen kann.
 

Die Injektionsform​

Wir verlassen endlich die digitale Welt und es werden Späne gemacht. Bisher hatte ich meine Formen immer von meinem Kumpel Rene fräsen lassen. Das war aber immer sehr mühsam, weil er nur eine kleine Modellbaufräse mit recht geringer Zerspanungsleistung hat.

Und so habe ich letztes Jahr auf der Messe „Bespoked“ in Dresden einfach mal Simon von Actofive angequatscht. Wir haben uns sehr nett unterhalten und er hat mir ein gutes Angebot gemacht.

Und was soll ich sagen – er hat wirklich einen super Job gemacht:
RobertS2024_08_Die_Injektionsform_1.jpg

Da hat alles so perfekt gepasst, super. Und die Oberflächen waren schon so schick, dass ich da nichts nachgearbeitet habe. Auch die Lagersitze für die ganzen Kerne, die Gewinde – alles perfekt. An den Formen habe ich nur noch den Anschluss für den Harzzulauf gebohrt (der wird von der Seitenfläche gebohrt, das wäre so auf der Fräsmaschine nicht gegangen).

An dieser Stelle ein herzliches „Danke schön“ an Simon von Actofive!


Die Formen sind vorbereitet für die Belegung …
RobertS2024_08_Die_Injektionsform_2.jpg

… und ich hatte in der Zwischenzeit viel zu tun mit den diversen Einlegeteilen:
RobertS2024_08_Die_Injektionsform_3.jpg
 

Wachsformen​

Bevor es mit der Belegung der Formen losgehen kann, fehlt aber noch ein entscheidender Teil: die Wachskerne.

Die notwendigen Wandstärken wurden bereits modelliert und jetzt wird die Innengeometrie extrahiert, um daraus Formen für die Wachkern-Herstellung zu generieren.

Gegenüber meinen früheren Projekten gibt es einen Schwenk bei der Technologie: die Wachsformen sollen nicht mehr gefräst werden, sondern aus dem 3D-Drucker kommen!

Das war am Anfang ganz schön spannend und ich musste da einige Rückschläge hinnehmen. Aber letztlich habe ich einen Workflow gefunden, der funktioniert.
RobertS2024_09_Wachsformen_1.jpg

Hier die Wachsform für den Kern der rechten Schwinge. Sie besteht aus 2*6 Segmenten mit einer Grundfläche von jeweils 86mm*105mm.

Gedruckt wird mit PLA auf einem Flashforge Creator 3 Pro mit Doppelextruder. Im Spiegelungsmodus entstehen so gleichzeitig die Formen für linke und rechte Schwinge. Mit 0,8mm Düsen dauert der Druck ca. 12 Stunden für die gezeigten Segmente – nach etwa 34 Stunden Druckzeit sind die Formen für die Schwinge fertig.
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Der Hauptrahmen enthält mehrere Wachskerne – hier die Form für das Hauptrohr …
RobertS2024_09_Wachsformen_3.jpg

… und die kleineren Formen für Sitzrohr und Sitzdom:
RobertS2024_09_Wachsformen_4.jpg

Insgesamt beträgt die Druckzeit für alle Teile etwa 100 Stunden.
 

Wachskerne gießen​

Wieder in der Werkstatt: erst werden die Segmente der Wachformen mit Trennmittel versehen (hinten rechts im Bild, gibt es bei kerzenkiste.de). Das Trennmittel muss mindestens eine Stunde ablüften, dann kann es weitergehen. Die Segmente werden ganz primitiv zwischen Platten und Profilen positioniert …
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… und mit Schraubzwingen und Spanngurten verspannt:
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In meinem Spezial-Kochtopf mit Isolierung wird das Wachs knapp über den Schmelzpunkt erwärmt, dann kann über einen Hahn die Form befüllt werden. Ein Temperatur-Regler hält die Temperatur im Topf auf etwa 120°C.

Bevor einer fragt: ja, es funktioniert – obwohl PLA nur temperaturstabil bis etwa 70°C ist. Das Wachs läuft nur sehr langsam in die Form und bringt daher immer nur wenig Wärme mit. Außerdem sind die Wachsformen als Blöcke mit Waben-Infill gedruckt und so wird die temperaturbelastete Innenwand von außen gestützt.
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Und hier die fertigen Wachskerne:
RobertS2024_10_Wachskerne_giessen_4.jpg
 

Belegung der Form​

Nun wird es ernst: die Belegung der Form mit Carbonfasern beginnt. Beim ersten Mal dauert das erfahrungsgemäß sehr lange. Ich habe zwar viel Vorarbeit am Rechner geleistet und auch im CAD Zuschnitt-Schablonen erstellt, aber in der Praxis funktioniert manches dann doch nicht so wie gedacht. Die Belegung muss angepasst werden, Schablonen müssen korrigiert werden und manchmal braucht es auch ganz neue Ideen. Am Ende habe ich fast vier Wochen gebraucht, bis ich zufrieden war.

Deshalb kann ich hier auch nicht alles dokumentieren – das wäre einfach zu viel. Ich zeige ein paar Highlights, damit die Vorgehensweise klar wird.

Der Schwingenverbinder wird hauptsächlich aus Roving gewickelt (links). Die Krafteinleitungsstellen in der Mitte sollen eine Druckkraft an die obere Lagerstelle weiterleiten. Erst werden die verschiedenen Lagerstellen einzeln umwickelt, dann folgen weitere Wickelmuster, die die Lagerstellen verbinden und schließlich wird ganz außen umwickelt. Dann werden die Formteile eingesetzt und verschraubt (rechts). Die Zwischenräume werden später noch mit Faserschnipseln aufgefüllt.
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Nun folgt die rechte Schwinge. Der Wachskern wurde für die Verschraubung und die Umlenkrolle noch aufgebohrt. Hinten sind schon die 45°-Lagen für die Verstärkung der letzten 15cm um den Kern gewickelt:
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Die Schraubenlöcher sind mit Fasern aufgefüllt und die erste große 45°-Lage liegt bereit:
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Weitere 45°-Lagen folgen:
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Und schließlich die 0°-Lagen. Nach Schablone werden erst einmal nur die Seitenflächen innen und außen belegt:
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Die Flächen oben und unten sollen die hohe Biegespannung der Schwinge bei einer harten Landung übertragen. Und da sollen die Lagerstellen solide mit eingebunden werden. Deshalb habe ich hier UD-Band umlaufend verlegt und die etwas komplizierte Geometrie am Schwingenlager (und auch an der Hinterradaufnahme) wird durch ein Teil aus dem 3D-Drucker nachgebildet. Dadurch werden die tragenden Fasern schön an die Außenwand gedrückt.
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An den Krafteinleitungen gewinnt man oder verliert man, ganz besonders bei Faserverbund. Ich habe da mein Spezialrezept: über einen Wickeldorn werden mehrere Flechtschläuche geschoben und mit Roving umwickelt. Der Roving nimmt dabei die Ringspannung auf, die ggf. bei Presspassungen auftritt. Die Flechtschläuche schmiegen sich an die Außengeometrie an und überlappen dabei das tragende Laminat (hier insbesondere die umlaufenden UD-Bänder). Dadurch ist eine optimale Spannungsverteilung gewährleistet.
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Am Ende werden noch die Deckschichten mit Sprühkleber aufgeklebt. Ich verwende gerne „schiebefestes“ Gewebe, das franst beim Zuschneiden fast nicht aus.
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Interessant ist vielleicht noch die Belegung der Bremsaufnahme: es gibt zwei stabförmige Teile aus dem 3D-Drucker und dazu die Zuschnitte aus 0°-Gelege und 45°-Gelege:
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Das Gelege wird um die 3D-Druck-Teile gewickelt und mit Faden fixiert. Anschließend werden die Teile in das Formteil der Bremsaufnahme geschraubt:
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Und jetzt zum Staffelfinale – der Hauptrahmen wird belegt. Den Anfang macht das Sitzrohr – hier die Einzelteile: Wachskern und Rundstab als Kern, diverse Schablonen und die entsprechenden Zuschnitte.
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Ich spule etwas vor – hier ist das Sitzrohr fertig belegt und schon testweise in die Form eingelegt:
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Weiter geht es mit dem Sitzdom. Der Wachskern wurde mit 45°-Gelege umwickelt:
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_13.jpg

Die Seitenflächen des Sitzdoms sind ein sehr spannendes Thema. Sie sorgen für die Seitensteifigkeit des Sitzrohrs, aber sie haben noch einen viel wichtigeren Job: hinter dem Sitzrohr befindet sich die Dämpferaufnahme und da geht es richtig zur Sache. Die Dämpferkräfte bei einer harten Landung sind extrem und erzeugen ein großes Biegemoment. Deshalb ist dieser Bereich auch massiv verstärkt: hier sieht man die einzelnen Lagen, die zu einer Seitenfläche zusammengepackt werden:
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_14.jpg

Und weil das noch nicht genug ist, wird die Dämpferaufnahme selbst gezielt mit Roving verstärkt:
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_15.jpg

So sieht die komplette Belegung von Sitzrohr und Sitzdom aus:
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_16.jpg

Weiter geht es mit dem Hauptrohr. Das Lager für die Zugstrebe der Kinematik muss ebenfalls große Kräfte aushalten und wird daher üppig mit Rovings umwickelt. Rechts im Bild die Bohrung für das Schwingenlager.
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_17.jpg

Jetzt kommen die 45°-Lagen abwechselnd von unten …
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_18.jpg

… und von oben:
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_19.jpg

Die 0°-Lagen werden ähnlich wie bei den Schwingenteilen verlegt – interessant ist hier die lokale Verstärkung hinter dem unteren Steuerlager:
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_20.jpg
 
... Du kannst nur 20 Dateien anhängen - wieder etwas gelernt :)

Weiter geht es:
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_21.jpg

Für die Krafteinleitungsstellen gibt es wieder mein Spezialrezept – hier das Tretlager:
RobertS2024_11_Belegung_der_Form_22.jpg

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Und der Steuersatz:
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Die Y-parallelen Krafteinleitungen wie Tretlager und Schwingenlager befestige in der Form, denn sie werden beim Einlegen der Wachskerne und beim Schließen der Form schön angedrückt.

Beim Steuersatz funktioniert das nicht, er wird am Wachskern befestigt.

Der letzte Akt: die Deckschichten werden aufgeklebt und der komplett belegte Wachskern wird in die Form gelegt:
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Geschafft! Jetzt kann es losgehen mit der Harzinjektion.
 

Harzinjektion​

Die Form wird geschlossen – der Druckluftschrauber erleichtert die Sache ungemein:
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Ganz wichtig: es darf kein Spalt bleiben, die Form muss richtig schließen damit die Dichtungen richtig funktionieren. Ein abschließender Drucktest stellt sicher, dass kein Harz aus der Form entweichen kann – oder noch schlimmer: Luft von außen in die Form findet.

In meiner Temperbox wird die Form auf 40°C vorgewärmt. Naja Temperbox … es ist ein alter Geldschrank. Der ist robust und so gut isoliert, dass er wichtige Dokumente bei einem Brand schützt. Bei mir hält er die Form schön warm:
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Und so sieht meine Injektionsanlage vom Prinzip aus:
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An der Leitung A können wahlweise Vakuum, Atmosphäre oder Druck angelegt werden. B und C sind Absperrventile. Wobei da einfach nur der Schlauch geknickt wird, denn echte Ventile würden mit Epoxidharz genau einmal funktionieren.

  • Im Becher (Rot) werden Harz und Härter gemischt. Gleichzeitig kann schon die Form (Blau) mit dem Vakuum verbunden werden, damit keine Luft mehr in der Form ist.
  • Dann wird B geöffnet, das Harz vom Becher in den Vorratsbehälter (Grün) gesaugt und anschließend B wieder geschlossen.
  • Jetzt geht es mit Druck vom Vorratsbehälter in die Form. Nach einigen Minuten steht das Harz. In mehreren Schleifen wird noch einmal ein paar Minuten Vakuum und anschließend wieder Druck angelegt – die Form „atmet“ und gibt evtl. noch kleine Luftblasen frei.
  • Schließlich wird C geschlossen, die Injektion ist fertig.
  • Der Vorratsbehälter muss noch entleert werden: B wird geöffnet und das Harz wird zurück in den Becher geblasen.
  • Feierabend :-) Die Teile müssen 24 Stunden aushärten, bevor entformt werden kann.
 

Entformung und Finish der Carbon-Teile​

Die Form ist offen und alle Teile sind entnommen. Hier stecken noch (fast) alle Wickelkerne im Carbon, die müssen noch gezogen werden.
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Anschließend werden Harzreste entfernt und Löcher gebohrt. Wobei aber alle Lagerstellen durch die Wickeldorne schon mit der richtigen Passung herauskommen. Tretlagerschalen, Steuersatz und diverse Nadellager werden ohne spanende Bearbeitung eingepresst.

Für die Bremsaufnahme gibt es spezielle Spannbacken aus dem 3D-Drucker – dadurch kann die Schwinge genau im richtigen Winkel gespannt werden. Die Gewinde-Einsätze werden in der Ständerbohrmaschine eingesetzt. Ohne Strom! Gedreht wird von Hand, es geht nur um den perfekten Winkel der Gewinde-Einsätze.
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Nun geht es noch einmal in die Temperbox. Bei etwa 90°C schmelzen die Wachskerne vollständig aus und außerdem erhält das Harz durch die höhere Temperatur seine endgültige Festigkeit.

Die Teile werden nun noch geschliffen und es werden evtl. kleine Macken ausgebessert. Jetzt folgt die Lackierung:
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Rahmen-Montage​

Die Carbon-Teile sind bereit für die Rahmen-Montage und im Vordergrund liegen zahlreiche Tütchen mit den Baugruppen für die Lagerstellen.
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Die Zugstrebe für die Kinematik und das Schwingenlager sind montiert:
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Der Schwingenverbinder hält die beiden Schwingenteile zusammen und leitet über ein Nadellager (oben rechts) die Kräfte an die Umlenkplatte weiter.

Ein witziges Detail: links unten ist die Umlenkrolle für das Leertrum zu sehen. Ein Kugellager 61803 und ein passender O-Ring mit 5mm Schnurstärke. Einfacher geht es kaum. Es funktioniert, muss sich aber natürlich noch im Langzeittest bewähren.
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Die Schwinge ist montiert. Innen kann man die Schläuche für die Kabelführung erkennen. Und unten liegt die Umlenkrolle bereit. Ach ja, Umlenkrolle – da war doch noch etwas. Zum Wirkungsgrad von Umlenkrollen hatte ich schon einmal einen längeren Beitrag geschrieben: Link. Die Kurzfassung: die Verluste durch die Umlenkrolle sind < 1%.
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„Fahrzeug-Hochzeit“: Hauptrahmen und Schwinge finden zueinander. Die Hülle für die Sattelstützen-Fernbedienung ist auch schon durchgefädelt und der Rahmen ist bereit für die Endmontage.
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Endmontage​

Viele nette Spielsachen liegen hier bereit. Die Laufräder sind eingespeicht und so kann es losgehen.
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Als erstes wird die Sattelstütze eingebaut, damit der Rahmen in den Montageständer gespannt werden kann.
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Es folgen Gabel, Vorbau und Lenker. Zum Testen wird erst einmal eine alte Lyrik eingebaut, da gibt es gleich noch ein Update.
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Bei den Kurbeln wäre das Projekt heute fast gescheitert …
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… denn Hope hat die Spezifikation der Wellen geändert. Wieso überhaupt eine neue Welle? Mein Bike benötigt bei den Kurbeln den Downhill-Standard mit etwas größerem Q-Faktor. Außerdem habe ich bei den Kurbeln so meine Sonderlocken – die 155mm kurzen Kurbeln, die aktuell nur Hope anbietet.
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Glücklicherweise hatte ich noch eine Kurbel mit passender Welle im Bestand und der Umbau ist bei den Hope-Kurbeln mit dem passenden Spezialwerkzeug schnell gemacht:
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Weiter geht es: die Kurbel ist montiert und das Cockpit ist bestückt:
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Die Laufräder werden komplettiert und eingesetzt:
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Noch ein paar Kleinigkeiten: Sattel, Kette, Schaltung einstellen. Fertig!
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Feintuning​

Natürlich wurde das Bike so wie es gerade dasteht erst einmal probe gefahren. Und da war er: der Muskelkater wegen Dauergrinsen :)))

Jetzt noch etwas Feintuning. Und da gibt es noch witzige Stories zu erzählen.

Pedale
Erst einmal die Pedale: für mein altes Enduro hatte ich mir die HaigRip von Hubert Ruff gegönnt. In diesem Thread hatte ich meiner Begeisterung damals schon freien Lauf gelassen. Dass ich Fan von Nadellagern bin, dürfte durch meine Rahmenkonstruktion geklärt sein.

Ich fahre die Pedale seit fast 1,5 Jahren. Und es sind die ersten Pedale, die bei mir nicht unter der Rubrik „Verschleißteile“ laufen.

Und nun noch der Gag: ich hatte Hubert Ruff am Wochenende angefunkt, ob er mir für diese Dokumentation evtl. die 3D-Daten der Pedale schicken könnte. Am Montag hatte ich die Daten noch vor dem Frühstück im E-Mail-Postfach :) Also guckt euch die CAD-Bilder oben noch einmal mit Verstand an.

Intend Gabel
Die „Edge“ von Intend fahre ich seit 3 Jahren. Sie hat tatsächlich auch schon einmal eine Eisdiele gesehen, aber eigentlich wird sie nur geprügelt. Und in den 3 Jahren hat sie einmal einen Ölwechsel bekommen – trotzdem läuft sie besser als jede andere Gabel, die ich bisher hatte.

Bevor ich sie ins neue Bike einbaue, wollte ich ihr noch einen Service gönnen. Und am besten gleich ein Update – „Fork Factory Rebuild“ nennt sich das bei Intend.

Also Intend angefunkt:
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Leute – das ist kein Fake! Ich meine, man ist ja heute durch Amazon und so schon ganz schön verwöhnt, was Reaktionszeiten und Lieferzeiten angeht. Aber was Intend da abliefert, haut mich schon aus den Socken.

So lief das ab:
  • Donnerstag: Intend angefunkt, sofortige Reaktion, Gabel umgehend in die Post gesteckt.
  • Dienstag früh: Mail von Intend, Gabel ist fertig und auf dem Rückweg.
  • Donnerstag: Gabel ist wieder da und noch vor dem Mittagessen eingebaut. Wow.
Hier also nochmal mit den besten Pedalen der Welt und der besten Gabel der Welt:

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Und jetzt …
 
Brutal geiles Teil in vielerlei Hinsicht!
😃
Beeindruckend was da an Knowhow und Aufwand drinsteckt!
(Deine Beträge werde ich wohl immer wieder durchschauen müssen. 😅)

Rein vom äußeren Eindruck her, wirkt der Kragarm der oberen Dämpferaufnahme äußerst filigran und ist damit für sich schonmal ein Blickfang.

Gratulation und viel Spaß damit!!!
 
Eigentlich wollte ich schon vor über einer Stunde im Bett liegen.... Danke dafür :D
HAMMER! Absolut unfassbar geil von A-Z!

Viel Spaß mit dem Hobel und vielen Dank für den wieder einmal sehr ausführlichen und informativen Bereicht.

Technische Frage: Warum die Segmentierung der Wachsformen? Bauraum Flashforge oder hat das noch einen praktischen Nutzen beim Entformen, weil man kein großes Formteil abziehen muss?

Gruß
tebis
 
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