FEM-Berechnung
Die kreative Phase ist beendet, jetzt heißt es richtig arbeiten. Der nächste Step ist die FEM-Berechnung, um die Belastungen zu simulieren. Es werden verschiedene Lastfälle untersucht, und die Steifigkeit und die Materialausnutzung berechnet. Am Ende steht ein optimales Layup, d.h. die Faserorientierungen und die Anzahl der Faserschichten.
Wie immer bei der FEM-Berechnung: die drei Zutaten
1. Geometrie
Die CAD-Geometrie wird erst einmal vernetzt. Die Oberfläche wird in kleine Kästchen (= finite Elemente) aufgeteilt. Die verschiedenen Farben kennzeichnen hier verschiedene „Properties“ – dahinter verbirgt sich ein Layup, das die Anzahl und Winkel der einzelnen Faserschichten definiert. In Rot sieht man rechts die Verstärkungen für den Steuersatz.
Anbauteile, die im Kraftfluss liegen werden entweder nur grob vernetzt oder sogar nur durch Balkenelemente abgebildet.
2. Lastfälle
Hier eine Tabelle, was ich normalerweise für meine Carbon-Rahmen an Lastfällen berechne:
Lastfall Nr. | Benennung | Art |
Lastfall 1 | Torsionssteifigkeit | |
Lastfall 2 | Sattelkraft | statisch |
Lastfall 3 | Vollbremsung VR | statisch |
Lastfall 4 | Vollbremsung HR | statisch |
Lastfall 5 | Wiegetritt | dynamisch |
Lastfall 6 | Landung beidseitig | statisch |
Lastfall 7 | Landung einseitig | statisch |
Jedes Material (und die dazugehörige Verarbeitung) hat so seine Eigenheiten. Bei geschweißten Aluminium-Rahmen ist oft die Betriebsfestigkeit in den Schweißnähten das Problem. Bei hohen Lastspielzahlen kommt es durch die Kerbwirkung in den Schweißnähten zu Rissen und schließlich zum Bruch. Dafür verhalten sich metallische Werkstoffe bei Extremlasten aufgrund der hohen Bruchdehnung vergleichsweise gutmütig.
Bei Carbon ist es eher anders herum. Schweißnähte gibt es nicht und die Fasern lassen sich ohnehin nicht um eine scharfe Ecke verlegen. Typischerweise sind die Geometrien mehr oder weniger großzügig verrundet, dadurch gibt es kaum Kerbwirkung und die Bauteil-Betriebsfestigkeit ist sehr gut. Andererseits haben Carbonfasern eine sehr geringe Bruchdehnung und das wirkt sich ungünstig bei Extremlasten oder sogar Überlast aus: wird die Belastungsgrenze überschritten gibt es im schlimmsten Fall nur noch einen Knall und ein schlagartiges Versagen.
Ich konzentriere mich bei meiner Auslegung auf die Extremlasten (statische Lasten). Nur den Wiegetritt als dynamische Last sehe ich mir natürlich an.
3. Material
Die Materialdaten von Carbon sind ein heißes Thema. Bei metallischen Werkstoffen findet man in gängigen DIN-Normen oder auch in der FKM-Richtlinie alles, was man braucht. Bei Carbonfasern ist das sehr viel schwieriger. Denn das eigentliche Material entsteht ja erst, wenn Fasern und Epoxidharz zusammenfinden. Es spielen dann Faserorientierung und Faservolumengehalt mit hinein und ein ganz wichtiger Punkt ist die Anisotropie: im Gegensatz zu Metallen verhält sich Faserverbund in verschiedenen Richtungen unterschiedlich.
Für ein unidirektionales Laminat (d.h. alle Fasern in 0°-Richtung) kann man je nach Faservolumengehalt einen E-Modul von ca. 100.000 MPa erwarten. Die Kennwerte quer zur Faser und unter 45° sind aber sehr viel schlechter.
Ein Laminat mit +/-45°-Fasern kann dagegen einen Schubmodul („Ingenieurkonstante“) von etwa 25.000 MPa erreichen. Dafür sind dann die Werte in 0°-Richtung im Keller.
Und dann gibt es noch die „interlaminaren“ Kennwerte. Bei einer Biegebeanspruchung entsteht in der Regel auch ein Querkraftschub, der die Laminatschichten gegeneinander verschieben will – Stichwort „interlaminare Scherfestigkeit“.
Zu den Festigkeitswerten will ich hier gar nicht so viel sagen. Beachten sollte man, dass die Druckfestigkeit in der Regel etwas niedriger liegt als die Zugfestigkeit. Wenn man die Dehnung auf 0,5% begrenzt, liegt man auf der sicheren Seite.
Lastfall Vollbremsung VR
Jetzt aber etwas Konkretes: sehen wir und den Lastfall 3 „Vollbremsung VR“ an. Nach meiner Definition wirken hier 2000N als Bremskraft im Radaufstandspunkt und gleichzeitig eine vertikale Kraft von 2000N (keine Reibkraft ohne entsprechende Normalkraft).
Die Definition ist schon hart, das schafft man nur mit
Bremsen auf glattem Trail nicht. Da muss schon noch eine Dynamik in Form eines soliden Schlaglochs mit dazukommen.
Wie erwartet liegt die höchste Materialausnutzung unten hinter dem Steuersatz. 73% - da ist also noch genügend Luft.
Vielleicht noch ein Wort zum Sicherheitskonzept: in anderen Bereichen wird meist mit hohen Sicherheiten auf der Materialseite und auf der Lastseite gearbeitet. Man will sicher sein, dass es sicher ist. Wenn man alle Abminderungs- und Sicherheitsfaktoren multipliziert landet man bei Faserverbund schon mal bei einem Faktor 4-5 für statische Beanspruchung. Für dynamische Belastung noch deutlich mehr.
Damit kann man natürlich keinen Leichtbau betreiben. Bei den Festigkeitswerten lasse ich mir schon etwas Reserve. Die Lastfälle sind „Worst-Case-Szenarien“, teilweise wären sogar plastische Verformungen zulässig. Und dann? Wird „auf Kante“ genäht.
Lastfall Wiegetritt
Beim Wiegetritt arbeite ich mit 1600 N Pedalkraft. Der Kettentrieb ist mit Hilfselementen nachgebildet und so wird die Kraft vom Kettenblatt an die Umlenkrolle und weiter ans Hinterrad geleitet. So entsteht ein realistischer Kraftfluss im FE-Modell.
Die Materialausnutzung liegt hier bei 38% - genug Reserve auch für einen dynamischen Lastfall.
Am Ende der FE-Berechnung steht ein optimales Layup. Hier ein Auszug aus dem Belegungsplan:
Die Hauptflächen (Gelb) bestehen aus 2 Lagen 45°-Gelege, 1 Lage 0° und 1 Deckschicht (Carbongewebe 0/90°). Für die großen Seitenflächen war mir das gefühlt doch etwas dünn und deshalb gibt es den orange-farbigen Bereich mit einer Dopplung der 45°-Gelege.
Das hat aber ganz einfach auch fertigungstechnische Gründe: das 45°-Gelege wird in zwei verschiedenen Zuschnitten von oben und von unten um den Kern gewickelt. In dem orange-farbigen Bereich überlappen sich diese Zuschnitte und sorgen für einen soliden Verbund.
Hier sieht man das im Schnitt: in Rot die Lagen von oben, in Grün die Lagen von unten. In der Mitte ein Bereich von ca. 2cm, in dem die Lagen sich überlappen.