Ich antworte dir mal hier
Dort wo sich über UCI Regeln gekloppt und exakte 73° Lenkwinkel zur Krönung der Fahrrad-Evolution proklamiert wird, hab ich ehrlich gesagt wenig Bock zu schreiben
Meine 2cent:
Für das Einsatzgebiet, das du umreißt, ist der Lenkwinkel sowas von egal. In einer Asphaltkurve lenkt man sowieso quasi nicht, das läuft über Radneigung und das kann man mit einem Downhiller genauso machen wie mit einem Zeitfahrrad. Und Zielsprints bei Tour de France Etappen im eng gepackten Peloton scheinst du ja auch nicht vor zu haben. Von daher: es ist wirklich komplett egal.
Was für die Rennrad-Tour mit den Kumpels zählt ist: Spaß, Beine, und einigermaßen gleichverteilter Rollwiderstand (oder dem persönlichen Trainingszustand in Relation zum Gruppentempo angemessener Rollwiderstand). Und ein kleines bisschen Aero, alternativ ein Kumpel der dich bergab Windschatten lutschen lässt. Im Grunde genommen kannst du dir auch Straßenslicks auf ein Mtb-Hardtail tackern. Ein Freund fährt öfter mal eine Asphalt-Runde mit einem älteren "gravelisierten" CC-HT mit Starrgabel, Flatbar und dünnen
Reifen mit. Der langsamste ist er dabei auch nicht.
Außerdem: ganz viel "Aero", das man evtl über einen nicht ganz so windschnittigen Lenker verliert, kann man mit einer Schnippistütze und Tucken wieder wett machen.
Wenn dann noch der Asphalt schlecht, nass und dreckig ist, und die Kurven etwas unschön, sehen rollwiderstandsoptimierte Rennräder gegenüber einem griffig bereiften Gravel sowieso kein Land mehr.
Ich fahre derzeit das Monstergravel das ich mir weiter vorne im Thread aufgebaut habe, mittlerweile mit einer auf 120mm getravelten Lyrik drin und daraus resultierend 65° Lenkwinkel. Egal wie es mancher einer findet und wie unfahrbar das ganze angeblich ist, macht das Teil mir jetzt seit fast drei Jahren schon mega Laune.
Dazu noch ein klassisches Gravelbike (Holdsworth Mystique vom britischen Discounter) das in meiner kleinen Größe entspannte 70° Lenkwinkel hat.
Mit beiden sehe ich absolut keinen Nachteil auf Straße abseits von Rollwiderstand oder Walken der
Reifen. Das Monstergravel taugt nebenbei auch um auf der Feierabendrunde entspannt 2k Höhenmeter auf den lokalen Enduro-Trails zu ballern. >200km Strecke sind mit beiden kein größeres Problem.
Für das klassische Gravel hab ich einen zweiten Laufradsatz mit Straßen-Slicks, für die Rennrad-Runden mit den Kumpels nutze ich fast nur noch das Gravel, das Rennrad steht sich während dessen die
Reifen platt. Mir taugt es einfach von Fahrgefühl und Komfort her besser. Das Rennrad hat mit seinen <10 Watt Rollwiderstand Reifchen und sub 7kg Gesamtgewicht im Grenzbereich weniger Widerstand, das merkt man wenn man wirklich mal am Anschlag >150km durchzieht. Da bin ich dann mit dem 10kg Gravel und seinen 30W Terreno Zero
Reifen abends deutlich mehr "tot" als wenn ich das mit dem Rennrad fahre, der Physik und den geleisteten Watts schlägt man da kein Schnippchen. Allerdings, für eine entspannte Spaßrunde, oder bei suboptimalem Wetter, ist das vollkommen wumpe. Da zählen andere Qualitäten wie Komfort oder Fahrsicherheit für mich viel mehr.
Zwecks Übersetzung sehe ich es so: die Abstufung ist nicht so sehr abhängig vom Radtypus, sondern eher von der Geschwindigkeit, respektive wie nah ich mich an mein persönliches Leistungs-Limit begeben möchte. Außerdem natürlich noch vom üblichen Tourenprofil. In einer Gruppe von schnellen Leuten möchte ich am liebsten exakt den richtigen Gang, und nicht nur einen halbwegs richtigen. Außerdem mag ich da auch mal bergab noch extra beschleunigen können, und in der Betonrampe bergauf dann trotzdem nicht die Beine sauer drücken. Da ist mir dann 2fach wichtig, weil es eine engere Abstufung bei größerer Bandbreite möglich macht.
Wenn ich alleine unterwegs bin und das Tempo und auch die Route selber bestimmen kann, dann komme ich auch mit 1x11 am Monstergravel wunderbar klar. Da fehlt mir halt der dicke "Rennrad"-Gang, weil ich die Abstufung gemäß meiner Präferenz eher in Richtung: kleiner Gang für Gelände-Rampen verschoben habe. Fahre ich alleine nehm ich halt meine angenehme Trittfrequenz und meinen angenehmen Druck für die verfügbaren Gangsprünge, und das Tempo ergibt sich daraus. Passt. Fahre ich in einer Gruppe und das Tempo ist durch die Gruppe vorgegeben kann das ärgerlich werden, zumindest am persönlichen Leistungslimit. Wenn ich eher fitter bin als die anderen, dann ist auch das egal, in meiner Komfortzone kann ich eine suboptimale Trittfrequenz leicht verschmerzen.
Von daher würde ich sagen: nimm einfach das, womit du dich für das was du vor hast spontan am wohlsten fühlst und lass dich nicht mit "das hat man schon immer so gemacht" anquatschen
Spaß ist schließlich dann, wenn es Spaß macht, und nicht wenn das Rad irgendeiner UCI-, Foren- oder sonstigen gesellschaftlichen Norm entspricht.
An deiner Stelle würde ich am meisten darauf achten, dass der Rollwiderstand, Gangabstufung und das Gewicht des Gefährts irgendwie in die Gruppe rein passt, so dass du nicht leiden musst und gleichzeitig deinen gewünschten Trainingseffekt hast. Lenkwinkel, Lenker, Vorbau, Reach... Namen des Fahrrads... egal, Hauptsache taugt und gefällt. Let's call it "Trekking"