Hallo zusammen! Ich verfolge diesen und den anderen noch viel ausführlicheren Thread zum Thema Degression mit viel Interesse und habe mir heute einmal detailliert Gedanken zum Thema gemacht:
1) Degression allg.: Das Verhalten eines 1-Gelenkers ist von dem Winkel abhängig, unter dem die Schwinge den Dämpfer anlenkt. Wird der Winkel flacher (-> 0°), nimmt die Kraft in Dämpfer-Richtung zu, bei Einfederung des Hinterbaus ist also zunehmend mehr Kraft notwendig, der Hinterbau ist progressiv.
Beim Prophet ist es anders herum: Beim Einfedern wird der Winkel steiler, es wirkt also zunehmend weniger Kraft in Dämpferrichtung. Je weiter der Hinterbau einfedert, desto weniger Kraft ist notwendig, der Hinterbau ist folglich degressiv.
Im folgenden Bild möchte ich das noch einmal veranschaulichen:
Abb. 1:
Die Kraft
F ergibt sich durch den Drehmoment und den Hebelarm. Diese muss zerlegt werden in eine Komponente in Dämpferrichtung, nämlich
F_D und eine Komponente senkrecht dazu (grün).
Oben ist "nicht eingefedert" dargestellt, unten "stark eingefedert". Im stark eingefederten Zustand ist der Winkel zwischen
F und
F_D wesentlich größer, die Kraft, die den Dämpfer komprimiert folglich kleiner. Daraus folgt die Degressivität.
2) Degression beim Prophet: Ich habe anhand von Bildern vom Cannondale Prophet den Hinterbau analysiert und aus der Geometrie die Anlenkwinkel bestimmt. Im ausgefederten ZUstand liegt der Anlenkwinkel bei etwa 16°, im komplett eingefederten Zustand (140 mm Federweg am Hinterrad) bei etwa 46°.
Da die Kraft
F_D, die den Dämpfer komprimiert, proportional zum Cosinus des Anlenkwinkels ist, kann man die Degression zeichnen:
Abb. 2:
Bei Einfederung des Hinterbaus ist zunehmend weniger Kraft zum Komprimieren notwendig. Zur Vereinfachung wurden die Werte in Prozent aufgetragen: (Ausgefedert bei 16° Anlenkwinkel sind 96% nötig, komplett Eingefedert bei 46° nur noch etwa 69%)
3) Theoretisch optimaler Dämpfer: Nun habe ich diese Degressionskurve mal invertiert und dies anschließend auf eine Ursprungsgerade multipliziert:
Abb. 3:
So müsste die Kennlinie eines für diesen Hinterbau optimalen Dämpfers verlaufen (Erklärung im folgenden; der Losbrechmoment wurde außer acht gelassen, spielt aber für den Verlauf keine Rolle, da nur ein Offset in y-Richtung).
Zum direkten Vergleich hier ein (zugegeben schlechtes) Foto der Dämpferkurve des Manitou Swinger SPV 3-Way aus der Bike 7/04:
Abb. 4:
Vergleicht man den Bereich dieser Kurve zwischen etwa 20mm und etwa 130mm Hub, so passt das relativ gut mit meiner Berechnung überein (wobei die Steigung natürlich beliebig wählbar ist, ich habe lediglich der Einfachkeit halber eine Ursprungsgerade genommen;-)
4) Dämpfer & Prophet: Die Kennlinie des gesamten Hinterbaus ergibt sich dadurch, dass man die auf den Dämpfer wirkende Kraft, also die Degressionskurve, mit der Kennlinie des Dämpfers multipliziert. Auch dies habe ich gemacht:
Abb. 5:
Die rote Kurve zeigt genau das Produkt aus der Prophet-Degression und der theoretisch optimalen Dämpfer-Charakteristik (Abb. 3).
5) Fazit: Es ist also - zumindest theoretisch - möglich, mit einer degressiven Anlenkung die leichte Progressivität von Luftdämpfern KOMPLETT auszugleichen. Damit könnte man die lineare Charakteristik von Stahlfedern erreichen, was nicht nur, aber insbesondere im Freeride-Bereich Sinn macht.
Für progressive Fahrwerke dagegen wird es sehr schwer werden, passende Dämpfer (Kennlinie rechtsgekrümmt) herzustellen, mit denen man komplette Linearität erreicht. Es bleibt lediglich, einen Viergelenker mit komplett linearem Hinterbau zu konstruieren und einen ebenso komplett linearen Dämpfer zu suchen...
Ob obiges so in die Praxis umzusetzen ist, mag ich nicht zu beurteilen. Es kann sein, das Cannondale genau dies wollte, es kann aber natürlich auch "function follows form" gewesen sein...
P.S.: Ich bin weder von Cannondale angestellt noch überhaupt in der Bikebranche tätig. Ich habe lediglich Physik studiert und mir aufgrund obiger Diskussionen ein paar Gedanken gemacht. Ich würde mir auch nicht zutrauen, in der Praxis Fahrwerke vollkommen richtig zu beurteilen. Aber hier geht es um die Theorie, was man vorab anhand der Konstruktion zum Fahrverhalten sagen kann.
Ich möchte keinesfalls behaupten, das Cannondale die Dämpfer so gut im Griff hat und obige Theorie in die Praxis umsetzen konnte. Aber auch das Gegenteil kann erst sicher festgestellt werden, wenn man eines der Prophets auf dem Prüfstand hatte!
Abschließend noch ein Kommentar zu mankra, dessen Fachwissen ich sehr hoch schätze und der mir diese Bemerkung bitte nicht übel nehmen soll;-)
Zitat von mankra: "Sind viele (Unter anderen Radlhersteller) der Meinung, das SPV Dämpfer erst mit Mehr oder 4 Gelenkern, die starker Progression perfekt funktionieren, wegen des höheren Losbrechmoments bei SPV"
Das ist meiner Meinung nach schlichtweg falsch, denn um ein höheres Losbrechmoment zu überwinden, muss beim Einfedern eine möglichst hohe Kraft auf den Dämpfer wirken. Und genau diese erste Kraft ist bei degressiven Fahrwerken höher als bei progressiven. Bei Degressivität nimmt die Kraft mit zunehmender Einfederung ab (vgl. Abb. 2 oben), ist zu Beginn also hoch! Bei Progression ist es umgekehrt...