Llipa - Gorgor, 13.08.2018
Entfernung 71 km, Bergauf 1836 m, Netto Fahrzeit 6:41 h
Für heute steht eine der zeitaufwändigsten Etappen an, den Wecker haben wir daher auf 5:30 Uhr eingestellt. Dadurch, dass wir von Llipa aus starten können statt von Rajan, haben wir schon mal einen kleinen Zeitvorteil. Draußen ist es ungewöhnlich mild, ich lege den Tacho auf die Brüstung des Balkons und kann nach einiger Zeit einen Wert von 11 °C ablesen; das ist der wärmste Morgen bisher; kein Wunder, sind wir doch auf 2800 m.
Unser freies WLAN läuft zwar noch, wir kommen aber nicht mehr ins Internet. Übrigens ist die WLAN-Installation hier so ausgeführt, dass der gesamte Ort abgedeckt ist. Man kann sich also auf der Plaza prima auf einer Bank in die Sonne setzen und im Internet surfen. In unserem Zimmer haben wir eher ein Empfangsminimum, aber auf dem Flur bei den Toiletten steht volle Signalstärke an.
Der Mobilfunkanbieter, der hier wie auch in Ticllos das Telefonnetz abdeckt, ist Movistar. Wir haben, wie auch im letzten Jahr, Bitel gewählt. Der Informationsaustausch mit der Heimat muss also erstmal warten.
Das Wetter präsentiert sich heute wieder wolkenlos, wir brechen auf, bevor die Sonne den Ort erreicht. 6:40 Uhr sitzen wir auf den Rädern und rollen die Hauptstraße durch den ruhigen Ort bergab. Vor uns breitet sich nun das tief eingeschnittene, wüstenartig trockene Tal des Río Pativilca aus. Unsere Straße überquert diesen schließlich am Talboden auf ca. 1600 m. Die entsprechende Brücke hatte es bei einem Starkregen im März weggespült. Ein motorradfahrender Benutzer von iOverlander.com war dadurch von seiner Weiterfahrt blockiert und hatte die Brücke in dem System als nicht überquerbar markiert. Der Administrator von iOverlander ist auch Openstreetmap Benutzer und hat daraufhin dort die Brücke als nicht mehr vorhanden quasi gelöscht. Bei meinen Streckenplanungen musste ich im Frühjahr irgendwann feststellen, dass meine Routingsoftware nicht mehr über diese Brücke fahren wollte. In Openstreetmap habe ich dann nachgeschaut, wer die Brücke eliminiert hat und den Benutzer über den Grund dafür befragt. So ließ sich diese Geschichte recherchieren.
Jetzt war aber noch offen, ob die Brücke im August, wenn wir sie tatsächlich benötigen würden, wiederhergestellt wäre. Was das Reparieren von Regenzeitschäden betrifft, haben die Peruaner eine gesunde Routine und da diese Straße eine gewisse Versorgungsbedeutung hat, war ich da grundsätzlich optimistisch. Dennoch habe ich nach einem Plan B gesucht, denn den Fluss einfach mal so zu durchwaten, stellte ich mir wegen der Wassermengen nicht trivial vor.
Eine genaue Betrachtung der Luftaufnahmen zeigte eine Fußgängerbrücke etwas südlich der Straßenbrücke, die an größeren Felsen befestigt ist. Die könnte für den Fall des Falles aushelfen. Eine großräumigere Lösung wäre dann noch eine weitere Fußgängerbrücke bei Llaclla gewesen mit einer anschließenden Bergaufschiebeaktion nach Gorgorillo. Dazu habe ich dann sogar noch einen Reisebericht eines Mitreisenden von Cass Gilbert - einer der "Peru mit dem Fahrad" Reisepioniere - gefunden, der eben diese Strecke abdeckte. Zu guter Letzt wäre eine Weiterfahrt über Rajan und Ocros auch noch eine Möglichkeit. Alle Streckenvarianten habe ich in OSM nacherfasst, so weit sie noch fehlten, somit waren sie jederzeit griffbereit.
Bei unserem Abendessen in Llipa befragte ich unsere Köchin nach dem Zustand dieser Brücke und sie konnte bestätigen, dass diese vollkommen in Ordnung sei.
Die Straße ist einer der lange erwarteten Höhepunkte unserer Tour. Schon bei Stefans Tour 2014 hatte ich die komplette Strecke von Conococha bis hinunter nach Cañon in OSM erfasst und war seit dem mehrfach in Reiseberichten auf sie gestoßen. Die Farben der Felsen, die von einfachem Grau über Ocker, Rot und Grün bis zu Dunkelviolett reichen sind wirklich beeindruckend.
Zudem kommt noch der spektakuläre Verlauf an dem steilen Hang und die spärliche aber sehr markante Vegetation aus diversen Sukkulenten. Mehrfach halten wir an, um diese zu fotografieren.
Die Straße selbst ist in einem sehr guten Zustand. Auf geraden Streckenabschnitten kann ich entspannt mit 40 km/h hinunter gleiten. In einer weniger schnellen Passage höre ich plötzlich ein zischend rasselndes Geräusch an meinem Rad, so als hätte sich Gesträuch am Hinterrad verfangen. Beim Anhalten muss ich feststellen, dass es aber die Luft des Hinterrades ist, die entweicht. Ein rund 5 mm langer Schnitt lässt zudem die gute
Dichtmilch austreten, die hier natürlich überfordert ist. Also gut, Radausbauen,
Dichtmilch entfernen, Flicken von Innen setzen,
Schlauch rein und Aufpumpen sind in rund 10 min erledigt. Da die austretende Luft ca. alle 2 m kleine Krater in meiner Fahrspur hinterlassen hat, kann ich ruckwärts gehend verfolgen, wo sich der Schaden ereignet hat. Dort liegen kleine messerscharfe Felssplitter, von denen sich nur einer ungünstig aufstellen muss, um in den
Reifen zu dringen.
Bei der Gelegenheit finde ich noch einen weiteren Defekt. Der hintere Schaltzug ist an der Befestigungsklemme beim Schaltwerk aufgedröselt, so dass nur noch ein Drittel der verdrillten Drähte halten. Der 2 bis 3 cm Überstand, den ich normalerweise bei der Montage hinter der Klemmung lasse ist komplett verschwunden. Das erklärt die Schaltprobleme, die ich vor ein paar Tagen hatte und nach flüchtiger Prüfung durch die Rändelschraube am Schaltgriff ausgleichen konnte. Einfach mal Nachziehen ist so nicht möglich, einen Ersatzzug habe ich dabei, aber dessen Montage verschiebe ich erstmal.
Die Fahrt geht weiter und wir treffen schließlich auf die schöne neue Stahlbrücke, die wir von weiter oben schon ausmachen konnten. Wir folgen dem Fluss bergab, vorbei an der Fußgängerbrücke, die nun nicht als Notbehelf herhalten muss. Auch hier unten wirkt das Tal mit seinen kilometerhoch aufragenden, farbigen Felswänden beeindruckend.
Bei Cañon machen wir eine kurze Pause. Vom Ort selbst sind nur noch einige Lehmziegelmauerreste übrig, die mit der üblichen Wahlwerbung verziert sind. Hier treffen wir auf die nach Cajatambo hinauf führende Straße. Die Originalroute der Pikes folgt dieser, allerdings bleibt diese den Reisenden mit Zelt vorbehalten, denn bis Cajatambo sind es von hier 52 km und es liegt auf 3400 m. Das traue ich uns nicht zu. Wir fahren statt dessen 44 km bis nach Gorgor, welches auf 3000 m liegt.
Dazu geht es aber noch etwas bergab bis nach Pamplona. In dem kleinen Weiler können wir unsere Getränkevorräte nochmal auffrischen.
Die folgenden 1600 Höhenmeter hinauf nach Gorgor werden ziemlich warm und schweißtreibend. Damit wir zügig vorran kommen, nehme ich Karin erstmal an die Leine. Das schmale Tal des Río Gorgor bietet nur wenig Schatten, später, als sich die Straße rechts am Hang hoch arbeitet, haben wir über Stunden nur noch pralle Sonne. Hier ist es der Höhenlage entsprechend ebenso trocken wie im Tal des Río Pativilca. Kakteen dominieren die spärliche Vegetation, daneben gibt es nur wenige bewirtschaftete Oasen, dort wo ein Bachlauf für Wasser sorgt.
Im Weiler Caya füllen wir in einer Tienda nochmal Getränke und Lebensmittel nach. Ab hier darf Karin wieder alleine fahren. Meine Beine fühlen sich nach der Pause so angestrengt an, dass ich nicht mehr wesentlich schneller als sie bin. Immerhin werden die Temperaturen nun langsam angenehmer.
In dem kleinen Dorf Virunhuayra auf 2500 m kaufen wir nochmal Getränke; zur Tienda gehört eine Bäckerei, wo gerade das Brot für morgen zubereitet wird. Eine Frau knetet die portionierten Teigstückchen und die Regale im Raum sind bestückt mit vorgeformten Rohlingen, während links im Raum der Holzofen angeheizt wird. Leider ist es dort zu dunkel zum Fotografieren.
Auch wenn Gorgor nun nicht mehr weit vor uns liegt, so sieht man von dem Ort eigentlich nichts. An einem Wasserkraftwerk müssen wir nochmal steile Serpentinen überwinden, in denen uns ein im ersten Gang dahinheulender Linienbus staubend passiert. Die Sonne wirft nun schon lange Schatten und wir kommen nicht mehr mit allzuviel Reserve vor dem Sonnenuntergang in Gorgor an, das links am Flusslauf in einer Mulde liegt.
Am Stadtplatz fragen wir gleich nach einer Hospedaje und werden von drei freundlichen Damen auf die nächste Querstraße zum El Chavo verwiesen, wo wir ein Doppelzimmer für 20 Soles pro Bett beziehen. Wir buchen gleich für zwei Tage, da für morgen mal eine Radelpause angesagt ist. Die Räder kommen gegenüber in einem Innenhof unter. Nach der Hygiene mit einer nur halbwegs warm tröpfelnden Dusche suchen wir im Ort noch etwas zu Essen. Im Restaurant gegenüber gibt es als Abendgericht Chaufa (gerösteter Reis), was uns beide nicht anspricht. Wir suchen noch weiter und bekommen wo anders geröstete Brotscheiben mit Käse angeboten dazu eine heiße Tasse Milch mit Pulverkaffee. Dort greifen wir zu.
Beim Bezahlen (8 Soles) kommen wir noch mit der Wirtin ins Gespräch. Sie empfiehlt uns einige touristische Attraktionen in der Nähe, wie Richtung Cochas liegenden Baños Termales und eine Bergwanderung zu einer 8 km entfernt liegenden archäologischen Stätte namens Siscay (o.ä.).