Umstieg vom uralten 26er-Tourer: Kurzeindruck Nerve vs Spectral vs Slide 29er

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Nach 12 Jahren auf einem Canyon Nerve XC4 konnte ich nicht widerstehen und wollte ein neues, ggf. etwas potenteres Bike für anspruchsvolle Alpentouren. Dazu habe ich 3 Versenderbikes "rund um den Block" und 2 davon dann auch auf dem Trail angetestet. Umstieg von einem veralteten 26er auf ein modernes 29er - vielleicht helfen meine Eindrücke ja dem ein oder anderen in einer ähnlichen Situation weiter. (Vorab: ich hab mich letztendlich für ein Canyon Nerve 8.9 entschieden.)

Anforderungen: lange Alpentouren und Alpencross, bergab mit soviel Trails wie möglich - aber eher mit Spaß als mit Highspeed. S2 reicht mir in der Regel, ab und zu S3 oder kurze Bikepark-Passagen sollten aber auch mal drin sein, kommt man ja auf einem Alpencross in den Skigebieten immer öfter mal durch.

Mein altes Nerve hat das zwar alles super mitgemacht, aber ich habe das Fahrwerk dann doch öfter an seine Grenzen gebracht. Technisch hat sich ja viel getan - also war ich nicht sicher, ob ich wirklich ein AM brauche oder ein modernes Tourenbike meine Ansprüche doch besser erfüllt. Andererseits bin ich bergauf eh meistens etwas schneller als meine Begleiter, könnte also auch etwas mehr hochschleppen und es bergab etwas mehr krachen lassen.
Ich bin 187cm groß, daher und für relativ lange Strecken und grobe Uphills sollte es ein 29er sein.

Ich habe mir also das Canyon Nerve 8.9 (2015) und ein Radon Slide 130 8.0 (2016) bestellt. Von einem Freund habe ich das Canyon Spectral 8.9 geliehen (2014). Alles in Größe L.

Über die Ausstattungsdetails will ich mich weniger auslassen, für mich standen eher die Geometrien und das subjektive Fahrverhalten im Mittelpunkt. Wg. eventueller Rückgabe konnte ich zuerst nur Runden auf dem Kopfsteinpflasterhügel rund um meine Wohnung drehen. Danach hatte ich mich schon für das Nerve entschieden und konnte dann die beiden Canyons noch ausgiebiger auf dem Trail vergleichen.

Das Radon kommt einem nach 20 Jahren auf 26ern absolut riesig vor. Die Lenkzentrale ist breit und hoch (langes Steuerrohr, hohe Steuersatzkappe und Spacer), der Radstand durch lange Kettenstreben und den flachen Lenkwinkel lang, die 2.2er Nobby Nic scheinen ungefähr den gleichen Aussenumfang zu haben wie die 2.4er Contis am Spectral (die 2.2er Contis am Nerve sind definitiv kleiner). Der Rahmen ist optisch massiver als bei den Canyons, die Yari mit 35er Standrohren rundet das Bild ab: ein wuchtiges AM. Gewundert haben mich hingegen der lange Vorbau (ungenau gemessen 90mm?) und die Mavic Crossride Laufräder mit Aerospeichen und relativ schmalen Felgen.
Spürbar geflext haben die Laufräder auf meiner Mini-Testrunde allerdings nicht, insgesamt wirkt das ganze Rad absolut steif.
Kurzer Fahreindruck: Angenehme, eher aufrechte Sitzposition. Ich hab hier am Besten verstanden was in den 29er-Diskussionen immer gemeint ist mit "man sitzt IM, nicht AUF dem Rad". Beim Losfahren war ich zuerst überrascht, wie wendig dieses Riesenteil doch noch ist - nichtsdestoweniger hab ich mich bei niedrigem Tempo etwas ungeschickt und schwerfällig gefühlt. Man merkt dann bei kleinen Kurvenradien den flachen Lenkwinkel und den großen Wendekreis, und die schwere Front (mehr noch als das Gesamtgewicht). Wahrscheinlich würde auch ein kürzerer Vorbau helfen - allerdings ist der Reach des Rahmens eher gering, ich würde dann schon fast etwas gedrungen sitzen.
Bei höherem Tempo ist das Radon dafür super laufruhig, vermittelt von allen dreien eindeutig am meisten Sicherheit und wirkt so, als hätte es die größten Fahrwerksreserven, und der breite Lenker ist toll. Über das Fahrwerk kann ich nicht viel sagen, war ja nur Kopfsteinpflaster - deutliches Wippen oder Pedalrückschlag habe ich jedenfalls nicht gespürt, Ansprechverhalten bei kleinen Hindernissen war super.

Das Nerve wirkt in jeder Hinsicht sportlicher: Der Lenker ist schmaler und ca 3-4cm niedrigerer (1cm entfällt wohl auf die Reifen, außerdem ist das Steuerrohr deutlich kürzer, dann noch die Gabel mit 2cm weniger Federweg), steilere Winkel, kürzerer Radstand. Der Hinterbau ist im Vergleich filigran (nur das Nerve hat geschwungene Sitzstreben, die Wippe ist schmaler, die Reifenfreiheit aber natürlich auch geringer), die Front ist schön leicht. Der Vorbau ist wohl genauso lang wie am Radon, aber bei einem Tourer passt das ja. Alles stimmig.
Von der Verarbeitung her wirkt der Rahmen noch etwas hochwertiger als am Radon (und der ist auch schon nicht schlecht!). Wenn man allerdings im Stehen einseitig auf ein Pedal tritt, schien sich das Gesamtrad etwas mehr zu verwinden als das Radon. Keine Ahnung, ob das am Rahmen lag - vielleicht mehr die Gabel (32er Standrohre)?
Fahreindruck (inkl Trail): Wie erwartet leicht gestreckter als auf dem Radon, was ich aber für den unteren Rücken sogar fast etwas angenehmer fand. Das Handling war für mich wie angegossen: draufsetzen und nicht weiter drüber nachdenken, hat sich sofort wie angewachsen angefühlt. Wendig, aber nicht kipplig, wirkt auch durch die leichte Front schön agil und spritzig, ich habe mich richtig zum Heizen animiert gefühlt. Auch bei höherem Tempo bergab auf ruppigem Untergrund absolut souveränes Handling (auch wenn ich mich da unwillkürlich immer gefragt habe, wieviel schneller ich mit dem Radon wohl noch wäre). Die 11cm Federweg reichen, wenn auch nur knapp - hier muss ich vielleicht noch ein bißchen am Setup tüfteln. Antriebseinfluss oder Wippen: Fehlanzeige. Die Überrolleigenschaften & Traktion der 29er bergauf und die Sensibilität des Fahrwerks bergab haben mich im Vergleich zu meinem alten 26er begeistert, der Unterschied ist echt der Wahnsinn.
Nachdem ich auf dem Radon dem Spectral gesessen hatte muss ich allerdings sagen, dass ich noch über einen breiteren Lenker (und im Gegenzug etwas kürzeren Vorbau) nachdenke, das hat sich echt gut angefühlt. Und wenn der 2.2er Reifensatz runter ist, werde ich mal über tubeless 2.4er nachdenken.

Dann noch das Spectral 29er (2014): kurz gesagt lag es ziemlich in der Mitte, bei Gewicht, Stabilität, Sitzposition, Handling. Ungefähr so wendig wie das Nerve, aber etwas weniger tempofest als das Radon. Der größte Vorteil gegenüber dem Nerve ist der Federweg, klar - ich hatte das Gefühl, etwas mehr Reserven zu haben. Solange ich diese aber nicht brauchte, war das Fahrverhalten bergab aber ähnlich wie beim Nerve (bis auf den breiteren Lenker). Und insgesamt wirkte es mich etwas weniger ausgewogen und spritzig als das Nerve: vielleicht wegen der schwereren Reifen (2.4er mit Schlauch) oder der kürzeren, aufrechteren Sitzposition fühlte es sich auf flachen Trails und erst recht bergauf nicht so aggressiv und "responsive" an.

Insgesamt: Ich bin auf einem ungefederten 26er "groß" geworden und bin seitdem relativ agiles Handling und direktes Feedback gewohnt.
Daher hatte ich beim Radon die relativ größten Anpassungsschwierigkeiten, in langsamen Kurven ist es mir etwas zu schwerfällig und kipplig, und die schwere Front stört mich ein bißchen. Bei hohem Tempo habe ich mich auf dem Radon dafür mit Abstand am wohlsten gefühlt, ich kann mir super vorstellen, dass man damit bergab über ein ruppiges Steinfeld "ballern" und den Untergrund halbwegs vergessen kann.
Das Nerve hingegen "passte mir" sofort wie angegossen. Als 26er-Umsteiger-Tourenbike super, weil es trotz großer, super rollender Räder so lebhaft ist. Außerdem gefällt mir die konsequente Ausrichtung auf Touren- und Sportbetrieb bei Geometrie und Ausstattung.
Das Spectral fand ich genau in diesem Punkt etwas unentschlossen. Das mehr an Federweg könnte ich brauchen, aber wenn ich vor allem bergab so richtig Gas geben wollte, würde ich doch eher das Radon nehmen, das konsequent auf Drüberbügeln getrimmt ist. Und wenn ich auf flacheren, verspielteren Trails mehr Reserven bräuchte als beim Nerve, aber genauso Gas geben wollte, würde ich wohl eher ein spritzigeres 27.5er Spectral nehmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
@jansibar

Um auch mal Feedback zu geben. Danke für den Bericht - hat mir auf jeden Fall geholfen. Ich vergleiche derzeit verschiedene Geometrien und die des Nerve geht eher Richtung Race/Marathon/Tour. Das Spectral ist eindeutig Trail/AM - sollte man den Federweg nicht brauchen (oder nur selten) macht es mitunter keinen Sinn diesen mit sich rumzuschleppen oder durch eine gefühlt aufrechtere Position und das Panzerfeeling dauerhaft zu erfahren.

LG Jan
 
Danke für den Bericht - hat mir auf jeden Fall geholfen.

Bitte / danke!

Ich vergleiche derzeit verschiedene Geometrien und die des Nerve geht eher Richtung Race/Marathon/Tour.

Das stimmt, relativ zu den aktuellen Bikes.
Aber relativ zu meinem alten 26er-Tourer, bei dem "einfach draufhalten" eher nicht drin war, kann man mit dem aktuellen 29er Nerve schon richtig ballern :)
...und trotzdem konsequent sportliche Touren fahren, was ich halt - Hand auf's Herz - doch 80% der Zeit mache.

Für die verbleibenden 20% (=kurze Touren mit heftigen Trails, oder Bikeparks) ist es für mich noch eine Überlegung wert, mir noch ein genauso konsequent entgegengesetzt ausgelegtes Bike zuzulegen (27,5", um die 15cm Federweg, "moderne" Geo).
 
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