Moin zusammen,
In letzter Zeit wollte ich mich etwas über Fahrwerkskinematik und Anti Squat im Besonderen schlau machen, komme aber nicht wirklich zu einem guten Ergebnis... Man liest viel Widersprüchliches aber auch Interessantes.
Ich würde gerne, was ich glaube verstanden zu haben, kurz zusammenfassen und die Unklarheiten aufzeigen. Kommentare und vor allem Korrekturen sind auf jeden Fall erwünscht.
Also:
Bei der Beschleunigung eines Fahrzeugs kommt es aufgrund von Massenträgheit und Schwerpunktlage zu einer zusäzlichen Belastung an der Hinterachse, also zusätzlichem Einfedern. Beim Antisquat wird die Lage der Hinterbau-Drehpunkte so ausgelegt, dass die Zugkraft in der Kette den Hinterbau ausfedert.
Bei 100% Anti Squat sind beide Kräfte auf den Hinterbau im Gleichgewicht und es bewegt sich nichts. Bei weniger als 100% überwiegt die Kraft aus der Beschleunigung und der Hinterbau federt ein, bei über 100% wird er auseinander gezogen.
Hier die erste Verwunderung: passiert das Wirklich bei >100%? Hebt man sein eigenes Gewicht dann mit der Kurbelumdrehung an?
Dem gegenüber liest man aber auch, dass diese Betrachtungsweise für Motoräder zutrifft, nicht aber auf Fahrräder aufgrund des Pedallierens. Das Pedallieren erzeugt wohl unvermeidlich ein Auf-und Abschwingen aufgrund von Gewichtsverlagerung. Wieviel ist wohl abhängig von der eigenen Technik... Um diesen Effekt auch zu kompensieren und dem Wippen entgegen zu wirken braucht man Anti Squat >100%.
Warum haben die Rahmen dann nicht richtig viel Anti Squat, anstatt dass man sich mit Plattform Dämpfungen rum plagt? -> Ein komplett toter Hinterbau hat keinen Traktionsvorteil mehr und könnte bergauf auch Unebenheiten nicht mehr ausgleichen. Darüber hinaus erkauft man sich, vereinfacht gesagt mehr Antisquat auch mit mehr Pedalrückschlag (komme ich gleich nochmal zu). Und zu zusätzlich - und das wäre die nächste Frage in die Runde - Anti Squat gibt es nicht geschenkt: Die Zugkraft in der Kette, die das Wippen unterdrückt muss bei jeder Kurbelumdrehung zusätzlich zur Vortriebsleistung erbracht werden, sodass der energiesparende Effekt des Anti Squat nicht so groß ist, wie in der Werbung. Was meint Ihr dazu? Einige sagen hierzu, dass das nicht stimme, da keine Bewegung statt findet und auch keine Arbeit verrichtet wird.
Zurück zum Pedalrückschlag:
Hier macht man sich den Kettenwinkel zu Nutze. Anti Squat und Pedalrückschlag sind abhängig von der gewählten Kettenblatt - Ritzel Kombination. Anti Squat ist auf dem kleinen Blatt hoch, auf dem Großen niedrig. Pedalrückschlag umgekehrt. So hat man im kleinen Gang bergauf weniger Wippen und im großen Gang bergab wenig Pedalrückschlag.
Mir ist unbegreiflich, wie sich 1fach Antriebe durchsetzen konnten, wenn man diese kinematischen Zusammenhänge kennt? Wird der Anti Squat Effekt total überbewertet oder lässt sich mit "1fach ist cool, weil es cleaner am Lenker aussieht" einfach leichter Geld verdienen?
Zusätzlich zu der Übersetzungsabhängigkeit kommt dann auch noch eine Abhängigkeit vom Sag hinzu. Ganz grob gesagt: Je tiefer im Sag, um so weniger Anti Squat. Hinterbauten werden so gestaltet, dass bei einer gewählten Übersetzung Anti Sqaut im Sag Punkt ~100% ist.
Für mich heißt das praktisch: die Hersteller gestalten so, dass bei 20% Sag im sitzen (so steht es in den Bike-Bravos) sich das Bike optimal pedalliert.
Meiner Erfahrung nach, lande ich nach der klassischen Fahrwerksoptimierung bei 30% sag im stehen; im sitzen ergibt das dann auf dem Enduro Ca. 60% sag. Unabhängig vom Sitzwinkel gibts dann kaum noch Anti Squat und gefühlt schaukelt man dann gequält die Berge hoch. Das ist zumindest meine Erklärung, warum ich immer lese, dass scheinbar kein Bike wippt... Außer bei mir.
Abschließend bleibt vielleicht noch die Frage nach dem Nutzen. Hat jemand eine Größenordnung für den Energieverlust durch Wippen? Zum Beispiel im Verhältnis zum Rollwiderstand? Subjektiv empfinde ich den Einfluss als sehr groß, viel größer als zB Bikegewicht.
Wobei ich beim Gewicht sowieso denke, dass die Indutrie einen hier an der Nase rumführt. Thema:Hubarbeit im Hinblick auf Körpergewicht vs Bikegewicht und 1kg Flaschen am Rahmen, aber das ist ein anderes Thema.
Wie gesagt, freue mich über jeden Hinweis zu dem Thema und auf eine spannende Diskussion!
Gruß,
Chris
In letzter Zeit wollte ich mich etwas über Fahrwerkskinematik und Anti Squat im Besonderen schlau machen, komme aber nicht wirklich zu einem guten Ergebnis... Man liest viel Widersprüchliches aber auch Interessantes.
Ich würde gerne, was ich glaube verstanden zu haben, kurz zusammenfassen und die Unklarheiten aufzeigen. Kommentare und vor allem Korrekturen sind auf jeden Fall erwünscht.
Also:
Bei der Beschleunigung eines Fahrzeugs kommt es aufgrund von Massenträgheit und Schwerpunktlage zu einer zusäzlichen Belastung an der Hinterachse, also zusätzlichem Einfedern. Beim Antisquat wird die Lage der Hinterbau-Drehpunkte so ausgelegt, dass die Zugkraft in der Kette den Hinterbau ausfedert.
Bei 100% Anti Squat sind beide Kräfte auf den Hinterbau im Gleichgewicht und es bewegt sich nichts. Bei weniger als 100% überwiegt die Kraft aus der Beschleunigung und der Hinterbau federt ein, bei über 100% wird er auseinander gezogen.
Hier die erste Verwunderung: passiert das Wirklich bei >100%? Hebt man sein eigenes Gewicht dann mit der Kurbelumdrehung an?
Dem gegenüber liest man aber auch, dass diese Betrachtungsweise für Motoräder zutrifft, nicht aber auf Fahrräder aufgrund des Pedallierens. Das Pedallieren erzeugt wohl unvermeidlich ein Auf-und Abschwingen aufgrund von Gewichtsverlagerung. Wieviel ist wohl abhängig von der eigenen Technik... Um diesen Effekt auch zu kompensieren und dem Wippen entgegen zu wirken braucht man Anti Squat >100%.
Warum haben die Rahmen dann nicht richtig viel Anti Squat, anstatt dass man sich mit Plattform Dämpfungen rum plagt? -> Ein komplett toter Hinterbau hat keinen Traktionsvorteil mehr und könnte bergauf auch Unebenheiten nicht mehr ausgleichen. Darüber hinaus erkauft man sich, vereinfacht gesagt mehr Antisquat auch mit mehr Pedalrückschlag (komme ich gleich nochmal zu). Und zu zusätzlich - und das wäre die nächste Frage in die Runde - Anti Squat gibt es nicht geschenkt: Die Zugkraft in der Kette, die das Wippen unterdrückt muss bei jeder Kurbelumdrehung zusätzlich zur Vortriebsleistung erbracht werden, sodass der energiesparende Effekt des Anti Squat nicht so groß ist, wie in der Werbung. Was meint Ihr dazu? Einige sagen hierzu, dass das nicht stimme, da keine Bewegung statt findet und auch keine Arbeit verrichtet wird.
Zurück zum Pedalrückschlag:
Hier macht man sich den Kettenwinkel zu Nutze. Anti Squat und Pedalrückschlag sind abhängig von der gewählten Kettenblatt - Ritzel Kombination. Anti Squat ist auf dem kleinen Blatt hoch, auf dem Großen niedrig. Pedalrückschlag umgekehrt. So hat man im kleinen Gang bergauf weniger Wippen und im großen Gang bergab wenig Pedalrückschlag.
Mir ist unbegreiflich, wie sich 1fach Antriebe durchsetzen konnten, wenn man diese kinematischen Zusammenhänge kennt? Wird der Anti Squat Effekt total überbewertet oder lässt sich mit "1fach ist cool, weil es cleaner am Lenker aussieht" einfach leichter Geld verdienen?
Zusätzlich zu der Übersetzungsabhängigkeit kommt dann auch noch eine Abhängigkeit vom Sag hinzu. Ganz grob gesagt: Je tiefer im Sag, um so weniger Anti Squat. Hinterbauten werden so gestaltet, dass bei einer gewählten Übersetzung Anti Sqaut im Sag Punkt ~100% ist.
Für mich heißt das praktisch: die Hersteller gestalten so, dass bei 20% Sag im sitzen (so steht es in den Bike-Bravos) sich das Bike optimal pedalliert.
Meiner Erfahrung nach, lande ich nach der klassischen Fahrwerksoptimierung bei 30% sag im stehen; im sitzen ergibt das dann auf dem Enduro Ca. 60% sag. Unabhängig vom Sitzwinkel gibts dann kaum noch Anti Squat und gefühlt schaukelt man dann gequält die Berge hoch. Das ist zumindest meine Erklärung, warum ich immer lese, dass scheinbar kein Bike wippt... Außer bei mir.
Abschließend bleibt vielleicht noch die Frage nach dem Nutzen. Hat jemand eine Größenordnung für den Energieverlust durch Wippen? Zum Beispiel im Verhältnis zum Rollwiderstand? Subjektiv empfinde ich den Einfluss als sehr groß, viel größer als zB Bikegewicht.
Wobei ich beim Gewicht sowieso denke, dass die Indutrie einen hier an der Nase rumführt. Thema:Hubarbeit im Hinblick auf Körpergewicht vs Bikegewicht und 1kg Flaschen am Rahmen, aber das ist ein anderes Thema.
Wie gesagt, freue mich über jeden Hinweis zu dem Thema und auf eine spannende Diskussion!
Gruß,
Chris
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