Nun hab ich lange genug mitgelesen und sehr viel über Tossy gelernt, und darüber, dass jeder Sturz, jede Verletzung im Detail, jede Therapie und vor allem jeder Heilungsverlauf unterschiedlich sind.
Meine Geschichte ist etwas anders als die der meisten hier, habe ich doch bei meinem Sturz einen extrem guten Wirkungsgrad gehabt, sprich: ich habe mit dem geringstmöglichen Aufwand den höchstmöglichen Schaden angerichtet.
So, Spannungsbogen aufgebaut, jetzt geht´s los:
06.04.19, Bikepark Hahnenklee, morgens. Beim Eingrooven an einer völlig unspektakulären Stelle in einer Kurve übersehen, dass die oberste Schicht des Trails nach einer Frostnacht bereits angetaut und somit glatt wie Schmierseife war. Unvermittelt innerhalb einer 1/100 Sekunde mit dem Vorderrad nach links weggerutscht und auf rechte Schulter und Kopf gestützt. An dieser Stelle noch einmal Dank an die Firmen
IXS und Ortema.
Sofort gemerkt, dass da in der Schulter etwas nicht iO ist. Fünf Jahre zuvor 4 Teile aus meinem Schlüsselbein links gemacht, das Gefühl war ähnlich.
Verlegung ins KkHs nach Goslar mit Röntgen in der üblichen Stellung von vorn. Diagnose Tossy II. Rucksackverband. Ab nach Hause. 3,5h Fahrt als Beifahrer.
Das war Samstag. Sonntag eigentlich ganz gut verbracht. Iboprofen ist schon geil…. Schlafen auf dem Rücken ging wider Erwarten echt gut.
Montag bei mir zu Hause in die Klinik. Der Assistenzarzt hat die Röntgenbilder aus dem Harz betrachtet und dem Prof gezeigt. Kommt zurück und sagt: Das ist Rockwood III, das machen wir mit einem Tight Rope fest. Ich so: ok.(?!) Er so: erklär, erläuter, laberababer. Ich so: wann? Er: am 18.04., früher geht nicht, aber dafür operiert der Chef selbst. Ich so: ok.
In der Zeit hab ich mich vor allem hier im Forum schlau gemacht und viel über tight rope und Hakenplatten gelernt und war anschliessend sehr zufrieden mit der Entscheidung des Prof. Die Tage waren schmerztechnisch absolut auszuhalten, nachts konnte ich (natürlich nur auf dem Rücken) hervorragend durchschlafen. Was mich wunderte, war mein grün/blauer Oberkörper….
Tag der OP, Aufwachraum: Ich mach die Augen auf, schaue nach rechts und denke…. F*ck!
Für eine athroskopische OP sieht der Verband komisch aus. Ein 15cm langes Pflaster erstreckt sich über meine Schulter ungefähr dort, wo das Schlüsselbein liegt. Ich so: WTF… Hakenplatte?! Hat der Prof doch noch im letzten Moment gemerkt, dass ich Kassenpatient bin?!
In dem Moment kommt der Prof in den Aufwachraum. Moin! - Moin! – Tja, wir mussten etwas umdisponieren – Ähhhh…wieso? – Naja, die Bänder sind nicht alle gerissen, sondern der Coracoid, der sog. Rabenschnabelfortsatz, an dem wir das tight rope befestigen wollten, ist leider vom Schulterblatt abgerissen und das Schulterblatt ist mehrfach gebrochen. – Ach…… - Tja, Sie haben da ganze Arbeit geleistet. Jetzt mussten wir eine Hakenplatte einsetzen und hoffen mal, dass das Ganze wieder zusammenwächst. Tschüß! Frohe Ostern! – Ähhh…ja, Dankeschön.
Tja, da lag ich nun – nicht wirklich stolz darauf, meine Schulter beim Wegrutschen in einer Kurve komplett zerstört zu haben… Wenn ich wenigstens einen 6m-Double verkackt hätte… aber nein!
Also: Rockwood III mit mehrfragmentärer Fraktur der Scapula mit Einstrahlung ins Glenoid und Abriss des coracoideus mit bis zu 1,4cm axialer Dehiszenz. Repariert mit Hakenplatte und Naht des acroklavikulären(?) Bandes. Der Rabenschnabelfortsatz muss sich selber finden. 2 Wochen postoperativ Tragen einer 15-Grad-Abduktionsschiene 24/7, danach noch 2 Wochen nachts. Nach einer Woche Beginn mit KG, bis 6 Wochen post OP nicht höher als 90 Grad.
Ja, und so gings nach Hause. Eine Woche lang noch morgens und abends eine Ibo, danach nicht mehr. Schlafen ging mit dem „Schultersofa“ in Rückenlage wirklich gut, im Liegen war ich komplett schmerz- aber nicht schnarchfrei. Fäden ziehen nach 12 Tagen, Narbe sieht gut aus. Mittlerweile bin ich 6 Wochen nach OP und muss sagen, am Anfang war ich zu optimistisch. Ich dachte wirklich, ich könnte jetzt, nach 6 Wochen, langsam wieder an Arbeit denken…. Weit gefehlt! Ich arbeite viel über Kopf, das kann ich komplett vergessen. Muss ich aber akzeptieren und kann Euch nur raten: bleibt geduldig. Euer Körper wird Euch sagen, was geht und wann er genug hat. Macht Krankengymnastik und macht täglich die Euch aufgegebenen Hausaufgaben. 2 Wochen nach OP habe ich angefangen, stramm zu marschieren, jetzt geht mittlerweile ganz leichtes Intervall-Joggen (die Erschütterungen sind noch echt fies). 4 Wochen nach OP bin ich wieder auf die Rolle und absolviere ein „Built me up“-Trainingsprogramm bei zwift. Es geht voran, aber langsam – vielleicht liegt´s auch an meinem fortgeschrittenen Alter (>50). Jeden Tag mache ich leichte Fortschritte und stelle fest, was heute auf einmal geht, was gestern noch nicht ging, z.B. Schuhe zubinden oder Zähneputzen. Oder am PC sitzen und Leidensgeschichten ins Forum zu schreiben.
Mittlerweile habe ich auch eine zweite Meinung darüber, ob das so in Ordnung geht mit der konservativen Behandlung des abgerissenen Coracoids. Man kann das so machen. Leider kommt so eine Verletzung sehr selten vor, meist bei sog. Hochbrisanz-Unfällen (Motorrad/Autounfälle mit vielen weiteren, meist schwereren Verletzungen…. Toll…. Oft wird auch, wie in meinem Fall, eine Coracoid-Fraktur beim Röntgen übersehen. Die operative Versorgung einer solchen Verletzung gestaltet sich auch nicht so leicht.
Meine Platte soll 3 Monate nach OP wieder raus, nachdem ein CT gezeigt hat, ob alles wieder zusammengewachsen ist… Ich bin gespannt. Wenn nicht, muss ich mal schauen….
Bis dahin, ich halte Euch auf dem Laufenden, wenn Ihr wollt … Wenn nicht, trotzdem