Ich habe beruflich viel mit dem Thema "automatisiertes Schweißen" zu tun und bin zu Beginn der Pandemie von einem deutschen Fahrrad-Hersteller zu dem Thema angesprochen worden. Da ging es darum, nur einen Teil der Rahmen-Modellpalette eventuell in D zu fertigen, sprich: Alurahmen schweißen.
Wir haben das im Team und auch mit befreundeten Kollegen in der Branche besprochen, weil wir den Ansatz gut und charmant fanden. Auch wir versuchen unsere Zukaufteile möglichst lokal zu beschaffen, einfach weil die Wege und die Kommunikation kurz sind. Wirtschaftlich betrachtet haben wir aber die Finger davon gelassen. Punkt 1 ist Material & Co und da pflichte ich
@luniz bei. Da müsste man erstmal viel Geld in die Hand nehmen, um die Infrastruktur zu schaffen. Weil ohne den Punkt, karrt man doch wieder das Material um die halbe Welt und hat wenig gewonnen.
Punkt 2 und 3 sind Fachkräftemangel und Lohngefüge für eine Massenfertigung. Es fehlen einfach Leute, die so etwas können (und machen wollen). Im Jahr vor der Anfrage war ich bei einem unserer Kunden (Branche im weitesten Sinne Automotive), der auch überlegt hat zu automatisieren, weil sein Produkt zu sehr an Stückzahl zugelegt hat. Als ich auf den Hof gefahren bin, stand ein Großteil der Mitarbeiterparkplätze voll mit Fahrzeugen, die alle osteuropäische Kennzeichen trugen. Auf Nachfrage wurde mir bestätigt, dass es extrem schwierig sei, qualifizierte Schweißer in Deutschland zu bekommen, vor allem wenn man viele Mitarbeiter braucht. Wenn man welche bekommt, haben die meist Ihren Preis. Auch die osteuropäischen.
Den Ansatz, das ganze über Roboter zu automatisieren, ist sicher naheliegend. Das Problem ist, dass für eine gescheite Automationslösung Stückzahl benötigt wird. Und es ist nicht nur der Roboter, sondern die rahmenspezifische Vorrichtung, die man braucht. Auch muss dann das Ausgangsmaterial top sein und vor allem in wiederholgenauer Qualität. Denn: Der Roboter ist prinzipiell dumm. Sicher, es gibt technische Hilfsmittel wie Nahtsuchsystem u.ä., aber Rohre und Dünnblechbereich sind einfach eine besondere Nummer. Preislich kommt man damit gegen das Lohngefälle in Fernost m. M. n. nicht an.
Damit sich so etwas in Deutschland rechnet, musst Du:
- entweder von vorneherein das obere Preissegment anpeilen und entsprechend im Marketing kommunizieren, wie Du produzierst (z.B. Nicolai),
- entsprechende Technologie einsetzen, die für Dich den Preis rechtfertigt und den Kunden triggert (z.B. Atherton) oder
- einen anderen Mehrwert nachweisen (umweltfreundlich, recourcenschonend, etc.), der es der Kundschaft wert ist, bei Dir zu kaufen. (Und wie wir erst vor kurzem bei einer Vorstellung eines neuen Herstellers hier gesehen haben, reicht es nicht, das Thema etwas oberflächlich anzugehen.)
Egal welche Strategie man verfolgt, große Stückzahlen sind damit nicht zu erzielen. Und günstig ist etwas anderes. Ich zitiere mal Kalle Nicolai aus
diesem Artikel: "Bei uns bekommt man nicht das beste Preis Leistungs Verhältnis, sondern Luxus – und genau das ist es, was unsere Kundschaft von uns erwartet."
So gerne ich eine größere Produktion in Europa sehen würde, glaube ich nicht, dass das über Nischen hinausgehen wird.
Gruß
tebis