14.06. 21:00 Anguiano
Nach dem traumhaften Rio Lobos gehört der Rest des Tags dem Teer. Hab mir die kleinsten Straßen in meiner Richtung rausgesucht und folge ihnen. Auf der Karte gabs keinerlei Merkmale bezüglich Höhenunterschieden, also rechne ich eigentlich mit einem leichten Nachmittag. Kommt aber ganz anders...
Schon kurz hinter dem Canyon beginnt ein ständiges auf und ab durch recht hügelige Wälder. Mit der Zeit werden die Berge größer und auf einmal bin ich mitten drin in einem respektablen Gebirge, von dessen Existenz ich nicht die Spur einer Ahnung hatte.
Die Berge links und rechts ragen weit über 2000m in den Himmel und die Pässe dazwischen sind auch nicht von schlechten Eltern. Bisserl anstrengender als gedacht, aber auch viel schöner als einfach nur durch Ebenen zu radeln. Nur... wo bin ich hier eigentlich?
Über den Ort Quintanar de la Sierra erreiche ich nach einem längeren Pass und schneller Abfahrt am späten Nachmittag ein Dörflein namens Neila. Sieht aus wie in einem großen Talkessel gelegen, auf allen Seiten nur hohe Berge um mich herum. Ich rechne schon mit weiteren 1000hm bergauf und einem langen Abend, da macht das Minimalsträßlein eine Biegung und folgt ganz plötzlich einem Fluss. Wo ein Fluss ist geht's runter, aus dem gefürchteten Uphill wird ein wunderschöner Downhill durch einen verschlungenen, schmalen Canyon.
Canyon hinter Neila.
Lange Zeit rolle ich in wildem Zickzack durch die Schlucht, bin fasziniert von der Straße, dem Licht, den Felsen, überhaupt allem. Schließlich beruhigt sich der lebendige Fluss und wird alsbald zum großen Stausee.
Kleine Eremita, einziges Überbleibsel des alten Dorfes Mansilla, vor 80 Jahren nach dem Bau der Staumauer in den Fluten versunken.
Was macht man mit einem See? Klar...
Mittlerweile ists schon recht spät geworden, der Badeplatz am See wäre ebenfalls perfekt zum übernachten. Erst mal will ich jedoch meinen Bärenhunger im nahen Dörfchen stillen. Mansilla wurde einige Meter höher wieder neu aufgebaut. Leider gibt's dort nicht das geringste zu Essen oder zu Trinken, eine Kirche, ein paar ausgestorbene Häuser, das wars.
Dann halt weiter am See entlang, irgendwann wird schon was kommen. Kommt auch, nämlich eine Staumauer und danach setzt sich die enge Schlucht fort. Kilometer um Kilometer folge ich der Straße talwärts, ein Ende ist nicht abzusehen. Straßenschilder sprechen von 40km bis zur nächsten Ortschaft. Hallo?! Der Canyon war bisher schon recht lang, und jetzt noch mal so weit?! In was für ein Monsterteil bin ich denn da hineingeraten? Fühlt sich jedenfalls an wie die längste Schlucht Spaniens. Und das obwohl ich eigentlich mit einer Flachetappe und überhaupt nicht mit Bergen gerechnet hatte, sowas geben die Googlemaps-Karten halt nicht wieder.
Es geht immer weiter wie es begann, verschlungen und in hunderten von Kurven rolle ich gemütlich aber mit knurrendem Magen talwärts. Zum Glück behält der Fluss seine freundliche Neigung und ich muss nur leicht treten, mehr wäre bei meinem Bärenhunger auch grad nicht drin. Wieso hat man der Schlucht nicht ein paar Kneipen spendiert?!
Anguiano
Endlich... um kurz vor neun sehe ich vor mir ein Dorf. Aus der Schlucht bin ich zwar immer noch nicht raus, die Felswände links und rechts werden hier sogar wieder höher. Aber wenigstens gibt's in Anguiano...
FUTTER!
Nachdem der Magen befriedigt ist, studiere ich nochmal ein paar andere Karten. Scheinbar bin ich hier zwischen der Sierra de Urbion, der Sierra de Neila und der Sierra de la Demanda. Irgendwie dachte ich, vom Rio Lobos bis in die Pyrenäen gäbs keine Berge mehr... ziemlich daneben getippt, Zorro! Wie die faszinierend verschlungene und unglaublich lange Schlucht heißt, weiß ich leider nicht. Vielleicht auch "Neila"? Was sagt denn Wikipedia dazu, dieses Monsterding muß da einfach drin stehen.
Auch wenn ich jetzt durch die ganzen Berge ziemlich müde bin, die unerwartete Wendung des Tags hat mir großen Spaß gemacht. Da rechnet man mit ödem Kilometerfressen und landet dann in solch abwechslungsreicher Landschaft. Ich werd mir hier in dem netten Örtchen an einem der Wege durch die Felswände ein Platzerl zum übernachten suchen, schaun wir mal ob ich morgen dann das Ende der Schlucht erreiche. Oder hat sie einfach keins und führt immer weiter bis zum Mittelpunkt der Erde? Möglich wärs...