Ich bin Jonas und meine Fahrradsucht ist offenbar genetisch bedingt, die frühzeitig einsetzende Sozialisation in Sachen Fahrrad hat die Symptome nur noch bestärkt.
Kaum dass ich laufen und einigermaßen sprechen konnte, hab ich meinem Vater beim Schrauben in der Garage geholfen, indem ich die von ihm achtlos (!!) zur Seite gelegten Muttern feinsäuberlich in einen nahegelegenen Gulli einsortierte. Da waren sie sicher.
Zu den Familienritualen gehörte das gemeinsame Fahrradputzen am Wochenende, sofern das Wetter schön war, und die anschließende Fahrradtour. Etwa mit 8 Jahren hab ich meinen ersten Reifen selber geflickt, bald darauf folgte das gnadenlose Auftunen des eigenen Rades mit Sturmklingeln aus der Antiquitätenkiste, mehreren Lampen und selbstgebauten Motocrossschutzblechen. Während die Klassenkameraden mit Schlittschuhen auf den zugefrorenen Seen herumliefen, schlitterte ich mit einem Singlespeed mit skelettiertem Schafsbockschädel am Lenker herum.
Als das monatliche Taschengeld stieg, hab ich es als einer der wenigen nicht für Zigaretten ausgegeben - das war zu teuer, denn die einsetzende Mountainbikesucht musste mit ständig neuen Reifen, Bremsen und diversen Anbauteilen befriedigt werden. Auf einer Klassenfahrt, die teilweise mit dem Fahrrad bestritten wurde, war ich bald nur noch als "der mit der Fahrradsocke" bekannt, denn in einer solchen verbarg sich mein Werkzeug, mit dem ich mich der ungepflegten Böcke meiner Klassenkameraden annahm. Sämtliche nachfolgenden Geldströme - Konfirmation, Abigeld, Zivi - wurden stets in neue Zweiräder gesteckt. Erst die Studiengebühren machten diesem gefährlichen Lebensstil ein Ende, nun muss ich mich zu strenger Haushaltung zwingen.
Meinem Bike gegenüber benutze ich Kosenamen, die mir bei meiner Freundin zu peinlich wären, und Menschen mit ungepflegten, aber qualitativ hochwertigen Rädern halte ich für Barbaren, die nur knapp oberhalb der Roten Khmer rangieren. Fahrgeräusche abseits des gleichmäßigen Surren des Freilaufs treiben mir Tränen in die Augen, und ich schaue mehr Bikes hinterher als Frauen - sogar im Sommer.
Ich bin ein hoffnungsloser Fall, das Urteil lautet lebenslang.