Kurzer Einwurf zu den Normen:
Die ganze Prüfnorm kommt eigentlich vom Motorrad und soll den Sturz auf eine Gehsteigkante simulieren. Entsprechend ist das Fallgewicht für die Messungen geformt. Außerdem gilt zu berücksichtigen, dass die Grenzwerte für unterschiedliche Schützer – Rücken, Knie, Ellenbogen etc. – durchaus unterschiedlich sind. Ein bestimmtes Material in bestimmter Stärke kann deshalb z.B. für Knie Level 2 sein, für Rücken dagegen nur Level 1.
Was man bei der Auswahl bedenken sollte:
Gegen was genau will man sich schützen?
Wie wichtig ist der Schutz bzw. welche Konsequenzen drohen?
Ein Schützer kann grundsätzlich drei verschiedene Wirkungen haben, die von verschiedenen Eigenschaften des Materials abhängig sind. Was dann jeweils am wichtigsten ist, kann durchaus sehr unterschiedlich sein.
Die drei Schutzwirkungen, die ich unterscheiden würde:
1) Allgemein Absorption von Aufprallenergie
2) Verteilen von Stößen bzw. im Extremfall Verhindern von Durchstichen
3) Abgleiten am Untergrund bzw. Verhindern von Abschürfungen oder Verrutschen von Protektoren
Die Absorption von Aufprallenergie ist natürlich das Wichtigste, denn viel Energie ist im Zweifel viel Aua. Es ist aber ein Unterschied, wie die Energie einwirkt, also z.B. flächig oder punktförmig. Bei punktförmigen Einwirkungen ist zunächst eine Verteilung evtl. sogar wichtiger (klassischer Steinschlaghelm beim Klettern) als die Absorption von Energie.
Die Norm überprüft aufgrund der Form des Fallgewichts eine Kombination aus Absorption und Verteilung, was sicherlich ein guter Kompromiss ist, aber vielleicht nicht für jeden Use Case das ideale Tool zur Beurteilung.
Beispiel: Manche Rückenprotektoren oder Rucksäcke haben einen Hartschaum als ProtektorMaterial, die relativ zum Gewicht die beste Absorptionswirkung haben, weil sie auf Destruktion des Materials zur Energievernichtung setzen. Neben dem offensichtlichen Nachteil, dass sie nach einem Einschlag kaputt sind, haben diese Materialien den Nachteil gegenüber Materialien wie SAS-Tec oder D30, dass sie die Kräfte wesentlich weniger verteilen. In einem Rucksack, wo aber je nach Aufbau und vor allem übriger Bepackung punktförmige Belastungen vielleicht weniger ein Problem sind, kann die Schutzwirkung eines solchen Hartschaum-Protektors hinsichtlich Absorption von Energie besser sein als bei einem Protektor aus sich verhärtendem Kunststoff, während letzterer bei der Norm wegen der besseren Verteilung des Einschlags wahrscheinlich besser abschneiden wird. (Metallflaschen, am besten noch quer über die Wirbelsäule, sollte man im Rücksack dann allerdings vermeiden.)
Radhelme setzen übrigens in aller Regel auf eine Kombination aus harter Schale, die Kräfte verteilt, und einer darunter liegenden Schicht aus Hartschaum, welche Energie absorbiert.
Für Rückenprotektoren würde ich die Absorption von Energie und die Verteilung von Einschlägen beim klassischen Biken als gleich wichtig einschätzen. Beim Downhill, wo die Energien höher sind, ist die Absorption von Energie wahrscheinlich etwas wichtiger. Bei Brustprotektoren, wo ja insbesondere auch der Einschlag auf dem eigenen Vorbau ein nicht zu übersehender Faktor ist (hartes, relativ scharfkantiges Hindernis), würde ich fast die Verteilung als wichtiger ansehen als die Absorption. Für Knie, Ellbogen etc. ist vor allem bei höheren Geschwindigkeiten dann auch das Abgleiten auf dem Untergrund recht wichtig.
Old School Schützer mit Hartschale und nur normalem Weichschaum darunter haben übrigens weitaus weniger Absorptionswirkung als Hartschäume oder moderne, bei Aufschlag verhärtende Kunststoffe wie SAS-Tec oder D3O. Ideal ist sicher eine Kombi aus Plastikschale und einem Energie absorbierendem Material. Aus praktischen Gründen machen Hartschäume aber außer bei Helmen und Rucksäcken zumindest beim Radfahren aber nur wenig Sinn.