08.01.2008, 19:30 Uhr. Die Sonne ist schon lange im Meer versunken, das letzte Licht der Dämmerung macht einem unglaublichem Sternenhimmel Platz, der Mond hat heute Pause. Ein paar Vögel zwitschern, vereinzelt liegen Eidechsen auf den noch warmen Steinen. Eine salzige Brise weht vom Meer herauf.
Der Haken an diesem schönen Bild? Ich stehe mit dem Bike auf der Schulter völlig durchgeschwitzt irgendwo in 1000m Höhe in der struppigen, vulkanischen Wildnis, von einem Weg ist weit und breit nichts zu sehen. Essensvorräte sind verbraucht, Wasser ist getrunken, Beine sind müde. Dabei hatte der Tag so gemütlich angefangen...
Nach einem Frühstück am Strand von Agaete und einem erfrischenden Bad im Meer schwinge ich mich aufs Bike und radle über die Küstenstrasse nach San Nicolas. Obwohl Start und Ziel beide auf Meereshöhe liegen, kommen auf dieser Route fast 1000hm zusammen. Auf Gran Canaria gibt's nur wenig ebene Strassen, Brücken scheinen größtenteils unbekannt. Drum ist das Motto für den Radler hier: "rein in den barranco, raus aus dem barranco", in vielfacher Wiederholung und mit entsprechend vielen Anstiegen und Abfahrten.
Am Puerto von San Nicolas beim zweiten Frühstück in der Charco-Burger-Bar erzählt mir der Patrone etwas vom "schönsten barranco gran canarias", gleich oberhalb des Städtchens. Ein Roundtrip ist schnell zusammengeklickt, als Belohnung für seinen Tip darf sich Senor Charco nun den Tag lang um mein Übernachtungsgepäck kümmern, während ich mich um einige Kilo erleichtert auf den Weg in die Berge mache.
Der Barranco ist wirklich sehenswert, teilweise rücken die steilen, roten Felswände auf nur wenige Meter zusammen. Trotzdem windet sich ein schmales Teersträßchen bergauf, das unseren Alpenpässen ganz locker den Rang abläuft. Der Steigungsmesser erreicht teilweise 25% und verbleibt dort auch einige Zeit lang, die Temperaturen sind jetzt um die Mittagszeit selbst im Winter gnadenlos.
Die ganze Auffahrt ist demnach ein einziger Genuss

. Verkehr gibt's keinen, nur vereinzelt zittern sich ein paar offensichtlich überforderte Touristen in ihren Mietwägen durch die engen Kehren bergauf. Bis zur Ringstraße unterhalb des Pico de las Nieves wollen an die 1700hm erstrampelt werden.
Dann folge ich weiter meiner erdachten Route und probiere einen kleinen Trail unterhalb des Morro Pajonales. Endlich mal was leichtes, flowiges, mit nur wenigen Felsen und größtenteils auf Waldboden verlaufend. Erstes Experiment gelungen, weiter im Text.
Mein eigentliches Ziel ist der Montana del Viso, ein 1000m-Klotz oberhalb San Nicolas. Von dort führt laut Karte ein Wanderweg bis direkt in die Ortschaft. Leider ist die weitere Anfahrt dorthin noch mit vielen Höhenmetern gepflastert, immer getreu dem Motto "rein in den barranco, raus aus dem barranco". Bis ich auch nur in die Nähe des Berges komme, steigt der Tageshöhenmesser auf über 3000hm. Die Uhrzeit ist leider mittlerweile auch schon recht fortgeschritten.
Die letzte halbe Stunde zum Gipfel möchte ich mir deswegen gerne sparen. Auf der Karte gibt's eine Querung etwas unterhalb, die bald wieder auf den eigentlichen Wanderweg nach San Nicolas treffen soll. Diese Route funktioniert zunächst auch recht gut und wird genau an der bezeichneten Stelle von der Piste zum Pfad. Leider ist der Pfad schon von Beginn an sehr zugewachsen, größtenteils muß ich mich mit dem Rad auf der Schulter durch dichtes Gestrüpp kämpfen. Irgendwann verliere entweder ich den Weg oder der Weg sich selbst ganz, jedenfalls stapfe ich mühevoll querfeldein weiter. Die einsetzende Dämmerung macht die Orientierung dabei nicht leichter.
An einer verfallenen Hirtenhütte geht's wieder etwas besser vorwärts, schließlich erreiche ich laut gps die Stelle, an der mein Querweg auf den Abstieg nach San Nicolas trifft. Mit etwas gutem Willen sind hier bergab auch ein paar Spuren zu entdecken, geradeaus ging´s allerdings auch weiter. Nun, irgendwann will ich ja endlich mal runter, also folge ich dem Pfeil auf der Kompass-Karte sehr holprig mit etwas mulmigem Gefühl talwärts, wird schon schief gehen.
Es geht in der Tat schief. Irgendwann stehe ich vor einem gähnend tiefen Abgrund. Die Karte ist weiterhin der Meinung, hier wäre der Weg nach San Nicolas. Ich teile diese Meinung mittlerweile nicht mehr.
Nach einiger erfolgloser Sucherei im düsteren Dämmerlicht gebe ich schließlich auf. Die Karte ist hier wohl nicht einfach nur ein paar meter daneben, sie hat mich auf einen völlig falschen Felssporn geführt. Von hier gibt's kein Entrinnen, ausser mit einem Gleitschirm oder 500m Seil.
Hilft alles nichts, das Rad also wieder auf die Schulter und im Laufschritt zurück bergauf, bis zur Kreuzung mit dem Querweg. Dank gps komme ich dort auch punktgenau an, mittlerweile ist´s allerdings stockfinster.
Ganz aufgeben will ich noch nicht, mein Übernachtungskram ist schließlich ausgerechnet heute im Tal geblieben. Hier oben wird´s nachts dann doch recht bald unangenehm kalt. Also weiter queren mit dem Rad auf dem Buckel, obwohl ich mich laut Karte immer weiter vom möglichen Abstieg entferne. Wenigstens bewege ich mich auf etwas, das man im weitesten Sinne durchaus noch als Weg bezeichnen könnte.
Zwanzig Minuten später bin ich noch immer keinen Höhenmeter tiefer unten. Ich bin kurz davor, das Bike hinzuschmeissen und mich zurück zur verfallenen Hirtenhütte durchzuschlagen.
Die Nacht würde zwar ungemütlich kalt, aber sicher nicht lebensbedrohlich. Noch einmal leuchte ich mit der Stirnlampe einen weiten Bogen talwärts. Tatsächlich, dort unten, gar nicht weit weg, steht sowas ähnliches wie ein Steinmann. Kurz darauf noch ein zweiter, ein dritter... ein Weg! Ein richtiger Weg! Und bergab führt er auch noch!
Den Gedanken an ein Biwak gebe ich schnell wieder auf. So ein night-trail-ride ist ja bestimmt auch was feines. Andre Leute machen das dem Hörensagen nach sogar absichtlich. Meine kleines Stirnlämpchen ist zwar sicher nicht mit deren mörderischer 40-watt-halogen-doppelstrahler-ausrüstung zu vergleichen, aber sei´s drum. Den Boden kann ich damit auch sehen. Fahr ich eben langsamer...
Was soll ich sagen, der night-trail ist absolut genial. 600hm s2 vom feinsten. Verglichen mit den vielen felsigen Rüttelmonstern, die ich auf dieser Insel schon hatte, könnte man durchaus von Flow sprechen. Glück gehabt! Natürlich bremst mich die Nacht ein bisserl aus, aber immerhin bleibe ich größtenteils im
Sattel. Über mir die Sterne, unter mir die Lichter von San Nicolas, und mit jeder Serpentine kommen sie näher.
Gegen neun Uhr abends ist´s dann geschafft, die Zivilisation hat mich wieder. ich rolle zum Strand, Senor Charco brät mir den besten Hamburguesa der Kanaren, nach einem Serveza Tropical ist die Welt wieder in Ordnung.
Fazit: 3400hm, toller barranco-uphill, zwei flowige trails, der zweite gehört sicher auch bei tageslicht zu den highlights von gran canaria. das nächste mal vielleicht direkt von san nicolas starten und nicht noch die 900hm küste ab agaete draufpacken, dann klappts auch im januar noch mit der sonne

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ein gps ist nur so gut wie das kartenmaterial, in diesem fall hat sich kompass nicht grad mit ruhm bekleckert. aber immerhin kann man mit dem elektronischen helferlein jederzeit bedenkenlos "experimentieren" und findet auch in dunkelster nacht wieder zurück. und irgendwann kommt dann schon ein steinmanderl und weist einem den richtigen weg

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