MucPaul
Bike Parts Prepper und Diät-Carboniker
Anleitung für die Reparatur eines festgefressenen Hollowtech II Innenlagers - Quick Fix Repair of Hollowtech
Werte Kollegen,
nachdem ich vergeblich nach einer Lösung im Internet gesucht habe, stelle ich heute ein Anleitung rein, als Quick Fix wenn es schnell gehen muss.
Was ist passiert? An meinem MTB ist ein übliches Shimano Hollowtech II Innenlager verbaut. Das Lager ist ca. 8 Monate alt. Ursache waren im Winter Regenwasser und Dreck.
Ich wunderte mich in letzter Zeit über meinen schlechten Trainingszustand und warum ich nur noch mühsam auf Tempo kam. Gestern beim Start des Trainings war die Kurbel plötzlich extrem schwergängig, aber sie drehte noch etwas.
Nach dem Abnehmen der Kurbel ergab sich, dass das linke Lager komplett fest war und sich keinen Millimeter mehr bewegte. Die Kurbel drehte also nur noch auf dem leichten Fettfilm der Plastikkappe vom Lager.
Ein kurzer Besuch bei mehreren Läden vor Ort ergab: aktuell nicht lieferbar, können wir aber bestellen und es dauert. Im Internet bei bekannten Händlern: Lieferbar in 4 Wochen. Die Frachter mit den Shimano Containern dümpeln also immer noch vor den Häfen. Danke nein, da ist der Sommer vorbei.
Kurzerhand heisst es nun: Do-it-yourself und wir fixen das selbst.
Schritt 1. Nach dem Abschrauben des Innenlagers sehen wir oben eine schwarze Plastikkappe, die auch nach innen geht. Darin steckt die Kurbelwelle und bewegt die Plastikabdeckung mit. Wir nehmen ein Schweizer Taschenmesser und hebeln vorsichtig von allen Seiten ganz langsam die Kappe nach oben. Wie gesagt, vorsichtig! Die Kappe ist nur aufgesteckt.
Schritt 2. Die Plastikkappe legen wir zur Seite und sehen dann das Rillenlager, das von einer weichen Gummi Lippe abgedeckt ist. Und trotz Plastikkappe sieht es hier schon ziemlich versifft aus.
Schritt 3. Die Plastikkappe und die Gummiabdeckung werden gut gereinigt. Hier erkennen wir dann auch den Ansatzpunkt zum Abheben der Dichtung: innen.
Schritt 4. Wir heben mit dem Taschenmesser vorsichtig rundum die Dichtung nach oben. Diese ist ein Metallring mit aufgeklebter Gummi Lippe. Das Taschenmesser greift also von unten auf den Metallring und kann nichts beschädigen.
Schritt 5. Nach dem Abheben der Dichtung sehen wir sofort das Problem, warum das Lager fest ist: Korrosion!
Schritt 6. Jetzt wird es etwas aufwendig. Das Lager besteht aus vielen kleinen verchromten Stahlkugeln, die in einem Plastikkäfig gehalten werden. Durch Feuchtigkeit korrodieren sie und werden schwarz-matt, d.h. die Oberfläche ist nicht mehr spiegelglatt sondern angegriffen und rau. Das Lager ist normalerweise ein Fall für Tonne, aber es hilft nichts... wir wollen ja fahren und nicht warten.
[Update nach Hinweis von @Surtre: auch wenn Shimano Kugeln im Ersatzteilmarkt verchromt sind, so sind von Werk aus verbaute Kugeln der Lager wahrscheinlich Stahl ohne Beschichtung, da sie beim Einbau gefettet werden und nicht mit Feuchtigkeit in Berührung kommen. Man erkennt aber anhand der Lichtspiegelung einer blanken Kugel ob sie noch einwandfrei oder matt/angegriffen ist].
Mit WD-40 tränken wir das Lager mehrmals und wischen mit Pinsel und Zewa soviel Dreck raus wie möglich. WD-40 hat die Eigenschaft, die dünne Rostschicht zu unterwandern und zu lösen. Ich habe zusätzlich noch abwechselnd den Degreaser von Finish Line benutzt, sowie heisses Wasser. Nur durch Tränken löst man es aber nicht! Man steckt 2 Finger rein und versucht das Lager im heissen Seifenwasser zu drehen. Da tut sich erstmal gar nichts. Nach ein paar Minuten bewegt sich der innere Ring um 1 mm. Wir sind also auf gutem Weg. WD-40 tränken, einwirken lassen, ausspülen, und retour das ganze. Danach bewegt sich das Lager mehr und irgendwann knackt es leicht und es läuft komplett.
Schritt 7. Wir tränken und spülen mit WD-40 trotzdem noch ein paar mal und lassen das Lager im Seifenwasser kreisen bis es komplett rund und leise läuft. Die braune Tunke ist gelöster Rost und muss komplett raus! Die Prozedur ist zu Ende, wenn nur noch reines WD-40 rauskommt. Danach spülen wir das ganze nochmals im Degreaser, trocknen es mit Zewa und ganz wichtig: erhitzen das Lager mit einem Fön auf hohe Temperatur für einige Minuten. Dazu rotieren wir das Innenlager auch mehrmals um jeden Tropfen Wasser zu entfernen. Das Lager muss 100% trocken sein.
Schritt 8. Überprüfung des Ergebnisses. Das Innenlager ist komplett sauber und fettfrei. Die Stahlkugeln im Kugelkäfig sind teils noch einwandfrei, teils leider matt und dunkel aufgrund der Korrosion, welche die hauchdünne Chromschicht weggefressen hat. Das macht aber nichts, denn die Kugel besteht aus hartem Stahl. Das Lager dreht aber einwandfrei ohne raues Kratzen. Es ist somit noch voll funktionsfähig. Falls das Lager beim Drehen rau läuft, dann sind die Kugeln schon zu stark angegriffen und die weitere Lebensdauer des Lagers ist recht überschaubar. Ein neues Lager sollte da bald im Warenkorb liegen.
[Update nach Hinweis von @Surtre: das Knacken und Knirschen und in meinem Fall kompletten Blockieren im Lager kann von kleinen Abplatzungen der Metalloberfläche der Kugeln kommen, aufgrund von Überanspruchung, Versprödung oder Dreck].
Dies sind die kleinen Metallpartikel, die öfters aus den Lagern rausgepult habe. Im Falle dass das Lager rumpelt, dann sind die kaputten Kugeln nicht mehr rund und haben kleine Einkerbungen. Die Unwucht bei Belastung führt zum Rumpeln (vor allem bei Konuslagern). Solche Kugeln erkennt man sofort, da sie aus meiner Erfahrung immer dunkel und matt sind, anstatt silbrig glänzend.
Schritt 9. Gutes Fetten des Lagers. Ich verwende Motorex 2000, aber jedes andere Kugellagerfett tut's auch. Das Fett muss auf die Kugeln (mehrfach rotieren beim Einfetten). Und es muss die obere Seite komplett bedecken, damit keine neue Feuchtigkeit eindringt.
Schritt 10. Wir legen die Lagerabdeckung ein. Vorsichtig, es ist ein flacher Metallring mit der Gummi Lippe. Diese Abdeckung muss wiederum gut gefettet werden, da nun die Plastikabdeckung noch oben drauf muss. Die Plastikabdeckung rotiert auf dem inneren Metallring des Lagers, somit muss noch Fett auf die Gummi Lippe. Die Plastikabdeckung selbst darf nicht eingefettet werden! Den Fehler machte ich zuerst, aber dann hält sie schlecht auf dem Lager. Und beim Reinstecken der Kurbelwelle drückt diese die Plastikkappe nach draussen. Sie soll aber auf dem inneren Ring des Rillenlagers halten.
Schritt 11. Aufstecken der Plastikkappe und Einfetten der Innenseite. Wenn die Kappe drauf sitzt, sollte sich das Lager wieder geschmeidig drehen wie ein neues Lager aus der Packung. Es darf nichts kratzen oder knirschen, was Dreck in den Rillen und somit schneller Tod des Lagers wäre.
Wir fetten das Gewinde zum leichten Eindrehen in den Rahmen und wir fetten die Innenseite der Plastikkappe damit die Kurbelwelle sanft durchgleitet. Danach bauen wir alles zusammen.
Fazit: Mit wenig Aufwand läßt sich ein schwergängiges oder sogar komplett festkorrodiertes Lager wieder funktionsfähig machen. Wir stellen fest,
- ... dass ein leicht korrodiertes Lager natürlich nicht so gut ist wie ein nagelneues. Logisch! Aber beim Fahren merkt man es meist kaum oder gar nicht. Beim Drehen mit einem Finger habe ich absolut keinen Unterschied zwischen dem guten und dem reparierten Lager festgestellt.
- ... dass regelmäßige Pflege des Innenlagers kein Hexenwerk ist und die Lebensdauer wesentlich verlängern kann
- ... dass wir durch diesen Quick & Dirty Fix die geplante Radtour problemlos machen können anstatt wochenlang auf das neue Ersatzteil beim Händler zu warten. Das ganze funktioniert analog mit Lagern von anderen Marken, die teils noch schwerer zu bekomen sind.
Ich mache demnächst die gleiche Prozedur mit meinem GXP Lager, auch wenn die neuen Lager nun endlich eingetroffen sind nach 9 Wochen Lieferzeit. Dann schauen wir mal, wie die aufgebaut sind und was man da machen kann.
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