23.06. 21:00 Rifugio San Nicolas, Torlaschlucht
Nach ein bis drei cafe con leches in Jaca ist die Entscheidung gefallen. Ich bleibe auf der Transpyrenaica, der Abstecher in die Sierra de Guara ist gestrichen. So richtig auf dem Weg liegt dieses Gebirge dann leider doch nicht, ich müsste noch einige Straßenkilometer überwinden. Der Hauptgrund jedoch: die Sierra de Guara ist sozusagen das Mekka des spanischen Canyoning-Sports. Bestimmt mit einzigartigen Schluchten versehen, aber die schönsten Stellen sind natürlich nur mit kompletter Ausrüstung zu erreichen. Ich würde mich dort wohl mehl als nur ein bisserl ärgern, daß meine Neopren-Anzüge, Klettergurte und Seile daheim im Schrank liegen. Hätt ichs doch mitgenommen, fünfzig Kilo zusätzlich auf dem Rücken wären doch kein Thema! Canyoning ist außerdem eigentlich nix für Einzelgänger, also ist auch ausleihen keine Option. Und geführte Touren kommen für mich irgendwie gar nicht in Frage, bin gern mein eigener Chef und erlebe meine eigenen Abenteuer. Aso muss die Sierra de Guara eben warten, bis ich mal mit einem anderen Fortbewegungsmittel hier her zurückkehre.

Camino Santiago zwischen Jaca und Sabinanigo, immerhin besser als Forstpiste im Wald.
Wenn man sich in dieser Gegend von den Hauptstrasse fernhält, landet man beinahe unweigerlich auf einem der diversen Ableger des Camino Santiago. "Zwangspilgern" sozusagen, also radle ich wieder auf Jakobs Spuren am Fuße der Berge vorbei statt über sie drüber.

Weizenfelder statt Felsgipfel, Schnüff.
Irgendwie bin ich heut den ganzen Tag schon etwas schlaff in den Beinen. Der Hals kratzt auch, ich werd mir doch nix eingefangen haben? Ein Supermarkt hinter Sabinanigo wird geplündert und ich fülle zweieinhalb Kilo Dopingmittel ein, vielleicht geht's danach ein bisserl flotter voran.

Was zur Hölle... ein 0%-Diät-Drink?! Klarer Fehlkauf! Egal, das wird durch Infusion eines halben Liter Kondensmilchs wieder reingeholt!
Ein Stück weit radle ich tatsächlich etwas flotter dahin, der nachmittag ist auch schon weit fortgeschritten und ich habs noch weit. Ein wenig motiviert auch der Rennradler, der mich eine halbe Stunde begleitet und dabei ununterbrochen in spanisch vollquatscht, ungeachtet der Tatsache daß ich nur jedes zehnte Wort verstehe. Mit überholen ist bei mir heut aber nix drin, kann grade eben so mithalten.

Zorro am Straßenrand.
In Gavin ist der Rennradler dann daheim, auf mich wartet noch ein Pass über 500hm bis zum Etappenziel in Torla. Bin grade völlig unmotiviert, links und rechts nur waldige grüne Hügel, wieso kommt jetzt nicht ein Pickup vorbei und nimmt mich mit?
Kein Pickup in Sicht, also raff ich mich auf und nehme die letzte Steigung für heute in Angriff. Mit Walzer auf den Ohren geht's einigermassen, trotzdem greife ich nach einer halben Stunde geistesgegenwärtig nach dem offenen Fenster des einzigen Autos weit und breit und lasse mich die restlichen 200hm bergauf schleppen. Von hier an nur noch bergab, gerettet!

Torla
Nach vielen Stunden durch grüne Hügel erwarte ich von Torla nichts besonderes, werde bei meiner abendlichen Ankunft jedoch eines besseren belehrt. Gleich hinter dem Ort ragen steile Felswände weit über 1000m in die Höhe, scheinbar hab ich die Berge wieder gefunden. Yippieh!
Eine Unterkunft finde ich allerdings nicht, die Hotels im Dorf passen mir alle nicht in den Kram. Außerdem ziehen mich die Felsen irgendwie magisch an und auf meiner Karte sind weiter hinten im Tal noch ein paar Rifugios eingezeichnet. Die Müdigkeit ist auch verschwunden, also breche ich um kurz nach sieben noch mal auf.

Torla-Schlucht im Dämmerlicht.
Schon wenige Kilometer hinter dem Ort beginnt die Schlucht der Torla. Eine Piste führt durch den schmalen, tief eingeschnittenen Canyon, immer direkt am Rand des tosenden Bachs. Einige teils steile Höhenmeter sind noch zu überwinden, doch in einer solch faszinierenden Umgebung fällt mir das radln wieder leicht.
Trotzdem bin ich ein wenig angefressen, als mich das erste Rifugio gegen acht Uhr abends eiskalt abblitzen lässt. Kein Platz mehr frei... wie bitte?! An einem Montag abend?! Wers glaubt... pah! Offensichtlich hatte die unfreundliche Dame aber doch recht, in Spanien ist morgen wohl ein Feiertag und die komplette Bevölkerung scheint sich das verlängerte Wochenende mit Brückentag für einen Ausflug in die Berge zu nutzen. Pech für Zorro, die nächste Hütte ist nochmal drei Kilometer weiter hinten in der Schlucht, immer bergauf.
Um halb neun erreiche ich endlich das Rifugio San Nicolas. Auch hier viele Leute, aber der Empfang ist ein ganz anderer. Vielleicht macht mein "TheSnake"-Schild am Bike Eindruck, vielleicht auch das Bike selber, jedenfalls bekomm ich einen eigenen Raum zum Lagerpreis und darf den Hobel sogar mit aufs Zimmer nehmen. Das Menü steht auch sofort auf dem Tisch, ich esse natürlich draussen vor der Hütte. Das Tal ist an dieser Stelle vielleicht 100 Meter breit, eingerahmt von steilen Felsen, unzählige Wasserfälle stürzen beiderseits herab. Ein Schild erzählt etwas von "Pitineos - Monte Perdido" Unesco Weltnaturerbe und Nationalpark, beeindruckend genug ist die Szenerie jedenfalls. War eine gute Entscheidung, heut abend noch hier rauf zu fahren. Morgen muss ich zwar wieder runter, der PyrenaX geht ab Torla andere Wege, aber so hab ich wenigstens ein bisserl was von der tollen Schlucht mitbekommen.
Mahlzeit, essen, schlafen, erholen. Hoffe ich bin morgen wieder fit!