Das ist eine gute und berechtigte Frage, auf die man eher selten eine differenzierte Antwort bekommt (wie z.B. von
@XT660 oben). Ich versuche noch mal eine aus meiner Sicht:
Ich beginne mit einer
Gegenfrage: Wie aussagefähig ist denn dein subjektiver Eindruck? Wenn du nicht ausnahmsweise das absolute unbestechliche Popometer besitzt, bist du wie jeder andere psychologisch leicht beeinflussbar, das weiß man ja aus wissenschaftlichen Studien. Wenn dir einer das Marin zum Testen gibt mit den Worten "Musst du gefahren haben, den R3ACT-Hinterbau finden alle total geil!" oder mit den Worten "Willst du wirklich deine Zeit darauf verschwenden? Den R3ACT-Hinterbau finden alle total schlecht!" wird dein Urteil verschieden ausfallen. Man kann sich nur unvollkommen dagegen immunisieren.
Was theoretische Berechnungen angeht: Ja, die sind aussagefähig, aber immer nur in Verbindung mit den
Voraussetzungen, Annahmen und Randbedingungen, unter denen sie zustande gekommen sind. Wenn man diese nicht kennt oder versteht, sind die Aussagen schwer einzuschätzen. Deshalb habe ich oben ja Angaben gemacht wie "X% Anti-Squat bei Schwerpunkthöhe von Y", ""X% Progression bezogen auf Sag von Y und Dämpfermodellierung soundso" usw.
[Annahmen müssen natürlich möglichst richtig sein. Wenn ich zu allem Überfluss hierzu noch ein Fass aufmache wie oben schon angedeutet: Ich frage mich unter anderem, warum die Schwerpunkthöhe bei den existierenden Linkage-Berechnungen immer so niedrig angesetzt ist (um 600 mm überm Tretlager). Das kann ich rechnerisch überhaupt nicht nachvollziehen. Nach meinen Berechnungen mit eigenem Bikefitting-Tool mit recht aufwändigem Menschmodell, wenn kein Bug drin ist, ist das 150-250 mm (!) zu niedrig. So tief liegt der Schwerpunkt nicht mal bei einem 23 kg E-Bike (und auch nicht im Stehen in der tiefen Trailposition). Pi mal Daumen würde das stets folglich ca. 20% zu viel rechnerischen Anti-Squat und Anti-Rise ausmachen, den wir in der realen Welt gar nicht haben... Man beweise mir das Gegenteil.

]
Hinzu kommen ggf.
vereinfachende mathematische oder physikalische Annahmen, die unsichtbar in einem Berechnungstool stecken und allenfalls irgendwo in der Dokumentation beschrieben sind oder bestenfalls als Popup-Disclaimer auftauchen. Z.B. die Vernachlässigung von Reibung in Lagern und Dämpfer oder die Vernachlässigung der Massen von Rädern und Hinterbau usw. Dann die praxisrelevante Interpretation der Kennzahlen, z.B. von Anti-Rise, die wir in dieser Diskussion auch trotz
@Dani's guter Erklärungen noch nicht völlig aufklären konnten.
Dann hat man Themen in Bezug auf den
Gültigkeitsbereich: Linkage macht z.B. keine Aussage über die Dämpfung, sondern nur über die Federung wie
weiter oben @hulster schon schrieb. Für das Fahrgefühl auf einem Bike fehlt da quasi die halbe Welt einfach. Die Aussagen sind deshalb nicht falsch, sondern nur unvollständig.
Man sollte vielleicht noch sagen, dass aufgrund dieser Einschränkungen oft der
qualitative Vergleich noch wichtiger ist als die absoluten Zahlenwerte. Das versucht ja Antonio Osuna nach meiner Wahrnehmung auf seinem Blog zu leisten, z.B. indem er immer 25% Sag annimmt, egal, ob der Konstrukteur das Bike darauf ausgelegt hat oder nicht.
Wenn man sich all dessen bewusst ist, kann man immerhin begrenzt gültige Aussagen treffen, die der Wirklichkeit weitgehend nahe kommen. Deshalb haben wir es maßgeblich der Existenz von Linkage (und vergleichbaren inoffiziellen Tools) zu verdanken, was XT660 sagt:
Wenn man versteht, was man gerechnet hat und es einen klaren Widerspruch zu einem Test in der realen Welt gibt, der nicht durch falsche Eingabeparameter oder einen falschen Testeindruck zu erklären ist, dann ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der impliziten Annahmen und Vereinfachungen schuld. Dann kann man das analysieren und das Modell entsprechend aufbohren, bis man die Realität besser vorhersagen kann. Bis zu einem gewissen Grad macht das Sinn, irgendwann wird es teurer als der Versuch. Bikehersteller und andere Maschinenbauer versuchen, bestmöglich auf dem Grat zu balancieren.