Mein neues Carbon-Fully

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Bike der Woche
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Erste Probefahrt … Wahnsinn! Muskelkater im Gesicht wegen Dauergrinsen. Aber der Reihe nach. Ich will euch mitnehmen auf eine Reise, die vor einem leeren Bildschirm beginnt und mit einem selbstgebauten Carbon-Mountainbike endet. Das wird natürlich eine Weile dauern … also holt euch Popcorn und macht es euch gemütlich :)
 
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Das Kick-off-Meeting

2015, Ende August

Wie jedes Projekt heutzutage startet auch dieses mit einem Kick-off-Meeting. Es war nur ein kleines Meeting, Mausi und ich. Und es fand draußen statt, auf unserem Hometrail. Normalerweise fährt Mausi voraus. Ist schön anzusehen, wenn Mausi Airtime hat - Fledermausi sozusagen. Aber heute nicht. Ich hatte einen neuen Kicker gebuddelt und da musste ich natürlich zuerst. Also los: Anfahrt, ein paar Wurzeln, der erste Sprung, der neue Kicker – perfekt! Dann noch ein Sprung, ein Drop, das war’s schon. Nur noch unten die S-Kurve und ausrollen. Aber was ist das? Der Starkregen gestern hat einen riesigen Sandhaufen in der S-Kurve abgeladen. Bevor ich reagieren kann versackt das Vorderrad schon im Sand und da war er, der Kick-off …
 
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Konzept

4 Wochen später: Der Sturz hatte mir eine Titanplatte und sieben Schrauben im Schlüsselbein eingebracht. Der Dok sagte drei Monate Zwangspause. Am Ende sollten es sieben werden. Verdammt! Ich brauche unbedingt etwas zum Vorfreuen.

Mein letztes Rahmenbau-Projekt liegt schon ein paar Jahre zurück. Aber das Know-how für die Herstellung schicker Carbon-Teile ist noch da. Also beschloss ich, einen neuen Carbon-Rahmen zu entwickeln. Die Eckdaten waren schnell klar: viel Federweg, dicke Reifen. B-Plus finde ich cool, aber irgendwie ist mir das am Hinterrad zu sperrig, also was tun? Bei meinen Recherchen bin ich dann über einen 24-Zoll-Fatbike-Reifen gestolpert. Den auf einer Trialfelge, das wäre doch der Knüller! Außendurchmesser etwas größer als die alten 26er, aber immer noch kleiner als 27,5 – genau mein Ding.

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Durch meine Arbeit habe ich so nette Spielsachen wie z.B. das CAD-Programm „Siemens-NX“ zur Verfügung. In einer 2D-Skizze werden die wichtigsten Eckdaten festgelegt: Radstand, Lenkwinkel, Laufräder, Tretlagerposition, Federwege.
 

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Die Hinterbau-Kinematik

6 Wochen später: Mein Liegerad ist da! Endlich wieder Radfahren. Mausi quengelt, weil ihr Rennrad zu langsam ist …

Mountainbike-Hersteller bauen gerne komplizierte Hinterbau-Systeme mit vielen Gelenken. Ich bin eher ein Fan von einfachen Lösungen – Eingelenker muss sein. Beim Dämpfer habe ich lange mit mir gerungen: direkte Anlenkung oder doch Umlenkknochen und eine progressive Kennlinie? Nun, es soll ja kein Downhiller werden und da muss bei 200mm Federweg die progressive Feder eines Luftdämpfers einfach reichen. Also direkte Anlenkung, simpel.

Aber: was mich bei den meisten Bikes gestört hat, ist der viel zu niedrige Drehpunkt und damit eine fast senkrechte Raderhebungskurve. Man fährt ja auch keinen Steuerwinkel von 90°. Also den Drehpunkt nach oben und damit eine Raderhebungskurve die perfekt mit der Gabel harmoniert. Für einen wippfreien Antrieb muss dann natürlich die Kette umgelenkt werden. Diese Ideen sind eigentlich uralt: ein Balfa BB7 von 2004 hat es zum „Bike der Woche“ geschafft: http://www.mtb-news.de/news/2013/05/14/balfa-bb7/

Aktuell gibt es einige Hersteller, die diese Idee ebenfalls wieder hervorkramen. In der Freeride 2/2016 hat Marcus Klausmann sechs Downhiller getestet - und die beiden schnellsten sind Eingelenker mit hohem Drehpunkt und Kettenumlenkung. Aber diese Info hatte ich natürlich auch erst, als die polierten Alu-Formen schon in der Werkstatt standen …

Selbstverständlich hatte ich mir für die Kinematik auch Linkage angesehen. Zum damaligen Zeitpunkt gab es aber noch ein Problem bei Umlenkrollen, die an der Schwinge befestigt sind. Linkage lieferte bei diesem speziellen Fall unsinnige Werte für den Anti-Squat. In der aktuellen Version ist das Problem behoben, aber mein Spieltrieb zwang mich damals dazu, eine eigene Software zu schreiben …

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Kinematik ist Hexenwerk, oder doch nicht? Die einen fangen jetzt an zu gähnen, für andere ist das immer noch spannend. Immerhin: durch die Umlenkrolle an der Schwinge ist meine Konstruktion nicht ganz alltäglich und vielleicht doch auch für die alten (Linkage-) Hasen interessant. Ich versuche es mal ganz einfach:

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Rot: am Hinterrad wirkt eine Vortriebskraft Hx. Zum Ausgleich wirkt im Schwerpunkt eine Gegenkraft Sx (in der technischen Mechanik nennt man das d’Alemertsche Trägheitskraft)

Grün: Aus dem roten Kräftepaar ergibt sich ein Moment, das durch die dynamischen Radlasten Hz und Vz ausgeglichen wird.

Blau: Als Resultierende am Hinterrad ergibt sich die Kraft H – die Richtung wird durch Radstand und Schwerpunkthöhe bestimmt. Für Linkage-Freaks: eine Anti-Rise-Linie von 100% liegt genau in dieser Richtung.

Gelb: Schwingendrehpunkt D – wenn dieser genau auf der 100%-Anti-Rise-Linie liegt, bleibt der Hinterbau beim Bremsen reaktionsfrei. Mein Drehpunkt liegt im ausgefederten Zustand etwas über dieser Linie und nähert sich beim Einfedern an.

Pink: Nun noch die Kettenkraft K. Sie wirkt normalerweise einfach nur in Richtung Zugtrum der Kette. Jetzt wird es speziell: die Umlenkrolle ist an der Schwinge befestigt, daher sind Kräfte zwischen Ritzel und Umlenkrolle „innere Kräfte“ und nicht relevant. Entscheidend ist das Zugtrum zwischen Umlenkrolle und Kettenblatt.

Die Momente aus Blau und Pink lassen sich durch entsprechende Geometrie ins Gleichgewicht bringen – meist jedoch nur für einen Gang. Wenn sowohl Blau als auch Pink durch den Schwingendrehpunkt gehen, ist der Hinterbau beim Bremsen und in allen Gängen reaktionsfrei. Idealerweise erreicht man diesen Zustand im Sag.
 

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Rahmendesign

8 Wochen später: Heute geröntgt. Das 3D-Puzzle in meiner Schulter wird so langsam wieder, aber an einer Stelle ist noch ein großer Spalt. Mist.

Jetzt kommt die kreative Phase. Erst mal probieren, mit Solids wird grob der Bauraum gecheckt, erste Flächen entstehen. Ein paar wichtige Bauteile werden schon in den Zusammenbau aufgenommen, damit früh Kollisionsprüfungen gemacht werden können: Räder, Kurbeln, Antrieb samt Kette in den extremen Gängen.

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Aus Drahtgeometrie werden Stück für Stück die 3D-Flächen generiert. Ebene oder zylindrische Flächen gibt es eigentlich nur an den Lagerstellen. Alles andere sind Freiformflächen.

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Wichtig ist mir, dass die Schwinge nicht so „angehängt“ aussieht, sondern sich ins Design integriert. Deshalb sind Hauptrahmen und Schwinge in einem Bauteil konstruiert und verwenden teilweise gleiche Flächen. Die Trennung erfolgt erst später.

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Die Schwinge fährt Schlangenlinien, denn es geht eng zu. Außen müssen die Umlenkrolle, dann die Kurbel und schließlich die Ferse vorbei. Innen will der Fatbike-Reifen viel Platz und hinten beanspruchen Antrieb und Bremse ihr Revier.

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Der Rahmen besteht durchgängig aus sehr großen Querschnitten. Das bringt viel Steifigkeit, sieht aber auch etwas klobig aus. Um das aufzulockern, noch ein kleiner Design-Gag: am Steuerrohr (und an der Schwinge) werden die Flächen etwas eingezogen, so dass mehrere Lichtkanten entstehen. Nach hinten laufen die Kanten tangential in die Fläche.

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Nun werden aus der Begeisterung noch ein paar Anbauteile grob nachmodelliert und der Zusammenbau vervollständigt. Mit den heutigen CAD-Programmen lassen sich geniale Visualisierungen zaubern: das sieht doch schon so aus, als könnte man sich draufsetzen:

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Aber frei nach Thomas Edison: ein neues Mountainbike besteht aus 1% Inspiration und 99% Transpiration …
 

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Formenkonstruktion und Fertigung

12 Wochen später: Mausi hat endlich auch ein Liegerad. Jetzt wird zu zweit Gas gegeben, ein Riesenspaß!

Jetzt also „Design-Freeze“: die Geometrie steht und es geht an die Formkonstruktion. Beim letzten Projekt hatte ich noch separate Formen für Hauptrahmen und Schwinge. Diesmal hatte ich den Ehrgeiz, alles in einer Form unterzubringen.

Durch geschickte Anordnung der Einzelteile ist es gelungen, alles in eine Aluplatte 800*470 zu packen. Das Schwingenteil ist durch ein großes Einlegeteil (grau, transparent) abgedeckt. Rot sind Harzkanäle und Vorratsbehälter dargestellt, grün die Einlegeteile für Tretlager, Steuersatz, usw. Um die Kavitäten läuft eine Ringnut (gelb), um die Form mit einer Rundschnur perfekt abzudichten. Unten rechts ist noch die Tasche für die Heizpatrone (pink) zu sehen.

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Fertig – jetzt können Späne fallen! Das Fräsen der Formen übernimmt ein Kumpel von mir – herzlichen Dank Rene!

Es ist nur eine kleine Modellbaufräse – die hat ganz schön zu arbeiten, bis der Aluklotz so aussieht wie auf dem CAD-Bild oben.

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FEM-Berechnung

16 Wochen später: Weihnachten steht vor der Tür. Wenigstens verpasse ich im Wald nichts – obwohl, mit dem Fatbike könnte man doch …

Während Rene nun wochenlang an der Fräse sitzt, kann ich mich dem nächsten Kapitel widmen: es müssen die Wandstärken und das Layup für die Carbon-Belegung ermittelt werden. Die Finite-Elemente-Methode (FEM) ist heute in der Industrie Standard und wenn ich nicht gerade meinem Hobby nachgehe, berechne ich damit Bauteile für alles Mögliche: Schienenfahrzeuge, Windkraftanlagen, Automobile. Cooler Job und sehr abwechslungsreich.

Aber zurück zum Thema: für eine FEM-Berechnung benötigt man im Wesentlichen drei Zutaten: Geometrie, Materialdaten und Lastfälle.

Die Geometrie wird erst einmal aufbereitet – sprich „vernetzt“. Sie wird in viele kleine Kästchen (finite Elemente) zerlegt, mit denen der Solver etwas anfangen kann. Die verschiedenen Farben kennzeichnen Bereich mit verschiedenen Wandstärken und Materialkennwerten. Lenker, Sattelstütze und andere Anbauteile, die für den Kraftfluss relevant sind, werden vereinfacht nur mit Balken dargestellt.

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Bei den Materialdaten wird es schon etwas schwieriger: einfach ins Tabellenbuch schauen funktioniert bei Carbon nicht. Zu speziell und komplex sind die Eigenschaften. Faserrichtung und Faservolumengehalt spielen eine Rolle – und vor allem: das Material ist nicht isotrop, d.h. die Eigenschaften sind richtungsabhängig. Idealerweise fertigt man Probekörper an und lässt diese in verschiedenen Richtungen testen. Meine Datenbank hat sich über die Jahre gut gefüllt und so kann ich hier aus dem Vollen schöpfen.

Zu guter Letzt noch die Lastfälle. Es gibt verschiedene kritische Szenarien, die der Rahmen schadlos überstehen soll. Maximale Pedalkraft im Wiegetritt, Vollbremsung vorn/hinten, Landung nach einem Sprung, um nur einige zu nennen. Für Lastfälle sind die EN 14766 und www.efbe.de eine gute Adresse.

Die Berechnungen sind sehr umfangreich, deshalb nur zwei Beispiele. Auf dem ersten Bild ist der Lastfall „Sprung“ zu sehen – insgesamt 6000N wirken auf das Tretlager, dabei darf kein Trennbruch auftreten (Schädigungen wären aber erlaubt). Der Hauptrahmen zeigt größere Bereiche mit einer Materialausnutzung von etwa 80%, eine kleine Stelle erreicht 100% - die Anforderungen werden erfüllt.

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Zweites Beispiel: eine Stabilitätsuntersuchung für den Lastfall Vollbremsung, wobei ich den Lastfall deutlich schärfer definiere, als es die Norm vorgibt. „Stabilität“ ist übrigens ein Begriff aus der Festigkeitslehre, der aber im allgemeinen Sprachgebrauch meist ganz anders interpretiert wird. Bei einem Stabilitätsversagen verliert ein Bauteil seine Tragfähigkeit, bevor das Material versagt. Aufgrund von Druckspannung weicht die Geometrie aus – einfaches Beispiel: eine leere Cola-Dose. Das Material könnte noch mehr, aber das dünnwandige Blech knittert und faltet sich zusammen.

Ähnliche Probleme gibt es häufig bei großen und dünnwandigen Strukturen. Beim Lastfall Vollbremsung wirkt ein großes Biegemoment auf das Steuerrohr und dabei werden hohe Druckspannungen hinter der unteren Lagerschale erzeugt – hier könnte die Struktur durch Ausbeulen versagen. Die Berechnung zeigt auch das erwartete Verformungsbild, aber der Lastfaktor ist größer als 2,5 – genügend Sicherheit also gegenüber einem Stabilitätsversagen.

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Innengeometrie

20 Wochen später: Neue Beschlusslage: ich bekomme Ultraschall, damit sich der verflixte Spalt im Schlüsselbein endlich schließt.

Basierend auf der FEM-Berechnung wird nun die Innengeometrie konstruiert. Bei mir geschieht dies „von Hand“. Besondere Module, die den Laminataufbau im CAD-Modell verwalten und auch an die FEM-Berechnung weitergeben würden diese Arbeit zwar erleichtern, sind aber sehr teuer. Und ein paar Offset-Flächen sind ja schnell gemacht. Hier sieht man die lokalen Verstärkungen im Steuerkopfbereich ...
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… und an der Bremsaufnahme.

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Aus den Daten wurden einfache Gießformen für die Wachskerne abgeleitet. Die muss Rene mal so dazwischenschieben.

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Wachskerne gießen

33 Wochen später: Endlich wieder auf dem Bike gesessen! Der Dok sagte „ok, Sport frei. Aber nicht stürzen!“. Drei Stunden später war ich mit blutigen Ellenbogen und einem dicken Grinsen wieder zuhause.

Genug der Theorie, jetzt geht es auch für mich in die Werkstatt!

Die Wachsformen sind fertig. Sie werden noch etwas nachbearbeitet und mit Trennmittel versehen, dann kann es losgehen. Das Wachs ist ein spezielles Modellbauwachs, das durch Füllstoffe eine sehr geringe Schwindung aufweist. Ein paar Lunkerstellen im Angussbereich lassen sich mit normalem Kerzenwachs ausbessern.

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Zwischenzeitlich stapeln sich in der Werkstatt schon viele nette Spielsachen:

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Ran an die Kohle!

36 Wochen später: Mausi ist bergab schneller als ich – oh Mann!

Endlich sind die Injektionsformen fertig. Die Oberfläche glänzt schön – super! Nur das Gewicht … komplett montiert sind das locker 100kg, deshalb hatte ich mir vorher schon einen Kran gebaut.

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Und nun wird es richtig spannend! Die Formen werden mit Carbon bestückt. Die Sichtflächen werden dazu mit Polyester-Gelcoat bestrichen. Nach ca. 1 Stunde ist das angeliert und die Deckschicht wird in die Form gelegt – durch das klebrige Harz funktioniert das fast wie bei Prepregs. Außerdem sorgt das Polyesterharz für den nötigen UV-Schutz, denn eine Lackierung wird es nicht geben.

Links unten ist das Schwingenlager zu sehen. Aufgefächerte Flechtschläuche sorgen hier für eine optimale Kraftverteilung in alle Richtungen.

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Die weiteren Carbonfasern werden trocken eingelegt. Der Sitzdom mit der Dämpferaufnahme besteht aus vielen Längsfasern (unidirektionale Gelege-Bänder) und ein paar Schichten 45°-Gelege für den Querkraftschub.

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Die großen Rohrquerschnitte werden aus mehreren Schichten Gelege hergestellt. Diese Zuschnitte werden versetzt aufeinander geklebt, so dass sich umlaufend eine „Treppe“ ergibt.

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Dieser Stapel wird in die Form eingelegt, der Wachskern hineingedrückt und der Stapel umgeklappt. Dabei finden sich die beiden „Treppen“ an den Enden – Schäftung nennt man das. Auf dem letzten Bild sieht man noch die Bremsaufnahme mit zusätzlichen Gelege-Schichten.

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Das sieht hier so einfach aus, aber trotz Vorbereitung der Zuschnitte am CAD habe ich fast eine Woche gebraucht, bis alles gepasst hat und die Form zu war. Falls ich einen zweiten Rahmen baue, würde es wahrscheinlich in der halben Zeit gehen, aber es bleibt einfach viel Handarbeit.

Damit die Form dicht ist und dem Injektionsdruck standhält, sorgen neun 12er Schrauben für den nötigen „Bumms“. Mit dem Schlagschrauber ist die Form ruck-zuck zu.

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Harzinjektion

38 Wochen später: Der Jahresurlaub rückt näher. Verflixt, ich schaffe es nicht mehr, das neue Baby fertigzustellen.

Die Form ist zu, jetzt müssen die trockenen Carbonfasern mit Epoxidharz getränkt werden. Eigentlich ganz einfach: die Luft muss raus, das Harz muss rein (habt ihr früher auch euren Physiklehrer geärgert: „wir tun da ein Vakuum rein“ – „NEIN!!! Wir holen die Luft raus!“).

Früher habe ich das mit viel Technik erschlagen, aber es geht auch einfach. Wichtig ist eine gute Vakuumpumpe mit geringem Restdruck (also keine Membranpumpe, sondern Drehschieber-Prinzip). Dazu ein Kompressor und ein paar Ventile.

Bevor es losgeht, muss die Form noch auf Temperatur gebracht werden. Ein Häuschen aus Styroporplatten dient als Isolierung und nach einer Stunde hat die Heizpatrone im Inneren der Form den großen Klotz aufgeheizt.

Ein Schlauch sorgt für den Harzzulauf, ein zweiter für die Druckregulierung. Mit den drei Absperrhähnen kann die Form mit Vakuum, Atmosphäre oder Überdruck versorgt werden. Dabei sorgt der Vorratsbehälter in der Form dafür, dass möglichst kein Harz in die zweite Leitung fließt (eine „Harzfalle“ ist trotzdem besser – Epoxy in der Vakuumpumpe macht sich nicht so gut).

Nur mit Vakuum ist der Eimer nach einer halben Stunde fast leergesaugt, dann wird abwechselnd mit Druck verdichtet und mit Vakuum weiteres Harz angesaugt. Irgendwann „steht“ das Harz und es lässt sich nichts mehr in die Form drücken – Feierabend für heute!

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Entformung

39 Wochen später: Ok, für den Urlaub wird es nix mehr mit dem neuen Bike. Naja, noch 3 Wochen länger vorfreuen (und ein wenig zittern, ob auch alles klappt).


Am nächsten Tag kann entformt werden. Deckel auf – jippie! Ich bin begeistert. Größtenteils jedenfalls. Durch das viele Probieren beim Belegen der Form hat es an einem Schwingenteil die Deckschicht etwas abgehoben – nur ein kleiner Schönheitsfehler.

Nun müssen die Einlegeteile entformt werden. Die meisten lassen sich mit wenig Aufwand ziehen, beim Sattelrohr hilft eine Gewindestange.
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Mit einer Feile wird jetzt vorsichtig der Bart von der Formtrennung entfernt. Diverse Löcher (Steuerrohr, Tretlager, usw.) werden aufgebohrt, dann ist der Rahmen fertig für den nächsten Schritt: das Wachs muss ausgeschmolzen werden. Bei ca. 70°C läuft das Wachs vollständig aus dem Rahmen, gleichzeitig erhält dieser seine endgültige Festigkeit.

Mit dem Gewicht bin ich sehr zufrieden: alle Carbonteile zusammen haben 2300g – geplant waren ca. 2200g. Insgesamt wiegt der Rahmen etwa 2700g ohne Dämpfer.

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Ein geiler Bericht! Super.
Hab ihn jetzt aus Zeitgründen nur überfliegen können, hab aber meine Feierabendlektüre für heute gefunden.
 
Endmontage

42 Wochen später: Urlaub war genial. Zwar ziemlich nass, aber viel Spaß gehabt. Seit langer Zeit habe ich das erste Mal wieder den Downhiller ausgeführt und mit dem Enduro S3-Trails geknackt.

Bevor es mit der eigentlichen Endmontage losgehen kann, muss erst der Rahmen komplettiert werden. Zahlreiche Drehteile für Radaufnahme, Dämpfer- und Schwingenlager sind zu fertigen. Hier die Schwingenlager und die Steckachse dazu. Die Lager sind beidseitig gedichtete Nadellager mit einer Tragzahl von ca. 10kN - die halten ewig.

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Die Nadellager für die Schwinge werden in den Hauptrahmen gepresst.

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Das ist natürlich keine Presspassung aus dem Lehrbuch. Ein spezieller Lagenaufbau ist nötig, damit das auch bei Carbon funktioniert: umlaufende Fasern im Inneren nehmen die Ringspannung auf. Carbon (genauer: "carbonfaserverstärkter Kunststoff") besteht eben zum Teil aus Kunststoff, und der neigt bei großen, ständig wirkenden Lasten zum Kriechen. Mit der Zeit würde also die Pressung ihre Spannung verlieren - aber durch die umlaufenden Fasern wird das verhindert. Trotzdem funktioniert das Lehrbuch noch nicht: das Dehnungsverhalten ist deutlich anders als bei bekannten Stahl-Stahl-Passungen und die Toleranzen müssen entsprechend angepasst werden.

Tretlager und Steuersatz sind in gleicher Weise eingepresst:

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Die Gabel ist auch schon gekürzt und eingebaut. Hinter dem Vorbau das Loch für die innenverlegten Leitungen. Der Blumendraht wartet schon darauf, die Leitungen durch den Rahmen zu ziehen.

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Hier sieht man die Bremsaufnahme mit Quicksert-Gewindeeinsätzen. Ich bin kein Fan von Adaptern, und weil sowieso nur eine 200er Bremsscheibe in Frage kam, habe ich auch gleich die Bremsaufnahme passend konstruiert.

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Hinterrad und Schaltwerk sind montiert. So ein edles Bike und dann eine NX-Schaltung? Entschuldigt mal den Frevel - die Eagle ist schon bestellt ;-)

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Knapp, aber es geht. Hier habe ich bei der Konstruktion um jeden Millimeter gekämpft. Einerseits braucht man genug Luft, um trotz Toleranzen und elastischer Verformung keine Kollision zu riskieren. Andererseits will man den Schwingenquerschnitt so groß wie möglich machen, denn das bringt Steifigkeit.

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Das Cockpit wird bestückt. Die neuen MT7-Hebel inkl. der Griffweitenverstellung passen mir perfekt. Ein Bremshebelmix a la Shigura ist für mich kein Thema. Netter Gag: die vordere Bremsleitung wird durch den Gabelschaft verlegt, das wirkt aufgeräumter. Erleichtert wird das durch einen Steuersatz von Acros, der ohne Kralle auskommt. Stattdessen wird die Spannung zwischen Vorbau und Lager durch zwei Keilscheiben aufgebaut.

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Ich hatte zu Mausi schon gesagt: "jetzt muss ich schnell fertig werden, sonst kommt wieder ein neuer Standard und es passt nix zusammen." Und bei der Sattelstütze hat es mich dann erwischt. In der Planung hatte ich noch eine 150er Reverb. Bauraum, minimale Einstecktiefe, alles ok. Dann kam die neue mit 170mm und ich bekam leuchtende Augen - die muss es sein. Im CAD nachgemessen - ok, passt rein. Und jetzt? Die Stütze passt auch rein, nur die Kupplung mit dem unaussprechlichen Namen nicht. Verflixt!

Erst mal die Kupplung entfernt und die Leitung direkt angeschlossen. Immer noch zu lang, die Leitung kollidiert mit dem Schwingenlager. In meinem Lager finde ich noch ein superkurzes Anschlussstück von einer alten Reverb - passt, puh!

Aber da werden auch ungute Erinnerungen wach: jedes Mal wenn ich das Bike im Sommer im Auto transportiert hatte, war Entlüften fällig. Der alte Anschluss war nur gesteckt und entsprechend anfällig. Also noch eine kleine Schelle gebastelt - fertig!

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Probefahrt

Ich bin wieder da! Heute mit Mausi den alten Hometrail abgeritten. Alle Sprünge mitgenommen – mit dem neuen Bike! Ich bin wie besoffen :hüpf:


Nach fast neun Monaten ist es soweit: die letzte Schraube ist angezogen, die letzte Speiche gespannt und die letzte Hydraulikleitung entlüftet. Los geht’s!

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Ich kann nur sagen: traumhaft. Mir passt das Bike wie ein Handschuh. Die Federung arbeitet supersoft, kein Bremsnicken und obwohl LSC/LSR relativ weit offen sind gibt es fast kein Wippen – besser hätte ich es mit einem Viergelenker auch nicht hinbekommen, und einen Climb-Switch brauche ich auch nicht.

Bei der ersten Ausfahrt hat mich noch die Kette genervt, denn auf dem blanken Carbon klapperte sie im Wurzeltrail ganz schön. Mit einem kleinen Stück Lärmschutzmatte ist Ruhe.

Der Hinterreifen erzeugt Traktion, dass es eine wahre Freude ist – Fatbike eben.

Und das Gewicht? Hier eine Liste:

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Vielleicht finde ich irgendwo noch ein paar Gramm, damit eine „13“ vorn steht, aber so wirklich dringend ist mir das nicht. Bergauf ist das Bike keine Rakete, aber für meine Anforderungen völlig in Ordnung. Bergab ist der Spaß dafür umso größer!

Zum Schluß noch ein paar Bilder:
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Das Popcorn ist bestimmt schon lange alle. Vielen Dank, dass ihr trotzdem bis jetzt durchgehalten habt!


Viele Grüße

Onkel_Bob

Happy End :)
 

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Absoluter Oberhammer!!
Ich musste den Fred 4 mal neu laden, ich habe sozusagen live mit gelesen. Spannend!!

BdW, ich hoffe, die Bewerbung ist schon geschrieben??
 
:daumen:
da bin ich fast sprachlos. ne menge know-how und ne menge schöne werkzeuge haste da zur hand.

wie groß ist der rahmen und wann kann ich bestellen?
 
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