Carbon-Felgen ja oder nein? Die Laufräder sind wohl die Teile am Rad, die neben den Reifen am meisten gefordert sind. Daher sollten sie in der Lage sein, einiges wegzustecken. Wie viel Arbeit in die Entwicklung von stabilen Laufrädern fließt, ist im Vergleich zu anderen Teilen am Rad aber häufig wenig sichtbar. Auch die Herausforderungen, vor denen man als Hersteller in diesem Bereich steht, sind nicht unbedingt offensichtlich. So hat man es nicht nur mit Trends wie breiteren Felgen und Carbon zu tun, auch kleinere Entwicklungen wie Procore und die gewaltige Vielfalt an Reifen sorgen für Herausforderungen.
Ein Laufrad darf nicht kollabieren: UCI-Vorschriften und Realität
Im Hauptquartier von DT Swiss in Biel wurden wir von Andreas Tschanz (Project Engineer, seit 2008 für Felgenentwicklung zuständig), Stefan Spahr (Leiter Laufräder, Naben, Speichen seit 1995) und Marek Meili (zuständig für Carbon-Felgen seit 2015) empfangen. Für Gesprächsstoff sorgte zunächst vor allem das Thema Carbonfelgen. Unser Test-Team hat schon für zahlreiche zerstörte Carbonfelgen gesorgt, sodass einige unserer Testfahrer von Kohlefasern im Bereich Laufrad schon nicht mehr überzeugt sind. Vor allem, da bei Jens ein kollabierendes Carbon-Vorderrad für einen heftigen Sturz sorgte.

Für DT Swiss spielt neben der Belastbarkeit bis zum Defekt auch die Reststeifigkeit des Laufrads nach einem Defekt eine große Rolle – nach einem Bruch des Felgenhorns muss die strukturelle Festigkeit noch gewährleistet sein, sodass der Fahrer kontrolliert zum Stehen kommen kann. Die Schweizer gehen noch einen Schritt weiter und stellen die Vorgabe an sich selbst, dass der Fahrer nach einem sichtbaren Schaden an der Felge noch sicher bis nach Hause fahren kann.
„Ein tolerantes und langsames Versagen ist wichtig.“ – Andreas Tschanz, Felgenentwicklung DT Swiss
Die Anforderung, dass ein Laufrad nicht kollabieren darf, geht auf eine UCI-Vorschrift aus dem Rennrad-Sport zurück, die nach zahlreichen Unfällen aufgrund versagender Carbon-Laufradsätze mindestens 16 Speichen und bestandene Impact-Tests fordert. Diese Tests wurden von DT Swiss für die UCI mitentwickelt und werden auch in den dortigen Testlabors durchgeführt – es werden also auch Produkte von Mitbewerbern getestet. Der Test entspricht im Grunde einem „Flat Drop“: ein flacher Stahl-Amboss wird auf die Felge fallen gelassen, wobei Amboss und Felge durch ein 20 mm dickes Gummi-Pad voneinander getrennt sind. Der Amboss trifft zwischen zwei Speichen auf die Felge – die Höhe aus der er herabfällt wird so angepasst, dass immer die gleiche definierte Energie wirkt. Nach dem Test dürfen keine äußeren Schäden an der Felge sichtbar sein und das Laufrad darf sowohl lateral als auch radial nicht mehr als 1,0 mm Schlag haben.
Skalierung des Impact-Tests für MTB
DT Swiss erhöht die Lasten aus diesem Test für die Prüfung von Mountainbike-Laufrädern. Vorgabe bleibt, dass das Laufrad nach dem Einschlag keine Schäden zeigen darf. In der Praxis darf das Laufrad nicht kollabieren, sodass der Fahrer das Rad noch sicher zum Stand bringen kann. Da es für den Mountainbike-Bereich keine eigenen Normen gibt, setzt DT Swiss auf weitere eigene Testprozedere, die kontinuierlich an die im Feld auftretenden Lasten angepasst werden. Auch nutzt DT Swiss die große Erfahrung aus dem Alu-Felgenbereich, um anhand der plastischen Verformung (Dellengröße) im Extremeinsatz die Testparameter festzulegen, damit man diese unter Laborbedingungen reproduzieren und auf Carbon-Felgen anwenden kann.

Das Schwierige bei Carbon ist, dass Schäden für den Kunden nicht unbedingt sofort sichtbar sind – Schäden können beispielsweise auch bei der Tubeless-Montage entstehen, wenn zu viel Druck auf die Felge wirkt. Der sichtbare Schaden kann dann erst später bei der Belastung auf dem Trail auftreten. Doch ein Carbon-Laufradsatz gehört zur Auswahl eines großen Laufradherstellers mittlerweile einfach dazu. Das Wichtigste bleibt, den richtigen Kompromiss aus Gewicht und Stabilität zu finden. Es ist möglich Carbonfelgen zu bauen, die noch deutlich stabiler sind – dann liegt das Gewicht aber wieder auf dem Niveau von Aluminium-Felgen. Es gibt bei Carbon-Felgen eben gewisse Probleme, weswegen DT Swiss sie aktuell auch nicht in jedem Bereich einsetzt.
„Unser Anspruch ist, dass ein Rad weit über die gesetzliche Gewährleistung hält und problemlos fahrbar ist.“ – Friso Lorscheider, Public Relations, DT Swiss
Aus diesem Grund gibt es die Carbonfelgen von DT Swiss auch nicht einzeln zu kaufen. Warum? Ein Laufrad ist ein komplexes Bauteil, bei dem es wichtig ist, wie die einzelnen Komponenten miteinander arbeiten. Nur wer die Kontrolle über jedes Bauteil hat, kann gewährleisten, dass das Laufrad optimal funktioniert.

Alle Felgen müssen zu allen Reifen passen
Viel Arbeit und etwas Schwierigkeiten bereitet aktuell die ETRTO-Empfehlung. Die „European Tyre and Rim Technical Organisation“ macht Vorgaben zu der Schnittstelle zwischen Reifen und Felge. Doch sind diese Vorgaben ziemlich veraltet, Felgenbreiten über 25 mm sind daher kaum abgedeckt. Daher können sich die Felgenhersteller nicht mehr wirklich daran orientieren und halten. Natürlich werden die Felgen in Verbindung mit möglichst vielen verschiedenen Reifen getestet, doch es ist schwer, als Felgenhersteller alle Reifenmodelle in Kombination mit allen Felgen zu abzudecken. Für zusätzliche Herausforderungen sorgt der Trend zu Tubeless-Aufbauten, da einige Reifenhersteller damit werben, dass man grundsätzlich jede Felge mit ihren Reifen tubeless fahren kann. Auch dass mit weniger Luftdruck gefahren wird, kann das zu Problemen führen – zum Beispiel dem bekannten Burping.
„Der Hersteller ist verantwortlich den Kunden über sein Produkt zu informieren (Manuals, Warnaufkleber etc) – Die ‚Informationspflicht‘ liegt beim Händler.“ – Friso Lorscheider, Public Relations, DT Swiss
Leichter Trail-Einsatz oder hartes Enduro-Race? Das entscheiden die Bike-Hersteller
Weiterhin ist es schwierig zu kontrollieren, welche Laufräder die Hersteller in welchen Bikes verbauen. Wenn zum Beispiel von einem Bike-Hersteller aus Gewichtsgründen ein Laufradsatz, der für leichten Trail-Einsatz gedacht ist, in einem Bike verbaut wird, das auch für hartes Enduro-Fahren beworben wird, hat man als Laufradbauer hier wenig Einfluss. Ebenso kann DT Swiss nicht 100% kontrollieren, wie gut die Kunden vom Händler informiert werden. Viel mehr als entsprechende Anleitungen, Warnaufkleber und Informationen auf der Webseite zu liefern, kann man als Hersteller nicht tun. Teilweise unterschreiben die Bike-Hersteller Erklärungen, die Laufräder innerhalb der vorgegebenen Spezifikationen einzusetzen – jedoch nicht alle.
Weiterhin verbauen die Bike-Hersteller häufig den gleichen Laufradsatz sowohl in XS als auch in XL Rahmen – jedoch ist ein Laufradsatz, der für 60 kg schwere Fahrer gut funktioniert nicht immer die richtige Wahl für einen Fahrer mit über 100 kg.
DT Swiss setzt bei Einsatzbereich-Vorgabe auf die „ASTM Riding Styles“. Diese ergeben zusammen mit dem maximal zulässigen Systemgewicht die „Worst Case“-Anwendung für ein Produkt. Auch in diesem Einsatz muss ein DT Swiss Produkt über die Gewährleistungsfrist hinaus sicher und zuverlässig funktionieren.
Fotostory: Hier wird getestet!







Weitere Informationen
Weitere Informationen: www.dtswiss.com
Text & Redaktion: Sebastian Beilmann | 2017
Fotos: Jens Staudt
18 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumDiese ganze Kategorisierung von Laufrädern, wann für welchen Einsatzzweck zugelassen etc.... Das ist doch nur was für Leute die sich absolut strikt daran halten. Ich kenne Leute, die auf CC-Bikes unterwegs sind und trotzdem mal auf nen Trail fahren und nen kleinen Sprung oder so mitnehmen. Wenn ich da dann Angst haben muss, dass mir das super-teure Carbon-Laufrad wegbricht, stimmt doch was nicht oder? Für mich sind Carbon-Felgen was für Leute mit dem nötigen Kleingeld, die das dann vor die Eisdiele fahren oder die Felgen einfach alle 8-10 Wochen austauschen. Alle anderen haben doch auf Dauer keinen Spaß mit sowas oder? Klar, Alu geht auch mal kaputt oder zerdellt. Aber das kostet dann wenigstens nicht soviel und mit ein paar Dellen kann man ja im Zweifelsfall noch fahren, wenn auch nicht tubeless.
Kleine Formfehleranmerkung: Der Head of Wheels heißt Stefan Spahr, nicht Spor.
Mein Senf zu Carbonfelgen - da, wo Felgen ein Verschleißgegenstand sind, hat Carbon den großen Nachteil, dass man als Nutzer eben nicht sieht wann es soweit ist sie auszutauschen. Jeder Downhiller, der eine Felge wie die Flow fährt, weiß, dass die nicht ewig halten wird. Und wenn man die Felge so dimensionieren würde, dass sie quasi ewig hält würde sie keiner mehr kaufen weil sie zu schwer ist. Bleibt noch der Einsatz im Bereich, in dem die Felge normalerweise nicht kaputtgeht. Und da fahre ich beispielsweise die XMC 1200 auf dem Hardtail seit ungefähr einem Jahr regelmäßig auch auf gröberen Trails ohne Probleme. Kleines Schreckszenario hatte ich, als sich auf einem gröberen Trail bei 30km/h+ der Vorderreifen aufgeschlitzt hat und ich bis ich zum Stehen kam noch ca. 50m Trail auf der Felge fahren musste. Aber auch hier hat die Felge nichts abbekommen.
Also: Gut überlegen was man braucht und dann entscheiden ob es wirklich CFK sein soll (muss).
Dass manche Hersteller ihre Top Modelle mit teurem CFK LRS anpreisen, der evtl. nicht geeignet ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Carbon verschleisst aber nicht, wenn man die Lastgrenzen nicht überschreitet. Das Alu wird "alt", Carbon nicht. Ich weiß was Du meinst, aber solange du keine Durchschläge fährst, hält ne Carbonfelge theoretisch ewig. An ner Alufelge kommen irgendwann die Nippel oben raus, selbst wenn sie nicht überlastet, sondern nur im Betrieb nachgespannt wird. Dauert auch einige Jahre...
Ist nur ne Frage der Zeit, wenn aus China Carbonfelgen wie die von MCFK kommen... und dann argumentierst du nochmal gegen Alu, wenn doppelt so steif und um die Hälfte leichter kein Argument ist
Hast Du Dich mit den Kategorien mal auseinandergesetzt? Ein CC-Rad sollte - wenn der Hersteller keinen Unfug treibt - da in die Kategorie 3 fallen. Da sind Sprünge bis 60cm drin, Kategorie 4 - wo viele Enduros drinstecken - beschreibt hier Sprünge bis 1,22 m . Außerdem werden Angaben zu Geschwindigkeiten und der Geländecharakteristik gemacht. Es gibt keine Vorschrift wie diese Klassifizierungen anzuwenden sind, naheliegender Missbrauch ist aber immer einzuschließen.
Wenn ich mein Produkt für Kategorie 4 und ein Fahrer-/Systemgewicht von 120kg freigebe muss der Scheiss mehrfach halten und bestenfalls immer Sicher sein wenn der Typ mit 120 kg (105kg bei Systemgewicht + 15 kg Bike) im Gelände aus 1,22 m mit beschissener Fahrtechnik ins Flat dropt...
Eine heutige CC-Strecke (Rennen) ist auch meilenweit von Forstweggeballer entfernt, da werden passagenweise viele Leute auf modernen Enduros ins Schwitzen kommen... Alles was seriös getestet ist und für CrossCountry beworben bzw. verkauft wird sollte schon einiges wegstecken. Wenn allerdings keine systematisch Entwicklung dahinter steckt, oder ein Hersteller nur nach Norm (ISO 4210 oder DIN EN 14766) steigt die Chance halt, dass die Komponenten irgendwann kaputt gehen*.
Der Hersteller/ Händer** ist VERPFLICHTET dem Kunden verständlich klarzumachen was er mit dem Bike/ der Komponenten machen darf und was nicht (bestimmungsgemäßer Gebrauch). Hier zählt auch nicht nur was in der Anleitung steht, sondern eben welcher Eindruck beim Kunde entsteht. In erster Linie sind die Kategorien also was für den Hersteller, dem Kunden bieten Sie eine Orientierung. Mit den Kategorien haben die Hersteller ein gutes, relativ einfaches, Werkzeug mit dem Sie dem Kunden kommunizieren können was mit den Bikes machbar ist und was nicht. Das ist aus meiner Sicht auch wesentlich klarer als Worthülsen wie "CrossCountry", "AllMountain", "Enduro" oder "Downhill".
Grüße,
Jan
* Bei vielen Tests hat sich solangsam die Erkenntnis durchgesetzt, dass die reinen Normprüfungen kein garant dafür sind, dass die Teile auf dem Trail halten.
** Genaugenommen der Händler, der wälzt es in der Regel aber auf den Hersteller ab, was rechtlich auch nicht immer wasserdicht ist.*
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