Ausprobiert Getriebe-Bikes von Nicolai

Titelbild

Beim Nicolai Season Kick-Off bot sich Dank dem hier im Forum aktiven BikeBauer die Möglichkeit, die beiden momentan einzigen funktionellen* Getriebe-Konzepte zu erfahren – auf der Downhill-Strecke des Bikeparks Winterberg fuhren wir die G-Boxx 1 und G-Boxx 2, verbaut in den Nicolai Bikes Nucleon AM und Ion GBII.

G-BOXX I

Die Idee hinter der Gearboxx Nummer 1 ist, die Vorteile der Rohloff Speedhub zu nutzen und ihre Nachteile auszumerzen. Vorteile der Nabenschaltung: Wartungsarmut, Übersetzungsbandbreite, Schalten im Stand und ohne zu treten. Die Nachteile fallen vor allem bei vollgefederten Fahrrädern ins Gewicht: Durch das relativ hohe Gewicht in Hinterrad liegt der Schwerpunkt ungünstig, die ungefederte Masse ist hoch, wodurch die Hinterbau-Funktion geschmälert wird. Außerdem muss ein Kettenspanner verwendet werden, der die Einfachheit wieder beeinträchtigt.

Die Lösung: Statt die Nabe im Hinterrad zu verbauen, verlegt man sie – und damit den Schwerpunkt – in den Rahmen selbst. Über eine Primärkette wird die Nabe angetrieben, die übersetzte Antriebskraft wird dann über eine zweite Kette ans Hinterrad übertragen. Der Clou: Dadurch dass Drehpunkt und Nabenzentrum aufeinander liegen, kommt es beim Einfedern zu keinerlei Kettenlängung, Antriebseinflüsse sind ausgeschlossen. Die ungefederte Masse am Hinterrad ist Minimal, da weder eine Kassette noch eine Schaltung dort montiert werden müssen. Trotzdem nutzt man die volle Übersetzungsbandbreite der Speedhub, die einer 3-Fach Kettenschaltung ziemlich nahe kommt. Abgerissene Schaltwerke gehören genau so der Vergangenheit an wie schlecht eine springende Kette oder eine schlechte Kettenlinie.

Das Problem dabei: Primär- und Sekundär-Kette können kaum auf der gleichen Seite laufen. Versetzt man die Kette aber auf die linke Seite der Hinterradnabe, kommt diese in Konflikt mit der Scheibenbremse. Nicolai löst das Problem mit der KORE-Nabe, bei der die Kette links und die Bremse rechts sitzen. Um trotzdem normale Bremssättel verwenden zu können, ist eine eigene Abstützung nötig, die zwischen Speichen und Scheibe sitzt – hierdurch wird der Hinterbau zu einem Stück Maschinenbaukunst und hat eine Einbaubreite von über 165mm. Genial: Beim Radausbau verleiben Scheibe und Ritzel im Rahmen, nur das eigentliche Laufrad wird ausgebaut.

Genug der Theorie, ab auf den Trail:

Das Nucleon AM soll ein All-Mountain-Bike sein, doch wie auch beim Helius interpretiert die Firma aus Lübbrechtsen dieses Kürzel etwas anders als der Rest der Bike-Szene, nämlich wörtlich: Der ganze Berg – und da gehören neben steilen Rampen auch wirklich heftige Abfahrten dazu, die die riesige Bodenfreiheit eines Getriebebikes ausnutzen. Deshalb federt an der Front eine Rock Shox Lyrik DH, die sich langsam aber sicher zur Referenz in Sachen Leicht-Freeride-Gabeln mausert. Ihre 170mm harmonieren gut mit den ca. 160mm am Heck, die von einem Rock Shox Monarch kontrolliert und über eine mehrgelenkige Abstützung angelenkt werden. Das Bike beschleunigt in der Ebene vernünftig, auch wenn die Geräusche, die eine Rohloff in manchen Gängen macht, zunächst ungewohnt sind, ebenso wie der Drehgriff-Schalter, der aber große Gangsprünge erlaubt und nicht zu viel Umdrehung benötigt. Sobald es aber bergab geht, macht das Nucleon richtig Spaß. Leichtfüßig lässt es sich von Kurve zu Kurve bewegen, das Fahrwerk bügelt satt und über allem liegt eine ungewöhnliche Ruhe, denn keine Kette klappert. Bergauf geht das Nucleon AM. Es geht. Nicht wie ein Rennpferd, sondern eher gemütlich. Die liegt freilich aber auch an dem gewählten Aufbau, der auf eine absenkbare Gabel verzichtet und durch den kurzen 50mm Vorbau wenig Druck aufs Vorderrad bringt. Sitzposition und Übersetzung scheinen mir aber durchaus auch für lange Anstiege geeignet. Bergab fährt sich das Rad wie ein 15kg Bike mit genialer Schaltung und Federung. Bergauf spürt man das wahre Gewicht von 17,1kg schon eher, denn dem Berg ist es egal, wo der Schwerpunkt liegt.

Fazit:

Die G-Boxx 1 ist nicht nur theoretisch eine geniale Erfindung, die alle Vorteile einer Nabenschaltung nutzt und dabei jeden sonst bekannten Nachteil ausmerzt. Leider schafft sie sich dabei (noch) einen neuen Nachteil, nämlich den breiten und schweren Hinterbau. In diesem Aufbau hätte das Rad eher das Kürzel FR als AM verdient, doch mit abgesenkter Gabel und längerem Vorbau ist AM durchaus ernst zu nehmen.

G-BOXX II

Das Ion G-Boxx II war nur dank dem Nicolai-verrückten Bikebauer auf der Saisoneröffnung und dem Dirtmasters zu sehen, der Kundenkreis ist homöopathisch. Bei diesem Getriebe handelt es sich um eine Eigenentwicklung von Universal Transmissions, sprich, Kalle Nicolai. Es ist speziell für den Downhill-Rennsport konstruiert worden, was bedeutet: Nur 7 Gänge mit einer deutlich geringeren Übersetzungsbandbreite als eine Rohloff oder ähnliche Nabenschaltungen, eben nur der bergab nötige Bereich. Wo jetzt der Vorteil liegt? Beim Schalten selbst.

Genau wie bei einer Nabenschaltung im Rahmen kann im Stand und ohne zu Treten geschaltet werden. Was die G-Boxx II aber erheblich besser macht, ist Schalten unter Last. Der Grund hierfür ist die grundsätzlich andere Bauart: Statt vielen Zahnrädern, die ineinander greifen und verschoben werden, liegen im inneren der Getriebebox sieben Ketten parallel zueinander auf unterschiedlich großen Ritzeln. Welche Übersetzung gerade greift, entscheiden magnetisch angesteuerte Sperrklinken im inneren. Das geht blitzschnell und absolut präzise nach dem Pull-pull-Prinzip. Der einzige Haken an der Sache: Die Ketten können nicht alle exakt gleich gespannt werden und bringen einiges an Gewicht mit. Außerdem ist die Übersetzung so gering, dass der Sekundärtrieb nochmals übersetzt werden muss. Die Konsequenz daraus ist, dass sich trotz einer Gleichlage von Drehpunkt und Ritzelmitte beim Einfedern Antriebseinflüsse ergeben. Diese hat man für die Saison 2010 beim Nicolai Ion G-Boxx II durch einen Horst-Link eliminiert, die zugleich noch die Bremseinflüsse minimieren, Kehrseite der Medaille ist aber, dass das nicht vermisste Kettenklappern zurück auf die Strecke kommt.

Das Bike: Schon im Stand sieht dieses Fahrrad schnell aus, es macht klar, dass Downhill die Formel 1 des Radsports ist. Mit seiner Kettenumlenkung, seiner Getriebebox und den potenten Dämpfungselementen wirkt das Rad wie Rallyboliden auf dem Höhepunkt der Entwicklung, technisch, der Audi S1 unter den Downhill-Rädern, nur der Allradantrieb fehlt noch. Die Frage, die sich hier nicht nur Gelegenheitsradler stellen: Wird je ein Mensch so etwas brauchen, und wenn ja – wann wird er geboren?

Und ich gebe all den Zweiflern recht: Zwingend nötig ist das nicht. Aber beeindruckend alle mal. So nah war man der Perfektion noch nie. Antrieb, Bremsen und Federung arbeiten völlig unabhängig voneinander. Der Schwerpunkt – nahe am Optimum. Die Schaltperformance – ein Traum. Wer je den magnetisch gerasterten Drehgriff der G-Boxx II betätigt hat, wird alle anderen Drehgriffe bemitleiden.

Ein ganz kurzer Fahreindruck: Unglaublich. Das Fahrrad bügelt, was das Zeug hält, läuft unglaublich ruhig geradeaus, erstaunt in Kurven aber dennoch durch sein Handling. Aufgepasst beim Sattel einstellen, das Hinterrad kommt in der 230mm Position ziemlich weit hoch – 200mm reichen aber definitiv auch.

Fazit:

In Sachen Gewicht und Preis ist auch die G-Boxx II noch weit von der Massenkompatibilität entfernt. Dennoch freue ich mich über derartige Innovationen, sie stellen für mich Ingenieurskunst, Exklusivität und einen Blick in die Zukunft dar.

*Die Suntour V-Boxx soll nach massiven Startschwierigkeiten inzwischen ebenfalls funktionieren. Bei einer Testfahrt in Winterberg hatte ich folgenden Eindruck: Viel zu große, unregelmäßige Gangsprünge, ein für den Einsatzzweck zu großer Übersetzungsbereich und leider nicht G-Con-kompatibel. Außerdem stark mahlende Geräusche und kein Schalten unter Last, dafür aber im Stand und ohne zu treten.

64 Kommentare

» Alle Kommentare im Forum
  1. ich schon, sogar gern. und sogar lieber als die 125ten news über die brandneue innovation nicolai getriebe bike.
    hat sich seit 2003 was daran getan? wann bin ich gezwungen sowas zu kaufen weil alle überzeugt wurden und es nix anderes mehr gibt?
    Ich dachte, das wären nicht die 125ten news, sondern der 25te Fahrbericht. Egal.
    Was hat sich an anderen Rädern getan? Da halten sich Innovationen ebenso in Grenzen, teilweise sind nur Komponeten verändert und sie tauchen wieder in Tests und Fahrberichten auf. Das Rad wird nicht täglich neu erfunden.

    Zum 4Gelenker wurdest du von der maffiösen Verbindung Industrie/Zeitung/Netz anscheinend schon gezwungen, Getriebe kann auch nicht mehr lange dauern.
  2. rigger
    Dabei seit 04/2003
    eine weitere nullnummer wie die b-boxx?

    Hast du die B-box schon mal gefahren? Dioe ist bestimmt kene nullnummer, Kalle Nicolai hat nur keine Geldgeber für die Produktion der B-box gefunden. Es ist glaube ich auch schwer sich im moment gg die Hammerschmidt durchzusetzen, daher wahrscheinlich auch keine Geldgeber.
    Ich würde mein unternehmen jedenfalls nicht für so sowas aufs spiel setzten.
  3. der test war im mai 2010

    im dezember 2010 ist eines klar, die g-boxx 2 war so super, dass die produktion schon im sommer eingestellt wurde

    und beim nucleon am, ist es schon lustig, dass oben geschrieben wird
    "Dadurch dass Drehpunkt und Nabenzentrum aufeinander liegen, kommt es beim Einfedern zu keinerlei Kettenlängung, Antriebseinflüsse sind ausgeschlossen (das ist auch theoretisch falsch stichwort impuls). Die ungefederte Masse am Hinterrad ist Minimal, da weder eine Kassette noch eine Schaltung dort montiert werden müssen."

    unter fazit steht dann "die alle Vorteile einer Nabenschaltung nutzt und dabei jeden sonst bekannten Nachteil ausmerzt. Leider schafft sie sich dabei (noch) einen neuen Nachteil, nämlich den breiten und schweren Hinterbau."

    ja was denn jetzt entweder sind die ungefederten massen gering oder nicht, beides geht nun mal nicht gleichzeitig

    fakt ist in der praxis funktioniert der hinterbau als antriebsnbeutral einfach nicht, das ist nur in vereinfachten theoretischen lastsimulationen möglich, praktisch überlagern sich aber viele lastfälle und da ist der hinterbau einfach nicht antriebsneutral (manche haben da einfach noch nie was von impuls gehört)
    warum braucht man denn sonst die selbe hinterbaukinematik wie bei herkömmlichen rädern (wo schwingendrehachse und antriebsache nicht zusammenfallen) und die selben drehpunkte und noch dazu wird von der firma nicolai einer der kompliziertesten dämpfer empfohlen, der cane creek double barrel, bei dem man alles einstellen kann, zug- und druckstufe in highspeed und lowspeed

    als fazit kann man eher schreiben, dass bei all den getriebbikes kaum ein vorteil (kette schlägt kaum an die kettenstrebe) umgesetzt werden konnte, und viele nachteile, die schon längst gelöst sind wieder neu eingeführt wurden (hohes gewicht, nicht wartungsfreundlich (will man das öl der rohloff wechseln, muss man das halbe bike zerlegen), schlechte übersetzung, die nicht angepasst werden kann, schalten unter last sehr schwergängig, ungünstiger drehgriff im freeridebereich, schlechte ersatzteilversorgung, welcher händler hat denn die teile schon auf lager, schlechte dichtung und somit keine wirkliche abkapselung des primärantriebes und des sekundärantriebes schon gar nicht, man ist auf ganz spezielle kurbeln und tretlager angewiesen, sehr problematisch, hoher q faktor bei den kurbeln, schlecht für die kraftübertragung, rennradprofis wollen nicht umsonst einen niederen q-faktor usw usw usw)

    und dann das märchen vom masseschwerpunkt der tief liegt und man deshalb gut bergauf fahren können soll, warum soll man aufgrund eines niederen schwerpunktes überhaupt besser bzw leichter bergauf fahren können, ein niederer masseschwerpunkt hat nur einen vorteil man kann das bike bzw einen körper mehr schräg stellen ohne dass er umkippt, denn ein körper fällt erst um, wenn sein masseschwerpunkt nicht mehr innerhalb der grundfläche liegt, man kann den körper deswegen nicht leichter beschleunigen usw und berg auf bringt das nicht viel bei einem bike, eher beim bergab fahren, da nützt ein niederer scherpunkt was

    außerdem fährt ein bike nicht von alleine, es braucht auch noch einen biker, der bringt so ca. 60 bis 100 kg auf die waage, er ist also 3 bis 5 mal schwerer als das bike, somit verschiebt sich der gesamte masseschwerpunkt nach oben in richtung des bikers, je schwerer er im vergleich zum bike ist, desto höher liegt der gesamteschwerpunkt

  4. Hast du die B-box schon mal gefahren? Dioe ist bestimmt kene nullnummer, Kalle Nicolai hat nur keine Geldgeber für die Produktion der B-box gefunden. Es ist glaube ich auch schwer sich im moment gg die Hammerschmidt durchzusetzen, daher wahrscheinlich auch keine Geldgeber.
    Ich würde mein unternehmen jedenfalls nicht für so sowas aufs spiel setzten.

    da es die b-boxx nicht im handel gibt und sie es nicht zur serienreife geschafft hat, ist sie eine nullnummer, ganz egal wie sie funktioniert

    warum soll es schwer sein, sich gegen die hammerschmidt durchzusetzen? es gibt sicher genug leute, die ein hochwertigeres produkt (auch optisch) kaufen würden
  5. getriebebikes haben keinen vorteil, fullies haben keinen vorteil. bikes überhaupt haben keinen vorteil. ich werd bergläufer.

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