
Enduro-Abenteuer im Engadin
Scuol, ein ruhiger Kurort unweit des Reschenpasses, empfängt uns mit schroffen Gipfeln, steilen Hängen und endlosen Trails. Hier, zwischen wilden Bächen und alpinem Fels, trifft sportlicher Ehrgeiz auf das, was uns wirklich verbindet: die Freude am gemeinsamen Erleben. Für uns vier ist es mehr als nur ein Event. Wir sind alte Weggefährten aus den Tagen der Enduro World Series, haben zusammen unzählige Länder bereist und nun führt uns das Aventyr endlich wieder zusammen.
Aventyr; das heißt Abenteuer auf Rätoromanisch, der lokalen Sprache im Unterengadin.

Die Idee zum Event stammt von Arno Galmarini, Scuoler Local, Fitnesscoach und langjähriger Freund. Seine Vision: er möchte den Rennfahrer/innen die schönsten Trails seiner Heimat zeigen, die Region bekannter machen und eine geile Zeit unter Gleichgesinnten verbringen. Ein Enduro-Abenteuer-Rennen in den Schweizer Alpen, das hat es so noch nicht gegeben. Ganz klar, da wollen wir mit dabei sein.
Die erste Ausführung ist kleiner ausgefallen als angedacht – die kurze Vorlaufzeit hat zu wenig Anmeldungen geführt. Die auf zwei Tage herunter gekürzte Version ist nun der Aventyr „Prolog“. Doch Arno und sein Orga-Team sehen es positiv, als Chance, erste Erfahrungen zu sammeln, Feedback zu bekommen und im nächsten Jahr umso mehr durchzustarten. Der Vibe ist dafür umso besser: familiär, direkt und echt. Zwei Tage pures Mountainbiken verbunden mit viel Lachen, Adrenalin, etwas Laktat und einfach purer Freude am Trail-Spaß.

Auf Weltcup-Niveau bis ins Nachbartal
Der erste Renntag ist eine feine Reise von Scuol über den Ofenpass bis ins Val Mustair. Sie führt uns entlang des schönen schweizerischen Nationalparks und beginnt wie eine Klassenfahrt. Nachdem wir die Bikes auf die Shuttle-Anhänger geschnallt haben, steigen wir in einen kleinen Reisebus und werden entspannt von Scuol in das beschauliche Bergdorf S-charl geschaukelt. 13 km und 600 hm gibt’s somit spendiert. In dem Hochtal, das sich hinter S-charl öffnet, scheint die Zeit stillzustehen.
Wir schwingen uns auf Sättel und haben Zeit, uns auf dem schönen Schotterweg einzurollen und mit den anderen Mitradlern ins Gespräch zu kommen. Zum Warm-up gibt es gleich den längsten Transfer des Rennens, der mit traumhafter Kulisse und Abgeschiedenheit aufwartet. Der Fahrweg wird zum Trail, den man genussvoll schieben, aber auch fahren kann und der definitiv speziell mit Blick auf Bike-Tauglichkeit hergerichtet wurde. Das gibt es so wohl nur in der Schweiz.


Die Passhöhe ist atemberaubend und da der erste Teil der Abfahrt offen, flowig aber etwas ausgesetzt ist, startet die erste Wertungsprüfung erst weiter unten und wir nutzen das perfekte Gelände, um uns auch bergab noch etwas warm zu fahren und auch das Fahrgefühl zu akklimatisieren. In einem gigantischen Mega-Train schlängeln wir uns auf schmalen Pfaden entlang und stoppen nur kurz, um einen beeindruckenden Bartgeier aus nächster Nähe zu beobachten. Max ist bereits in seinem Fotoflow angekommen, sogar beim Racen ist die Kamera ein steter Begleiter. Als der Trail etwas enger und steiler wird, beginnt die Stage. Schmale Wegführung, überraschende Kehren und Kanten wecken uns endgültig auf. Mit großen Augen stehen wir am Ofenpass und freuen uns auf mehr Abfahrts-Action.
Aber erstmal Mittagspäuschen. Mit Bündner Brotzeit und frischem Obst. Ein paar neue Riegel packen wir uns für den Nachmittag auch noch ein, dann geht es weiter, denn Arnos Zeitplan ist getaktet wie ein Schweizer Uhrwerk und er hat ein volles Programm für uns vorbereitet.

Stage 2 beginnt flach und endet steil. Erst glühen die Schenkel, dann die Bremsen. Vorausschauendes Fahren bleibt weiter die wichtigste Tugend. Die Nachmittagshitze lässt den folgenden Anstieg länger und steiler erscheinen, als er eigentlich ist. Kurz vor dem Ende überrascht ein Brunnen mit kalten Getränken. Die „freiwillige Spende“ fällt vor Dankbarkeit hoch aus und s’Rivella erfrischt uns ganz wunderbar. Und endlich sind alle Höhenmeter geschafft und das Trail-Highlight des Tages steht kurz bevor. Die letzte lange Abfahrt ins Val Mustair wird in 2 Stages unterteilt. „Weltcup-Niveau“ hatte Arno in der Früh beim Briefing versprochen, mit dem breiten Grinsen und den leuchtenden Augen, mit denen er eigentlich jeden der Trails ankündigt. Und das zurecht.
Stage 3 fordert noch mal hohe Wachsamkeit für zuverlässige Navigation durch viele überraschende Richtungswechsel. Stage 4 ist dann extrem lang, schnell und steil. Ein alter Weg mit feinem Flow, gewürzt mit ein paar hektischen Spitzkehren. Ines ist zurück in ihrem Element. Nach ein paar Stages warmfahren, sind die 1,5 Jahre Enduro-Rennpause vergessen und sogar die Spitzkehren-Fähigkeiten kommen wieder zum Vorschein. Der Trail macht großen Spaß. Ein solches Enduro-Schmankerl nur einen Murmeltier-Hopser entfernt von unserem Allzeit-Favoriten-Tal Vinschgau vorzufinden, das freut uns sehr. Wiederkehr garantiert.

Zum gemeinsamen Ausrollen warten noch ein paar schöne Trailabschnitte, bevor es zum Apero mit Bier, Bündnerfleisch und Karottenkuchen im nagelneuen Bikeshop Il Nucleus geht. Anita und Caro schwingen sich noch an die Espresso-Maschine. Dann schaukelt uns der Reisebus über den Ofenpass zurück nach Scuol, wo wir in Liegestühlen im lichten Lärchenwäldchen gemeinsam zu Abend essen.
Coffee, Trails & Flow-Feuerwerk
Der zweite Renntag startet entspannt – mit einer Coffee-Session, um die Fahrer/innen mit einem ordentlichen Koffein-Boost auf den Tag einzustimmen. Das schwarze Gold fließt aus dem wohl coolsten Barista-Setup ever: einer La Marzocco Linea Mini, montiert auf einem Specialized Turbo Porto – eine Collaboration, die Anita und Caro vor einem Jahr einfädeln konnten. Natürlich ist das Setup mittlerweile Stammgast an Events.
Gut koffeiniert geht’s los: Wir nehmen die Sesselbahn Motta Naluns, die uns rund 1000 Höhenmeter schenkt. Nach einem kurzen Transfer mit bombastischer Aussicht stürzen wir uns in die erste Abfahrt des Tages. Ines, Anita und Caro entscheiden sich für den Party Train Modus – Hinterrad an Vorderrad, volle Konzentration. Der rasante Flow-Trail bringt uns direkt in den Race-Groove und wärmt uns perfekt für die nächste Stage auf.

Und die hat’s in sich: Gleich nach dem Start biegen wir in einen steilen, technischen Loamer ein – pures Trailvergnügen! Mit breitem Grinsen im Gesicht kann man sich einen lauten Juchzer beim Kameramann nicht verkneifen. Was für ein Trail! Den angekündigten Gegenanstieg hatten wir fast verdrängt – und der zeigt noch mal richtig die Zähne. Beine, Arme, Lunge: alles brennt. Schon lange bin ich nicht mehr so ans Limit gegangen – Intervalltraining ist nicht mehr ganz oben auf der Liste. Das letzte Drittel der Stage ist ein flacher Flowtrail, auf dem man ordentlich in die Pedale treten muss. Puh – die Ziellinie kam gerade noch rechtzeitig.
Zur Belohnung überrascht uns das Aventyr-Team mit einer genialen Feedstation inklusive BBQ – direkt an einem türkisblauen Bergsee. Frisch gestärkt geht’s im zackigen Tempo weiter, denn drei Stages stehen noch auf dem Plan. Max, der sich zu dieser Zeit noch auf dem dritten Platz befunden hatte, verspielte diesen sogleich bei einem wilden Sturz, der neben Zeit auch etwas an Haut gekostet hat. Doch nach kurzem Schütteln geht es weiter, denn die Tageshighlights warten auf der anderen Talseite: zwei Stages, die sich vom Style her ähneln – schmale Wanderwege, die wie gemacht fürs Biken sind. Sobald man Tempo aufnimmt, kommen steile Spitzkehren, Wurzelpassagen und allerlei technische Spielereien, die das Herz höher schlagen lassen.

Doch das muss erst einmal erarbeitet werden, denn der Transfer zur letzten Stage zieht sich – pralle Sonne, lange Auffahrt. Als wir fast oben sind, entdecken wir einen kleinen Bergsee und springen kurzerhand zur Erfrischung rein. So kann man Rennen fahren! :-)
Die letzte Stage haut nochmal ordentlich rein: ein schmaler, teils ausgesetzter Singletrail schlängelt sich durch den Lärchenwald – der Boden ein absoluter Traum. Ab der Mitte wird’s ruppiger und steiler, mit einigen bösen Absätzen. Caros Schulter, die sie sich eine Woche zuvor ausgekugelt hatte, findet das Ganze nur noch bedingt witzig – sie muss das Tempo etwas rausnehmen. Im Ziel: Schmerzen, klar. Aber auch dieses unbeschreibliche „OMG, was war das denn bitte?!“-Gefühl. Was für ein Weltklasse-Trail!

Am Abend lassen wir den Tag gemütlich im Liegestuhlkreis mit leckerem Essen und lokalem Bier gemeinsam mit den anderen Teilnehmer/innen ausklingen. Bei der Siegerehrung stehen wir Mädels zu dritt auf dem Podest. Und Max, etwas lädiert vom Sturz, gewinnt sogar noch den „Best-Foto-Award“. Eine mehr als gelungene Premiere – wir kommen wieder, ganz sicher!
Unser Fazit: Enduro in seiner reinsten Form
Mit einem Kopfsprung hinein ins Abenteuer, ins Ungewisse, ins Neue. Das Rennen-Fahren ohne Training, man nennt es auch „Blind“ Racing, hat immer einen ganz besonderen Reiz. Während man sich beim Weltcup mit Training, Linienwahl, Track Walk und Helmkamera gut zu beschäftigen weiß, geht es hier am Morgen einfach los. Ein paar wenige Fakten wie Streckenlänge, Infos über exponierte Stellen oder Anstiege und ab geht die Post. Ohne Aufregung vor Schlüsselstellen (man weiß es ja noch nicht), ohne Stress und mit ganz viel Vorfreude und Adrenalin, sobald der Start-Countdown läuft und man sich mit voller Konzentration auf die Rennstrecke begibt. Achtsamkeit heißt das ja mittlerweile ganz gerne, im Hier und Jetzt sein, voll im Moment und mit allen Sinnen. Beim Enduro Racing würden wir es mehr als Tunnelblick beschreiben, aber trotzdem bleibt wenig Zeit, an gestern oder morgen zu denken. Mehr Achtsamkeit als beim Blind Racing geht kaum.
Wenn sich dieses Format dann noch mit den gigantischen Schweizer Bergen und dem Enthusiasmus des Event-Mastermind Arno trifft, dann erlebt man das Enduro-Format in seiner feinsten Form. Geniale Trails, Rennsport, Nervenkitzel und dann aber eben doch genug Zeit für eine Bündner Platte beim Mittagslunch, einen Kaffee-Stopp bei den Gehrig Twins und den ein oder anderen Smalltalk im heißen Sonnenanstieg. Diese Kombination ist es, die uns Jahr für Jahr eine Startnummer an den Lenker binden lässt. Enduro in seiner reinsten Form. Danke dafür.
Die Geschichte in Bildern























































2 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumDen vollständigen Artikel ansehen:
Aventyr Prolog im Engadin: Ein Abenteuer auf zwei Rädern – der Rennbericht
ENDURO in dieser Kulisse und in diesem Format 😍😍😍 jetzt weiß ich was FOMO ist 🤘😎🔥🔥🔥
Toller Bericht! Vibes super eingefangen und was gibt's besseres als mit Freunden so ein Event erleben zu können!

Macht Bock auf Anmeldung im nächsten Jahr
Wir laden dich ein, jeden Artikel bei uns im Forum zu kommentieren und diskutieren. Schau dir die bisherige Diskussion an oder kommentiere einfach im folgenden Formular: