Flo Goral – CFET Blog Ischgl Overmountain Challenge im Teammanager-Selbstversuch

Seit Anfang des Jahres können wir uns darüber freuen, dank der Blog-Einträge von Profi-Sportlern wie Markus Pekoll oder Ludwig Döhl einen interessanten Blick hinter die Kulissen des Profi-Sports zu erhalten. Unser neuester Blogger hat eine nicht weniger spannende Geschichte zu erzählen, und hat noch dazu einen ganz anderen Blick auf die Dinge. Wir freuen uns den Team-Manager des Canyon Factory Enduro Teams hier als Blogger vorstellen zu dürfen: Flo Goral. 
Titelbild

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Flo_Goral-1Mit Bekanntgabe der offiziellen Ausschreibung stand mein Entschluss fest: Ich werde an der Ischgl Overmountain Challenge 2013 teilnehmen. Selbst als leidenschaftlicher Snowboarder hatte ich es bis dato leider nie ins Wintersportparadies Ischgl geschafft. Dann eben dieses Mal mit dem Rad. Wieso eigentlich nicht? Ich? Das bin ich: Flo Goral, 26 Jahre alt, Teammanager des Canyon Factory Enduro Teams um Fabien Barel, Joe Barnes, Maxi Dickerhoff, Marco Bühler und Ines Thoma. Die drei letztgenannten sollten mir bei meinem ersten Enduro-Rennen als Fahrer umfangreichen Beistand leisten.

Meine Form vor dem Rennen war echt okay.Meine Form vor dem Rennen war echt okay. Dank des beruflich bedingten Abhängens (und ich will mich hier garantiert nicht beschweren) mit den Profis sowie gemeinsamen Trainingsfahrten fühlte ich mich sau wohl auf meinem Canyon Strive AL. Fitness: Check – das passte auch schon irgendwie. Die mentale Motivation war ganz oben angelangt. Teamintern war meine Teilnahme ja schon lange öffentlich und so gab es ohnehin kein Zurück mehr.

Die Anreise vom Canyon.Home in Koblenz war entspannt. 13-Stunden-Trips zur Enduro World Series nach Punta Ala härten für solche Zwecke ganz schön ab. Je weiter ich mich in meinem Truck gen Süden bewegte, desto düsterer wurde gleichzeitig das Wetter, was von einer Vielzahl einschlägiger Wetter-Apps bestätigt wurde. Selbst sich aus dieser Anzahl die beste Vorhersage herauszusuchen war nicht wirklich ermutigend. Dass der Enduro-Sommer wohl genau dieses Wochenende vorbei sein sollte, wollte ich noch nicht ganz wahrhaben und so war es mir trotz vorhandener Erfahrung immer noch schwergefallen, bei 22° und staubtrockenen Hometrails in Bad Kreuznach, zum Biken winterfeste Kleidung einzupacken.

ischgl signNach einem komplett verregneten ersten Tag in Ischgl und jeder Menge Büroarbeit traf glücklicherweise am nächsten Morgen das restliche Team ein – zum gemeinsamen Trübsal blasen unter den Regenwolken, die das Paznauntal umhüllten. Als es dann endlich gegen Mittag aufhörte zu regnen, beschlossen wir nach Ischgl aufzubrechen, um uns ein wenig warm zu fahren. Dort angekommen realisierten wir schnell, dass die Stages inoffiziell schon längst eröffnet waren und schon seit mehreren Tagen trainiert werden durfte. Nun gut, mit der Silvretta-Bahn hoch auf den Berg und mal schauen was uns dann so erwarten würde. Da wir uns einstimmig gegen den Uphill zu Stage 1 entschieden, ging es für uns also zunächst auf Stage 2, die trotz des Schlamms und einiger rutschiger Holzdielen doch recht spaßig zu fahren war – zumindest bis zum wohl meist diskutiertesten Gegenanstieg der Saison. Zu Fuß oben angekommen wussten wir noch nicht so recht, was wir von der 3-minütigen kombinierten Schiebe-, Kletter- und Trage-Passage halten sollten. Stage 4 – auf der ich mich so dermaßen auf die Schnauze katapultierte. Diskussionsbedarf war auf jeden Fall gegeben. Ziemlich eingeschlammt ging es per Silvretta-Bergbahn weiter zu Stage 4, auf der ich mich gleich im oberen Drittel, entschuldigt die Wortwahl, aber so dermaßen über mein wegrutschendes Vorderrad auf die Schnauze katapultierte, dass ich noch im Flug realisierte, dass sich der ursprünglich geplante Trainingstag am Samstag in einer Wolke aus Schnee, Steinen und meinem Endurobike in Luft auflösen würde. Mehr als Runterrollen und Genießen der alpinen Aussicht war an diesem Tag nicht mehr zu holen.

Nach einer gemeinsamen Stärkung, dem obligatorischen Fachsimpeln über die besten Linien des Tages (Oh Wunder, meine Linie von Stage 4 war nicht dabei) mit Marco, Ines, Teammechaniker Marc und einem weiteren Vertreter des Team Germanys in unserer Ferienwohnung machten wir uns, ich sichtlich humpelnd, wieder auf nach Ischgl zum offiziellen Rider Briefing in einer doch sehr stereotypischen Aprés Ski Bar. Schon beim Betreten der Bar stießen wir auf eine Traube aus Fahrern, die sich um einen der Veranstalter und Trail-Verantwortlichen gebildet hatte und wieder einmal sehr eifrig über die Definition von Enduro philosophierte. Knackpunkt war, ob Stage 2 nun noch Enduro oder schon Trail-Running sei. Anscheinend hatten auch andere an diesem Abend Diskussionsbedarf. In der anschließenden Ansage der Organisatoren wurde zwar auf die Kritik der Fahrer eingegangen, Stage 2 jedoch unverändert im Rennen gelassen. Punkt aus, keine Diskussion. „Enduro ist auch, sich auf die verschiedenen Gegebenheiten anzupassen – notfalls auch zu Fuß,“ – so die Aussage der Veranstalter.

Bring Enduro to the City – It´s time for Prolog: Als Teammanager durchlebe ich bei einem Prolog immer einen inneren Zwiespalt. Die Engel auf der Schulter sagt: Yeah, urbane Race-Action und Zuschauer, sehr gut für unseren Sport. Der Teufel erwidert gekonnt: „Ein riesen Aufwand für eine Minute Fahrradfahren.“ Schon am besagten Briefing-Abend gab die frisch gezimmerte Wallride-Schlüsselstelle des Prologs Anreize zum munteren Austausch und kurzzeitig kam auch die schüchterne Nachfrage nach einer Chicken-Line auf. Auch von mir, zugegeben. Leider hatten sich weder ein Sturm noch ein Wutbürger oder Ähnliches über Nacht am Wallride zu schaffen gemacht. Das Ding stand, bzw. lehnte immer noch an der Betonfassade.

Schwermütig in die komplette Race-Schale geschmissen ging es dann für mich zum ersten Mal wieder auf mein Strive, um am glücklicherweise trockenen Samstagnachmittag auf der Incity-Prolog-Strecke eine erste Besichtigungsrunde zu drehen, inklusive Holzkonstruktion. Nur gucken, nicht anfassen war erst mal die Devise. „Ines Thoma… mitkommen, vorfahren!“ – Anweisung vom Teamchef!Und so zog ein Fahrer nach dem anderen seine Bahn auf den Brettern, die den Prolog bedeuten, an mir vorbei. „Ines Thoma… mitkommen, vorfahren!“ – Anweisung vom Teamchef! Auf zur nächsten Runde an Ines´ Hinterrad. Jetzt war das Ding reif! Erste Schikane, Sprung in die Treppe, Bremse auf, Linie checken, Wallride nehmen. „Yeah – urbane Raceaction.“ Adrenalin geschwängert verflogen meine Zweifel an der Integration von Prologen in aktuellen Race-Formaten vollständig.

999779_591958840846307_102741858_n17:33 Uhr: Startzeit für mich. Kennt ihr diese Profis, die vor einem Start rückwärts kurbeln, um sich warmzuhalten? Kann ja nicht schaden, dachte ich mir und tat Selbiges. Dass dieses WarmUp-Prozedere allerdings nur Fahrern bestimmter Pedalmarken vorbehalten ist entzog sich jedoch meiner Kenntnis und so schraubte ich mir schön sauber 3 Minuten vor meinem Start das Pedal von der Achse. Super-GAU! Einbeinig tretend ging es zurück zum Team-Van in der Hoffnung, dass unser Mechaniker Marc inklusive Teambus-Schlüssel schon von seinem Run zurück ist. Schwein gehabt. Neues Pedal dran und ab dafür – jetzt war ich auch warm und kam besonders pünktlich zur piepsenden Startuhr. Gänsehaut. Der Start ging sehr gut, vorbei an den Zuschauern (ihr wisst – urbane Race-Action und so), Fotografenblitze schossen in Gedanken an ein neues Facebook-Profilfoto vorbei – Beine und Atem hielten auch den zwei steilen Hinterhoframpen stand, wieder die Treppe, Wallride, Steilkurve, Zielsprung. Die Uhr blieb bei 1:16 stehen und Teamfahrer Maxi Dickerhoff reckte den Daumen nach oben. Verkehrte Rollen aber ein verdammt cooles Gefühl! Verkehrte Rollen aber ein verdammt cooles Gefühl!

Vor Aufregung echt schlecht geschlafen, hieß es dann endlich „Sonntag ist Renntag“. Späte Startzeiten sind der nicht vorhandenen Fahrer-Bekanntheit im Enduro-Genre Lohn und so sah ich erst einmal gemütlich dem restlichen Team beim Fertigmachen zu. Immer ein Auge auf dem bedrohlich wirkenden Wetterradar behaltend. Sollte es tatsächlich pünktlich zu meinem Start, um 10:30 anfangen zu regnen wie vorhergesagt?

Sollte es nicht. In Anbetracht des 140hm Uphill zum Start von Stage 1 konnte sogar auf eine winterliche Bekleidung verzichtet werden. Eingepackt hatte ich sie ja schweren Herzens. Beim Berghochtreten musste ich feststellen, dass Enduro an sich eigentlich eine relative entspannte Disziplin ist. Verglichen mit einem Marathon sucht man die mit einem Messer zwischen den Zähnen und konstant 500 Watt tretenden Lycra-Junkies vergebens. Stattdessen sieht man entspannt pedalierende, sich unterhaltende, teilweise schiebende Artgenossen, die sich gemeinsam auf den sich anbahnenden Downhill freuen. Ein obligatorischer „Aufregungs – Pee with a view“ sollte auch noch drin sein. Mit einer Warteschlange vorm Starthäuschen waren die aufs hydroformierte Oberrohr geklebten Startzeiten auch schon wieder hinfällig. Gut, von mir aus. Vielleicht muss das so sein. Ein bisschen warmhalten (ohne Rückwärstpedalieren), Brille putzen, alles geschmeidig. Top motiviert preschte ich irgendwann aus dem Starthäuschen und musste bereits in der ersten Kurve feststellen, dass ich mir diese Stage vielleicht doch lieber einmal angeschaut hätte. Lenker festhalten und als Anfängerfehler verbuchen. Lenker festhalten und als Anfängerfehler verbuchen. Rutschige Wurzeln sind so gar nicht meins, aber irgendwie gelang es mir doch schnell einen Rhythmus zu finden, zwei Fahrer zu überholen (okay, einer rappelte sich gerade wieder aus dem Gebüsch auf) und war vom raschen Ende der Stage doch sehr überrumpelt. Anfängerfehler Nummer 2 – und das nach nur einer Stage, super. Anschließend ging es dann mit Liftunterstützung zu Stage 2. Genau die mit der berühmten Trage-Passage. Diesmal war der Start eher bescheidener und der Maximalpuls schon weit vor dem eigentlichen Uphill erreicht.

Mein ausgegebenes Ziel war es so lange wie möglich im Sattel zu bleiben und erst dann zu schieben, wenn wirklich gar nichts mehr gehen würde. Nach ca. 100 Metern Uphill scheiterte dieses Vorhaben kläglich an einer Kollision zwischen Pedal und Felsen. Der Rhythmus war futsch und ich fand mich selbst viel früher schiebend wieder, als ich mir das ausgemalt hatte. Immer noch mit Maximalpuls versteht sich. Es ist gar nicht so einfach ruhig zu bleiben, wenn man dann noch von einem der Offiziellen beim Tragen angefeuert wird, aber eine angelaufene Brille und eine in der Rennfahrersprache als „blau“ bezeichneter Zustand helfen immens dabei. Nichts wie weiter, die Zeit läuft ja. Den Rest der Stage war ich dann mehr mit mir selbst als mit dem Trail beschäftigt, schaffte es aber trotzdem relativ geschmeidig ins Ziel. Erste Zweifel kamen auf. „Wäre hier nicht noch mehr drin gewesen?“ Hätte, hätte Fahrradkette. Weiter zu Stage 3. Kurz zusammengefasst: Extrem rutschig, von einem Drift in den nächsten, zwei haarscharf abgefangene Stürze, schönes Ding!

Den Aufstieg zu Stage 4 teilten sich eine Liftfahrt und ein 350hm Uphill mit abschließender Verpflegungsstation. Ein wenig spät getimed für meinen Geschmack, aber trotzdem danke an die Veranstalter. So etwas ist nicht immer selbstverständlich. Mit ein wenig Pepsi im Bauch zog ich es vor, relativ früh zu starten, da ich ja auch langsam mal wissen wollte, wo so das frühmorgendlich gestartete Canyon Factory Enduro Team ins Ziel gekommen war. Hochalpines Terrain geht bei mir grundlegend immer besser als nasse Wurzeln, schon vom Kopf her. Und so brachte ich bis auf einen kleinen Fahrfehler einen für meine Begriffe soliden Lauf ins Ziel. Shakehands mit bis dato unbekannten Mitstreitern im Ziel, krampfende Hände, Matsch überall, strahlende Gesichter. Heißt nicht nur „European Enduro Open“, sondern fühlt sich auch ziemlich „enduro“ an das Ganze. Im Gesamtergebnis konnte ich meinen 79. Rang vom Prolog exakt verteidigen. Erschöpft und zufrieden und freue mich über Ines‘ überragenden Sieg in der Frauenkategorie und einen 9. und 11. Platz von Marco und Maxi. Da kam dann doch wieder der Teamchef heraus.

Fazit: Dieses „Enduro“ von dem alle sprechen ist eigentlich ziemlich cool. Auch wenn man am Ende der einen oder anderen auf dem Trail verlorenen Sekunde hinter her trauert – Spaß hat´s auf jeden Fall gemacht, sich diese Disziplin mal aus der Sicht eines Fahrers anzuschauen. Die ein oder andere vorherige „Macke“ meiner Teamfahrer kann ich jetzt auch besser verstehen. Die Ischgl Overmountain Challenge war definitiv nicht mein letztes Enduro-Rennen.

12 Kommentare

» Alle Kommentare im Forum
  1. Hey Flo,

    schön, dass auch die Mitarbeiter bei Canyon das Mountainbiken "leben" und dafür sogar ihre Freizeit opfern!

    Gerne mehr solcher Selbstversuche!

  2. gute Sache Flo! smilie

  3. sehr schön zu lesen, Danke!

  4. Toller Bericht, vielen Dank!

  5. wunderbar und aus sicht eines (quasi) "normalsterblichen" mit einer gehörigen portion selbstironie und entspanntheit geschrieben. gern mehr davon smilie

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