Das Internet ist ein gigantischer Fundus an Informationen, wenn man sich mal von den lustigen Katzenvideos losgeeist hat. Letztens stolperte ich über einen Youtube Kanal von Destin Sandlin, einem Ingenieur aus Alabama, der eine Liebe für wissenschaftliche Videos hat. Darin geht er allerlei alltäglichem oder Kuriosem auf den Grund. Und das Bike, welches über eine inverse Lenkung verfügt und welches er nicht ohne weiteres fahren konnte, weckte mein Interesse.
Dieses Video passte sehr gut zu meinen aktuellen Überlegungen zu Fahrradgeometrie und Suspension-Setup. In unseren Tests wird oft darauf hingewiesen, dass wir Änderungen an der Ausstattung vornehmen, um das Rad für unsere Vorlieben passender zu machen. In der Regel versuche ich auf diese Kommentare einzugehen und zu erklären, warum wir welche Änderungen vornehmen; dass ein größerer Rahmen mit einem kürzeren Vorbau am Ende über die gleiche Gesamtreichweite verfügt und viele andere Dinge.
Beim Testteam von MTB-News sind wir kontinuierlich mit den unterschiedlichsten Konzepten an Geometrie, Setup und genereller Funktion konfrontiert. Wir haben Testfahrer im Alter von 11 bis 62 Jahre und sie sind wie wir alle dem ständigen Wandel der Mountainbike-Welt unterworfen und sind zu sehr unterschiedlichen Zeiten in den Sport eingestiegen, in denen unterschiedlichste Theorien und Konzepte vertreten wurden.
Was mich zurück zum Video bringt: Destin beschreibt, dass er sich im Gegenzug zu seinem Sohn unendlich viel schwerer damit tut, ein erlerntes Bewegungsmuster (Ein Fahrrad, dessen Lenker man nach links bewegt, fährt nach links und umgekehrt) zu ignorieren und auf die neuen Gegebenheiten zu reagieren. Fahrrad fahren lernen wir als sehr junge Menschen und machen es zumeist ein Leben lang. Sprich: wir verbringen bewusst wie auch unbewusst eine Menge Zeit damit, Bewegungsabläufe zu verinnerlichen und auf Situationen in bestimmten Mustern zu reagieren. Unser Gehirn tut sich dann immer leichter, diese Aufgabe im Zusammenspiel mit unserem Körper auszuführen.
Ein Sportler verbringt nochmals mehr Zeit damit, bestimmte Bewegungen zu trainieren und die entsprechenden Muskelgruppen zu stärken. Eine Bewegung wird dann perfekt, wenn man sie mindestens 10.000 mal ausgeführt hat – sagt man.
„Ich habe keine Angst vor dem, der einmal 10.000 Kicks geübt hat – aber vor dem, der einen Kick 10.000 mal geübt hat.“ – Bruce Lee
Das große Dilemma
Was wäre nun, wenn wir auf dem falschen Dampfer sind? Was, wenn wir 10.000 mal die Bewegung falsch ausgeführt haben? Neuerungen wie andere Laufradgrößen und Breiten stoßen nicht bei allen Mountainbikern auf große Gegenliebe. Der Industrie wird dann gerne unterstellt, dass es nur um das große Geld ginge und so weiter… aber es gibt auch andere Stimmen. Insbesondere in Themen wie Plus und Fat melden sich User, die schwer begeistert sind: „Fahr mal mit deinen schmalen Reifen im Sand – von dem hats bei uns nämlich reichlich…“ Solche und ähnliche Aussagen kommen dann auf und zeigen, dass es durchaus Anwendungsgebiete hat, für die eben diese „neue“ (oder von der Bikeindustrie für den Mainstream entdeckte) Größe Sinn ergeben.
Fährt man dann zum ersten Mal ein Fat- oder Plusbike, ist eine Eingewöhnungsphase notwendig. Es passieren zwangsläufig Fehler, weil man das Verhalten dieser Reifen nicht kennt. Wir haben über all die Jahre etwas anderes gelernt und gefestigt.
Neben den voluminöseren Reifen und der zunehmenden Elektrifizierung der Mountainbikes gibt es noch eine andere große Bewegung in der Branche. Wer sie letztendlich ausgelöst hat, ist fraglich. Populär hat die Forward Geometry Mondraker mit Hilfe von Mastermind Cesar Rojo gemacht und im vergangenen Jahr sorgte Chris Porter für viel Furore mit dem Geometron. Verrückt? Unfahrbar? Geht um keine Ecke mehr herum?
Sei es ein Geometron, eine elektrische Schaltung oder ein Fahrer, welcher einen völlig neuen Fahrstil nutzt und dementsprechend seltsam anmutende Vorlieben für Geometrie und Setup hat… Wir müssen aufpassen, nicht bei der ersten Fahrt mit dem „Umkehrbike“ dem ersten Gedanken anheim fallen, dass das Blödsinn ist und früher eh alles besser war, weil wir es über Jahre so gelernt und betrieben und diese Muster so stark verinnerlicht haben, dass wir nicht mehr davon los kommen. Destin Sandin hat sich auf ein Experiment eingelassen, welches ihm gezeigt hat, wie unser Gehirn schnell in bekannte Muster zurück fällt. Wir sollten uns frei machen, offen und stark sein, diese Hürde zu überspringen und neue Ideen zuzulassen.
Was ist eure Meinung dazu?
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