Wir schieben unsere Bikes langsam durchs Unterholz, schleichen wie Indianer beim Tennismatch und treten dabei doch auf jeden Ast. Gerade ist ein Pudu direkt vor uns über den Trail geschossen. Wir können unser Glück kaum fassen. Nach gerade mal 12 Stunden in Chile sehen wir, bei unserer ersten Ausfahrt, ein Exemplar des kleinsten Hirsches der Welt, mit gerade mal 25cm Stockmaß. Dass wir in unseren LAN – Tennisoutfits ohne Trikottaschen auch noch eine Kamera dabei haben, ist wirklich ein bloßer Zufall.
12 Stunden zuvor stehen wir nach 4 Flügen und 35 Stunden Reisezeit leicht verschwitzt am LAN Airlines Schalter in Valdivia in Nordpatagonien und erfahren warum „INÉZ THOMA“ bereits im Flugzeug mehrmals durch die Knacklautsprecher ausgerufen wurde. Unsere Taschen sind in Santiago geblieben, na toll. Immerhin gibt’s 100 Dollar Entschädigung und ein geniales weißes Boris Becker Outfit in One-Size-Fits-All Größe.
Nun trennen uns vermeintlich nur noch einige Kilometer und eine kurze Fährfahrt von unserer Unterkunft, die laut Google Maps inmitten eines Nationalparks ohne Straßen liegt?? Wir warten zwei Stunden am Fährhafen (und lernen uns das erste Mal zu gedulden, die chilenischen Uhren laufen etwas langsamer) und begeben uns auf staubigen Schotterpisten, vorbei an atemberaubenden Stränden, Richtung unser Ecolodge.
Was sich hinter dem Begriff Ecolodge verbirgt, hätten wir uns vorher nie erträumt. Drei NASA ähnliche Zelte mitten in wunderschönster Landschaft. Kein Internet, keine Telefonverbindung (außer man läuft mit beiden Armen gestreckt nach oben durch den Wald) und Strom gibt es mithilfe dreier Sonnenkollektoren nur wenn die Sonne scheint. Da wir den ganzen Tag auf dem Bike sitzen, wenn die Sonne scheint, hilft das unseren hungrigen Multimedia Geräten auch nicht weiter;). Edmundo der freundlichste Gastgeber aller Zeiten drückt uns zur Begrüßung erst einmal einen frischen Bananen-Erdbeer-Saft in die Hand und grinst über beide Ohren. „No connection“, strahlt er und wir wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht wie wunderbar wir es tatsächlich ohne Instagram und Co. für eine Woche finden werden.
Beim Trackwalk in den nächsten Tagen erkunden wir auch zum ersten Mal das kleine Küsten Dörfchen Corral, wahrhaftig einer der abgelegensten EWS Austragungsorte der letzten 4 Jahre. Die Farben der Häuser sind bunt, die Menschen freundlich aber zurückhaltend. Viele fragen uns in genuscheltem Spanisch was wir hier machen und wir antworten mit Hola und Händen. Viele versprechen uns das Rennen anzusehen und tatsächlich versammeln sich beim Rennen weitaus mehr Menschen als gedacht an den verwaisten Tracks. Tourismus scheint es hier wenig zu geben, Fischerei und Holzwirtschaft sind wohl die größten Industriezweige. Mit unsere Zeltlodge mit der ganzen Canyon Crew haben wir wirklich einen Volltreffer gelandet, die 50 Minuten Anreise nach Corral sind nichts im Vergleich zu der stundenlangen Warteschlange am Fährhafen, die 95% der anderen Fahrer jeden Tag vor sich haben.
Und dann gehts es Donnerstags auch schon mit dem offiziellen Training los. Wir haben jeweils einen Tag Zeit, um die drei Rennstrecken für Samstag und Sonntag abzuradeln. Das ergibt für die kommenden vier Tage eine nicht zu unterschätzende Distanz von über 200km und 6400 hm. Die Sonne brennt uns auf die Fullfacemützen und wir mühen uns die staubigen und steilen Schottenpisten zu den Stages nach oben. Wenn wir doch jetzt wenigsten einen PUDU sehen könnten. Wilde Straßenhunde gibt es auf jeden Fall genug.
Alarm am Rennmorgen. Waldbrände in den Wäldern um Corral, wo es Monate lang nicht wirklich geregnet hat. Wir riechen den Brand und sehen 2 Tage lang Helikopter mit Löschbecken steigen, ansonsten findet das Rennen unbeirrt statt.
Die Stages sind allesamt sehr cool. Schnelle getrocknete Lehmrinnen, steile hängende Graskehren und viele wellige Tretpassagen. Bei einer gesamten Renndauer von ca. 30 Minuten geht es am Ende um Sekunden. Um zu gewinnen muss man am Limit fahren, die staubigen Strecken haben sich bis zum Rennlauf aber so stark verändert, dass man schwubtiwup im Graben landen kann. Ein Spiel auf Messers Schneide. Die Ergebnisse sind im Vergleich zum Vorjahr nochmals enger geworden. Jede Kurve entscheidet über Sieg oder Niederlage. Es steht uns ein spannendes EWS Jahr bevor!
Ines hatte am Samstag sehr mit der Hitze zu kämpfen erfuhr ihr Ergebnis aufgrund eines Transponderproblems erst Sonntag morgen. Mit Platz Vier startete sie mit voller Zuversicht in den neuen und bewölkten Renntag. So ließ es sich leichter coolen Kopf bewahren. Der Kampf ums Podium war knapper als so oft. Am Ende Rang vier im eng umkämpften Frauenrennen ein super Saisonsauftakt. Dieses Jahr wird es wohl nochmal klappen mit dem Podium.
Auch bei Max lief alles rund. Beim ersten Rennen der Saison fehlt zwar noch etwas der Speed, aber der Spaß und das Gefühl auf dem Bike passen. Nur ein Purzelsturz am ersten von zwei Renntagen ist eine akzeptable Quote. Mit Platz 65 im sehr dichten Feld kann er am Ende zufrieden sein. Sicher ist da dieses Jahr auch wieder Luft nach oben.
Beim Verlassen der Raumstation haben wir eine kleine Träne verdrückt. Adios Edmundo, danke für die Gastfreundschaft! Benvenidos Argentina. Die Weiterreise nach Bariloche in Argentinien am nächsten Tag war landschaftlich bereits so vielversprechend, dass wir es kaum erwarten können hier Rad zu fahren. Endlose und wunderschöne Weiten und ein spannendes Rennen erwarten uns.
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