Zyklusbasiertes Training – Teil 2 Weg vom Schamgefühl – warum es wichtig ist, dass die Menstruation kein Tabuthema bleibt

Schon im ersten Teil der Reihe ging unsere Autorin Theresia Schwenk auf das zyklusbasierte Training ein und gab einen Einblick mit vielen Tipps und Informationen. Im zweiten Teil der Reihe widmet sie sich dem Thema, dass Menstruation kein Tabuthema im Spitzensport bleiben soll. Neben dem Ziel, Ignoranz abzubauen und Verständnis zu schaffen, kommen hier auch Punkte wie Aufklärungsarbeit oder das Gespräch mit dem eigenen Trainer zu Wort.
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Es mag wirken, als wäre der weibliche Zyklus ein medial beachtetes Thema von gesellschaftlichem Interesse. Beschäftigt man sich ausführlicher mit der Thematik, wird schnell klar, dass es weniger um das Schaffen von gesellschaftlichem Verständnis als um ein mediales Productplacement auf höchstem Niveau geht. Eine tiefgründige Berichterstattung, die um Aufklärung wirbt und den weiblichen Zyklus aus der Nische der Tabuisierung befreit, sucht man hingegen vergeblich.

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Diashow: Zyklusbasiertes Training Teil 2: Weg vom Schamgefühl – warum es wichtig ist, dass die Menstruation kein Tabuthema bleibt!
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Erst in den letzten Jahren kommen ausführlichere Berichterstattungen und der Versuch einer Aufklärung über die Menstruation auf. Spitzensportlerinnen sprechen erstmals offen über Leistungsschwankungen innerhalb des monatlichen Zyklus und rücken die Thematik so in den Fokus der Öffentlichkeit. Doch wie offen ist unser Umgang damit wirklich? Wie schwer fällt es uns tatsächlich, das Tabu dieses Themas zu brechen?

Gesellschaftliche Ignoranz abbauen, Verständnis schaffen

Noch vor wenigen Jahrzehnten war der Umgang wesentlich restriktiver. Wusstest du, dass Frauen bis in die Siebzigerjahre während ihrer Periode kein Blut spenden durften? Man ging irrigerweise davon aus, dass dies den Abbau roter Blutkörper begünstige. Nun bin ich nicht in den 70ern aufgewachsen, aber dieses desaströse gesellschaftliche Verhalten liegt gerade einmal eine halbe Generation zurück und trieb überdies ganz merkwürdige Blüten. So hielt sich hartnäckig die weitverbreitete Annahme, Frauen seien während ihrer Periode giftig. Solche Mythen, falsche Weisheiten und Falschmeldungen über den weiblichen Zyklus gibt es zahlreiche und sie halten sich bis heute. Ein Problem!

Falsche Vorurteile und eine Wissenschaft, die nicht up to date ist
# Falsche Vorurteile und eine Wissenschaft, die nicht up to date ist – Theresia möchte Verständnis schaffen und die Ignoranz abbauen

Selbst die Wissenschaft ist nicht up to date. So sind laut Publikationsportal ResearchGate bis zum heutigen Tage fünfmal mehr Studien zu Erektionsstörungen bei Männern veröffentlicht worden, als es wissenschaftliche Abhandlungen zum prämenstruellen Syndrom (PMS) gibt. Dies im Anbetracht der Tatsache, dass die erektile Dysfunktion rein quantitativ gesehen deutlich seltener vorkommt. Die Forschung hat sich des Themas ebenfalls nur unzureichend angenommen. In vielen medizinischen Bereichen liegt allgemein ein sogenanntes „Gender-Data-Gap“ vor, da deutlich weniger Daten weiblich medizinischer Problemstellungen vorliegen, als dies beim männlichen Geschlecht der Fall ist.

Die Aufklärungsarbeit, ein schleppender Prozess

Doch woher rührt dies eigentlich? Warum spielt die Menstruation, der damit eng verbundene weibliche Hormonhaushalt und die daraus abzuleitenden Verhütungsmöglichkeiten und Methoden in der Gesellschaft eine so unterrepräsentierte Rolle?

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Neben der schulischen Aufklärung ist hierfür auch die elterliche Aufklärung entscheidend. In meiner Generation – ich bin Ende des Jahres 1995 geboren und fühle mich der Generation „Z“ zugehörig – fand in der Schule eine Aufklärung bezüglich der Menstruation im Rahmen des Sexualkundeunterrichts statt. Diese war weder ausführlich, noch fand aufgrund des Alters – wir waren schlicht zu jung – eine intensive Auseinandersetzung damit statt. Mein Vorteil war, dass ich zu Hause jederzeit über alles sprechen konnte. Der weibliche Zyklus bildete insoweit keine Ausnahme und meine große Schwester war ebenfalls eine vertrauensvolle Anlaufstelle für mich. Mein Wissen über Hormone, auftretende Stimmungsschwankungen, Basaltemperatur und vieles mehr rund um den weiblichen Zyklus habe ich mir jedoch erst viel später erarbeitet.

Gerade in diesem Zusammenhang kann ich mich an eine unschöne und vor allem unangenehme Situation erinnern: Mein erster Besuch bei einer Frauenärztin. Wie meine Freundinnen war ich mit ungefähr 14 Jahren das erste Mal bei einer Frauenärztin, um einen Abstrich zu machen und wie meine Freundinnen auch „die Pille zu organisieren“. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich weder, dass die Pille meinen Hormonhaushalt noch meine Monatsblutung beeinflusst. Richtig naiv! Aber: Kann man einer jungen Frau in diesem Alter deshalb einen Vorwurf machen? Nein!

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Die Frauenärztin hat mir dann eine Pille verschrieben, die gut für die Haut und eine spezielle „Einstiegspille“ sei. Eine Aufklärung über die Wirkung, über Risiken und Nebenwirkungen? Fehlanzeige! Bei mir hat sich dieses Erlebnis richtig eingebrannt – erst viel später habe ich angefangen, mich intensiv mit dieser Thematik zu beschäftigen. Einige Freundinnen und vor allem andere Sportlerinnen berichteten mir von ähnlichen (unschönen) Frauenarztbesuchen in ihrer Jugendzeit.

Ich musste also erst 22 Jahre alt werden, um mich intensiver mit meinem Zyklus auseinanderzusetzen. Ich hatte die Pille abgesetzt, da ich durch diese ständig unter intensiver Müdigkeit litt. Mein normaler und vor allem regelmäßiger Zyklus kam, heute kann ich sagen „zum Glück“, sehr schnell wieder und alles pendelte sich wieder ein. Aber auch meine Regelschmerzen während der ersten Tage der Monatsblutung kamen leider ebenfalls zurück. Die Normalisierung des Hormonhaushalts nach dem Absetzen der Pille hatte auch zur Folge, dass ich zirka sieben Kilo zugenommen habe. Mein Unbehagen darüber war so groß, dass ich begann, mit meinem Umfeld darüber zu sprechen. Ich habe Artikel gelesen und begann zu verstehen, welchen Einfluss die Pille auf den weiblichen Organismus hat und welches Hormon für welche Funktion im Körper zuständig ist.

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„Wie jetzt? Manche Hormone werden im Hirn gebildet?“, dachte ich mir damals. Ja, ich hatte wirklich keine Ahnung!

Die Unwissenheit über den (eigenen) weiblichen Körper ist bis heute weitverbreitet. Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung. Die Generation junger Frauen, die offen mit ihrer Periode umgeht, löst sich von den Tabuisierungen und den irrigen Annahmen der Vergangenheit. In vielen Gesprächen mit anderen Athletinnen oder mit Freundinnen ist mir aufgefallen, dass ich gerade mit jüngeren Frauen viel entspannter über den weiblichen Zyklus sprechen kann. Die Gesprächs-Einstiegshürde ist viel geringer, das Wissen über den Monatszyklus und die Menstruation ist dafür um ein Vielfaches größer. Das dabei vielleicht Wichtigste ist, dass ein großes Interesse besteht, mehr über den eigenen Körper lernen zu dürfen.

Auch ist mir immer wieder aufgefallen, dass sich auch Männer zunehmend für die Thematik interessieren und mehr über den weiblichen Zyklus wissen möchten. Meine Beobachtung dabei ist, dass das Interesse und die Offenheit weit größer sind, als ich zuerst dachte. Die Enttabuisierung ist auch hier der wesentliche Schlüssel für einen neuen, einen normalen Umgang. Der entscheidende Schritt hierfür ist das Gespräch und die Möglichkeit, die Thematik vorurteilsfrei ansprechen zu können.

In einer von der BBC initiierten Studie aus dem Jahr 2020 gehen 60 % der Studienteilnehmerinnen – Leistungssportlerinnen aus 39 unterschiedlichen Disziplinen – davon aus, dass ihre sportliche Leistungsfähigkeit durch ihren Zyklus maßgeblich beeinflusst wird.

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Dagegen haben nur 40 % der Studienteilnehmerinnen das Gefühl, mit ihrem Trainer oder ihrer Trainerin über ihre Periode sprechen zu können. Dies deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen und ist natürlich auch meiner eignen Unwissenheit geschuldet, die mich bis vor 2 Jahren begleitet hat. Legt man bei der Auswertung der vorgenannten Studie zugrunde, dass die Beeinflussung der sportlichen Leistungsfähigkeit wissenschaftlich belegt ist, so ist der Anteil der Teilnehmerinnen, die sich hierüber bewusst sind, sehr gering.

Wie mein Trainer und ich darüber sprechen

Ein Hauptgrund hierfür ist natürlich, dass es im Training keine Rolle spielt, obwohl Frau die Auswirkungen jeden Monat wahrnimmt, das Thema jedoch oftmals „totgeschwiegen“ wird. Dies spiegelt sich auch in dem geringen prozentualen Anteil der Athletinnen wider, die das Gefühl haben, darüber mit Trainer oder Trainerin reden zu können.

Diese Zahl hat mich nicht nur schockiert, sondern mir nochmals die Augen geöffnet, welches Privileg es ist, dass ich mit meinem Trainer und auch mit allen Athlet*innen in meiner Trainingsgruppe offen darüber sprechen kann. Der offene Umgang war zu Beginn ungewohnt, aber mein Trainer hat es mir sehr leicht gemacht. Durch sein umfangreiches Wissen und seine Erfahrung mit anderen Athletinnen wurde die Integration meines Zyklus in den Trainingsplan sehr schnell zur Routine. Die offene Kommunikation über damit einhergehende Symptome wie beispielsweise Bauchschmerzen und Unwohlsein wurden schnell Trainingsalltag. Zudem konnte ich meine Wissenslücken dank vieler Gespräche mit meinem Trainer und anderen Athletinnen der Trainingsgruppe langsam schließen und mein Wissen weiter ausbauen.

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Du fragst dich jetzt, was du tun kannst, um deinem Umfeld (nicht nur dem weiblichen) den offenen Umgang mit dem Zyklus und der Menstruation näherzubringen? Ich finde, es benötigt Mut! Mut, um es anzusprechen und Mut, um ein Feingefühl im weiteren Verlauf zu entwickeln. Wir können ein Tabuthema nur dann aufbrechen, wenn alle Seiten dazu bereit sind. So ist es vielleicht notwendig, sich heranzutasten und sein Gegenüber damit nicht zu überfordern. Quasi „häppchenweise“ Gespräche führen und zunächst immer nur eine Frage oder eine Information zu platzieren.

Am Ende lernen wir alle dazu! Am meisten dadurch, dass wir unser Wissen teilen und unsere Unwissenheit dadurch auflösen. Ich jedenfalls bin für mehr Mut im gesellschaftlichen Umgang mit dem weiblichen Zyklus. „Mut ist der erste Schritt zur Veränderung!“

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Zum ersten Teil der Reihe geht es hier entlang: Zyklusbasiertes Training – Warum wir Frauen nicht wie „kleine Männer“ trainieren sollten!

Menstruation im Spitzensport kein Tabu – was sagst du zum Thema?

Text: Teresia Schwenk | Bilder: Martin Schwenk, Alex Rebs, Nina Ludwig

24 Kommentare

» Alle Kommentare im Forum
  1. Ich finde es schön, dass das bei euch zur Normalität gehört und so akzeptiert wird. Finde es interessant, dass du das bei deiner Frau so beobachtet hast. Wir sind schon sehr von unseren Hormonen gesteuert, mehr als uns manchmal bewusst ist. 😬 Sehr schön, dass ihr damit so offen umgeht!
    Mei, man lernt sich kennen in fast 20 Jahren.
    Zyklus war nie ein Tabuthema bei uns, auch nicht in meiner Kindheit.
    Aber die Auswirkungen sind halt bei jeder Frau anders und zumindest bei meiner, die jahrelang einen sehr unregelmäßigen Zyklus hatte, nicht wirklich planbar. Das bietet dann schon Konfliktpotential. Da plant man was schönes und dann passt das halt so gar nicht zu ihrem Befinden. Entweder man zieht es dann trotzdem durch, dann ist sie fix und foxy und Spaß und gute Laune bleiben auf der Strecke, oder man verschiebt es wieder und wieder...
    Das war ist manchmal schon nicht ganz einfach, aber mittlerweile nehmen wir es gelassen und ich versuche flexibel zu sein und es nicht persönlich zu nehmen. 😇
  2. Ja, leider ist das auch im Radsport teilweise noch so. Umso wichtigr finde ich es, offen darüber zu sprechen und Aufklärung zu leisten. Denn es geht auch anders! smilie


    Wow, das ist ja wirklich eine tragische Geschichte, zum Glück mit Happy End! Freut mich dennoch, dass sie schwanger werden konnte und alles geklappt hat. Hat sie mal offen darüber gesprochen? Würde ich super spannend finden.

    An oeffentlich kann ich mich nicht erinnern. War mehr so ueber den Kaffeetisch smilie.
    Inwieweit das mit der Frage ob ueberhaupt oeffentliches Interesse besteht zu tun hat oder ob es eine Vertragsklausel seitens des Sportverbandes / Trainers gibt weiss ich aber nicht. Die haben sie aber auch wirklich unterstuetzt in diesem Fall.

    Ich find es gut das du dich der Sache widmest. Nicht nur die Sportlerinnen selber sonder oft auch die Trainer/innen haben Probleme sich dem Thema zu naehern. Da wird dann ueber das schwankende Leistungsgewicht oder die Psyche geraetselt und man bezieht die wichtigsten Komponenten nicht mit ein.
    Ist dann frustrierend fuer beide Seiten.
  3. Da hier ja auch einige historische Vergleiche kamen:
    Das erste Mal wurde ich auf das Thema gestoßen, als Marja-Liisa Hämäläinen (finnische Skiläuferin, Mitte der 80er Jahre geradezu dominant) in einem Interview nach einer "nur" Silber- oder Bronzemedaille erklärte, dass ihre Regel eingetreten sei. Zwar noch mit dem Nebensatz "eigentlich soll man ja darüber nicht öffentlich sprechen", aber sie wurde offensichtlich in der finnischen Öffentlichkeit / Verband für Ihre WK-Leistung ziemlich angegriffen. (Alles noch vor den "unsozialen Medien", Shitstorm ging offensichtlich trotzdem schon 😎)

    Klar, der Bio-Unterricht hat den Zyklus eigentlich nur auf die Fortpflanzungs-Funktion bezogen erklärt. Das da jeden Monat quasi eine Mini-Schwangerschaft im weiblichen Körper abläuft und welchen Einfluss Hormone auf Stimmung und psychische und physische Leistungsfähigkeit haben, war mir davon gar nicht klar. Dieses Interview 1984 oder 1985 gab einen ersten Hinweis, im Nachgang betrachtet wirklich mutig.

    Leider denkt man heute manchmal, dass sich in fast 40 Jahren vergleichsweise wenig geändert hat.

  4. Ich weiss von Maedels die Biathlon und Leichtathletik ganz weit oben betreiben das die lang fast gar keinen Zyklus hatten. Der Koerper war einfach mit dem Training beschaeftigt. Fuer die Maedels "normal" wenn du ab fruehem Teenageralter neben Schule etc noch Monstertrainingseinheiten abspulen musst / willst.

    Ja, leider ist das auch im Radsport teilweise noch so. Umso wichtigr finde ich es, offen darüber zu sprechen und Aufklärung zu leisten. Denn es geht auch anders! smilie

    Naja, die Verzögerung der Menarche durch (Leistungs)Sport ist aber ausgiebig dokumentiert und wahrscheinlich kaum zu umgehen. Außer durch weniger Training, dann kommt aber weder Junge noch Mädchen nach "oben".
    Und unter den verschiedenen Sportarten ist der Radsport noch "entspannt", vergleicht mal Turnen oder Schwimmen (obwohl letzteres auch Ausdauersport und vor der Pubertät lässt sich Ausdauer nur sehr bedingt trainieren). Und MTB wieder entspannter als RR...

    Eventuell verstehe ich das "es geht auch anders" aber nur falsch 🧐
  5. folgendes fundstück wollte ich hier noch einstellen, mikaela shiffrin erwähnt ihren zyklus (und führt damit den übersetzenden reporter arg aufs glatteis ;-) ) 1SqynUb3YAw

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