Der Mountainbiker in der Stadt #1
Mal ganz ehrlich, Hand aus der Hose, Titten auf den Tisch – welches Fahrrad bewegt Ihr am öftesten? Wer an dieser Stelle „Mein Mountainbike“ – egal ob XC, Enduro oder Downhiller antwortet, ist zu beneiden. (Oder er bewegt sich ansonsten nur per Auto (Öko-Sau!) oder mit den Öffentlichen (Faule Sau!) fort).
Grund genug, sich dem Thema „Der Mountainbiker in der Stadt“ zu widmen – wir tun dies in drei Teilen:
1.) Nützliche Helfer, die das Leben leichter machen
2.) Fahrbare Untersätze für den Weg von A nach B
3.) Konzepte zum Thema Commuting
Los geht’s mit den kleinen aber feinen Alltagshelfern:
Gates Carbondrive – der Kettenersatz
Beim Gates Carbondrive handelt es sich einfach gesagt um einen Kettenersatz. Klingt simpel, sorgt aber für weitreichende Konsequenzen, denn: Ohne Kette keine Kettenschaltung. Warum sich überhaupt jemand den Kopf darüber zerbricht, wie man die Kette eliminieren kann, sei hier nochmal gesagt: Neben einem durch Abrieb und Verschmutzung sinkenden Wirkungsgrad (es sei denn, man fährt ein Katz) von 98% aus der Verpackung auf ca. 94% nach einigen Wochen ist die Kette wartungsintensiv und verfügt über keine besonders lange Lebensdauer. Außerdem macht ihr öliger Zustand hässliche Flecken auf Hosen, die spitzen Zacken der Kettenblätter sind unfreundlich zu menschlichem Gewebe und die perfekte Einstellung von Umwerfer und Schaltwerk zählt eher zu den instabilen Gleichgewichten – ein verbogenes Schaltauge macht schnell wenig Freude.
Wie ersetzt der Carbondrive die Kette? Nun, er sieht aus wie ein Zahnriemen, der sich auf Riemenscheiben dreht – das wäre nichts neues, wenn er sich nicht in einer wesentlichen Eigenschaft von bisher bekannten Riemen unterschiede: Der Dehnbarkeit. Konventionelle Riemen dehnen sich unter Belastung in elastischem Maße, so dass des Bikers Muskelkraft verpufft. Gates löst dieses Problem durch Carbonfasern im Inneren, die in Zugrichtung unglaublichen Belastungen standhalten, ohne sich auch nur minimal zu längen. Die Kunststoffnocken kommen gänzlich ohne Öl und Fett aus, die Hose bleibt sauber, Wartung ist nicht nötig, denn Dreck auf den Riemenscheiben wird einfach nach unten durchgedrückt. Und die Tatsache, dass man damit keine Kettenschaltung betreiben kann? Egal, weil diese ohnehin anfällig ist und durch Nabenschaltungen / Singlespeed jeweils passend ersetzt werden kann, stellt das doch kein Problem dar? Nein.
Warum fahren wir dann nicht schon alle mit dem Carbondrive durch die Stadt, wo er doch auch noch erheblich leichter ist und sage und schreibe 10000km halten soll?
Das liegt vermutlich schlicht und ergreifend an den Kompatibilitätsbarrieren: Zwar gibt es Riemenscheiben für sämtliche Kurbel- und Freilaufstandards, die Riemen selbst sind in allen möglichen Längen erhältlich, Rohloff spielt mit, Shimano ebenfalls, doch eine wichtige Eigenschaft der Kette kann der Carbondrive nicht bereitstellen – er ist aus einem Stück. Und wer schon einmal eine Kette gewechselt hat, weiß, dass die Kette durch den Rahmen muss. Um also einen Riemen verbauen zu können, muss sich der Rahmen öffnen lassen. Nicolai, Trek, Specialized und viele andere haben dieses Problem bereits durch geschraubte Ausfallenden oder sonstige Einfälle gelöst, die richtige Riemenspannung lässt sich wie bei allen anderen Singlespeed-Rädern auch durch eine horizontal verschiebliche Achse realisieren… dann kommt die Carbondrive-Welle also sicher bald?
Ich fürchte leider, sie lässt noch etwas auf sich warten. Denn selbst wenn der Riemen im Rahmen ist, die Kettenspannung stimmt, ein Durchrutschen durch eine Riemenführung am Ausfallende verhindert wird, mit der Kompatibilität ist es nicht so einfach. Der Rahmen muss nämlich zusätzlich genügend steif sein, da der gerade laufende, seitensteife Carbondrive sonst bei hoher Last von der Scheibe läuft – überhaupt muss der Rahmen präziser gefertigt sein, Innenlager und Hinterachse nahezu perfekt parallel verlaufen (Es gibt einen Toleranzbereich, er ist aber schmaler als bei Kettenschaltungen), sonst funktioniert die Sache nicht. Das ist zwar ebenfalls ein lösbares Problem, sortiert aber wieder manchen Rahmen aus. Und zu guter letzt: Der Riemen kann nicht so enge Radien durchlaufen, wie eine Kette es kann. Folglich fallen die Scheiben größer aus, größere Scheiben brauchen mehr Platz – da wird es an der Kettenstrebe / dem Yoke manchmal ganz schön eng – noch dazu, wo der Riemen mit 10mm breiter als 9- oder gar 10-fach Ketten – Centertrack (s.u.) kann hier Abhilfe schaffen.
Bleibt der CarbonDrive also eine gute Idee, die sich leider nicht durchsetzt, weil sie nirgendwo verbaut werden kann? Wohl kaum. Denn zum Glück sind die Hersteller der Rahmen ebenfalls nicht auf den Kopf gefallen, haben sich öffne-bare Rahmendreiecke in den kreativsten Ausführungen einfallen lassen, haben Riemenspanner- und Führungen erdacht, Platz für die Scheiben gemacht und die Steifigkeit gewährleistet. Deshalb wird sich der Riemen in der Stadt hoffentlich durchsetzen. Falls die Fahrradproduzenten nicht dafür sorgen, dann hat auch Gates noch etwas in der Hinterhand: Riemen mit Centertrack-Technologie befinden sich im Prototypen-Stadium, sind weniger anfällig was den Geradeauslauf angeht und benötigen weniger Platz an der Kettenstrebe… buja, das dürfte die Wünsche der Industrie treffen…
Wer schon heute Riemenkompatibel ist: Glückwunsch. Diesem Antrieb gehört in der Stadt die Zukunft, Gewicht, Haltbarkeit, Wartungsarmut, Hosenschutz und ein konstanter Wirkungsgrad von 97% überzeugen!
Arcteryx Mistral 16
Wer mit dem Fahrrad pendelt, der hat Gepäck dabei. Egal ob Laptop, Papierkram oder Vesper, irgendetwas braucht es in der Uni oder auf Arbeit. All das könnte man jetzt auf dem Gepäckträger oder in Gepäcktaschen verstauen – was aber als Konsequenz hätte, dass das Fahrrad ziemlich schwer wird, ein Wiegetritt fast unmöglich ist. Die Lösung der Wahl heißt also: Gepäck auf den Rücken.
Umhängetaschen, cooler „Messanger-Bags“ gibt es wie Sand am Meer. Es gibt sie in jeder Farbe und Größe, aus recyclelten Lastwagenplanen, aus Jutesäcken, aus Soldatendecken, aus Fahrradreifen, von Marken und von solchen, die es gerne wären. Das einzige, was beinahe alle Taschen dieser Art gemein haben: Die Konstruktion: Quaderförmig mit einem einfachen Klett oder Schnapp-Verschluss. Das funktioniert eigentlich ganz gut, aber eben nur eigentlich. Und zwar nur so lange, bis es mal richtig nass wird oder man etwas aus der Tasche raus oder in sie rein bringen will. Dann Ist der Klappdeckel schlicht weg im Weg. Außerdem ein klassisches Manko der stylischen Alltagsbegleiter: Ein großes Fach, eventuell noch ein paar kleine Stiftfächer und ein Schlüsselring, das war’s, mehr Ordnung gibt’s nicht.
Die einzige Messenger-Tasche, die sich wirklich vom Groß der immergleichen Klapptaschen abhebt, ist der Mistral von Arcteryx. Die positiven Eigenschaften werden beibehalten – mit 16 l hat sie die richtige Größe für die Herausforderungen des Alltags, sie ist schnell über die Schulter geworfen und wirkt legere – die bekannten Probleme wurden aber anders gelöst:
Polsterung
Wo andere Taschen auf schnöden Schaumstoff und Plastik setzen, oder gar ganz darauf verzichten, finden sich bei den Kanadiern – wie nicht anders gewohnt – hochwertigere Ausführungen: Der Rücken der Tasche ist ein Thermogeformtes, wasserabweisendes Polster, der Brustgurt besteht aus atmungsaktivem Gewebe mit festem Kern. Die Verstellschlaufen sind aus Aluminium gefertigt, der Rücken zusätzlich durch eine Platte stabilisiert.
Fächeraufteilung
In diesem Fall ist mehr einfach mehr. An der Mistral gibt es ungewohnt viele Möglichkeiten, Kleinzeug zu verstauen:
– An den Enden des Trageriemens links und rechts kleine Reißverschlusstaschen für Handy, Kaugummi oder Pfefferspray.
– Vorne drauf ein Fach mit Unterfächern (Stifte, Geldbeutel, Schlüsselring)
– Oben drauf ein Trinkflaschenfach + Reißverschlussfach
– Links und rechts Fächer für Trinkflasche, Apfel, Hanteln, Wasserspritzpistolen, …
– Im Hauptfach ein Laptopfach (leider nicht gepolstert), ein flaches Stiftfach, noch eine Reißverschlusstasche sowie zwei Schubfächer – Ordnung garantiert.
Verschluss
Statt ausfransendem Klett und offenen Ecken setzt Arcteryx auf den einzig wirklich dichten Verschluss am Markt: den Rollverschluss. Hierzu sind zwei Kunststoff-Streifen in die Öffnung eingenäht – legt man sie aufeinander und rollt, so verschließt man die Tasche. Fixiert wird die das Ganze durch kurzes Ziehen an den Spannriemen links und rechts. Dieses Prinzip hat einige nennenswerte Vorteile:
1.) Die Tasche ist wirklich dicht
2.) Durch den gespannten Bogen behält die Tasche ihre Form, anstatt schlaff zusammen zu sacken
3.) Die Öffnung ist riesig! In Kombination mit dem hellen Innenleben findet man hier alles.
Dauert das denn nicht viel länger, die Tasche zuzurollen? Wer bisher nur auf Klett vertraut hat, wird einige Sekunden länger brauchen, wer zwei Schnapp-Verschlüsse hatte, braucht genau gleich lang.
Der Hüftgurt ist leider auch bei Arcteryx zu schmal, um wirklich viel zu bewirken – den Sitz der Tasche verbessert er dennoch, obgleich sie sich schon ohne Hüftgurt sehr gut um den Körper schmiegt. Ein zweischneidiges Schwert ist unterdessen die Form: Stabil und abgerundet passt sie gut auf den Rücken, ein Gurtband lässt eine Kofferhaltung zu, doch die fehlenden Ecken rauben den Platz für 15“ Widescreen Notebooks. 13“ sind kein Problem, 15“ 4:3 auch nicht, alles drüber aber schon.
Unterm Strich also eine außergewöhnliche Tasche, die ich jedem empfehlen kann, der mit kleinem Laptop oder ganz ohne durch den Dschungel der Großstadt muss. Alle anderen müssen darauf hoffen, dass man in Kanada die Form nochmal für breitere Laptops überdenkt.
Schlösser
Ein gutes Schloss ist der beste Freund eines guten Fahrrades, zumindest in der Großstadt. Wem schon mal ein Fahrrad gestohlen wurde, weiß, was ich meine. Also das dickste Bügelschloss gekauft, welches auch einem Artillerie-Angriff strotzen würde?
Sicher eine Lösung, es geht meines Erachtens nach aber zweckmäßiger. Ich persönlich halte Zahlenschlösser für praktisch und für das meiste (außer den Kronjuwelen) sicher genug, wer lieber einen Schlüssel benutzt, erhält absolut mehr Sicherheit. Davon unabhängig gibt es aber sinnigere Lösungen als das gute alte Bügelschloss: Faltschlösser sind ähnlich hart im nehmen, wenn es um Zangen, Eisspray und Zugversuche geht, können aber dank ihrer flexiblen Bauweise mehr umschließen und sich gleichzeitig kleiner zusammen falten. Es gibt sie sowohl in Zahlen- als auch Schlüssel-Ausführungen, verschiedenen Längen und sogar in der Lederhülle mit retro-Applikationen. Ob das Diebe abschreckt? Ich vermute es blöfft eher.
Alle, die sich nicht mit Massivstahl abschleppen wollen, greifen zu weicheren Alternativen, der klügere gibt ja nach, oder? Knog bietet stylische, rahmenfreundliche Schlösser mit Stahlseilkern und Silikon-Ummantelung. Stahl für die Sicherheit, Silikon gegen die Kratzer. Das Teil ist erhältlich in diversen Längen und Stärken, nur mit Schlüssel. Die sanfte Oberfläche und der harte Kern stehen auf der Habenseite, kritisieren möchte ich den nur in einer Position passenden Schlüssel (nicht 2) und die Tatsache, dass sich das Schloss kaum ohne Drehung des Schlüssels ineinander stecken lässt. Werden diese Details verbessert, ist das Knog gut zu gebrauchen. Immerhin zeigt sich das Silikon als leicht zu reinigen, wenn das Schloss vollkommen versifft vom Rahmen hängt. Außerdem sollte wohl für jeden die passende Farbe dabei sein…
Beleuchtung
Neben Knogs kleinen Boomern, die leider ab und an von selbst angehen, dafür aber wackelfrei sitzen, leicht montierbar sind und andere Verkehrsteilnehmer garantiert blenden, kann ich eigentlich nur einen Nabendynamo empfehlen – nie leer, bremst nicht, läuft auch bei Nässe und Schnee, muss nicht nachgeladen werden – Weltklasse. Zusammen mit LEDs lässt sich da ganz schön was machen. Wer den Weg zur Arbeit mit dem Mountainbike absolvieren kann und Trails fährt, dem hilft im Dunkeln unser Lampenvergleich mit Lupine & Co. Die winzige Lupine Piko hat mir in den letzten Monaten hervorragende Dienste gelistet und passt in jede Tasche. Die Akkulaufzeit ist riesig (in gedimmter Stufe) und das Licht stark. Einen ausführlichen Erfahrungsbericht von Freesoul und mir findet ihr hier –> KLICK DA LINK
Bekleidung
Du willst auch bei schlechtem Wetter per Rad unterwegs sein? So richtig wasserdicht sind Jacken mit GoreTex oder Event Membran, wobei erstere robuster gegen Abrieb sind, zweitere mehr Wasserdampf durchlassen. Beim Kauf einer Jacke wichtig: Ein hinten verlängerter Schnitt. Bei der Hose: Durchgehende Seitenreißverschlüsse, die sich wirklich teilen lassen. Damit gelingt das Umziehen im Handumdrehen und ohne Balanceakt. Meine Erfahrung: Entweder I) richtig auf Qualität setzen (Arcteryx, Marmot, Gore, …) oder II) richtig sparen (Tchibo, …) – die Einsteigermodelle von z.B. The North Face, die mit einer HyVent Membran ausgestattet sind, kosten fast so viel wie I) und können nicht viel mehr als II) – sind also nicht empfehlenswert. Fixie-Kappen gibt es unter anderem von Craft.
Schutzbleche
Das leichteste, funktionelle und gleichzeitig noch attraktive Schutzblech heißt Curana C-Lite und ist in Breiten von 25 – 55mm erhätlich, schnell montiert und dank Plastik-Metall-Sandwich-Bauweise ziemlich robust. Wer keine Aufnahme für Schutzbleche an seinem Rahmen hat findet bei SKS Plastik-Steckschutzbleche, natürlich Made in Germany
Was hilft euch durch den Alltag in der Stadt? Wer ist so glücklich, auf Singletrails ins Büro zu fahren?
//Titelfoto von Colin Stewart
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