RAD & RAAD – Was ist das?
RAD ist ein Akronym für Rider Area Distance, das von Lee McCormack, bekannt als LeeLikesBikes beschrieben wurde. Es handelt sich dabei um eine Längenangabe – um sie zu bestimmen, müssen wir über unsere Griffenden mittig eine Schnur spannen. Wir messen dann den Abstand von Tretlagermitte zu dieser Schnur, mittig über dem Steuerrohr. RAD gibt also eine effektive Fahrradgröße an, die sich zusammensetzt aus Reach, Stack, aber auch Steuersatzstack, montierten Ahead-Spacern, Vorbau-Länge und Winkel, Lenker Rise und den Lenker-Sweeps. RAD soll unabhängig von den isolierten Parametern eine gesamtheitliche Abbildung der Größe eines Fahrrads darstellen – und damit ermöglichen, im Detail ein Fitting oder eine Optimierung zu erreichen.
Im Extremfall könnte man sich einen Zirkel nehmen, am Tretlager ansetzen, den RAD als Radius verwenden und einen Kreisbogen zeichnen. Alle Punkte auf diesem Kreisbogen sollten in etwa die gleiche Spannweite der fahrenden Person abbilden. Da gerade sehr flache oder sehr steile Winkel wenig praktikabel sind, gibt es als begleitenden Wert den RAAD.
Auch RAAD ist ein Akronym (Rider Area Angle in Degrees) und beschreibt den Winkel zwischen der Horizontalen und unserer gedachten Linie zwischen Tretlager und der gespannten Schnur. Je kleiner der Winkel, desto niedriger ist die Front, je größer der Winkel, desto aufrechter ist das Cockpit.
RAD & RAAD – Wie berechnen sich die Werte?
Den RAD zu berechnen, ist komplex. Grundsätzlich ist er aus den relevanten Parametern berechenbar, problematisch ist dabei aber unter anderem das Verhältnis aus Lenkwinkel und Lenker-Rotation im Vorbau. Ein an den gleichen Vorbau-Markierungen ausgerichteter Lenker bekommt bei 69° Lenkwinkel einen anderen effektiven Back- und Upsweep, als bei 63° und damit entsprechend einen unterschiedlichen RAD. Der RAAD lässt sich über die Trigonomischen Formeln bestimmen – kommt aber mit den gleichen Hürden in der Bestimmung. RAD ist damit eher ein Parameter, der in einem Fitting-Prozess gemessen werden kann.
Aber wie können wir diesen Wert trotzdem nutzen?
Die Antwort ist Vereinfachung.
Warum bilden wir eine eigene Definition der Werte ab?
In unserer Geometrie-Datenbank erfassen wir zahlreiche Werte. Einige der Parameter, die für die Bestimmung von RAD und RAAD benötigt werden, aber nicht. Diese zu erfassen wäre auch nur bedingt zielführend – denn wo setzt man den Standard für Ahead-Spacer und Lenker-Rotation im Vorbau – und wie aussagekräftig ist es, wenn man mit nur 1 cm Spacer-Veränderung den RAD und RAAD verändern kann?
Wir bleiben also bei den Werten, die wir bereits erfassen, und vereinfachen den RAD und den RAAD in unserer Betrachtung. In unserer Definition nutzen wir nur Reach und Stack, ziehen also eine imaginäre Linie von der Tretlagermitte bis zur Mitte des Steuerrohr-Zylinders. Somit können wir die Hypotenuse von Reach und Stack als Rahmen RAD (Frame RAD) und über die trigonometrischen Funktionen den Frame RAAD berechnen.
Wie präzise sind Frame RAD und Frame RAAD?
Wie auch beim FC2RC-Verhältnis, haben wir auch hier wieder eine gewisse Unschärfe: Da wir uns auf die Angaben des Herstellers verlassen müssen, bekommen wir keine mathematische Ungenauigkeit rein, aber ein gewisses Fehlerpotential bleibt – die Bemaßung eines Fahrrads ist schlicht und einfach nicht genormt:
- Nicht jeder Hersteller gibt bei Verwendung von Flip-Chips alle Veränderungen an.
- Herstellerangaben können ungenau ausfallen – bewusst oder wegen Toleranzen.
Kleine Änderungen wie das Drehen eines Flip-Chips können sich signifikant auf die Geometrie auswirken – vielfältig verstellbare Bikes wie das Orbea Rallon bieten so viele Möglichkeiten, dass wir es in Geometrics nicht mehr sinnvoll abbilden können. Aber es gibt auch Hersteller, die lediglich die Veränderung des Lenkwinkels angeben, wenn ein Winkelsteuersatz ab Werk verbaut ist. Mit dem flacheren Lenkwinkel verändert sich natürlich auch die Länge des Front-Centers.
Herstellerangaben können auch manchmal falsch sein! Eines meiner letzten privaten Bikes hatte einen real gemessenen Lenkwinkel, der 1,5° steiler war als auf dem Papier angegeben. Ob hier bei der Qualitätssicherung ein Fehler passiert ist, oder der Hersteller bewusst eine falsche Angabe gemacht hat, ist schwer zu sagen – ebenso ist schwer zu sagen, ob die restliche Geometrie dann stimmt.
Frame RAD & Frame RAAD – Was fange ich mit diesen Werten an?
Ähnlich wie bei Reach und Stack – mit diesen Werten arbeiten wir noch nicht, seit es Mountainbikes gibt – müssen wir uns Referenzen und Vergleichswerte schaffen. Was sind wir gefahren, was hat uns gefallen, was nicht? Was war zu groß, was zu klein? Ähnlich ist es auch hier beim Frame RAD und Frame RAAD: Welche Werte hatten eure letzten Bikes und welche Modifikationen habt ihr mit Lenker, Vorbau und Ahead-Spacern gemacht, um vielleicht Schwachstellen auszubessern oder das Bike einfach zu optimieren?
Mit dem Frame RAD erhalten wir eine präzisere Information darüber, wie groß der Hauptrahmen ist – vor allem, wenn man den Reach isoliert betrachtet, kann das trügerisch sein. Die Kombination aus Reach und Stack lässt für Geometrie-Nerds klar werden, wie groß ein Rad tatsächlich ist, präzise wird es aber erst, wenn man den tatsächlichen Wert berechnet.
Der Frame RAD sagt isoliert betrachtet erst einmal nichts über die Front-Center-Länge eines Fahrrads aus, macht aber deutlich: Bikes mit gleichem Frame RAD können, je nach Frame RAAD, trotz eines ähnlichen Größen-Gefühls, eine komplett unterschiedliche Front-Center-Länge haben. Je größer der Frame RAAD bei gleichem Frame RAD, desto kürzer das Front-Center (wenn Einbaulänge der Gabel und Offset auch identisch sind) – damit ergibt sich ein Einfluss auf die Radlastverteilung.
Mit dem Frame RAAD bekommen wir aber noch eine wichtige Zusatz-Info: Wie aufrecht stehe ich oder wie stark nach vorne gebeugt? Natürlich nur ohne das Beiwerk Cockpit. Das ist spannend, da wir je nach persönlicher Präferenz in etwa einschätzen können, wie wir das Cockpit spezifizieren müssen, um den persönlichen Geschmack zu treffen. Ich kann also einen Rahmen, der vielleicht nicht meinen Idealvorstellungen bei Reach und Stack entspricht, durch kleine Anpassungen bei Vorbau-Länge und Lenkerrise so austarieren, dass er dennoch meinen Vorlieben entspricht.
Suche ich mein nächstes Bike nach diesen Werten aus?
Warum nicht zumindest für eine Vorselektion relevanter Modelle? RAD und RAAD geben ziemlich viel Ausschluss über die tatsächliche Größe eines Bikes und die resultierende Fahrposition. Die Werte bilden dabei eine präzisere Darstellung, als die Kombination aus Reach und Stack zu beurteilen. Bei der Vorselektion können die Werte behilflich sein, für echte Geometrie-Nerds spielen aber sehr viele andere Werte ebenso eine wichtige Rolle. Persönlich müssen für mich auch der Lenkwinkel, der Sitzwinkel, das FC2RC-Verhältnis oder aber auch die Sitzrohrlänge passen – also eigentlich das Gesamtpaket. Wenn ich das aber im Blick habe, weiß ich genau, wo vielleicht Kompromisse liegen und wie ich diesen entgegenwirken kann.
RAD und RAAD bzw. Frame RAD und Frame RAAD helfen uns die tatsächliche Größe eines Fahrrads einzuordnen und darzustellen, wie verschiedene Faktoren die Länge eines Bikes beeinflussen können. Das Konzept kann eine Hilfe bei der Selektion der richtigen Rahmengröße, aber auch zur Feinabstimmung mitsamt Cockpit dienen.
Nutzt ihr RAD oder RAAD für die Größenbestimmung?
32 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumTatsächlich relevant sind immer die Werte, die die Griffposition betreffen, denn die hat man als Fahrer in der Hand. Wie die Verbindung von Griff zu Rahmen geometrisch gelöst ist, hat keinerlei Einfluss auf die Körperposition (anders ist das hinsichtlich so Sachen wie Stetigkeit, Vibrationen etc.)
Wenn man aber Rahmen vergleichen will, geht das halt nur mit Daten zum Rahmen. Bau einen Rahmen anders auf hinsichtlich Spacer, Vorbau, Lenker: er wird sich anders fahren. Ist ja auch gut so, denn so kann man einen Rahmen, den man ja nicht nur wegen der Geometrie kauft, auf sich persönlich anpassen. Wichtig ist halt, dass die Werte vom Rahmen in einem Bereich liegen, dass man mit einem vertretbaren Aufbau zu tatsächlichen Werten kommt, die einem passen. Das ist letztlich auch der wesentliche Wert von Geometrietabellen. Ziel ist aber immer eine optimale Position auf dem Bike; wie sich die aus Rahmen und Cockpit und sonstiger Komponenten zusammensetzt, ist hinsichtlich Schwerpunkt zweitrangig.
Die Lenkerbreite ist nochmals ein ganz eigener Punkt, der hinsichtlich Ergonomie sicherlich nicht zu verachten ist, aber rein hinsichtlich Körperposition nur indirekt eine Rolle spielt. Wenn dein Lenker 2 cm schmaler ist, also pro Seite einen Zentimeter, wird sich dein Körperschwerpunkt bei vergleichbarer (!) Körperhaltung (Winkel in den Armgelenken) kaum merklich verschieben. Wenn aufgrund eines besser passenden Lenkers du aber zum Beispiel mit anderen, besser passenden Armwinkeln unterwegs bist, kann sich dein Körperschwerpunkt sehr wohl verschieben, das hat dann aber nichts mit der Rahmen-/Bikegeometrie zu tun. Deshalb würde ich die Lenkerbreite da unabhängig betrachten, wie übrigens auch die Kurbellänge. Wobei natürlich die Position auf dem Bike, die man einnehmen will, für die richtige Dimensionierung essentiell ist. Daher erst mal die Kurbellänge und Lenkerbreite finden, die ergonomisch für einen passend ist, daran dann die "normale" Bikehaltung festmachen und die zur Grundlage der passenden Geometrie machen.
Richtig, da ist aber wieder egal, ob man in Stack/Reach oder RAD/RAAD misst, der Sattel ist per Definition in beidem irrelevant. Die Sache mit der Sitzposition ist komplizierter, weil man nicht die gegenseitige Lage von zwei Punkten im (in Geometrietabellen zweidimensionalen) Raum betrachtet, sondern drei. Das verdoppelt leider die Anzahl der Freiheitsgrade von zwei auf vier.
Hatte ich - zumindest implizit - auch so geschrieben. In diesem Sinne, die Präzisierung ist richtig und danke dafür!
Und wenn wir schon bei "präzise" sind, würde ich davon ausgehen, dass du zum Beispiel einen Lenker mit mehr Rise verwendet hast. Das würde bei korrekter Installation den Stack erhöhen und den Reach gleich lassen. Das verändert dann RAD und RAAD. Mehr Spacer dagegen erhöht Stack und verkürzt Reach, das verändert den RAAD, lässt aber den RAD wahrscheinlich recht gleich (ist so, wenn die Lenkachse senkrecht auf die Verbindungslinie Tretlager/Griffmittelpunkt steht und man nicht viel ändert wegen tangentialer Verschiebung; ist selten genau so, aber auch nicht weit weg davon). Ein längerer 90°-Vorbau dagegen erhöht Stack und Reach, vergrößert dadurch RAD, lässt aber eher RAAD gleich (gleiche Argumentation wie eben). Bewirkt deshalb auch nicht dasselbe, diese verschiedenen Anpassungen.
Was noch zu bedenken ist:
Eine Veränderung der tatsächlichen Geometrie, also Griffposition relativ zum Tretlager, bewirkt eventuell eine Veränderung der Schwerpunktlage, was sich natürlich aufs Bike-Handling auswirkt, was sich wiederum unterschiedlich anfühlen kann, als in meiner folgenden Überlegung.
Mein Punkt mit RAD bezüglich "verspielt vs. laufruhig" beruht vor allem darauf, dass der Körperschwerpunkt sich ja immer zwischen Händen und Füßen—bezogen auf die Vertikale—befinden sollte. Bei konstantem RAAD bedeutet ein größerer RAD auch immer eine größere horizontale Basis; sprich eine gleich große Verschiebung des Körperschwerpunkts in horizontaler Basis durch Bewegungen des Fahrers bewirkt eine kleinere Veränderung der Gewichtsverteilung zwischen HR und VR, was letztlich mehr Stabilität bedeutet. Allerdings ist das zugegebenermaßen eher Feintuning. Eine andere Haltung auf dem Bike, was mindestens so sehr am RAAD liegen dürfte, verschiebt den Körperschwerpunkt dagegen insgesamt, was wohl deutlich mehr Auswirkungen hat.
Zu letztem Punkt folgende zentrale Überlegung:
Man stelle sich mal mit leicht gebeugten Armen und Beinen und einem etwas nach vorne gekipptem Oberkörper hin; das ist in etwa eine typische Stellung auf dem Bike. Nun bewege man die Arme in derselben Haltung, was Ellenbogen etc betrifft, aus den Schultern heraus nach unten zur Hüfte hin bzw. nach oben von der Hüfte weg. Man wird feststellen, dass dies relativ viel am RAD, also Abstand Hände-Füße ändert, aber relativ wenig am RAAD. Der Körperschwerpunkt verändert sich dabei auch recht wenig, weil die Arme eben relativ wenig Anteil an der Körpermasse haben.
Nun lässt man die Arme in einer Stellung, beugt aber den Oberkörper mehr oder weniger stark nach vorne. In dem Fall ändert sich der Abstand Hände-Füße, also RAD, weniger stark, die Richtung der Hände zu den Füßen, also RAAD, dagegen mehr. Also genau anders herum als vorhin. Gleichzeitig verändert sich der Körperschwerpunkt spürbar, weil der Oberkörper (plus Kopf) den Großteil der Körpermasse trägt und sich der Winkel des Oberkörpers gegenüber den Beinen verschiebt.
Steht man nun ohne Rad, muss der Hintern nach hinten, sonst fällt man einfach um. Mit Rad dagegen kann sich Gewicht auf dem Lenker abstützen und man muss mit dem Hintern nicht nach hinten. Das bringt aber mehr Gewicht auf den Lenker und verändert dadurch erheblich die Gewichtsverteilung zwischen VR und HR.
Die Gewichtsverteilung zwischen VR und HR ist fürs erfolgreiche Geländeradfahren essentiell, sie sollte möglichst ausgeglichen sein. Da sich das bei verschiedenen Neigungen und auch sonst bei Fahrmanövern, Unebenheiten etc. ändert, muss man adaptieren können. Eine neutrale Ausgangslage erlaubt da einen weiten Bereich, was erstrebenswert ist. Was die neutrale Ausgangslage ist, hängt auch davon ab, was man üblicherweise fährt (durchschnittliches Gefälle), aber natürlich auch erheblich von den Körperproportionen. Langer Oberkörper und kurze Beine brauchen eventuell einen anderen Hüftwinkel als kurzer Oberkörper und lange Beine für denselben Körperschwerpunkt und dieselbe Lastverteilung zwischen Armen und Beinen – und damit einen anderen RAAD, wenn man obiger Betrachtung folgt!
Entsprechend gibt es dann einen individuell guten Korridor für RAAD, aber sicher keine feste RAAD-Formel, die man anstreben sollte. Und für Werte, die sich auf einen Rahmen beziehen, natürlich umso weniger.
Wann hören wir auf die statische Geometrie von Rädern zu betrachten wenn nichts relevantes im voll ausgefederten Zustand geschieht?
Wenn schon Rad und Raad angeben warum dann nicht im Sag?
Bei soviel Theorie um eine Rahmengeometrie zu bewerten hab ich Bedenken, keine Zeit mehr für das eigentliche Radfahren zu haben.
Wie realitätsnah ist diese "Frame-RAD/RAAD Systematik" wirklich?
Nutzt das wirklich jemand, um sich zwischen verschiedenen Bikes zu entscheiden?
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