MTB-News: Hi Gerhard, vermutlich hat dich hier jeder Leser zwar schon einmal auf einem Video oder Bild gesehen, aber erzähl doch zum Einstieg mal, wer du bist und was du so machst.
Gerhard Czerner: Im Großen und Ganzen dreht sich vieles bei mir um den Mountainbike-Sport. Als Bikeguide, Fahrtechniktrainer und Ausbilder für Bikeguides darf ich oft mit motivierten Leuten Rad fahren gehen. Als Reisejournalist und Radreisender kann ich viele meiner Reiseträume verwirklichen. Ich berichte über meine Erlebnisse in Magazinen, auf Videos und zukünftig auch vermehrt auf Vorträgen. Nebenbei arbeite ich noch als Brand-Ambassador für einen großen Rucksack-Hersteller. Im Winter war ich lange als Ski- und Snowboardlehrer tätig. So vergeht das Jahr wie im Flug.

Das ist jetzt nicht so der 0815-Job, wie ihn hierzulande ja doch die meisten haben. Wie bist du dazu gekommen?
In meiner Jugend hab ich mit dem Trial-Sport angefangen. Das hat ganz gut geklappt und so konnte ich bald neben den Wettkämpfen mit Shows ein bisschen Geld verdienen. In den ersten Wochen meiner Ausbildung zum Zweiradmechaniker war mir dann schnell klar: Ich will lieber auf Fahrrädern fahren, als an ihnen schrauben. Also hab ich die Ausbildung durchgezogen, meinen Zivildienst absolviert und mich als Biker selbständig gemacht. Über das Trialfahren bin ich zu Fahrtechnikkursen gekommen, darüber zum Guiden und so nahm alles seinen Lauf.
Als Job um die Welt zu reisen – klingt eigentlich nach einem Traum. Beschreibe doch mal bitte die schönen Seiten.
Reisen erweitert den Horizont und räumt mit Vorurteilen auf. Ich erlebe jede Menge neue Eindrücke und habe viele schöne Begegnungen mit Menschen in fremden Ländern. Unterwegs schätze ich die Reduktion auf das Notwendige: essen, schlafen, biken. Oft bin ich in Regionen, wo es keinen Empfang für Telefon und Internet gibt. Damit werden die Ablenkungen weniger, die Konzentration aufs Wesentliche größer. Unterwegs merke ich immer wieder, wie wenig ich wirklich brauche. Eine Tasche voll Equipment reicht für Wochen.


Und nun die schlechten Seiten.
Ich nenne es mal Herausforderungen, nicht „schlecht“. Wie wohl in jedem Job gibt es auch bei mir Dinge, die ich lieber mache als andere. Ich bin ja eine ganze Firma, mit allen Positionen in einer Person: CEO, Brand Manager, Marketing Manager, Buchhalter, PR Manager, Produktentwickler, Social Media Manager, Journalist, Reisender, Vortragender, Sportler, Mechaniker … und so weiter. Das ist eine echte Herausforderung, all die Sachen unter einen Hut zu bringen. Dadurch verbringe ich auch viel Zeit vor dem PC, was nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung ist. Das sieht man von außen nur nicht. Die Meinung ist oft, wir fahren in den Urlaub und ganz nebenbei entstehen schöne Bilder und Geschichten. Aber das Reisen an sich ist der kleinste Teil des Ganzen.

Nach welchen Kriterien suchst du dir deine Reiseziele aus?
Meist sind es persönliche Interessen. Manchmal kommt ein Freund mit einer Idee um die Ecke. Oft kann ich mir Träume verwirklichen, welche schon seit vielen Jahren in meinem Kopf herumspuken. Was für ein Privileg! Zum Beispiel meine letzte Reise nach Pakistan, ins Karakorum. Die steilen Wände und hohen Berge wollte ich schon seit meiner Jugend besuchen. Jetzt konnte ich mir den Traum endlich verwirklichen. Oder es sind Länder, über die ich gar nichts weiß, welche ein völlig weißer Fleck auf meiner persönlichen Landkarte sind und so mein Interesse wecken. Der Oman zum Beispiel war so ein farbloser Fleck, welcher nach den Erlebnissen großartige Farben bekommen hat.

Wie viel Vorbereitung steckt in einer solchen Reise?
Das ist sehr unterschiedlich. Aber: immer mehr als man sieht! Zwei Jahre Vorbereitung und Planung sind keine Seltenheit von der ersten konkreten Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten an einem Reiseziel, bis letztlich die Tour dann startet. Die Idee dazu schlummert meist schon viel länger in mir.
Nenn doch mal ein paar Tipps, die man als Mountainbiker beachten sollte, wenn man in eher unübliche Länder zum Radeln reist.
Offenheit, Flexibilität, Spontanität, Respekt und Motivation zum Verzicht sollten ins Gepäck. Oft läuft es nicht so, wie es zu Hause bei der Planung, im warmen Zimmer auf der Couch liegend, klingt. Durch die vielen vorhandenen Informationen ist es heute leicht, Erwartungshaltungen zu wecken, welche dann vor Ort nicht erfüllt werden. Daher heißt es flexibel sein. Aussagen über die Befahrbarkeit von Wegen muss man sich als Biker von Einheimischen oder Wanderern meist gar nicht erwarten, wenn man dort unterwegs ist, wo selten oder gar keine Biker waren/sind. Was ich da schon alles gehört habe! Von „no way, you can not even push your bike here“, bei gut rollbaren Wegen, bis zu „80 % fahrbar“, bei Wegen, wo wir fast nur geschoben haben. Immer steht das Gesamterlebnis einer Tour über dem Raderlebnis, da die Infrastruktur selten fürs Biken gebaut ist. Manchmal entdeckt man aber auch Juwelen. Wer „nur gut biken will“, sollte sich lieber in eine dafür erschlossene Region begeben. Auch sollte man eine Bereitschaft an den Tag legen, die eigene Komfortzone mal zu verlassen.


Du reist oft mit dem Fotografen Martin Bissig. Erzähl doch mal was über eure Zusammenarbeit.
Aus der anfänglichen Zusammenarbeit hat sich über die Jahre eine Freundschaft entwickelt. Der menschliche Aspekt steht ganz oben auf der Auswahlliste meiner Reisepartner. Dass Martin nebenbei noch einen sensationellen Job als Fotograf und Filmer macht, ist perfekt! Wir kommen auf den Reisen immer gut miteinander aus und haben oft die gleichen Vorstellungen von dem Produkt, das danach entstehen soll. Ohne sein geschultes Auge und seine Bereitschaft, auch unter extremen Bedingungen zur Kamera zu greifen und gute Bilder zu machen, könnte ich nichts veröffentlichen. Wer druckt schon eine Reisegeschichte ohne Bilder? Auch meine Partner und Sponsoren wissen die hohe Qualität seiner Arbeit zu schätzen und freuen sich über gutes Bildmaterial.

Was war das verrückteste Erlebnis auf deinen Reisen?
Es gibt jede Menge skurriler Ereignisse und Begegnungen. Ein kürzlich erlebtes Highlight war sicher die Begegnung mit einem hohen Tier des pakistanischen Geheimdienstes: Wir haben in Islamabad ein Uber bestellt und da kam ein Fahrer in einer kleinen, verbeulten Kiste um die Ecke. Er konnte extrem gut Englisch, was dort nicht wirklich üblich ist, und so sind wir irgendwann auf seinen Job gekommen. Auf die Frage hin, warum er als Uber-Fahrer unterwegs ist, meinte er: „Meine Frau ist mit den Kindern bei ihrer Mutter und bevor ich vor dem TV ende, fahre ich lieber Uber und quatsche mit den Leuten!“ Das stelle man sich mal hier in Deutschland vor …

Was schätzt du am meisten auf deinen Reisen?
Meine Reisepartner. Ohne Freunde, welche die Freude und auch mal das Leiden teilen, wäre eine Reise nicht das gleiche Erlebnis. Wenn es in einem Team harmonisch läuft, kann kommen was will und man ist den Herausforderungen gewachsen. Wenn es zwischenmenschlich nicht passt und man Ärger im Team hat, kann man die schönsten Momente nicht genießen.
Tibet, Afrika, Nepal, Indien, nun Pakistan … was schätzt du denn am meisten wieder nach der Rückkehr nach Deutschland?
Vieles ist für uns daheim völlig selbstverständlich: Sicherheit, sauberes Wasser, Gesundheit, ein Bett, Hygiene. Als Beispiel haben wir jederzeit und immer Zugang zu frischem Wasser. Das kennen wir ja gar nicht anders. Wir wachsen mit dieser Selbstverständlichkeit auf. Aber das ist bei Weitem nicht überall so! Haben viele von uns schon mal gehört, ist aber irgendwie weit weg. Es ist aber ein bleibendes Erlebnis, wenn man es erfahren hat. Das Reisen verändert den Blick auf die Gegebenheiten daheim. Vielen von uns geht es doch wirklich gut und oft meinen wir trotzdem, wir haben irgendwelche großartigen Probleme. Wenn ich andere Regionen in der Welt erlebe, habe ich den Eindruck, wir machen uns viele davon selbst.


Die Reduktion aufs Wesentliche bei diversen Reisen erdet, wie man so schön sagt. Manches ist mir dann Zuhause nicht mehr so wichtig. Irgendwie wird der Alltag dadurch manchmal unbeschwerter, habe ich für mich das Gefühl. Auch der Blick auf die Gesellschaft, in welcher ich aufgewachsen bin, deren Werte und Ansichten ich natürlich auch in meiner Erziehung mitbekommen habe, ändert sich. Manche Dinge lerne ich mehr zu schätzen. Bei anderen Themen entwickelt sich ein eher kritischer Blickwinkel. Das finde ich an der Rückkehr immer spannend, wie Erfahrungen die eigenen Ansichten verändern.
Gerhard, danke dir vielmals für deine Antworten!
Hier könnt ihr Gerhards Abenteuer verfolgen: www.gerhardczerner.com | www.instagram.com/gerhardczerner
Welches Land würdest du gerne mit deinem Mountainbike besuchen – und warum?
19 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumFixkosten kann man exzellent drücken. Zumindest in CH ist es mir möglich diese für längere Reisen auf ca. 300CHF/ Monat zu drücken. mit Abstellraum auf 400 CHF/Monat. Das ist dann nämlich ziemlich genau meine Krankenversicherung weltweit ohne Limits. Der Rest gehört abgeschafft: Möbel verkaufen, Wohnung aufgeben, alle Verträge kündigen, Auto verhökern. Damit kannst du diese 300-400 CHF auch je nach Anzahl Besitz bis zu einem Jahr gegenfinanzieren, ehe du ans ersparte musst.
Und das macht frei. Weil man hat gar nichts mehr, ausser die Sicherheit nach Hause zu können, falls es sein muss.
Ich stimme Dir auch voll zu Deiner Aussge der "Luxus Krönung". Das, was ich mir erarbeitet habe und nun leben darf, empfinde ich auch tatsächlich als Privileg und Luxus! Und ich bin sehr dankbar dafür. Schön, wenn es dir/Anderen auch so geht. Wohl Alle von uns hier, die sich Mountainbikes, Computer, Smartphones etc. leisten können, leben einen gewissen Luxus.
Dem aufmerksamen Leser meines Interviews wird Folgendes nicht entgangen sein: die von mir formulierte "Reduktion auf das Wesentliche" bezieht sich nicht, wie oben angemerkt, auf meine "highend" Ausrüstung, oder gar auf meinen gesamten Lebensstil:
"Unterwegs schätze ich die Reduktion auf das Notwendige: essen, schlafen, biken. Oft bin ich in Regionen, wo es keinen Empfang für Telefon und Internet gibt. Damit werden die Ablenkungen weniger, die Konzentration aufs Wesentliche größer." Essen, schlafen und biken sind Tätigkeiten! Es ist meine Wahrnehmung, das wir zuhause meist in einem Zustand der ständigen Ablenkung leben und meinen, tausend Sachen auf einmal machen zu müssen. Selbst aufs Klo kommt bei Manchen das Smartphone mit! Und dort, wo es eben keinen Empfang gibt, wo es nichts zu tun gibt, ausser das Notwendigste, auf diesen Reisen ist das Leben für eine gewisse Zeit auf die wesentlichen Dinge reduziert, welche man unterwegs machen muss.
Meine persönliche Erfahrung kurz zusammengefasst: Weniger Ablenkungen = intensivere Erlebnisse. (Reduktion auf das Wesentliche)
Danach erst findet ihr meine Aussage der Selbstreflektion zum Thema Ausrüstung: "Unterwegs merke ich immer wieder, wie wenig ich wirklich brauche. Eine Tasche voll Equipment reicht für Wochen." Jep, darüber hinaus sehe ich unterwegs immer wieder, dass ich Viele Dinge, welche ich zuhause habe, gar nicht zwingend benötige.
Wen es genauer interessiert wie, oder ob, ich tatsächlich "reise", der schaut am besten kurz in eines meiner Videos: z.B. von Tibet "Nekor" oder vom Kilimanjaro "Mountain of greatness". Dort werden die Fragen zu Gepäcktransport etc. geklärt, denke ich.
Nochmals herzlichen Dank und viel Vergnügen auf den Trails! Danke, bis bald!
Ja den Film Nekor habe ich schon oft gwguckt und war auch mein persönliches Video des Jahres, einfach draußen sein in Reinform.
Vielen Dank auch für Dein Statement, ich wollte mit meinem Post ganz und gar nicht anklagend sein
Das erinnert mich stark an: https://www.youtube.com/watch?v=IC8K8U2_Ipg

Beim letzten Satz muss ich immer heulen.
Gerhards Live-Vorträge sind auch maximal erlebenswert!
https://www.gerhardczerner.com/sattelfest-live-vortrag
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