Willkommen im Mountainbike-Mekka Berlin! Klingt irgendwie schräg, oder? Immerhin befindet sich unsere Hauptstadt und ihre dazugehörige Metropolregion mit über 3,6 Mio. Einwohnern in einer der flachsten Gegenden von Deutschland. Wenn es um Radsport geht ist Berlin, wenn überhaupt, eher bekannt für eine rege Fixie- und inzwischen auch Gravel – Szene. Was hat das wilde, bunte Berlin also für Biker zu bieten?
Mit meiner „Kanadischen Sister“ Micayla Gatto habe ich in den letzten Jahren schon viele exotische Bike-Trips erlebt. Wer sie nicht kennt, schaut am besten auf ihrem Instagram-Kanal vorbei. Diese Powerfrau ist ein echtes British Columbia-Original und hat so viel Talent, dass ich schon manchmal demütig werde, mit ihr abhängen zu dürfen. Diesen Sommer hat sie mich zum ersten Mal in Deutschland besucht. Als echte beste Freundin hat sie den weiten Weg aus Kanada nach Brandenburg gemacht, um bei meiner Hochzeits-Party dabei zu sein.
Hier in der Brandenburger Heide konnte ich ihr MTB-technisch nicht so viel bieten. Ein kurzer Anruf genügt und wir sind im 140 km weiter nördlich gelegenen Berlin eingeladen. Unser Gastgeber: kein Geringerer als BMX/MTB/Freeride-Legende und Berlin-Local Timo Pritzel. Komprimiert in zwei Tagen hat er uns seine besten Bike-Spots, seinen Lieblingsbaum und einiges an Berlin-Kultur gezeigt. Kommt mit auf eine Reise ins MTB-Mekka Berlin.
Grunewald – Teufelsberg – Havelberg
Der Grunewald ist das größte Waldgebiet im Westen Berlins. Hier vergisst man schon mal, dass man sich inmitten einer Millionenstadt befindet. Neben vielen prominenten Bewohnern aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft gibt es hier auch einige spaßige Mountainbike-Trails und ein großes Wegenetz für längere Bike-Rides.
Eine der höchsten Erhebungen ist der Teufelsberg – ein Trümmerberg im Westen Berlins mit 120,1 m Höhe. Gebaut wurde der Berg aus 26 Millionen Kubikmeter Trümmerschutt des Zweiten Weltkrieges und in den 1950er Jahren mit einer Abhörstation der Alliierten für Überwachungsaufgaben im Kalten Krieg versehen. Man weiß ja: Berlin ist auf alle Fälle Mekka für Deutsche Geschichte und aufgrund dessen ohnehin immer eine Reise wert. Warum man aber sein Bike einpacken sollte, finden wir jetzt raus.
Am und rund um den Teufelsberg gibt es schon länger eine relativ große Bike-Szene. Natürlich geht auch das Thema Legalität und schleppende Kommunikation mit Förstern nicht an diesem Spot vorbei. Bisher wird das glücklicherweise geduldet. Es gibt hier stetig junge Leute, die gerne selbst bauen und ihre Sprünge und Lines pflegen, was man auch merkt, wenn man die Trails dort fährt. Die flowigen Lines mit etlichen Kickern, Anliegerkurven, größeren Sprüngen und Hip-Jumps machen Laune. Wenn Timo wie ein Flummi mit ordentlich Style durch die Luft fliegt, bleibt bei Micayla und mir schon mal die Kinnlade unten. In einem Nebensatz lässt meine kanadische Freundin fallen, dass Timo ein absoluter Held ihrer Jugend war durch seine Auftritte in mehreren New World Disorder-Filmen. Wir verbringen eine echt gute Zeit auf den Teufelsberg-Trails.
Das Highlight nach dem Ride ist ein Besuch der ehemaligen Abhörstation ganz oben auf dem Berg. In den alten, halb verfallenen Gebäuden mit den ikonischen weißen Kuppeln versteckt sich die Teufelsberg Street Art Gallery mit unzähligen Graffitis und Malereien von verschiedensten namhaften Künstlern. Hier steht man sogar in einer der größten Street-Art-Galerien der Welt – Wahnsinn. Micayla ist selbst Künstlerin (@micaylagattoart) und total aus dem Häuschen. Die riesigen Outdoor-Gemälde eignen sich übrigens auch super als Hintergrund für ein Social-Media-taugliches Foto vom Bike!
Als Nächstes geht es ein paar Kilometer weiter zum Havelberg. Das Gebiet rund um den Havelberg liegt direkt neben der Havel, die an der Stelle eher einem See anmutet, als einem Fluss. Ich hätte nicht erwartet, dass wir dort sogar am Strand anhängen können, mitten im saftig grünen Wald. Verrückt, dass wir uns immer noch in der bevölkerungsreichsten Stadt der EU befinden.
Wir pedalieren vielleicht 10–20 Minuten hoch, bis es in den Trail geht. Links und rechts fliegen etliche Abzweigungen an mir vorbei. Wir machen an einer riesigen Eiche halt: Timos Lieblingsbaum! Durch seine vielen Verletzungen ist er vor ein paar Jahren erfolgreich auf Yoga als Allheilmittel gestoßen. Mit seinen Yoga & Bike-Workshops verhilft er den meist steifen Mountainbikern mit speziellen Übungen zu mehr Flexibilität und Wohlbefinden. Wer Yoga mag, hat meist auch eine Vorliebe für Meditation, und laut Timo ist dieser Baum der perfekte Ort dafür, weil es nur noch wenige so alte Eichen in Berlin gibt. Micayla ist ruckzuck in der Baumkrone verschwunden.
Nachdem wir alle kurz mal das Kind in uns rausgelassen haben, geht es weiter auf den Havelberg-Trails. Wir kommen auch an einen Spot mit perfekt geshapten Step Downs und Step Ups … das perfekte Terrain, um Sprünge zu üben. Dort um die Ecke gibt es auch einen Trail mit super vielen Anliegerkurven – alles wirklich gut gebaut und gepflegt. Das Areal hier an den Havelbergen gefällt mir richtig gut. Was Timo wärmstens empfiehlt, wir aber in der kurzen Zeit nicht machen konnten, sind verbindende XC-Touren zwischen den Trails im ganzen Gebiet Grunewald. Timo berichtet, dass viele BMXer aus den alten Tagen heute dort am Bike-Touren fahren sind. Wer weiß also, auf wen man alles so trifft auf so einer Grunewald-Runde.
Mellowpark
Das 60.000 m² große Mellowpark-Areal befindet sich im Bezirk Treptow-Köpenick im Süd-Westen Berlins. Er entstand auf Initiative des 1994 gegründeten Vereins „all eins e. V.“ als Outdoor-Skatepark 1999 auf dem Areal einer stillgelegten Kabelfabrik. 2010 ist der Mellowpark zum jetzigen Grundstück an der Wuhlheide umgezogen. Ein richtiges Mellowpark-Original ist Max Tuchtenhagen, den man als Berliner Atze hinter den Mikrofonen von BMX und MTB-Contests kennt. Ich habe ihn nach ein paar ikonischen Mellowpark-Geschichten gefragt und würde die gerne im Originalton schriftlich wiedergeben, „aber dit jeht leider nit so rischtisch“ in Textform.
Zur Geschichte des Mellowparks:
Wäre doch geil, wenn es einen Ort für verschiedenen Jugendkulturen gibt wie z. B. Basketball, Volleyball, Skateboard, Graffiti, BMX – die ja sonst nicht unbedingt was miteinander zu tun haben. Und wenn die sich an einem Ort treffen und sich unterhalten, dann wird sich nicht auf die Fresse gehauen. Das war erstmal die Idee vom Mellowpark.
Die Zukunft des Mellowparks:
In den letzten beiden Jahren haben die lokalen Jugendliche ein neues Jugendzentrum entwickelt und Fans in der Politik gefunden. Das alte Haus wird jetzt abgerissen und 2027/2028 soll ein neues Jugendzentrum dastehen. Außerdem wird an einer klimaneutralen BMX-Halle gearbeitet. Durch die sollen später Schulklassen geführt werden und die Techniken rund um Wärmepumpe, Photovoltaik etc. erklärt werden … danach gibt es natürlich einen BMX-Workshop für alle.
Als einer der größten Skateboard- und BMX-Parks Europas war der Mellowpark schon oft Heimat von internationalen Sportwettkämpfen wie Rebel Jam, Red Bull R.Evolution sowie BMX Supercross und wurde von Sport-Superstars wie Ryan Nyquist, Van Homan und Brian Kachinsky besucht. Mir im Speziellen ist er bekannt durch die BMX-Supercross-Anlage, welche damals eine der ersten in Deutschland war. Außerdem gibt es top Trainings-Möglichkeiten für BMX Freestyle. Lara Lessmann trainiert dort, die als erste Deutsche BMX-Freestylerin bei den Olympischen Spielen in Peking war. Ich wollte sie immer mal besuchen und ein paar Freestyle-Moves lernen, aber es hat nie geklappt.
Zusammen mit Micayla und Timo betrete ich das Gelände zum ersten Mal. Es ist ein wunderschöner Sommerabend und überall im Mellowpark cruisen Kids, Jugendliche und Erwachsene mit Skateboard und BMX-Rädern rum. Es gibt verschiedene Areale für die Sportarten – alles total liebevoll mit Graffitis bemalt. Die Jugendlichen haben sich hier mit viel Mühe ihren eigenen Ort geschaffen. Die BMX-Strecke ist natürlich das Highlight für mich. Ich treffe direkt Bekannte, die gerade für die Deutsche Meisterschaft trainieren. Wir machen zusammen ein paar Gate-Starts und ich fühle mich 1:1 in meine Jugend versetzt. Orte wie dieser sind einfach so wichtig für die Nachwuchsarbeit und eine unvergleichbare Alternative zu PC, Handy, Nintendo und Co.
Absolut faszinierend, welche Höhe Timos Sprünge über diese Race-Hügel haben. Ein kleines Wettrennen zwischen uns dreien darf natürlich auch nicht fehlen. Micayla ist, genau wie ich, früher auch BMX-Race gefahren. Es gibt keine bessere Schule für gute Fahrtechnik, die ein Leben lang bleibt. Normalerweise darf man allerdings nicht mit fetten Stollenreifen auf der Race-Bahn fahren – der Untergrund ist da recht empfindlich. Besser ist es, man fährt mit dem Dirtbike oder BMX. Gleich nebenan gibt es einen fetten Pumptrack, an dem man noch den Rest aus den müden Beinen herausholen kann.
Schenkenhorst / MotoX-Strecke
Laut Timo gibt es in fast jedem Bezirk Berlins einen Dirt Jump-Spot, wo BMXer und Mountainbiker zusammen die Sprünge bauen und pflegen. Wobei es auch hier das Problem gibt – wie bei den meisten Spots –, dass nicht viele die Schippe in die Hand nehmen. Er verrät mir, dass seine Lieblingslocation eigentlich die Strawberry Trails in Frohnau sind, er aber näher an der Dirt Jump-Location auf der MotoX-Strecke in Schenkenhorst wohnt und auch die Community rund um den Backyard Potsdam einfach total feiert. Früher war das der Spot vom BMXer Philipp Baum und jetzt baut dort Justus Rudolph mit Freunden, mit richtig viel Eigeninitiative und Leidenschaft.
Timo sagt, es wäre ähnlich wie beim Mellowpark: Wenn sich junge Leute zusammentun und sich wirklich Mühe geben und mit Passion dabei sind, dann kann wirklich Großes entstehen.
Im Moment ist der Spot nicht ganz offiziell offen für alle, weil nicht immer jemand da ist, um die Fahrer zu empfangen, aufzuschließen, Jumps abzudecken, zuzudecken und sich um alles zu kümmern. Es wird aber bestimmt mal eine Jam geben.
In Schenkenhorst gibt es eine Anfänger-Table-Line, zwei kleine Pumptracks und eine große Line. Die große Line ist so gebaut, dass sie für Dirtjump-Bikes gut geeignet ist, aber man kann durchaus auch mit einem großen Fully fahren. Timo bevorzugt das große Gerät, weil die Sprünge zwar größer, aber flowig und echt gut gebaut sind. Auf den Fotos kann man den Pritzel-Flow ganz gut einschätzen.
I’ve always wanted to visit Berlin. Famous for its music, art and culture, it’s been on my to-do list. However when Steffi invited me to come ride bikes in Berlin, I was a bit skeptical. I envisioned us cycling on mellow gravel paths in city parks, riding in urban settings, and experiencing the art and culture of Berlin. I thought maybe gravel bikes would have been more appropriate but she insisted I bring my trail bike. Nothing could have prepared me for the amount of forest and trails that surround this unique city! We were riding a braided network of super fun mountain bike trails that had plenty of flow, jumps, singletrack, and enough elevation to get your heart going! I honestly was blown away. We also visited the Mellowpark which is a compound within the city limits full of skate ramps, jumps, a bmx track, and Pumptrack. I can see now why Timo is able to live here. As a mountain biker, I think Berlin might be one of the more mtb accessible cities I’ve been to. It was an incredible experience. My only negative is that I wish we had more time!
Micayla Gatto
Fazit – Mountainbiken in Berlin
Timo sagt, für ihn liegt der Reiz an Berlin genau an diesem krassen Unterschied zwischen Mega-Metropole und dem Gefühl absoluter Abgeschiedenheit z. B. im Grunewald und am Strand entlang der Havel. Man kann verschiedene Spots und Communitys kennenlernen, welche auch teilweise so zentral liegen wie der Pumptrack und die Dirt Jumps unter der Warschauer Brücke. Die Leute sind immer überrascht, wie viel Natur und Trails es in Berlin gibt. Natürlich ist auch in Berlin das Thema nicht offiziell genehmigter Trails sehr präsent und man darf keinen Bikepark erwarten – da haben Orte mit offiziellen Trail-Netzwerken sicher mehr zu bieten.
Aus meiner Erfahrung mit Bike-Reisen kann ich nur eins empfehlen: Wenn man einen fremden Ort (sei es China, Hawaii oder Berlin) wirklich gut kennenlernen möchte, dann muss man sich mit den Locals treffen, die dieselbe Passion haben wie man selbst. Als Mountainbiker unter Gleichgesinnten – authentischer geht es einfach nicht. Und gerade weil das Trail-Angebot aufgrund der Topografie im Nord-Osten Deutschlands etwas dünn ist, ist die Berliner Bike-Community echt stark. Ein Besuch kann sich lohnen.
PS: Es gibt sehr viel mehr Bike-Spots in Berlin, die wir in der kurzen Zeit nicht besuchen konnten. Lasst doch mal in den Kommentaren euren Lieblingsort zum Biken in Berlin da.
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