…was soll das Ganze eigentlich und überhaupt? Im Zusammenspiel aller vorhandenen Spieler beim Bike Monopoly führst du dich als Besitzer der Parkstraße und der Schlossallee auf wie ein kleines Kind, das sich seiner Siegeschancen nicht bewusst ist. Du als Platzhirsch willst mehr. Dir reicht es nicht, eine Branche auf einer Messe zusammenführen zu können. Solange sich einige der Akteure deinem Einfluss und Diktat entziehen wollen, sind deine Ansprüche an dich selber wohl wichtiger als das Wohlwollen der Aussteller und Besucher. Schwuppdiwupp, das unerzogene Kind setzt dem Spiel ein Ende. Spielbrett und Inventar fliegen in die Ecke mit der Feststellung, dass neue Regeln her müssen, weil die alten doof sind. Später aber bist du beleidigt, wenn die anderen ihr eigenes Spiel nach ihren Regeln spielen.
01.09.2017. Es strömt im Regen, sorry ich verdrehe da wieder was, es regnet in Strömen. Auf dem Weg zum letzten Fachbesuchertag der Eurobike 2017 passieren wir die frisch gemähte Wiese rund um den Bikeladen Rad Keller direkt neben der Eurobike. Ein einsames Wohnmobil steckt in der Wiese fest. Still, leer und trostlos prasselt der Regen auf die Stelle, wo gleich das Cannondale Eventmobil für die nächsten zwei Tage aufgestellt wird. Cannondale hat eine Ereigniskarte gezogen und spielt nun nicht mehr mit. Man zieht es vor, dies anscheinend mit dieser Aktion auch klar und deutlich nach außen hin zu kommunizieren. Die Fachbesucher der Eurobike können nun gerne die Neuheiten des Jahres 2018 in direkter Nähe zur Messe betrachten. Dazu kann der ein oder andere sich gerne auch noch ein neues Bike zum Vorzugspreis mitnehmen. Noch nie war es so günstig, auf Kosten der Eurobike-Messe Promotion zu betreiben.
Natürlich stösst das dem einen oder anderen auf und auch ich schüttle im ersten Moment den Kopf vor Unverständnis über diese vermeintliche Dreistigkeit. Vielleicht ist es aber auch nur ein Weckruf? Neben den Messehallen zur Eurobike seine eigene Promo-Tour zu veranstalten, kann man als ein Statement der nachdenklichen Art verstehen. Ob dieser Ruf nach Aufmerksamkeit jedoch seinen Adressaten erreicht, ist fraglich.
Schon vorher am 29.08.2017 konnte man 13 km entfernt von den Messehallen auf dem Schloß Montfort beim Radhersteller Canyon die Produktpalette des kommenden Jahres bewundern. Im rustikalen Ambiente zwischen Häppchen und Prosecco wurde hier der Fehdehandschuh geworfen. Dieser Schlag ins Gesicht der Eurobike ist nicht minder offensichtlich. Mit gutem Grund hat Canyon sich von der Eurobike verabschiedet. Ohne Besuchertage ab 2018 macht eine Messe für einen Bike-Versender einfach keinen Sinn mehr. Dass Canyon trotzdem in diesem Jahr seine Räder abseits der Messe in Friedrichshafen präsentiert, mag für den einen paradox erscheinen, jedoch für den anderen wieder ein Liebesbrief sein, der wahrscheinlich nicht erwidert wird.
Eurobike, wo geht unsere Reise nur hin?
Das Leid fing in 2014 an, als Specialized und Trek beschlossen, ihre neuen Modelle nur noch auf eigenen Hausmessen zu präsentieren. Damals sah die Eurobike dies alles noch sehr gelassen, da viele andere in der Bikeindustrie nach dem Wegfall der BIKE ISPO stärker auf die Eurobike setzen wollten. Außerdem fand sich mit der ZEG (Bulls, Hercules) ein passender potenter Neuzugang, um die prominenten Abgänge zu kompensieren.
2016 verabschiedete sich der Branchenriese Cube von der Messe, dazu auch noch Felt und Kona. Auch Derby Cycles mit seinen Marken Focus, Univega und Kalkhoff sowie Santa Cruz wollten weniger präsent auf dem Messegelände sein. Die Eurobike lebte weiter, jedoch war es offensichtlich, das hinter den Kulissen Entscheidungen getroffen werden müssten, die darüber entscheiden, wohin sich die Branchenmesse entwickelt. Nachdem sich erste Gerüchte breit machten, glaubte so mancher, dass gewisse Entscheidungsträger zu viel Kontrastmittel geschluckt hätten, oder steckte hinter all den Neuerungen ein perfider Plan, der sich den meisten einfach nicht erschloss?
In 2017 haben dann auch noch Canyon und Cannondale der Messe den Rücken gekehrt und meldeten sich über ihre Aktionen spektakulär ausserhalb des Messegeländes zurück. In den Messehallen dagegen rumort es. Die Ankündigung der Eurobike-Leitung, die wichtigste Fachmesse des Jahres in Europa grundlegend zu verändern und sie dazu auch noch in den Juli zu verlegen, lässt sehr viele Aussteller eher vor Magenschmerzen als vor Freude weinen. Beim Gang durch die Luxustempel, das unser liebstes Hobby reflektiert, hatte ich genug Zeit, mir Meinungen zu dem neuen Messekonzept ohne Publikumsbesucher einzuholen. Der Tenor ist das Unverständnis über nicht nachvollziehbare Entscheidungen. Es mag viele Gründe für diese Entscheidungen geben, nur erschließen sie sich den meisten nicht.
Die Vorverlegung des Messetermins auf Anfang Juli verursacht das größte Kopfschütteln. War ja der alte Termin Ende August für viele schon hart an der Schmerzgrenze, nötigt die Eurobike nun eine ganze Industrie, ihr Marketing komplett neu zu überdenken. Ich sehe schon Heerscharen von Endverbrauchern im Juli die Läden stürmen und den armen Händler mit dem Preis im Anschlag bedrohen.
In meinen Augen und wohl auch in den Augen vieler anderer wäre es wohl sinnvoller gewesen, den Messetermin mehr in Richtung Oktober zu verschieben. Jedoch wird hier anscheinend eine andere Taktik verfolgt. Es ist zwar nur eine Mutmaßung, aber es geht hier vielleicht nur um verletzte Eitelkeiten. Sich vor all die anderen Hausmessen zu positionieren, die von den verlorenen Kindern nun veranstaltet werden, kann man als Trotzreaktion verstehen. Als Ausdruck von Stärke verstehe ich das auf jeden Fall nicht. Ich glaube nicht, dass man so auch nur einen großen Hersteller zurück auf die Messe lockt.
Ich empfinde die Abschaffung der Publikumstage als Selbstmord auf Raten. Dass Aussteller der Eurobike ihr Vertrauen entziehen und fernbleiben, hat wohl auch entscheidend mit dieser Entwicklung zu tun. Der Publikumstag 2017 am Samstag zog mit 22.160 Besuchern die meisten Besucher an einem Tag an. An den drei Fachbesuchertagen waren zusammen 42.590 Besucher da. Ich habe die Publikumstage schon immer gehasst: Zu voll, zu stickig und nach drei Tagen Messe gestresste Mitarbeiter. Nicht umsonst habe ich vor der Eurobike 2016 in meiner Kolumne beschrieben, wie schön es wäre, wenn die ganze Fachbesucherschaft unter sich bliebe und sich tagelang abfeiert.
Dass dieser Wunsch jedoch aufgegriffen wird und in die Tat umgesetzt wird, ist nun wirklich zu viel der Ehre. Das wollte ich nicht. Ich möchte nicht bei Wikipedia als die Person eingetragen werden, die euch die Besuchertage wegnahm! Niemand konnte doch wirklich ahnen, dass die Entscheidungsträger der Eurobike meine Kolumne lesen. Für die vielen interessierten Radenthusiasten ist der Wegfall der Besuchertage jedoch ein Schlag ins Gesicht. Nicht jeder kann sich einen Fachbesucherausweis durch die Hintertüre organisieren.
Seit Jahren ist es doch kein Geheimnis mehr, dass Massen von Besuchern an den Fachbesuchertagen eigentlich nichts auf der Messe verloren haben, weil sie im eigentlichen Sinn keine Fachbesucher sind! Es ist nun wirklich keine Kunst, an Karten zum Besuch der Messe zu kommen. Damit führt sich die Entscheidung zur reinen Fachbesucher-Messe ad absurdum. Wenn die Kontrollen bei der Kartenvergabe nicht massiv verschärft werden … aber dann kommen ja noch weniger Besucher. Ist es wirklich das Ziel, sich als elitäre Gesellschaft abzuschotten, die sich selber feiert und darüber das Wesentliche vergisst – den Kunden, der den Rotz kaufen soll? Würde es nicht allen gut zu Gesicht stehen, sich an allen Tagen den Besuchern zu öffnen und offiziell zu machen, was die Eurobike inoffiziell schon lange ist? Eine Endverbrauchermesse?
Aber vielleicht bricht auch eine ganz andere Sache der Eurobike als Fachmesse das Genick. Es hat den Anschein, dass unser analoger Sport langsam aber sicher stirbt. Das digitale Radfahren übernimmt seit diesem Jahr die Eurobike. Dieses Jahr war das Thema E-Bike schon mit mehr als 50% auf der Messe vertreten. Die Begeisterung für die Elektrifizierung unseres Sports zwingt uns alle umzudenken. Unabhängig, wie offen man dem Thema E-Bike gegenüber steht, aufhalten lässt es sich nicht mehr. Und ist man ehrlich zu sich selber, auch hartgesottene Kritiker entdecken mit und mit die Freude am E-Fahren.
Wer bin ich, dass ich den Tiefgang hinter den Entscheidungen der Eurobikemacher hinterfrage?
Ich bin in erster Linie Kunde und damit einer von denen, die den ganzen Kommerz am Leben erhalten. Warum wird dem Kunden nicht der nötige Respekt entgegengebracht und die Messe nach aussen hin geöffnet? Warum wird über ein Termindiktat versucht, aktiv Einfluss in die betrieblichen Abläufe bei Produzenten und Herstellern zu nehmen? Wo steckt der Sinn dahinter, die Saison des Folgejahres mitten in der laufenden Saison zu eröffnen?
Aktive Leistungssportler und Teamleiter werden auf dem Höhepunkt der Rennsaison gezwungen, sich mit der Sponsorensuche und Sponsorenpflege zu beschäftigen, wo die meisten doch eigentlich damit beschäftigt sind, die Voraussetzungen zu schaffen, um mit Ergebnissen ihre Anfragen zu untermauern. Im Juli haben die meisten was besseres zu tun, als sich mit einer Messe zu beschäftigen. Am Ende können und werden nur die Aussteller mit ihren Entscheidungen Einfluß auf die Messeplanung nehmen können. Die spannende Frage ist, ob sich die Eurobike nicht an ihrer Neuausrichtug verschluckt? Die Pressemitteilung nach der Messe 2017 zeigt jedenfalls, wie selbstbewusst und selbstherrlich die Wahrnehmung einzelner ist. Nach dem Studium der Lektüre frage wohl nicht nur ich mich, ob da über eine andere Messe gesprochen wird? Meiner Wahrnehmung der Eurobike entsprechen viele der Aussagen nicht.
In der Pressemitteilung nach dem Ende der Eurobike 2017 heißt es zum Beispiel:
- „Die Messeorganisatoren freuen sich weiter über breite Zustimmung am künftigen Eurobike-Konzept.“
- „Die große Zahl an Fahrradpremieren und Neuheiten haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Fachhändler aus dem In- und Ausland honorierten die innovativen Konzepte in allen Segmenten.“
„Das E-Bike ist gekommen, um zu bleiben“, lautet die wenig überraschende Erkenntnis nach vier Messetagen. Beim Gang durch die Messehallen wurde jedem Besucher klar, dass künftig alle Fahrradgattungen auch mit Motorunterstützung zu bekommen sind und die Eurobike der Platz ist, wo die Weiterentwicklung der Pedelecs stattfindet.
Darum werden wir dem Run auf die Elektrifizierung der Fahrrad Rechnung tragen und E-Bikes eine eigene Plattform im „Muschi Award“ bieten. Es wird ab 2018 sowohl bei emtb-news.de als auch bei mtb-news.de eine Verleihung des „Muschi Award“ geben. Ich hoffe, damit meinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Eurobike geleistet zu haben.
In diesem Sinne, Think Pink – Eure Muschi
Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.
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