Als ich vor elf Jahren in Finale Ligure zwei junge Kerle, angespornt von ihrem Vater, bei ihren ersten Mountainbike-Ausfahrten beobachten durfte, dachte ich nicht, dass sie heute zu den besten Nachwuchsfahrern in Deutschland gehören würden. Doch einer der beiden ist Luis Neff aus Schwäbisch Hall, der mit dem German Technology Racing in der Bundesliga und dem World Cup unterwegs ist. Da Corona-bedingt die Rennen noch pausieren, haben wir uns über die Vereinbarkeit von Studium und World Cup und das Mountainbiken als „Hobby-Profi“ unterhalten. Und warum die 24 h von Finale Ligure schon mal eine deutsche Meisterschaft kosten können.

Luis Neff fährt für das Team German Technology Racing im XC-World-Cup
# Luis Neff fährt für das Team German Technology Racing im XC-World-Cup - 2020 wäre sein erstes Jahr in der Elite-Klasse gewesen

Interview: Luis Neff / German Technology Racing Team

MTB-News.de: Hey Luis, schön dich mal wieder zu sprechen. Da vermutlich nur eine Minderheit unserer Leserinnen und Leser ein Gesicht mit Deinem Namen verbindet – stell Dich bitte kurz vor!

Luis Neff: Hi Tobi, hi MTB-News.de! Mein Name ist Luis Neff, ich bin 23 Jahre alt und finde Radfahren geil. Seit 2010 fahre ich mehr oder weniger erfolgreich Mountainbike Cross-Country-Rennen und seit vier Jahren im Weltcup. Aktuell stehe ich für das German Technology Racing-Team an der Startline. Neben dem Biken studiere ich seit 2016 am Karlsruher Institut für Technologie – ich bin also im Spagat unterwegs, denn neben dem Training muss auch der Kopf fit gehalten werden.

Die in der Einleitung erwähnte Geschichte ist tatsächlich wahr. Du schienst damals – 2009 – noch nicht mit soviel Elan dabei zu sein. Hättest Du gedacht, dass Du mal im World Cup unterwegs sein würdest?

Das stimmt wohl – so richtig gelebt habe ich den Sport damals noch nicht. Mein Training, wenn man das so nennen mag, bestand da auch aus Holzrampen auf der Straße bauen und mit dem Dirtbike über irgendwelche Hügel zu rollen. Dass mir richtiges Training, gerade auch bergauf, mal so viel Spaß machen würde, habe ich damals definitiv nicht gedacht. Und schon gar nicht den halben Tag mit dem Rennrad durch die Berge zu fahren.

Hat es da angefangen? Finale Ligure 2009 war auf jeden Fall ein Teil der Entwicklung zum Mountainbiker
# Hat es da angefangen? Finale Ligure 2009 war auf jeden Fall ein Teil der Entwicklung zum Mountainbiker
10 Jahre Zeitsprung zum World Cup 2019 in Albstadt
# 10 Jahre Zeitsprung zum World Cup 2019 in Albstadt

Trotzdem gehörst Du mit diesem Jahr zu den besten Deutschen in der Herren-Elite. Gab es auf Deinem Weg zum Rennfahrer irgendein Erlebnis, bei dem es Klick gemacht hat? Bei dem Du wusstest, dass das nicht nur Spaß macht, sondern Du auch wirklich gut darin bist?

Rückblickend ist sowas meistens einfacher als in dem Moment selbst. So gesehen war das für mich die Deutsche Meisterschaft 2016 in Wombach. Damals bin ich in meinem ersten U23-Jahr direkt auf Platz 7 gelandet. Zu dem Zeitpunkt habe ich zwar schon nach Plan trainiert, aber noch alles ohne Powermeter und vom gesamten Trainingsumfang nicht mit heute zu vergleichen. Ich war zwar davor schon im Landeskader und durfte immer mal wieder mit dem BDR zu internationalen Wettkämpfen wie der Roc d’Azur mit, habe das aber nie so wirklich realisiert und immer eher als normal hingenommen. Ich weiß noch, dass vor der Deutschen Meisterschaft 2016 mein Trainer zu mir gesagt hat: “Ich will, dass du die erste Runde einfach immer nur überholst” – und das habe ich dann gemacht. Der Rest kam dann wie von alleine und auf einmal waren Leute hinter mir, die ich bei mir eher in der Kategorie “Vorbilder” abgespeichert hatte.

Bundesliga Bad Säckingen, 2016
# Bundesliga Bad Säckingen, 2016
Da wurde es ernst: im Schmodder beim Suisse Bike Cup Buchs, 2016
# Da wurde es ernst: im Schmodder beim Suisse Bike Cup Buchs, 2016

So gesehen gab es also nie den einen Punkt, an dem ich mir gedacht habe: “Wenn ich jetzt richtig Gas gebe, kann ich da mal vorne mitfahren”. Es war eher so, dass ich immer mehr Spaß am Training gefunden habe und deswegen auch von alleine mehr gemacht habe. Und klar: Je besser man wird, desto mehr Spaß macht es auch. Und wenn man merkt, dass der Aufwand sich lohnt, steigt auch die Leidensbereitschaft.

Ich kann mich von Presseveranstaltungen gut erinnern, mit den Stars und Idolen unserer Szene zusammen zu fahren. Da schwingt bei mir immer ein gewisser Respekt mit. Wie fühlt sich das an, wenn man in einem World-Cup-Startblock steht und nicht mit, sondern gegen die bekannten Namen fährt?

Sobald ich im Startblock stehe, spielt das für mich keine Rolle mehr. Da bin ich nur bei mir. Krass ist es eher davor, wenn man mit den Größen des Sports die Strecke abfährt und jede neue Runde merkt: “Shit, der ist ja auch da” (lacht). Im Rennen geht das dann aber – auch durch das riesige Starterfeld – etwas unter. Da ist mir dann auch egal, wer gerade vor mir ist: Wenn ich kann, fahre ich vorbei.

Das ist mit Sicherheit die richtige Einstellung. Aus Respekt nicht zu überholen wäre nicht ganz im Sinne des Rennens (lacht). Wie groß, denkst Du, ist am Ende des Tages der Unterschied zwischen Dir und den ganz großen Fahrerinnen und Fahrern?

Wie groß der Unterschied wirklich ist, ist immer etwas schwer zu beurteilen. Das liegt gerade im Weltcup daran, dass man nicht die gleichen Voraussetzungen hat. Es ist halt so, dass die Startposition eine große Rolle spielt. Dazu kommt, dass ich meist auch sehr kurzfristig anreise, weil zur Hauptsaison oft auch Prüfungsphase ist und ich gerade im Grundstudium keine Prüfungen schieben wollte. Wenn ich die Weltspitze aber auf Red Bull TV sehe, bin ich jedes Mal fasziniert. Mathieu van der Poels Antritte im Short Race und wie bis zur letzten Runde komplett Limit gefahren wird, machen mich beim Weltcup-Replay regelmäßig sprachlos. Für mich immer noch unvorstellbar, so über die Rennstrecke zu fliegen.

Jetzt würde ich Dich trotzdem ganz selbstverständlich als Profi bezeichnen. Du bist aber eigentlich Student in Karlsruhe. Was studierst Du und wie verträgt sich das mit den Anforderungen eines Rennfahrers?

Haha, ja. Ein Profi bin ich wirklich nur bedingt. Zumindest habe ich keinen Profi-Vertrag. Die sind im XC wirklich schwer zu bekommen und Corona hat uns da nicht gerade geholfen – ohne Rennen kein öffentliches Interesse und damit keine Sponsoren. So einfach ist das leider in vielen Fällen – leider wirkt es sich da auch nicht wirklich aus, dass die Fahrradindustrie gerade die Umsätze ihres Lebens macht.

Aber zum Studium: Ich studiere Maschinenbau und bin gerade dabei, meine Bachelor-Arbeit fertigzuschreiben. Gerade zu Beginn des Studiums verträgt es sich eigentlich gar nicht mit dem Leistungssport. Wir hatten wöchentlich mehrere Abgaben, Laborpraktika und große Gruppenprojekte. Da kam es schon mal vor, dass ich abends um neun nach dem Training nochmal für vier Stunden an die Uni gefahren bin, weil irgendeine Gruppenarbeit noch nicht so funktioniert hat, wie wir es gerne wollten. Da war es natürlich auch nicht immer einfach, meinen Kommilitonen zu erklären, warum ich jetzt eben fünf Stunden radfahren muss.

Ich hatte aber das Glück, eine gute Lerngruppe zu finden, die viel Verständnis hatte und mir oft geholfen hat, wenn ich mal eine Woche auf einem Etappenrennen war. Witzig ist, wie die Perspektiven sich ändern, wenn man dann Erfahrung an der Uni sammelt. Mittlerweile muss ich definitiv sagen, dass die Uni mit Ihren vielen Freiheiten und der Möglichkeit, das Arbeitspensum selbst zu strukturieren, die perfekte Umgebung für mich ist. Und irgendwie brauche ich das auch. Radsport alleine würde mich geistig, glaube ich, nicht auslasten und es nimmt mir oft auch den Druck, zu wissen, dass ich mich nicht mit den Vollprofis vergleichen muss.

Wenn wir an Profiradsport denken, haben wir schnell große Team-Busse, eigene Physiotherapeuten und drei Bikes pro Wettkampf vor Augen. Die Realität sieht dann außerhalb der absoluten Weltspitze doch meistens etwas anders aus. Mit wieviel Team-Unterstützung und Material bist Du bei einem Rennen unterwegs?

Klar, mehr geht immer, aber ich bin mehr als zufrieden mit dem Team, bei dem ich fahre. Mit meinen Teamkollegen bei German Technology Racing ist es einfach richtig cool, zusammen unterwegs zu sein. Ich muss keine Rennen fahren, auf die ich nicht wirklich Bock habe … Das ist mir deutlich wichtiger, als immer die optimale Unterstützung auf den Rennen und drei Räder in der Techzone zu haben.

Bei mir ist es so, dass die Team-Unterstützung immer sehr stark von Rennen zu Rennen variiert – sie hängt maßgeblich davon ab, wie viele Fahrer und Fahrerinnen von uns am Start stehen. Bei Bundesligarennen fahren meistens alle und dann sind auch immer genug Leute dabei. Teilweise Eltern, Freundinnen, oder wir helfen uns gegenseitig aus, wenn wir in verschiedenen Altersklassen fahren. Feste Betreuer, die Geld dafür bekommen, haben wir nicht. Bei Rennen im Ausland ist es oft schwieriger mit der Betreuung, weil der Aufwand einfach größer ist und die meisten Leute unter der Woche ja auch arbeiten …

Wir waren letztes Jahr zum Beispiel bei der Transmaurienne, einem fünftägigen Etappenrennen in den französischen Alpen. 4 Fahrer, 0 Betreuer. Auf der ersten Etappe haben wir dann gemerkt, dass es vielleicht doch ganz cool gewesen wäre, wenn uns irgendjemand in der Verpflegungszone eine Flasche hingehalten hätte und wir nicht 3,5 h mit 0,75 Litern auf 2.000 m Höhe rumfahren hätten müssen (lacht). Für die nächsten Tage haben wir dann etwas rumgefragt und da ist der Mountainbike-Sport auch echt hilfsbereit. Klar wäre es besser gewesen, einen Betreuer dabei gehabt zu haben, aber irgendwie war es auch cool, dass nur wir vier Jungs unterwegs waren. Sven Strähle wurde dann trotzdem 2., 60″ hinter Lukas Flückiger in der Gesamtwertung. Und die Teamwertung haben wir auch gewonnen. Am Ende ist das Team also nur ein Teil des Ergebnisses – fahren muss man schon noch selbst.

Beim WOW Cyclothon 2018 haben wir im 10er Team den dritten Platz eingefahren
# Beim WOW Cyclothon 2018 haben wir im 10er Team den dritten Platz eingefahren
Dabei geht es mit dem Renner einmal rund um Island
# Dabei geht es mit dem Renner einmal rund um Island
Belohnung für die Zeit im Sattel: Chillen in den natürlichen Hot Tubs!
# Belohnung für die Zeit im Sattel: Chillen in den natürlichen Hot Tubs!
Mitas 4 Islands S1 Stage Race 2019, Kroatien
# Mitas 4 Islands S1 Stage Race 2019, Kroatien - insgesamt hat es hier zum 9. Platz gereicht
Neben den Rennen selbst ist das Reisen einer der schönsten Punkte
# Neben den Rennen selbst ist das Reisen einer der schönsten Punkte - wie hier beim Volcat Stage Race, Spanien 2017
Und klar gibt es dann auch gute Zeiten abseits vom Rad wie etwa hier am Lago Maggiore im letzten Jahr
# Und klar gibt es dann auch gute Zeiten abseits vom Rad wie etwa hier am Lago Maggiore im letzten Jahr

Da muss ich trotzdem nachhaken zum Team. Wie darf ich mir Dein Sponsoring vorstellen?

Für meine Anforderungen bin ich im absolut besten Team. Ich habe gute Freunde im Team, mit denen es immer Spaß macht, Rennen zu fahren – ob es läuft oder nicht. Unsere Team-Struktur ist so, dass jeder erst mal das gleiche bekommt. Das heißt, wir bekommen am Anfang des Jahres ein Teampaket, bestehend aus Rad, Klamotten, Verpflegung und müssen dafür einen Teil an das Team bezahlen. Über das Jahr macht unser Teammanager Sam Weber dann einen super Job, die Rennen zu planen und uns da auch finanziell zu unterstützen. Um den Teamgedanken hochzuhalten, werden Rennen mehr unterstützt, bei denen viele von uns fahren und die dadurch auch besser vermarktbar sind. Prinzipiell kann sich bis auf ein paar Team-Events aber jeder raussuchen, was er fährt. Am Ende des Jahres können wir dann unsere Bikes verkaufen und so die Saison weitestgehend finanzieren.

Gibt es da generell große Unterschiede, zum Beispiel wenn wir uns die Bundesliga anschauen?

Das ist für mich schwer einzuschätzen, da ich noch nie in einem anderen Team gefahren bin. Es ist aber definitiv so, dass wir bei GTR eine super Unterstützung haben, für jeden, der nicht nur radfahren will. In vielen Teams muss man sein Rad aber auch wieder zurückgeben am Ende des Jahres. Und es gibt natürlich auch ein paar Profi-Teams, wo die Fahrerinnen und Fahrer ein Gehalt bekommen. In der Bundesliga ist das aber die Minderheit, da reden wir eher vom World Cup.

Das heißt, überspitzt gesagt, aber auch, dass Du am Ende finanziell darauf angewiesen bist, dass Deine Räder halbwegs gut durch das Jahr kommen. Alles andere wäre dann Hobby, wie bei mir und jedem anderen auch. Gibt es für Dich eine Perspektive, bei der Du vom Mountainbiken lebst?

Ich denke, es wäre für mich auf jeden Fall möglich, kurzfristig davon zu leben. Gutes Marketing ist da fast genauso wichtig wie Resultate. Für mich wäre es ein Ziel, zum Beispiel mein Studium durch den Radsport zu finanzieren. Langfristig ist es aber nur ein paar wenigen weltweit vergönnt, von Mountainbike-Rennen zu leben.

Wenn wir den Rennfahrergedanken dennoch ein bisschen weiter spinnen: Wie verläuft der Weg in eines der großen Profi-Teams?

Naja, ich habe es ja bislang nicht geschafft, deswegen kann ich dazu auch nicht viel sagen (lacht). Der normale Weg ist aber, dass man vor allem in den Nachwuchsklassen international konstant gute Ergebnisse einfährt. Heutzutage ist ein ansprechender Social-Media-Auftritt sicherlich auch entscheidend. Mit etwas Glück wird man dann von einem der großen Teams angesprochen, wobei im Mountainbike-Sport auch viel Eigeninitiative gefragt ist. Wie gesagt: Aktuell ist die Situation wirklich dürftig und auch die besten in Deutschland haben es brutal schwer, einen attraktiven Vertrag zu bekommen.

Im zweiten Jahr U23 beim World Cup in Val di Sole, Italien 2017
# Im zweiten Jahr U23 beim World Cup in Val di Sole, Italien 2017 - gemeinsam mit den eigenen Idolen an den Start zu gehen, ist aufregend. Sobald es losgeht, kann ich daran aber nicht mehr denken

Wie unterstützt der BDR junge Nachwuchstalente auf ihrem Weg in den Profisport?

Für Nachwuchsfahrer gibt es ab der U17 die Landeskader und ab U19 zusätzlich den Nationalkader, für den jedes Jahr je nach Jahrgangsstärke ein bis drei Fahrer ausgewählt werden. Schon in der U17 gibt es aber immer wieder internationale Wettkämpfe, für die der BDR einmalig Fahrer nominiert. Ab der U23 beginnt dann eine Staffelung in verschiedenen Kadern je nach Perspektive. Im Kader hat man die Möglichkeit, an drei bis vier bezahlten Trainingslagern im Jahr teilzunehmen und die Teams werden bei der Organisation der internationalen Rennen unterstützt. Das heißt, im Fall des Nationalkaders hat man einen Physio dabei und es steht beim Weltcup immer ein Mechaniker in der Techzone. Aktuell gibt es da aber, soweit ich weiß, nur 30 Plätze für Männer und Frauen. Das ist sehr begrenzt, wenn man überlegt, dass in der U23 schon vier Jahrgänge zusammen sind. In der Elite (also der Herrenklasse) sind es noch mehr.

Wenn wir auf die deutsche Mountainbike-Szene schauen, halten wir ihr oft die Schweiz als Idealbild der Sportförderung entgegen. Die sind irgendwie in allen Disziplinen erfolgreich, und zwar nicht nur mit Einzelkämpfern, sondern gleich mit einer ganzen Gruppe. Wie siehst Du die Nachwuchsförderung in Deutschland und woran liegt es, dass wir neben den großen Namen wie Sabine Spitz und Manuel Fumic so wenige Fahrerinnen und Fahrer an der Weltspitze haben / hatten?

An der Stelle erstmal gute Besserung an Mani. Ich hoffe er wird schnell wieder fit, macht noch ein Jahr und bringt uns vielleicht sogar eine Medaille aus Tokyo mit nach Hause! Das würde mich für ihn und den Sport in Deutschland riesig freuen.

Dem BDR fehlt es an Geld … Und einer Vision, wie man es am besten in der Nachwuchsförderung einsetzt.

Einerseits liegt es sicherlich an der eben angesprochenen, recht schmalen Förderung. Wenn man pro Jahrgang nur ca. eine*n Fahrer*in fördert kann man nicht erwarten, dass alle oben ankommen. Das liegt aber nicht unbedingt an den Funktionären, sondern auch daran, dass einfach wenig Geld da ist. Das Schräge am Mountainbike-Sport dieser Tage ist doch, dass es alle machen, aber dennoch keine entsprechende öffentliche Wahrnehmung entwickelt wird. Wie sollen wir bei Olympia Medaillen einfahren, wenn wir zum Beispiel in Baden-Württemberg noch nicht mal legal unserem Sport nachgehen dürfen? Auf 70 % meiner Trainingseinheiten bin ich an irgendeinem Punkt offiziell illegal unterwegs. Und wenn ich auf der Straße fahre, schreit sich Auto-Deutschland mit den Worten “Da drüben ist ein RADWEG!!!1!” die Kehle wund.

Trotzdem ist Mountainbiken mittlerweile der Volkssport nach vielleicht Fußball, Turnen und Tennis. Der Unterschied ist aber, dass im Mountainbikesport der Wettkampfcharakter nicht inhärent ist. Man kann zum Beispiel nicht Tennis spielen ohne Wettkampf. Selbst wenn man nicht mitzählt, hat am Ende irgendwie einer gewonnen. Und der Standard ist, dass man “nur kurz einen Satz spielt”. Der hat dann natürlich ein Ergebnis.

Beim Mountainbiken ist das anders: Der Großteil der Leute trifft sich am Wochenende oder geht einfach alleine eine Feierabendrunde fahren. Ganz ohne Leistungsgedanken, sondern nur, um nach einem langen Tag im Büro oder so den Kopf frei zu bekommen. Dabei entsteht dann eben kein Wettkampfgedanke und alle haben das Gefühl, dass sie die einzigen wären, die das so machen. Und scheinbar bekommt auch niemand dabei mit, wenn sie sich wie bei Dir auf den Isartrails in München dabei schier gegenseitig umbringen – noch dazu ohne Helm …

Dazu kommt, dass es wahnsinnig viele Disziplinen im MTB-Sport gibt. Cross Country ist nur eine davon. Was jedoch alle Disziplinen gemein haben: Man stolpert nicht einfach so mal über den Cross Country-Weltcup. Teilweise ist es ja schon schwierig, nach dem Rennen die eigenen Ergebnisse im Internet zu finden. Das passiert dir nicht beim Fußball, da sind die oben bei Spiegel Online mit eigenem Bericht. Und deswegen sind da auch die Aufmerksamkeit und das Geld.

Wenn es dann mal ein Mountainbiker schafft, wirklich außerhalb der Szene für Aufmerksamkeit zu sorgen, dann ist das auch wieder speziell. Jemand wie Danny MacAskill wird tatsächlich in der breiten Masse wahrgenommen. Bekannte, die wissen, dass ich MTB fahre, schicken mir dann das neuste Video. Für mich ist aber klar: Der Kerl ist fahrtechnisch so unbeschreiblich gut, das hat nix mit mir zu tun. Und eben das hast Du bei anderen Sportarten weniger: Beim Fußball meinen die ganzen Kids im Dorf, dass sie es können würden und jeder hängt am Bildschirm, wenn zum x-ten Mal in Folge die Bayern die Bundesliga für sich entscheiden.

Ich habe hier jetzt vielleicht etwas ausgeholt, aber ich denke, das ist wichtig, um zu verstehen, was man meiner Meinung nach erreichen muss, um Sportlern eine bessere Förderung ermöglichen zu können. Das beginnt für mich mit der Wahrnehmung des MTB World Cups und der Bundesliga in der breiteren Masse. Genau deshalb versuchen wir im Team auch durch unser Marketing, wie zum Beispiel unsere Corona-Strava-Challenge, eine Verbindung zwischen uns und dem Feierabend-Biker zu schaffen. Mountainbiken muss für mehr Medienpräsenz mehr als Wettkampfsportart wahrgenommen werden. Und wir müssen ein Bewusstsein entwickeln, dass wir viele sind. Dass die Anforderungen und Bedürfnisse von uns Mountainbikern auch maßgeblich für die Politik sind. So schaffen wir es dann letzten Endes auch, dass Geld reinkommt, um international was zu reißen.

Jetzt bist Du mitten drin bei dem Thema. Was könnten wir besser machen, um Nachwuchsfahrerinnen und -fahrer besser zu fördern?

Dadurch, dass die Mittel begrenzt sind, ist es schwierig, einfach mehr Leute zu fördern. So wie sie das eben in der Schweiz machen. Was aber sicher helfen würde, wäre, mehr junge Leute mit tatsächlicher Rennsporterfahrung im BDR zu haben und Fahrer in jungen Jahren vorwiegend nach Perspektive und nicht nur nach Ergebnisliste zu bewerten.

Simon Schneller vom Team Bulls ist hier für mich das beste Beispiel. In der U23 ist er beim BDR immer durchs Raster gefallen. Letztes Jahr wurde er Deutscher Meister und fuhr oft das beste deutsche Ergebnis im Weltcup ein. Leider nicht im Nationaltrikot. Für die WM hat er dann aufgrund seines Marathon-Teams abgesagt, weil er dort einfach bessere Unterstützung bekommt. Das darf uns einfach nicht passieren, dass die besten Fahrer aus maßgeblich finanziellen Gründen eine WM sausen lassen müssen!

Auf der anderen Seite gibt es viele Fahrer, die in den Nachwuchsklassen sehr gut waren und dann aber in der U23 aufhören. Hier würde es vielleicht helfen, wenn der BDR aktiv auch auf Leute zugehen würde, die aktuell vielleicht noch nicht im Nationalkader sind, und beratend zur Seite stehen. Ich hätte mir zum Beispiel bei meinem 7. Platz im ersten Jahr in der U23 gewünscht, dass jemand auf mich zukommt. Das mir jemand aufzeigt, welche Möglichkeiten ich habe, um Studium und Sport zu verbinden. Oder mir erklärt, was ich vielleicht noch tun kann, um es an die Spitze zu schaffen.

Das tat gut: Platz 2 bei der Bundesliga in Freudenstadt im Jahr 2019
# Das tat gut: Platz 2 bei der Bundesliga in Freudenstadt im Jahr 2019

Ich selbst habe zwar deshalb nicht aufgehört, viele andere mit vielleicht mehr Potential aber schon. Am Ende des Tages habe ich nicht das Gefühl, dass der BDR daran interessiert ist, einen Kader mit möglichst großer Perspektive aufzubauen. Es wird unterstützt, wer eh schon mit dabei ist und erst, wenn derjenige die Leistung nicht mehr bringt, sucht man in den Ergebnislisten dahinter, wer ihn ersetzen könnte. Eine etwas flexiblere Struktur des Kaders, vor allem in den Nachwuchsklassen, würde hier sicher helfen mehr potentielle Kandidaten für Olympia-Medaillen zu erhalten.

Der BDR sollte meiner Meinung nach den Sportlern auch auf dem Weg in den Kader helfen und sich nicht erst um sie kümmern, wenn sie dann Weltspitze sind. Das ist für eine langfristige Förderung einfach zu kurz gedacht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass der Fokus immer noch zu stark auf dem Bahnradsport liegt. Aber mal ehrlich, wen außer den BDR-Funktionären juckt heutzutage noch Bahnradsport? Spannend findet das doch nur jemand, der noch nie ein MTB-Rennen gesehen hat (lacht).

In Deinem Fall war, wie eingangs erwähnt, Dein Vater eine treibende Kraft. Mein Bruder und ich dachten zunächst, dass er Sergeant bei der Bundeswehr wäre. Welchen Anteil hat Deine Familie daran, wie Du heute unterwegs bist?

Mein Vater hat immer alles unterstützt, was wir machen wollten. Er hat uns beigebracht, den Spaß nicht zu verlieren.

Luis Neff

Das mit dem Sergeant lag vielleicht auch an der Frisur (lacht). Mein Vater hat uns klar immer motiviert, dabei zu bleiben. Viel wichtiger war aber, dass er immer alles unterstützt hat, was wir machen wollten. Dafür bin ich unendlich dankbar. Gerade im Mountainbike-Sport ist man in jungen Jahren sehr auf die Unterstützung der Eltern angewiesen – sowohl finanziell, als auch logistisch – um überhaupt zu den Rennen zu kommen. Papa ist selbst immer gerne und viel Rad gefahren und weiß zudem, in welche Richtung eine Schraube aufgeht. Er steht auch heute noch für mich in der Tech-Zone, wenn ich ihn brauche. Das gibt mir enorme Sicherheit, weil ich an der Startline einfach weiß – egal was ist, Papa bekommt das in der Tech-Zone schon wieder hin. Dass er die treibende Kraft war, würde ich so aber nicht ganz unterschreiben. Eher hat er mir beigebracht, den Spaß nicht zu verlieren, vor allem auch, wenn es mal ein Jahr nicht so lief.

Sorry noch mal an Deinen Vater für unsere Fehleinschätzung … Ich hab ihn dann ja doch noch als akademisch bewanderten Grill-Philosophen kennenlernen dürfen. Liebe Grüße, Wolfgang, wenn Du das hier lesen solltest!

 

 

Kommen wir zu einem anderen wichtigen Thema – dem Material. Du bist zuletzt vermehrt auf dem Hardtail zu sehen. Was ist wirklich schneller?

Für mich ist das Hardtail die bessere Wahl.

Leider lässt sich das so einfach nicht beantworten und kommt immer sehr auf die Strecke an. Ich habe gemerkt, dass, solange es nicht zu ruppig bergauf geht, ich mit dem Hardtail schneller bin. Der Vorteil vom Fully liegt, meiner Meinung nach, in der Gesamtheit gesehen gar nicht im Downhill, sondern auf schnellen Tretpassagen über Wurzeln oder Steinfelder oder bei insgesamt körperlich sehr belastenden Rennstrecken im Plus an Erholung, um in der letzten Runde nicht vom Rad zu fallen. Mit dem ELITE C:68X hat Cube auf jeden Fall ein sehr leistungsfähiges Renngerät gebaut, das auf vielen – vor allem deutschen – Strecken einem Fully überlegen ist.

Seit zwei Jahren bist Du außerdem immer wieder auf Newmen-Laufrädern mit PI ROPE-Speichen unterwegs. Als angehender Maschinenbauer mit Erfahrung aus dem Renneinsatz: Was hältst Du davon?

Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich bei der ersten Fahrt nicht wirklich davon überzeugt war. Man merkt, dass sie in schnellen Anliegern etwas mehr nachgeben als konventionell eingespeichte Laufräder. Wenn man das allerdings weiß und sich etwas daran gewöhnt hat, kann man das sogar zu seinem Vorteil nutzen und eine Art Kick aus der Kurve mitnehmen, wenn das Laufrad “zurückkommt”. So lässt sich der entscheidende Exit-Speed, wie die Downhiller sagen, verbessern. Und klar: Das Gewicht ist phänomenal. Masse ist zwar nicht immer Macht – rotierende Masse im XC aber schon (lacht).

Spannend, im wahrsten Sinne des Wortes. Auch wenn hier vermutlich der eine oder andere Deiner Sponsoren reinlesen wird … Inwiefern entspricht Dein Race-Bike dem, was Du Dir privat zusammen bauen würdest?

Da habe ich wirklich Glück, was meine Sponsoren angeht. Reifen von Schwalbe, Bremsen von Magura über Laufräder von PI ROPE und Newmen, bis zum Herzstück von Cube … Dann noch der neue SQLab 612R-Sattel, den mein Teamkollege Max Holz in seiner Master-Thesis entwickelt hat und der der vielleicht beste Race-Sattel ever ist. Das einzige was mir – seit meinem Praktikum in der Fahrwerksentwicklung von Porsche – etwas fehlt, sind mehr Einstellmöglichkeiten an meiner Federgabel. Vor allem etwas mehr Low Speed-Dämpfung bei gleicher Highspeed-Druckstufe und ein breiterer Rebound-Einstellbereich wären interessant. Sonst wüsste ich auf Anhieb aber nichts, was ich an meinem Traumbike ändern würde, außer vielleicht noch ein zweites zu haben (lacht).

Klar, das musstest Du jetzt sagen (lacht). Welche Features machen im Rennen wirklich schnell? Oder allgemeiner gefragt: Wie wichtig ist es eigentlich, wirklich erstklassiges Material zu haben? Entscheidet am Ende nicht doch der Fahrer / die Fahrerin?

Definitiv, wer nicht genug Rennfahrerblut mitbringt, kann auch mit dem besten Rad nicht viel retten. Andersherum kann einem schlechtes Material aber auch gerne mal ein Rennen versauen. Hier ist für mich vor allem wichtig, dass es funktioniert und ich mich wohlfühle. Ein paar Gramm zu sparen, aber dann in der Tech-Zone zu stehen, weil irgendetwas nicht gehalten hat, ist das schlechteste, was dir passieren kann. Gerade bei den Reifen ist aber natürlich auch die Auswahl entscheidend. Schwalbe stellt uns da echt ein gutes Spektrum an Reifen zur Verfügung, um bei allen Bedingungen konkurrenzfähig zu sein. Da hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Den richtigen Reifen montieren muss man dann aber selbst und das kann auf jeden Fall rennentscheidend sein.

Was sagt die Winterplaunze? Gut genährt ging es ins Frühjahr 2020, bevor dann kurz vor dem Start alles ins Stocken geriet
# Was sagt die Winterplaunze? Gut genährt ging es ins Frühjahr 2020, bevor dann kurz vor dem Start alles ins Stocken geriet
Abstecher zur Cube-Zentrale in Waldershof
# Abstecher zur Cube-Zentrale in Waldershof - seit Jahren bin ich auf Cube-Material unterwegs und insbesondere das neue Cube ELITE C:68X Hardtail taugt mir richtig gut
So fühlt sich 2020 irgendwie an ... Jakob Hartmann und ich warten darauf, dass die Rennsaison vielleicht doch noch irgendwie losgeht
# So fühlt sich 2020 irgendwie an ... Jakob Hartmann und ich warten darauf, dass die Rennsaison vielleicht doch noch irgendwie losgeht

Stichwort Reifen … Ein großer Trend, der in diesem Jahr wirklich Fahrt aufnimmt, sind Gravel-Bikes. Also Rennräder mit etwas breiteren Reifen. Ich nehme mal an, dass Du auch eines dieser Gefährte hast. Gibt es die Nische wirklich oder bist Du mit dem XC-Racer am Ende nicht genau so schnell?

Hehe, ich habe nur einen Crosser. Und das mit der Geschwindigkeit stimmt nur halb. Ich hab auf meinen Crosser Reifen für trockene Verhältnisse gemacht und damit war ich jetzt immer mal wieder Schotter und flache Trails fahren. Rund um Stuttgart geht das sehr gut. Da bin ich vor kurzem auch mit Simon Schneller mal auf den Kaltenbronn gefahren. Er mit dem Hardtail, ich mit dem Crosser. Und tatsächlich, solange Aerodynamik keine Rolle spielt, ist das Hardtail genauso schnell und dazu noch komfortabler. Ich hatte aber halt auch 33-mm-Cross-Reifen drauf. Die meisten Gravel-Bikes haben ja nochmal deutlich breitere, das hilft dann beim Komfort natürlich. Sind dann aber auch etwas langsamer. Es ist am Ende halt schwierig: Mit 45 km/h über Schotterpisten ballern ist auf jede Fall ziemlich geil; ein Bike für alles ist für mich dann aber doch eher der XC-Racer.

Das ist vielleicht eine sehr realistische Einschätzung. Und cool, dass ihr Vollblutrennfahrer sowas auch für euch austestet. Wenn wir schon bei besonderen Fahrradtouren sind … Ich folge Dir bei Strava und überlege immer wieder, ob ich das nicht aus Motivationsgründen lassen sollte. Du hast in den letzten Wochen mit einigen beeindruckenden Strava-Runden für Aufsehen gesorgt … KOMs nach über 180 km im Sattel. Eben mal über 350 km mit mehr als 3.300 Höhenmetern auf einem schlanken 30er Schnitt. Ist das Dein Trainingsplan?

Nach über 350 km im Sattel geht es mir am nächsten Tag auch nicht so wirklich gut. Ist ja klar, oder?

Dass sowas mein Trainingsalltag ist, stimmt nicht ganz. Mein Motto ist nicht „viel hilft viel“, sondern „Spaß hilft viel“. Und die langen Touren – vor allem in guter Gesellschaft – machen mir einfach Spaß. Ich bin aber auf jeden Fall schon eher der Ganz-oder-gar-nicht-Typ. Ich stell mir das immer ein bisschen wie im Auto-Rennsport vor: Entweder man gibt Gas, oder man steht voll auf der Bremse – alles andere ist Zeitverschwendung. Und so halte ich das im Training auch. Ich überlege mir vor jedem Training, was mir das jetzt bringen soll und ziehe es dann genau bis dahin durch. Wenn ich dann eine Zeit lang gut trainiert habe, kann es aber auch sein, ich sitze eine Woche gar nicht auf dem Rad und versuche nur, mich bestmöglich zu erholen. Das ist dann die Zeit, in der ich versuche, an der Uni nicht abgehängt zu werden oder in der ich in „normalen“ Jahren abends mal etwas länger unterwegs bin.

Und was den KOM nach 180 km angeht: Da stand nicht wirklich ein Trainingsziel dahinter. Ich habe mich da das ganze Training über schon nicht gut gefühlt und dachte mir dann “jetzt schauen wir mal, wie schlecht es dir wirklich geht”. Es gibt kaum ein Marathon-Rennen, wo es einem zwischendurch nicht dreckig geht. Da hilft es mir enorm, mich an so ein Training zurückzuerinnern und zu wissen: Es fühlt sich zwar schlecht an, schnell fahren kann ich aber trotzdem noch.

Jetzt rein aus Interesse: Wie viel spürst Du dann nach so einer Monster-Tour? Bist Du am nächsten Tag direkt wieder aufs Bike?

Am nächsten Tag bin ich tatsächlich nochmal vier Stunden biken gewesen, dafür gab’s dann auch gleich mal einen Einlauf von meinem Trainer. Das war aber eher aus Interesse, weil ich selbst wissen wollte, wie gut es nach so einer Tour am nächsten Tag geht. Fazit: Intervalle hätte ich jetzt keine machen wollen (lacht). Also das habe ich schon deutlich gespürt, vor allem am Anfang. Wenn ich dann wieder zwei Stunden auf dem Rad sitze, geht es meistens. Ob es trainingstechnisch Sinn ergibt, steht aber auf einem anderen Blatt Papier.

Das beruhigt mich etwas. Wie sieht Dein reguläres Training grob aus? Wie viel Zeit verbringst Du im Schnitt pro Woche auf dem Bike? Und inwieweit trainierst Du Kopf und Technik?

In Trainingswochen sitze ich so um die zwanzig Stunden auf dem Rad. In Grundlagenphasen etwas mehr, wenn es dann Richtung Rennen intensiv wird, weniger. Was die Technik angeht, braucht man, denke ich, gar nicht so viel spezifisches Training. Zumindest nicht, wenn man wie ich schon früh auf dem Bike saß. Da helfen dann im Rennen vor allem viel Selbstvertrauen und etwas Gottvertrauen – laufen lassen und hoffen, dass der Reifen hält (lacht). Aber klar, das Selbstvertrauen schöpft man aus dem Training. Deswegen versuche ich, viele Trails zu fahren und auch mal ein Intervall-Training so zu planen, dass ich direkt nach der Belastung eine technische Abfahrt habe. Mit Puls 190 und Kreuzblick ist das ganze dann doch nochmal etwas anders und das sollte man auf jeden Fall trainieren, sonst geht’s im Rennen schief.

Alles oder nichts liegt mir ... Das Nachtrennen von Leonberg im Dezember 2019 konnte ich für mich entscheiden
# Alles oder nichts liegt mir ... Das Nachtrennen von Leonberg im Dezember 2019 konnte ich für mich entscheiden

Was übrigens auch nur bedingt gut für das Training ist, sind so Sonderbelastungen wie die 24 h von Finale Ligure. Das hat mich und meine Kollegen schon mal ziemlich sicher die deutsche Meisterschaft gekostet. Also zumindest waren wir bei den 24 h, haben da alles gegeben und im Anschluss noch ein Trainingslager in Finale reingepresst. Das Ergebnis war dann, dass wir alle leicht angeschlagen und irgendwie matsche waren, als es kurz darauf zur DM ging. Kurzum: Auch der Rennkalender und welche Art von Rennen man sich vornimmt, haben einen großen Einfluss auf den Trainingsplan.

Das kann mir nicht passieren (lacht). Ich bin nach jeder Ausgabe der 24 h Finale matsche aber ich fahre auch keine DM … Vollzeit an der Uni, zwanzig Stunden die Woche auf dem Rad, du könntest es auch leichter haben. Was treibt Dich an?

Meistens habe ich einfach Lust auf das, was ich mache. Und ich mag gewinnen. Im Radsport, an der Uni, bei Bierpong mit meinen Kumpels (lacht). Das klingt jetzt vielleicht etwas prätentiös für jemanden, der noch nicht wirklich große Rennen in seinem Leben gewonnen hat. Was ich aber viel mehr damit sagen will ist, dass es mir Spaß macht, Sachen mit vollem Einsatz zu machen. Die Extra-Meile zu gehen und nicht aufzuhören, wenn man ein akzeptables Ergebnis erzielt hat – sondern immer zu versuchen, das persönliche Maximum rauszuholen. Wenn das dann am Ende Platz 5 (oder im Weltcup eher 50) ist, bin ich damit auch zufrieden. Und darum geht’s mir.

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Bevor Corona uns in Zwangspause geschickt hat, habe ich immerhin einige Cross-Rennen bestreiten können
# Bevor Corona uns in Zwangspause geschickt hat, habe ich immerhin einige Cross-Rennen bestreiten können - wie etwa hier die Cross-DM in Albstadt

Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Die Einstellung findest Du, glaube ich, auf jedem Level und kannst dann zufrieden sein. Ich zum Beispiel habe noch nie ein offizielles Rennen gewonnen und bin trotzdem stolz auf das, was ich jeweils geleistet habe. Denn ich hab alles gegeben. Ich muss aber nochmal kurz zurück, weil wir es gerade davon hatten: Welche Rolle spielt Strava bei Deinem Training?

Strava spielt für mein Training keine Rolle.

Wenn ich ehrlich bin, so gut wie gar keine. KOMs sind zwar spaßig und gerade jetzt, wo es keine Rennen gibt, auch cool, um sich mit anderen zu messen. Aber die Einheiten, die mich wirklich schnell machen, sind oft nicht auf Strava. Um schöne Strecken zu entdecken oder zu sehen, wo die Kumpels so rumfahren, ist es aber auf jeden Fall eine super App.

Ihr habt vom Team aus auch einen kleinen Wettkampf bei Strava gestartet: Eure Follower durften euch auf ausgewählten Segmenten herausfordern. Wie ist das ausgegangen?

Ja das war cool zu sehen wie viele Leute da – teilweise sogar mit dem Auto – nach Schwäbisch Hall kamen, um auf meinen Hometrails zu fahren. Unser Fokus war da aber eher, Fahrern eine coole Tour zur Verfügung zu stellen, die sie nachfahren konnten. Und weil wir eben Rennsportler sind, gab’s noch den Wettkampf dazu. Ich glaube, am Ende habe ich noch einen der drei KOMs behalten, das ist aber auch in Ordnung, da ist noch etwas Luft, sie wieder zurückzuholen (lacht).

Wir sind 2019 in Finale zuletzt gleichzeitig auf einer Rennstrecke unterwegs gewesen. Nachdem ich Dich fahren gesehen habe war klar, dass von “gegeneinander gefahren” nicht die Rede sein kann (lacht). Aber ich bin ja auch eher Gusto-XC-Racer, sowas wie uphillfreudiges Enduro. Hast Du schon mal überlegt, nach der aktiven XC-Zeit auf Enduro umzusatteln?

Erfinde jetzt bloß keine neue Kategorie –- davon haben wir schon genug. Überlegt auf jeden Fall – ob ich das dann wirklich mache, weiß ich noch nicht. Vor ein paar Jahren bin ich mal in Willingen ein Enduro-Rennen mitgefahren. Das hat auf jeden Fall Spaß gemacht, lag aber definitiv auch an den Leuten. Alleine würde ich das, glaube ich, nicht machen (lacht). Aber ohne mein Team würde ich vielleicht auch kein XC fahren. Dass das Umfeld stimmt, ist mir schon sehr wichtig.

Hehe, auch das beruhigt irgendwie. Wobei ich glaube, dass mit dem entsprechenden Fokus sowohl moderne XC-Racer, als auch Downhiller gute Voraussetzungen dazu haben, schnell auf dem Enduro zu sein. Irgendwie aber auch unfair, eine Sportart so als Sammelbecken für die zweite Hälfte der Karriere zu sehen …

Jetzt müssen wir zum Ende doch noch zum Elefanten im Raum kommen: Corona. Das hat Dir und allen anderen Rennfahrerinnen / Rennfahrern einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Mit 100 % Leistung aus dem Wintertraining direkt in den Lockdown. Jetzt geht es endlich wieder los: Bike-Parks machen wieder auf und, wichtiger für Dich, der Rennkalender für den Herbst formiert sich. Welches Rennen steht bei Dir als nächstes an?

Ein Rennen bin ich sogar schon gefahren! In Heubach wären dieses Jahr eigentlich die Deutschen Marathon Meisterschaften im Rahmen des BiketheRock gewesen, die aber leider aufgrund Corona ausgefallen sind. Als Ersatz hat sich die Stadt Heubach überlegt, das Rennen als Einzelzeitfahren zu veranstalten, d. h. im Zeitraum von 4 Wochen hatte man die Möglichkeit, sich für einen Zeitslot anzumelden und die 84 km der Marathonstrecke so schnell wie möglich zu fahren. Im Anschluss wurden dann die .gpx-Dateien als inoffizielle Marathon DM ausgewertet. Hat mich riesig gefreut, dass sich das BiketheRock-Team so für den Sport einsetzt und ein innovatives Rennformat – zugeschnitten auf die aktuelle Situation – auf die Beine stellt. Umso cooler war es, dass mein Teamkollege Jakob Hartmann das Rennen für sich entscheiden konnte und wir mit Sven Strähle auf Platz 5 und mir auf Platz 3 ein starkes Team-Ergebnis hatten.

Als nächstes wollen wir mit dem Team wieder zur Transmaurienne und die Teamwertung verteidigen. Was den Weltcup angeht, sieht es ja mittlerweile schon nicht mehr so toll aus. Aktuell gibt es nur noch zwei Rennen in Nové Město Anfang Oktober. Auf denen liegt jetzt auf jeden Fall mein Fokus!

Dafür drücke ich die Daumen – freue mich schon, wieder Rennergebnisse von Dir zu sehen. Luis, vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören traditionell Dir.

Vielen Dank für Deine Zeit! Mir hat es sehr viel Spaß gemacht und ich hoffe, mal einen etwas anderen Einblick in die Cross-Country Szene gegeben zu haben. Ganz oder gar nicht und Spaß helfen viel. Mach’s gut und bis bald!

  1. benutzerbild

    claire

    dabei seit 08/2010

    Gibt es da Parallelen zu Jolanda und Markus Neff? Dazu finde ich keinerlei Information, oder nur blanker Namens-Zufall?
    Das ist nur Zufall wage ich mich zu behaupten!
  2. benutzerbild

    claire

    dabei seit 08/2010

    "Deswegen versuche ich, viele Trails zu fahren und auch mal ein Intervall-Training so zu planen, dass ich direkt nach der Belastung eine technische Abfahrt habe. Mit Puls 190 und Kreuzblick ist das ganze dann doch nochmal etwas anders und das sollte man auf jeden Fall trainieren, sonst geht’s im Rennen schief."

    Auuuuja - das stimmt sowas von! Ist auch beim Enduro so, wenn es mal längere Bergauf-Tretpassagen in der Stage gibt smilie


    Cooler Typ & super Interview!

  3. benutzerbild

    Tobias

    dabei seit 08/2001

    Nettes Interview. Aber dass es auf Strava keine Segmente gibt, die in einen XC-Trainingsplan passen, ist wohl eher dem Reich der Märchen entsprungen. Man kann auch sagen, wenn man keinen Bock auf Strava hat smilie.

    Das ist bei Dir falsch angekommen. Luis nutzt ja Strava für die diversen Rundfahrten (die ja auch verlinkt sind) aber für das reine Training verwendet er die Plattform nicht / spielt sie keine Rolle. Nichts Anderes steht im Text smilie

    @claire: Oh ja!
  4. benutzerbild

    525Rainer

    dabei seit 09/2004

    Jeder kann segmente anlegen. Versteh seine aussage auch nicht. Auf strava 'ist' alles das man selber fährt.
    Auffahrt und abfahrt ist doch gleich zum kombisegment zusammengelegt.

  5. benutzerbild

    Tobias

    dabei seit 08/2001

    Ich habe mich auf dieses Statement bezogen:

    "KOMs sind zwar spaßig und gerade jetzt, wo es keine Rennen gibt, auch cool, um sich mit anderen zu messen. Aber die Einheiten, die mich wirklich schnell machen, sind oft nicht auf Strava."

    und @525Rainer Lest es mal so: er dokumentiert sein Training nicht auf Strava und nutzt es nicht zur Planung seines Trainings. Strava hat da in letzter Zeit ja ganz schön nachgelegt - darum geht es. KOMs hat er ja...

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