Eigentlich hätte es ein Tag ganz im Zeichen der Junioren-Rennen sein sollen. Stattdessen hat die ESO kurzerhand das Nachwuchs-Finale gecancelt – eine Entscheidung, die für sehr wenig Verständnis und sehr viel Unmut gesorgt hat. Wir haben den chaotischen Tag in Loudenvielle festgehalten.
Eigentlich wäre der heutige Samstag für uns vor Ort sehr entspannt gewesen. Nach zwei sehr vollgepackten Tagen mit jeweils 11 Stunden an der Strecke und anschließenden Laptop-Marathons stand für Gregor und mich heute lediglich das Finale der Juniorinnen und Junioren auf dem Programm. 1,5 Stunden Rennen, davor noch ein bisschen Training und kein Druck, dass abends eine Fotostory fertig werden muss – wunderbar! Durch die kurzfristige Absage hätten wir eigentlich gar nichts zu tun gehabt, doch aus unserer Sicht ist es wichtig, auch dann über die Dinge zu berichten, wenn es eben nicht nach Plan läuft oder es Kritik gibt – eine neutrale, ausgewogene Berichterstattung eben. Statt eines entspannten Ruhetags haben wir uns dazu entschieden, kritisch auf die aktuelle Situation im Downhill World Cup hinzuweisen.
Schon beim Rennen in der vergangenen Woche in Andorra herrschte gelinde gesagt ein ziemliches Chaos. Lange Zeit sah es nicht so aus, als würden überhaupt Final-Entscheidungen stattfinden können – insbesondere nach dem heftigen Sturz von Camille Balanche, zumal für Samstag wieder heftige Stürme vorhergesagt waren. Letztlich entschied sich die ESO dann doch, das Rennen der Frauen und der Männer auszutragen. Die 10 schnellsten Männer aus der Qualifikation hatten aufgrund eines hereinziehenden Sturms aber die A-Karte gezogen und mussten unter extrem gefährlichen und eigentlich völlig irregulären Bedingungen starten. Die Chance auf ernsthafte Verletzungen war für Loïc Bruni, Andi Kolb und Co. deutlich größer als die Chance auf Punkte in der Gesamtwertung. Eine Absage war aber während des laufenden Rennens keine Option – the show must go on und so.
So many iconic races have happened in the wet. Riders need to at least have a say in what happens to our sport. Of course safety of riders is paramount but B lines can be utilised etc.
Wet races are a part of the fabric of our sport & cancelling a race when it’s not even raining is ridiculous imo. I have had some massive crashes & injuries in the rain, and l’ve had some wins too. I wouldn’t change any of it. We are tough as athletes, we enjoy that challenge of weather. Having a FAIR race is important so hopefully top riders all race in same conditions, or MOVING the race to a different time of day: good idea.
Cancelling completely? Bad idea. The Poor racers, not even being told before QUALIES that the finals could be canceled so crack on!
Rachel Atherton via Instagram
Während des Track Walks in Loudenvielle machte dann die Nachricht die Runde, dass für den heutigen Samstag wieder Unwetter und Gewitter vorhergesagt waren. Deshalb wurde kurzerhand das Elite-Training von Freitag auf Donnerstag und die Qualifikation von Samstag auf Freitag vorgezogen. Auch der Enduro World Cup wurde von Samstag auf Freitag verschoben. Außer den Junioren-Entscheidungen sollte am Samstag nichts passieren, da die Chance auf Gewitter und starke Winde zu groß gewesen wäre. Das ist nachvollziehbar, denn bei Gewittern kann die Gondel nicht laufen (auch wenn man in Loudenvielle problemlos hätte shutteln können). Auch der Rettungs-Helikopter muss im Fall der Fälle starten und landen können, was bei Gewittern nicht möglich wäre. Vor diesem Hintergrund macht ein vorsichtiges Vorgehen durchaus Sinn.
Weshalb diese Plan-Änderung bereits am Donnerstag, also zwei Tage vor dem angekündigten Chaos-Tag, durchgeführt wurde, bleibt jedoch ein Rätsel – zumal das Wetter im Verlaufe der letzten Tage tendenziell besser als schlechter geworden ist. Am gestrigen Freitag herrschten perfekte Bedingungen bei 20° und Sonnenschein und auch die Prognose für Samstag sah zwar wolkig, aber weitgehend trocken und windstill aus. Von Gewittern war ebenfalls keine Spur mehr. Dennoch wurde nach dem Junioren-Training am Morgen kurz vorm Finale verkündet, dass dieses nicht stattfindet – stattdessen zählt nun das Ergebnis aus den Junioren-Qualifikationen.
Als Begründung wurde von der ESO, also den Organisatoren des Mountainbike World Cups, das Thema Sicherheit genannt – „based on the difficulty of conditions on course and the welfare of the riders“. Es sei also zu schwierig gewesen, die Strecke zu fahren, und auch zu gefährlich. Sowohl die Entscheidung, als auch die Begründung, haben für viel Unmut gesorgt. Zwar waren die ersten Trainings-Runs am frühen Morgen sehr, sehr rutschig und es gab zahlreiche Stürze. Doch damit muss man rechnen, wenn man eine brandneue, sehr steile Strecke anlegt. Der World Cup ist dafür da, um den besten Fahrerinnen und Fahrer der Welt eine ordentliche Herausforderung zu geben. Und sturzfrei ins Ziel zu kommen, gehört genauso zur World Cup-Herausforderung wie große Sprünge, schnelle Passagen und Steilstücke.
Auch das Feedback zur Strecke von den Juniorinnen und Junioren nach dem Training war durchweg positiv. Herausfordernd? Klar. Fahrbar? Definitiv! Unsicher? Keineswegs – die Durchschnittsgeschwindigkeiten in den Steilstücken waren verhältnismäßig gering und Stürze in den rutschigen Sektionen waren zwar ärgerlich, aber hatten deutlich geringere Konsequenzen als ein Abflug auf einem großen Sprung oder in steinigen Highspeed-Passagen wie in Andorra. Generell kann auf World Cup-Strecken immer etwas passieren – Mountainbiken im Allgemeinen und Downhill im Speziellen ist einfach eine risikoreiche Angelegenheit. Wenn es darum geht, dass die Fahrerinnen und Fahrer möglichst sicher sind, müsste die ESO also den gesamten World Cup kurzerhand absagen.
Seriously the saddest day for DH, of course it’s hard in the rain but half the juniors were riding dry tires with clogged mudguards, and none of them were consulted if they wanted to race. Some of the best and most memorable races in history have been in the wet, Sam Hill Champery 07, Danny Hart Champery 2011, Reece Wilson Les Gets 2021 to name few, now we just cancel when it rains without asking actual riders opinions, with no care for all the fans that came to watch the race.
Wyn Masters, Pinkbike-Kommentare
Natürlich können auch harmlose Stürze schlimme Konsequenzen haben. In diesem Fall sind eine Erstversorgung an der Strecke und eine schnelle Bergung essenziell. Hier hat die ESO, das muss man in aller Deutlichkeit sagen, in Loudenvielle gnadenlos versagt. Durch das steile Gelände war es oft extrem schwer, zu verunfallten Fahrern zu gelangen, geschweige denn diese aus dem Wald zu bringen. Sturz-Zonen oder sogenannte B-Zones, in denen sich Filmer und Fotografen aufhalten dürfen, waren teilweise nonexistent, ebenso wie Zuschauer-Bereiche. Auf diese Missstände wurde die ESO, die für die Streckensicherheit verantwortlich ist, bereits im Vorfeld hingewiesen. Als Antwort kam die Aussage, dass man den Fotografen ja Macheten zur Verfügung stellen könne, damit diese sich den Weg durch den Wald bahnen können.
Ob die Fahrerinnen und Fahrer im Vorfeld von der ESO konsultiert oder bei der Entscheidung einbezogen worden sind, ist unklar. Basierend auf der praktisch einhelligen Meinung, dass man das Junioren-Rennen hätte austragen können, wirkt das allerdings nicht so. Die Entscheidung der ESO wirft außerdem die Frage auf, ob man denn überhaupt nun das Rennen der Elite-Kategorien sinnvoll durchführen kann – es ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass sich bis zum Finale der Männer und Frauen etwas an der Sicherheitslage an der Strecke was ändern wird. Um es noch mal in aller Deutlich zu sagen: Die Strecke in Loudenvielle ist für Downhill-Verhältnisse sicher, doch die Organisation, für die die ESO verantwortlich ist, ist katastrophal und macht eine Durchführung unmöglich.
Für die Zuschauer zu Hause ist die Absage des Junioren-Rennens kein großes Drama. Für alle Fans, die den Weg nach Loudenvielle auf sich genommen haben, ist die Absage der Junioren-Rennen sehr ärgerlich – da auch der Enduro World Cup verschoben worden ist, findet heute nichts statt. Es ist auch „nur“ das Junioren-Rennen beim World Cup und nicht etwa das WM-Finale der Elite. Und trotzdem ist der heutige Tag ein sehr trauriger für den Mountainbike World Cup. Ein Rennen ohne Not abzusagen, ist eine verheerende Entscheidung – die Fahrerinnen und Fahrer bei dieser Entscheidung ganz offensichtlich nicht einzubeziehen, ist katastrophal.
Natürlich gibt es immer mal wieder Wetter-Kapriolen, die den Zeitplan durcheinanderwerfen. Durch den inzwischen sehr eng getakteten Zeitplan, der an die TV-Übertragung und wirre Format-Änderungen geknüpft ist, gibt es kaum mehr Spielraum hierfür. Mountainbike ist eine Outdoor-Sportart, bei der eine gewisse Flexibilität genauso notwendig ist wie das Verständnis dafür, wie ein World Cup-Rennen funktioniert. Beides scheint bei der ESO nicht wirklich vorhanden zu sein – ganz zu schweigen von katastrophalen Übertragungen, bei denen sinnlose Drohnen-Aufnahmen wichtiger sind als kompetente Kommentatoren. Aktuell sind die ESO und Discovery auf bestem Wege, den Downhill World Cup mit voller Wucht an die Wand zu fahren und die gesamte Szene gegen sich aufzubringen.
Genug der Meckerei – sollte jemand von der ESO diesen Beitrag lesen, stehen wir natürlich jederzeit für konstruktives Feedback zur Verfügung. Bis dahin wünschen wir viel Spaß mit einigen Schnappschüssen des heutigen Chaos-Tages und freuen uns auf ein hoffentlich actionreiches, spektakuläres und faires Elite-Finale am Sonntag!
Alle Artikel zum Downhill World Cup Loudenvielle 2023 | Alle Infos zum Downhill World Cup 2023
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Fliegende Bikes und brutale Motivation – Rennbericht von Andi Kolb
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Falllinie – die Gewinner-Runs aus den Pyrenäen
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: L’amour toujours – Fotostory vom Finale
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Ergebnisse Finale
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Finale heute ab 12:30 Uhr im Livestream
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Cancel Culture – Fotostory vom abgesagten Junioren-Rennen
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Steil ist geil – Quali-Fotostory
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Ergebnisse Qualifikation
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: 7 schnelle DH-Racebikes aus der Boxengasse
- Downhill-World Cup 2023 – Loudenvielle: Kursvorschau mit Mike Huter
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Ein Fall für die Steil-Polizei – Fotostory vom Track Walk
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Geänderter Zeitplan wegen Unwettern
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Alle Infos zur World Cup-Premiere in Frankreich
- Downhill World Cup 2023 – Loudenvielle: Streckenvorschau – DH trifft auf Supercross
17 Kommentare