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Am Ende der Kräfte - aber noch nicht am Ende des Rennens.
Am Ende der Kräfte - aber noch nicht am Ende des Rennens. - © pixemdompteur
Markus Ziegler ist ebenfalls mit von der Partie und gibt seinem Kona die Sporen
Markus Ziegler ist ebenfalls mit von der Partie und gibt seinem Kona die Sporen - © pixemdompteur
Regenjacke und kühler Wind... die Bedingungen waren alles Andere als ideal
Regenjacke und kühler Wind... die Bedingungen waren alles Andere als ideal - © pixemdompteur
Einer der wenigen "Trail"-Abschnitte
Einer der wenigen "Trail"-Abschnitte - © pixemdompteur
Drücken was die Oberschenkel hergeben
Drücken was die Oberschenkel hergeben - © pixemdompteur
Tempo halten
Tempo halten - © pixemdompteur
Das Ziel im Blick; Durchhalten bei miesen Witterungsbedingungen
Das Ziel im Blick; Durchhalten bei miesen Witterungsbedingungen - © pixemdompteur
Während des Rennens hat man viel Zeit, um sich mit sich selbst zu beschäftigen... mit allen Vor- und Nachteilen
Während des Rennens hat man viel Zeit, um sich mit sich selbst zu beschäftigen... mit allen Vor- und Nachteilen - © pixemdompteur
Auf Strecken wie dieser am Ammersee sind Hardtails die aller erste Wahl gewesen
Auf Strecken wie dieser am Ammersee sind Hardtails die aller erste Wahl gewesen - © pixemdompteur
Florian Brobst kämpft sich durch das Rennen und wird am Ende Vierter - hinter Kai, der ihn über die Distanz gerettet hat.
Florian Brobst kämpft sich durch das Rennen und wird am Ende Vierter - hinter Kai, der ihn über die Distanz gerettet hat. - © pixemdompteur
Beißen im Anstieg
Beißen im Anstieg - © pixemdompteur
Im Schlepptau in Richtung Podest: Auf den breiten Schotterpisten ist jeder Meter Windschatten ein echter Vorteil
Im Schlepptau in Richtung Podest: Auf den breiten Schotterpisten ist jeder Meter Windschatten ein echter Vorteil - © pixemdompteur
Fleißig beißen: Kai zieht Kollege Flo hinter sich her, während dieser einige schwere Stunden durchmacht
Fleißig beißen: Kai zieht Kollege Flo hinter sich her, während dieser einige schwere Stunden durchmacht - © pixemdompteur

Vor einigen Monaten hat uns Kai Saaler mit einem spannenden Rennbericht von der 24h Solo-Europameisterschaft in Finale Ligure mit an Bord genommen. Seither hat er viele weitere Stunden im Sattel gesessen und berichtet nun mit einem Rennbericht von der 12h Europameisterschaft 2014 in Dießen am Ammersee. So viel sei vornweg verraten: Es ist wieder spannend geworden.

12h Europameisterschaften in Dießen am Ammersee

Rennbericht

Der kleine Ort Dießen, am wunderschönen Ammersee gelegen, lockte dieses Jahr zahlreiche Stundenfahrspezialisten in die Nähe von München. Wie im letzten Jahr wurde dort die 12 Stunden Europameisterschaft im Mountainbiken ausgetragen. In diesem Jahr war das Fahrerfeld allerdings so stark besetz wie noch nie zuvor, so dass für die zahlreichen Zuschauer und der dazugehörigen Volksfeststimmung einiges geboten war. Mit Michael Kalivoda startete ein bekannter, alter Hase unter den Extrem-Mountainbiken, der im Laufe seiner Kariere schon alle Titel errungen hatte. Auch der Amtierende 12 Stunden Weltmeister Markus Ziegler hatte sich für die Meisterschaft angemeldet und es versprach ein spannendes Rennen zu werden. Bei Temperaturen um 20 °C hatten die 386 Teilnehmer ideale Bedingungen. Allerdings gab es bereits einen Tag zuvor eine Unwetterwarnung für den Renntag, die starken Wind und Gewitter für den Nachmittag des Rennens voraussagte.

Nach der 24h Europameisterschaft im italienischen Finale Ligure konnte ich das Trainingsniveau noch relativ hoch halten, da ich zwei Wochen später am WOMC 24h Rennen in Offenburg starten wollte. In Offenburg hatte ich nach einem Sturz und fünf platten Reifen leider ein wenig Pech, verlor so meinen ersten Platz und musste mich dem 12h-Weltmeister Markus Ziegler geschlagen geben. Nach zwei 24h Rennen innerhalb von zwei Wochen habe ich das Training dann fast komplett zurück gefahren und bin dann quasi ohne große Vorbereitung zur 12h Europameisterschaft angereist. Deshalb rechnete ich mir nicht gerade die besten Chancen aus, um auf das Podium zu fahren. Vor allem bei einem so stark besetzten Fahrerfeld. Nach der obligatorischen Pasta-Party am Vorabend des Rennens und der Übernachtung im Auto, hatte ich leichte Magenprobleme. Da ich keine Ambitionen hatte vorne mit zu fahren, reihte ich mich in der Mitte des Feldes zwischen den Teamfahrern ein.

Am Ende der Kräfte - aber noch nicht am Ende des Rennens.
# Am Ende der Kräfte - aber noch nicht am Ende des Rennens. - © pixemdompteur
Markus Ziegler ist ebenfalls mit von der Partie und gibt seinem Kona die Sporen
# Markus Ziegler ist ebenfalls mit von der Partie und gibt seinem Kona die Sporen - © pixemdompteur
Regenjacke und kühler Wind... die Bedingungen waren alles Andere als ideal
# Regenjacke und kühler Wind... die Bedingungen waren alles Andere als ideal - © pixemdompteur

Der Startschuss fiel und meine Magenbeschwerden waren wie weg geblasen. Nach den ersten Kilometern habe ich eigentlich schon gut in das Rennen gefunden und fühlte mich sogar in den Anstiegen wohl. Die Strecke hatte fast alles zu bieten. Längere Anstiege, kurze Rampen, Schotterwaldwege, Graspassagen, Asphaltabschnitte, schnelle, waghalsige Abfahrten und natürlich die Wechselzone. Nur eines fehlte dem Parcours. Singletrails! Gerade das was ich im südlichen Schwarzwald und in Italien ausgiebig trainiert hatte, war nicht im Portfolio der Europameisterschaft. Normalerweise kann ich in solchen Passagen immer Boden gut machen. Doch gerade mit dem Fehlen der verblockten oder flowigen Trails war es für mich umso schwieriger nach vorne zu fahren. Nach eineinhalb Stunden im Renntempo konnte ich auf einer langen Geraden das Weltmeistertrikot von Markus Ziegler erspähen. Das erste Minimalziel war also schon gesetzt: Zum Weltmeister aufschließen!

Nach kurzer Zeit konnte ich im Windschatten von Teamfahrern an ihn heranfahren. Da wir in Offenburg die letzten beiden Runden gemeinsam bestritten hatten, kannten wir uns schon gut und hatten sofort wieder lustige Unterhaltungsthemen. Wir beide beschlossen das Rennen etwas lockerer anzugehen und die Pace bis zum Schluss zu halten, da wir beide davon ausgingen, dass die vorderen Fahrer eingehen würden. Da wir uns gut unterhielten, fuhren wir die meiste Zeit nebeneinander und scherten uns nicht um Windschatten oder Hinterrad lutschen. Da wir zu Beginn auch nicht übertrieben schnell angingen, gesellten sich schnell zwei weitere Einzelkämpfer zu uns hinzu, die aufmerksam unseren Gesprächen und Gelächter lauschten. Nach ca. vier Stunden hatte Markus dann Probleme mit dem Hinterrad. Meter für Meter merkte er, dass er kein Druck mehr auf die Kette bringen konnte. Wir mussten kurz anhalten und die Sache inspizieren. Auf Anhieb konnten wir den Fehler nicht erkennen.

Einer der wenigen "Trail"-Abschnitte
# Einer der wenigen "Trail"-Abschnitte - © pixemdompteur
Drücken was die Oberschenkel hergeben
# Drücken was die Oberschenkel hergeben - © pixemdompteur
Tempo halten
# Tempo halten - © pixemdompteur

Ich bot ihm darauf hin an, in meinem Windschatten mit gedrosselter Geschwindigkeit mitzurollen. Doch nach kurzer Zeit waren wir am weit entferntesten Punkt der Wechsel- und Tech-Zone angelangt und der 7,8 Kilometer lange Rundkurs führte in eine Rasante Abfahrt. Diese hatte ein Schottergefälle mit einer darauf folgenden Kompression. Wenn man sich flott hinunter stürzte, konnte man am Gegenhuppel circa vier Meter weit springen. Es folgte ein weiteres Gefälle, mit einer darauf folgender steilen Schotterrampe. Auch hier musste man den Schwung mitnehmen um Kraft zu sparen. Markus konnte mit seinem Defekt aber leider nicht mehr richtig antreten um das Bike im Wiegetritt nach oben zu wuchten. Da es allerdings ein Meisterschaftsrennen war, konnte ich nicht noch mehr Zeit verlieren, als wir mit unserem kurzen Stopp und der nachfolgenden kurzen Bummeltour ohnehin schon verloren hatten. Ich setzte also meine Fahrt fort, ob wohl es mir für ihn unendlich Leid tat. Nach meinen fünf platten Reifen bei dem 24h Rennen in Offenburg konnte ich vollkommen mit ihm mitfühlen. An der Tech-Zone angekommen, gab ich seinem Betreuerteam bescheid, dass sie schon einmal das hintere Laufrad für einen Wechsel bereithalten sollen. Ich hoffte, dass er dadurch nicht noch mehr Zeit verlieren würde. Wie sich später herausstellte, hatte sich eine Sicherungsschraube am Laufrad gelöst und dadurch ist der Freilauf aus dem Narbenkörper gesprungen.

Nun stand für mich fest, dass ich die Flucht nach vorne antreten musste. Ohne Wingman an meiner Seite war ich nun in den längeren Geraden bei der Windarbeit auf mich allein gestellt. Nach einer halben Runde hatte ich die Einzelfahrer wieder eingeholt, die zuvor in unserem Windschatten mitgefahren sind und unseren Gesprächen gelauscht hatten. Bei der Flucht nach vorne konnten diese aber leider nicht mithalten. Nach fünf Stunden lag ich nun wieder auf dem sechsten Rang. Für mich hätte dies eigentlich gereicht, da ich mir vor diesem Rennen nur vorgenommen hatte unter die Top Ten zu fahren. Aber je länger das Rennen dauerte, desto mehr Druck hatte ich auf dem Pedal. Zumindest dachte ich das. Wenn man sich allerdings die Rundenzeiten ansieht, bemerkt man schnell, dass die Zeiten einfach nur konstant geblieben sind.

Das Ziel im Blick; Durchhalten bei miesen Witterungsbedingungen
# Das Ziel im Blick; Durchhalten bei miesen Witterungsbedingungen - © pixemdompteur

Nach fünfeinhalb Stunden hatte ich dann den Fünftplatzierten überholt. Ich versuchte das Rennen so gut es ging zu genießen und habe mir Highlights in jeder Runde geschaffen. Eine ältere Herrschaft am höchsten Punkt der Strecke habe ich immer mit einem „high-five“ abgeklatscht, obwohl ich dafür durch tieferen Schotter fahren musste. Eine nette Zuschauerin wurde immer mit einem flotten Spruch belohnt. Markante Einzelfahrer oder Teams wurden mit individuellen Sprüchen überholt oder überrundet. So kommt keine Langeweile auf und der Spaß kommt nicht zu kurz. Nach circa sechs Stunden konnte ich Markus sogar überrunden und hatte eigentlich gehofft, dass er das Hinterrad halten könne. Doch in einer technischen Abfahrt konnte er bei dem halsbrecherischen Tempo leider nicht folgen. Auf der darauffolgenden langen Windgeraden hatte ich das Glück mich an einem Hinterrad eines Vierer-Team-Fahrers zu klemmen. Dies war zwar nicht gerade Gentlemanlike aber wenn man sehr höflich fragt, darf man auch mal an einem Hinterrad eines Teamfahrers mitfahren. Jede Runde freute ich mich auf meine Schwester, die wie schon in den letzten Rennen als Betreuerin mitgereist war. Sie versorgte mich mit Essen und Getränke. Da wir im Vorfeld schon die Taktik für mein Ess- und Trinkverhalten in diesem Rennen besprochen hatten wusste sie genau was ich brauche und vor allem zu welchem Zeitpunkt. Da ich nicht der Typ bin, der wie andere professionellere Stundenfahrer während einer Abfahrt Wasser lassen kann, musste ich mit der Getränkeversorgung zurückhaltend agieren.

Dennoch bestand die große Herausforderung darin, genügend Flüssigkeit dem Körper und den Muskeln zuzuführen, ohne einen ungeplanten Stopp einzulegen oder einen Leistungseinbruch zu riskieren. Trotz allem musste ich nach sieben Stunden einen Boxenstop einlegen, da ich von Beginn an zu wenig Luft im Hinterreifen hatte und die Kette neu geölt werden musste. Eine Runde zuvor gab ich also meiner Schwester bescheid, dass sie alles für einen reibungslosen Ablauf vorbereiten sollte. Wir waren durch die 24h Rennen schon ein ziemlich eingespieltes Team, so dass der Stopp gerade einmal eine Minute dauerte.

Während des Rennens hat man viel Zeit, um sich mit sich selbst zu beschäftigen... mit allen Vor- und Nachteilen
# Während des Rennens hat man viel Zeit, um sich mit sich selbst zu beschäftigen... mit allen Vor- und Nachteilen - © pixemdompteur

Während sie die Kette ölte, war ich mit dem Aufpumpen des Hinterreifens beschäftigt. Da sie schneller war als ich, hatte sie noch genügend Zeit um die aufgebrauchten Papiere der Nahrung aus den Trikotaschen zu fischen und mit neuem Essen aufzufüllen. Die erstaunten Blicke der Zuschauer und Teamfahrer an der angrenzenden Team-Area spornten den schnellen Stopp natürlich zusätzlich an. Auf das Rad schwingen und wieder los. Durch den Boxenstop war ich leicht aus dem Tritt geraten, so dass der fünftplatzierte Florian Probst vom Stevens Racing Team die Chance hatte sich an mich heran zu kämpfen und mich sogar zu überholen. Ich konnte seine Pace mitgehen und nach einem kurzen Gespräch war klar, dass wir versuchten das Tempo zu halten und so Druck nach vorne zu machen. Wir bildeten also ein Team. Zwei Einzelkämpfer mit gemeinsamer Mission. Nach acht gefahrenen Stunden lagen wir auf Platz Vier und Fünf. Noch vier Stunden und langsam ging den meisten die Puste aus. Wir wussten dies und kämpften an jedem Anstieg, gaben Gas in den Abfahrten, wechselten uns mit der Windschattenarbeit und fuhren die stundenlang erarbeitete Ideallinie. Florian und ich ergänzten uns perfekt. Nach einer weiteren gefahrenen halben Stunde war der drittplatzierte in Sichtweite und damit auch ein Podiumsplatz der Gesamtwertung!

Die Motivation stieg. Kurze Zeit später war auch der drittplatzierte überholt, da Florian und ich es in den Abfahrten mächtig krachen ließen. In einer technischen Abfahrt über ein Grasstück mit einem kleinen Sprung und fiesen Absätzen wählte er die Chicken-Linie, während Florian und ich die A-Linie fuhren. Er konnte also nicht erkennen ob wir Einzelstarter oder Teamfahrer wahren und leistete keinen Wiederstand. Die gut informierte Teambetreuung von Florian stachelte uns weiter an, da die Abstände zu Platz Eins und Zwei nur wenige Minuten betrugen. Doch bei einem gut besetzten Fahrerfeld waren wenige Minuten eine Welt!

Auf Strecken wie dieser am Ammersee sind Hardtails die aller erste Wahl gewesen
# Auf Strecken wie dieser am Ammersee sind Hardtails die aller erste Wahl gewesen - © pixemdompteur

Nach neun Stunden im Sattel konnten wir das schwarz, blaue Trikot des Zweitplatzierten sehen. Glücklicherweise kam wieder der Abschnitt mit der langen Geraden ohne Schutz der Bäume. Das Wetter war gerade am umschlagen und der Wind blies von der Seite. Nach einer kurzen Rücksprache mit Florian war der Plan für das Überholmanöver geschmiedet. Der Plan war, zusammen – hintereinander – an ihm in Zeitfahrmanier, mit Händen in der Mitte des Lenkers vorbei zu preschen. Dabei die Startnummer zu verdecken, so dass er denkt wir seien Teamfahrer, die es mächtig eilig haben. Wir gaben nochmal alles und trieben den Puls in die Höhe. Als wir an ihm vorbei waren, trat er allerdings ebenfalls an und hängte sich doch in unseren Windschatten. Der Wind war doch zu stark und er wollt sich schützen. Der Plan war also nicht aufgegangen.

Florian Brobst kämpft sich durch das Rennen und wird am Ende Vierter - hinter Kai, der ihn über die Distanz gerettet hat.
# Florian Brobst kämpft sich durch das Rennen und wird am Ende Vierter - hinter Kai, der ihn über die Distanz gerettet hat. - © pixemdompteur
Beißen im Anstieg
# Beißen im Anstieg - © pixemdompteur

In der darauf folgenden Abfahrt konnten wir ihn auch nicht abschütteln. Nach der Tech-Zone und der Verpflegung war er immer noch an uns dran. Florian und ich agierten immer noch als gutes Team und wechselten uns mit der Führungsarbeit in allen Passagen ab. Der Stressfaktor war nun sehr erhöht und es wurde nur noch selten gesprochen. Nach eineinhalb Runden wurde es Florian und mir zu bunt und wir beschwerten uns, dass wir die ganze Führungsarbeit verrichten mussten. Auf Anfrage, ob sich unser Anhängsel auch an der Arbeit beteiligen wolle, da der Erstplatzierte nur sieben Minuten vor uns war, kam nur als Antwort, dass er Einzelfahrer sei und seine Kraft sparen möchte. Wir machten ihm verständlich, dass wir ebenfalls Einzelfahrer seien und die selbe Rundenzahl hätten wie er und es gerade um die Silbermedaille, Bronzemedaille oder eben den undankbaren vierten Platz ginge. Dennoch wollte er uns bei dem Vorhaben weiter nach vorne zu fahren nicht behilflich sein. Er fuhr also weiterhin in unserem Windschatten mit. Florian und mir war also klar, dass wir ihn los werden mussten, da solch ein unkollegiales Verhalten für uns nicht tolerierbar war.

Bei einem Führungswechsel, mit kurzem Blickkontakt zwischen Florian und mir war klar in welcher Passage wir ihn abschütteln konnten. Florian und ich verstanden uns ohne Worte. Wir suchten die Abfahrt mit der Kompression, dem Sprung und der Gegenrampe aus. Dieser Abschnitt bot keinerlei Kontermöglichkeit für ihn. Der Plan ging auf. Auf der darauf folgenden langen Geraden war er dem gnadenlosen Wind ausgesetzt und konnte sich nicht mehr herankämpfen. Wir wollten unsere Podiumsplätze verteidigen und traten erneut die Flucht nach vorne an. Nach einer weiteren Runde bekam Florian große Probleme und er signalisierte mir, dass er das Tempo nicht mehr halten könne. Nach all dem was wir zusammen durchgemacht hatten und uns gegenseitig unterstützt hatten, wollte ich nicht dass er seine hart erarbeitete Platzierung verliert. Das neue Ziel hieß für mich lautete: „Florian durch bringen“. Die Abmachung lautet, dass er sich an meinem Hinterrad ausruhen könne und ich die Führungsarbeit leistete, bis es ihm wieder besser ginge. Meist sind solche Durchhänger nur von kurzer Dauer.

Die dunklen Wolken die schon seit einer Weile nichts Gutes verhießen, luden nun ihre nasse Ladung ab. Es begann in Strömen zu regnen. In der darauffolgenden Runde hat der Stevens Racing Teamfahrer leider seine Trinkflasche verpasst und hatte nun nichts zu trinken in seiner Flasche. Damit er nicht komplett eingeht, bot ich ihm von meinem Trinken an, was ihn ein wenig über Wasser halten sollte. Doch nur wenige Minuten später klagte Florian über leichte Krampfgefühle und ich gab ihm den Rest meiner Flasche. Ich wusste, dass Trinken das A und O seien, deshalb musste ich aufpassen, dass ich mich nicht auch in die Übersäuerung fahre. Immer noch machte ich die Führungsarbeit und musste auf einigen Abschnitten gegen sehr kräftezerrenden Wind an kämpfen. Dennoch waren wir noch flott unterwegs und überholten viele Teamfahrer obwohl Florian anscheinend schon ziemlich am Anschlag fuhr.

Wir sprachen nur noch selten mit einander, da er wohl mit sich selbst beschäftigt war und ich ihn nicht unnötig belasten wollte. In der Tech-Zone funktionierte mein Griff nach der Trinkflasche immer noch tadellos, wie der Greifreflex eines Neugeborenen. Florians Frau, die ebenfalls als Betreuerin für ihn mitgereist war, hatte sich verständlicherweise, mit deren kleinen Kind ins trockene, warme zurückgezogen. Sie hatten einen Tisch aufgestellt, an dem die Trinkflaschen für Florian standen, die er sich von dort greifen konnte. Zwei Runden lang fuhren wir langsam an seinem Trinken vorbei, so dass er nicht hetzen musste. Ich merkte dann zunehmend, dass er nun wirklich nicht mehr konnte und die Konzentration immer weiter schwand. Wir trafen nun die Abmachung, dass er an der Tech-Zone vorbei fährt und ich ihm die Flasche bringe, damit er nicht aus dem Tritt gerät. Hauptsache der Viertplatzierte überholt ihn nicht mehr.

Da ich von synthetischer Ernährung nicht viel halte, verwende ich selten Gels, Powerbars, oder vor allem keine diverse andere Mittelchen. Aber für Kompletteinbrüche hatte ich schon ein Notfallpaket dabei. Ich lies mir von meiner Schwester einen Activator der Firma Sponsers reichen. In einem kleinen Fläschchen befindet sich der Koffeinanteil von ca. fünf Espresso, was meist wieder hilft um auf die Beine zu kommen. Kaum hatte ich den Activator gegriffen, reichte ich das Fläschchen sofort an Florian weiter, da er die Dosis Koffein definitiv nötig hatte. Nun war nur noch etwas mehr als eine Stunde zu fahren und es war klar, dass wir es zusammen bis in das Ziel schafften würden. Ich verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, dieses Rennen zu gewinnen. Mir ging es einzig und allein darum, Florian wohlbehalten ins Ziel zu bringen. Und zwar vor dem viertplatzierten Windschattenlutscher!

Im Schlepptau in Richtung Podest: Auf den breiten Schotterpisten ist jeder Meter Windschatten ein echter Vorteil
# Im Schlepptau in Richtung Podest: Auf den breiten Schotterpisten ist jeder Meter Windschatten ein echter Vorteil - © pixemdompteur

Wir nahmen etwas Tempo heraus und es war klar, dass wir noch zwei Runden zu fahren hatten. Florian merkte, dass ich mich noch relativ gut fühlte und signalisierte mir, dass er zum Ende des Rennens keine Schlussattacke fahren würde, sondern froh ist ins Ziel zu kommen. Kaum war die Schlussrunde angebrochen, zeigte der Wettergott noch einmal was er drauf hatte. Der Regen prasselte mit riesigen Tropfen auf uns herab und der Charakter war nun wirklich gefordert, um bis zum Schluss durchzuhalten. In den vielen Waldpassagen wurde es dunkel wie in der Nacht. Vorsichtiges fahren war nun angesagt, um nicht noch einen Sturz zu provozieren. Wir bogen nach einer technischen Grasabfahrt in die Tech-Zone und das Fahrerlager ein. Alle an der Strecke schrien und feuerten uns an, weil es ja wirklich nach einem harten Fight zwischen dem Zweiten und dritten Platz in der Gesamtwertung aussah. In der Hauptklasse bedeutete dies Vize- oder Europameister. Wir kämpften allerdings nur mit stumpfen Waffen. Florian gab mir den Vortritt und nahm das Tempo zehn Meter vor dem Ziel heraus und ich konnte den Zielstrich eine Sekunde vor ihm passieren. Nach 280,8 Kilometern und 4680 Höhenmetern hatten wir das Ziel nun endlich erreicht.

Fleißig beißen: Kai zieht Kollege Flo hinter sich her, während dieser einige schwere Stunden durchmacht
# Fleißig beißen: Kai zieht Kollege Flo hinter sich her, während dieser einige schwere Stunden durchmacht - © pixemdompteur

Durch den sehr starken Regen hatten sich alle Menschen in das Bierzelt geflüchtet. Ich sah auf die Uhr im Zielbereich und merkte, dass wir uns doch verschätzt hatten mit der Zeit. Wir waren schneller unterwegs, als wir dachten und hatten eigentlich noch fünf Minuten, um eine weitere Runde zu beginnen. Nach der Erfahrung, die ich bei der 24 Stunden Europameisterschaft in Italien gemacht hatte, entschloss ich mich dazu, noch eine letzte Runde zu fahren, bevor ich ein weiteres mal einen Podiumsplatz verliere. Da sich auch die Rennkommissare bei diesem Wetter im Bierzelt befanden, war für mich nicht eindeutig klar, ob das Rennen nun wirklich beendet war. Ich drehte also noch alleine eine Ehrenrunde in heftigstem Regen. Alleine auf der Strecke zu sein, war für mich ein sehr emotionaler Moment. Die Runde Verwandelte sich in einen Bach und es schien so, als wolle jemand die Schmerzen und Qualen, die ein solches Rennen mit sich bringt von der Strecke rein zu waschen.

Im Fahrerlager angekommen nahm meine Schwester mich überglücklich in Empfang. Erst jetzt bekam ich die letzten Renninfos. Florian und ich konnten den Viertplatzierten in der Gesamtwertung noch um ganze zwei Runden Distanzieren. Mit der selben Rundenanzahl kam auch Markus Ziegler vom Kona Bike-Ranch Team ins Ziel und wurde somit fünfter der Gesamtwertung. Er stand zusammen mit Florian und mir auf dem Treppchen der Hauptklasse. Acht Minuten vor Florian und mir kam der erste der Masters Klasse und der Gesamtwertung ins Ziel. Michael Kalivota vom Ghost/Maloja Team war der Meister aller Klassen. Zu meinem Erstaunen, gab es nur eine Siegerehrung der Altersklassen, aber nicht der Gesamtwertung. So wurde ich zwar Europameister der Hauptklasse, fühle mich aber eher als ein Vize-Europameister der Gesamtwertung.

Dennoch sind alle Helden, die solch ein Rennen überstehen und sich zwölf Stunden im Sattel quälen. Für mich war es ein schönes Rennen, in dem ich mehr erreicht hatte, als ich mir vornehmen konnte. Ich habe wieder einiges über meinen Körper gelernt und konnte das Rennen mit nur einem einzigen kleinen Boxenstop komplett durchfahren. Ich lerne immer mehr dazu, kann mit der Spitze ohne Probleme mitfahren und hoffe im nächsten Jahr wieder in einer ähnlichen Form zu sein, um das gelernte noch effektiverer anwenden zu können. Der zweite Europameistertitel in diesem Jahr, war mehr als ich mir nach der Verletzungspause im letzten Jahr erträumt hatte.

  1. benutzerbild

    westcoast1

    dabei seit 01/2014

    Ein sehr cooler Race-Bericht, welcher das "Leiden" nicht besser beschreiben kann.
    Sehr aufwändig und mit viel Sorgfalt verfasst.
    Riesen-Kompliment dem Verfasser zzgl. Respekt und Gratulation dem Sportler! (..wird ja die gleiche Person sein?)


    Ich habe dieses Jahr selbst das erste Mal, als "Zweier-Team" mit meinem Sohn, in Weilheim an der "12h-MTB-Weltmeisterschaft" teilgenommen.
    Kann also (wenigstens ein bisschen) mitfühlen.
    Aber, wie schon gesagt: Jeder der finisht ist ein Sieger !
    .....und, nächstes Jahr stehen auch wir wieder am Start.

  2. benutzerbild

    TVMBison

    dabei seit 12/2015

    Nun, bevor wir angesichts der Art der Schilderung der irrigen Auffassung verfallen, dieser Sport würde zuallererst der Kameradschaft und des Erlebnisses willen betrieben, möchte ich vorsorglich wiederholend betonen, dass er ja nun gewonnen hat. Dies schien mir zuletzt doch ein wenig untergegangen.

  3. benutzerbild

    -EPIZENTRUM-

    dabei seit 06/2012

    Hallo Leute,
    zunächst einmal vielen Dank für den tollen Zuspruch, den ich von euch für meinen Bericht bekommen habe.
    Danke auch an das mtb-news Team, die mir die Chance gegeben haben, meinen Bericht zu veröffentlichen.
    Wenn ich weiterhin die Chance bekomme, meine Erlebnisse mit Euch zu teilen, werde ich das gerne machen :-D
    Hab nun nach einer Trainingspause auch wieder begonnen leicht zu trainieren.......

  4. benutzerbild

    mamile

    dabei seit 04/2008

    Deinen Bericht zu lesen, lässt die Erinnerung an ein geiles Rennen (welches ja auch für mich 12h ging) wahr werden. Besser kann man nicht berichten. Ich freue mich jetzt schon auf dieses Rennen in 2015.

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