Ibis Tranny 29 im Test: Günther heißt der Spediteur, der hier die meisten Testräder anliefert und nach einigen Monaten wieder abholt. Günther weiß nicht viel über den Inhalt der Kartons, die er da transportiert, aber aufgrund des Gewichts kann er ein „Bergab-Fahrrad“ problemlos von einem „normalen Mountainbike“ unterscheiden. Im November dann brachte er uns einen Karton aus Wiesbaden und war sich sicher: MTB-News.de testet jetzt auch Rennräder, denn nur ein Rennrad könne in einem solch leichten Fahrrad-Karton stecken.
Aus dem Karton
Rennräder auf MTB-News.de? Weit gefehlt, lieber Günther – auch wenn Dich dein Gewichtsempfinden nicht getrogen hat. Das rennrad-mäßig leichte Fahrrad ist ein Ibis Tranny, das tatsächlich auf lediglich 8,8 kg kommt. Den Grundstein für dieses Traum-Gewicht legt der Carbon-Rahmen, doch der Schlüssel ist der absolut puristische Aufbau.
Das Tranny ist nämlich in der „unchained“ Variante aufgebaut und verzichtet auf alles, was nicht unbedingt notwendig ist: Keine Gangschaltung, keine Teleskopstütze, keine Fernbedienung fürs Fahrwerk und auch keine Kette und kein Kettenspanner. Dementsprechend gut gelingt der optische Auftritt, in Sachen Schlichtheit liegt das Bike ganz weit vorne. Schlicht, aber edel sind auch die Anbauteile gewählt: Lenker, Vorbau, Stütze und Sattel stammen aus dem Hause Ibis selbst und weisen nur sehr dezente Logos auf, die Laufräder kommen von der Mainzer Custom-Schmiede Shocka und sind farblich exakt auf das Taubenblau des Rahmens abgestimmt. Bei den Shocka Gryphon Laufrädern kommen Carbonfelgen mit B.O.R. Naben und 32 Sapim CX Ray Speichen zum Einsatz, wovon wiederum eine taubenblau pulverbeschichtet ist – sehr schick und eben auch sehr leicht. Immerhin 120 mm Federweg an der Front werden von einer Fox 32 CTD spendiert, sonst trennen nur ebenfalls leichte Moosgummi-Griffe Fahrer und Maschine.
Die Verarbeitung des Rahmens ist makellos, gleichmäßige Abstände, mittige Logos – all das erfreut das Auge und ist leider nicht selbstverständlich. Auch die hier gar nicht gebrauchten Führungen für innenverlegte Schaltzüge sind sauber gelöst, die Bremsleitung dagegen läuft wartungsfreundlich außen.
Ausstattung
Das Testbike ist ein Custom-Aufbau, den es so nicht ab Werk zu bestellen gibt. Ab Werk wird der Rahmen einzeln verkauft, zu beziehen ist er über Tri-Cycles aus Wiesbaden.
Ibis Tranny 29 | |
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Preis € | 1.748,- (Nur Rahmen) |
Farbe | Matte Black/Chalk Blue |
Rahmenset | |
Rahmen | Ibis Tranny 29 |
Federgabel | Fox Float 32 CTD Kashima |
Größen | 14,5 / 17 / 19 / 21 |
Laufräder | |
VR-Nabe | BOR MD7, 15X100 mm |
HR-Nabe | BOR MD7, 12X142 mm |
Speichen | Sapim CX Ray, Laufrad eingespeicht und Aufgebaut als Shocka - Modell Gryphon XC |
Felgen | Shocka Carbon UD Clincher Titanium verstärkt 24mm |
Reifen | Schwalbe Nobby Nic / Racing Ralph 29 X 2,25" (Tubeless) |
Antrieb | |
Schalthebel | - |
Schaltwerk | - |
Kurbelgarnitur | RaceFace Evolve mit Gates Centertrack 46t Riemenscheibe |
Kassette | Gates Steel Pulley 23t |
Riemen | Gates CarbonDrive Centertrack |
Komponenten | |
Sattel | Ibis |
Sattelstütze | Ibis Seatpost 31,6 (Mountain) |
Lenker | Ibis Carbon Handlebar Lo-Fi, 740 mm, 0 Rise |
Vorbau | Ibis 3D forged, 60 mm |
Steuersatz | Cane Creek Forty IS ZS44/28.6 | EC49/40 |
Bremsen | Avid Elixir XO 160/160 |
Zubehör | |
Griffe | Moosgummi |
Auf dem Trail
Jetzt aber: Genug gestaunt, aufgesessen, angetreten! Mit einem lauten, edlen Knattern der Hinterradnabe rollt das Tranny los. Der Fahrer macht sich mit seinem Sportgerät vertraut, fühlt die straffen Griffe am leicht gekröpften, schön breiten Flatbar und die Körperposition über dem Rad: Die offene Armhaltung lässt den Schwerpunkt mittig über den Rädern landen, den Kopf aber in nach vorn gelehnter Sportlerhaltung.
Der Ibis-Sattel schmiegt sich bequem an und erlaubt eine etwas nach vorn gerutschte Sitzposition – und dann ist Schluss mit Kennen-Lernen, dann ist es Zeit, das Tranny unchained von der Leine zu lassen. Der Fahrer tritt ins Pedal und sein Fuß rauscht Richtung Boden wie ein Faustschlag, so wenig Widerstand leistet diese Fuhre. Der Freilauf verstummt, die Sperrklinken greifen und verbinden Hinterrad und Beine des Fahrers so lange, wie die Beine schneller treten können als das Tranny rollt.
Während die Trittfrequenz steigt wird instinktiv ein nicht vorhandener Schalthebel gedrückt, aber Schalten ist hier nicht. Kein Klick, keine Erlösung – dank Singlespeed gibt es nur: Noch schneller weitertreten oder aufgeben und rollen lassen. Weil der eine Gang ziemlich kurz übersetzt ist, tritt diese Entscheidung schon bei etwa 25 km/h auf, und selbst da tritt man schon wie die Nähmaschine durch die Ebene. Um Strecke zu machen ist das definitiv die falsche Übersetzung, aber das überlassen wir einfach mal den Kollegen mit der 30 Gang-Schaltung.
Wir hingegen sind am Ziel: Am Ende der Schotterebene, am Anfang von abwechslungsreicherem Gelände. Jetzt bremst das Gelände den leichten Blitz, und plötzlich ist der eine Gang genau richtig. Flache Steigungen lassen sich im Sitzen erklimmen. Wird es steiler, bieten sich dem Tranny-Fahrer wieder nur zwei Optionen: Die Geschwindigkeit und Trittfrequenz halten, oder aufgeben und schieben? Die leicht rollenden Reifen und der scheinbar nicht vorhandene Beschleunigungswiderstand lassen die Wahl ohne zu zögern auf „Geschwindigkeit halten“ fallen, im Stehen lässt das Rad Bergetappen-Feeling aufkommen.
Der Puls steigt, die Lunge pfeift, doch Absteigen ist nie eine Option, denn zu groß wäre der Schritt von 14-17 km/h zum Fast-Stillstand. Nie? Nicht, solange es sich irgendwie vermeiden lässt – aber wenn der Anstieg zu steil oder zu lang wird, dann gibt es keine Alternative mehr, dann steht der Singlespeeder eben still. Doch für gewöhnlich sind Steilstücke nur Herausforderungen, die es im Wiegetritt hinaufzubraten gilt, bevor ein Flachstück oder die nächste Abfahrt die Beine schont und andere Muskeln fordert. Prädestinierter Einsatz sind flache Trails, die mit ordentlich Zunder durchgefeuert werden können. Die Gewichtsverteilung des Bikes ist ideal, das Handling agil, aber nie nervös, genau so muss sich ein leichtes Hardtail anfühlen.
Bergab braucht es etwas Nachdruck, um auf dem Hinterrad über Stufen zu droppen, anstrengend ist das aber nie. Auch etwas steilere, durchaus nicht leichte Abfahrten lassen sich attackieren, stetiges Hinternis wird ab einem gewissen Punkt jedoch klar der hohe Sattel. Eine Teleskopstütze würde zwar den Minimalismus dieses Bikes stören, den Einsatzbereich dafür aber deutlich erhöhen. So braucht es für knifflige Passagen einen Innensechskantschlüssel, mit dem die bildhübsche Sattelklemme gelöst und der Sattel abgesenkt wird.
Neben der sensationellen Beschleunigung und dem nicht vorhandenen Rollwiderstand ist das vielleicht Schönste an diesem Testbike sicher sein Geräusch, oder vielmehr die Abwesenheit von Geräuschen. Es klappert einfach gar nichts, vom Freilauf abgesehen schnurrt man lautlos auch über Stein- und Wurzelfelder – es sei denn, es ist nass. Dann verwandelten sich die Bremsen mit ihren eher schmächtigen 160 mm Rotoren zu Furien, die von der Nabe weg kreischten, als wenn’s kein Morgen gäbe. Ein gelungener Kontrast zur absoluten Ruhe des Bikes im sonstigen Einsatz, den es freilich nicht gebraucht hätte.
Der eine, kleine Gang ist auch der Grund, warum das Tranny sich auch bei kleinen Geschwindigkeiten gut präsentiert: Es geht beim Sprint vom Start weg wie ein Flitzebogen, es liebt Wheelies und es mag auch langsame Trial-Einlagen. Die Innenlagerhöhe ist ziemlich optimal, man steht schön zwischen den Rädern und kann bequem pedallieren, ohne ständig gucken zu müssen, wo der nächste Stein lauert. Insgesamt hat die unheimlich vielfältige Geometrie voll überzeugen können, bequem, schnell und sicher sitzt der Tranny-Fahrer. Wer will, könnte das Bike auch problemlos als aggressiveres Trailbike aufbauen, ich würde dann einen kurzen 40 mm Vorbau empfehlen, dazu die schon erwähnte Teleskopstütze und los geht’s. Das Steuerrohr ist wahnsinnig kurz, und das ist gut so. Lenkwinkel und Sitzwinkel alles andere als wahnsinnig, und auch das ist gut so. Die Kettenstreben landen, nachdem man den Riemen gespannt hat, bei ca. 440-445 mm, was kein Rekord für Kürze ist, aber sehr gut funktioniert.
Was den Rahmen wirklich einzigartig macht, ist ja die Art und Weise, wie der Riemen gespannt wird, aber auch, wie der Riemen eingelegt wird. Es müssen nur zwei Schrauben gelöst werden, dann kann das Tranny in 2 Teile zerlegt werden: Hauptrahmen-Dreieck und Hinterbau. Wo die obere Schraube die Sitzstreben hinter der Sattelklemme fixiert, entsteht die Öffnung, um den Riemen ins Rahmendreieck zu führen. Das doppelte Yoke rutscht über ein Langloch um fast 15 mm vor und zurück, um den Riemen (oder auch eine Kette) zu spannen. Vorher hatte ich Zweifel, wie man bei dieser Konstruktion die Spannung aufbringt. Tatsächlich kann man sich jedoch einfach über den Sattel beugen und dadurch leicht auf diesen drücken, was dann den Riemen spannt. Per App ist die richtige Spannung ermittelt, fest ziehen, fertig. Die Konstruktion knarzte nicht, sie ist absolut unauffällig, die Hinterachse ist immer parallel und zur Bremse ausgerichtet, der Radausbau hinten ist simpel – es fehlt nur noch die leichte Nabenschaltung.
Ein letztes Wort zum Rahmen-Finish: Das Matt-Carbon mit Taubenblau sieht übrigens nicht nur gut, sondern auch schnell wieder gut aus. Ein leichter zu reinigendes Bike hatten wir lange nicht im Test. Der Gates CarbonDrive mit Centertrack-Technik hat dazu natürlich seinen Teil beigetragen – Nicht-Pflegen macht Spaß! Bleibt noch die Frage nach dem Preis – im gezeigten Aufbau ist das Tranny für 4.848,-€ zu haben.
Video
Bei einer schnellen Runde mit dem Tranny hatte ich die GoPro dabei – dabei entstand der folgende Clip, der auch den Freilauf-Sound und das Bremsen-Quietschen hautnah wiedergibt…
Ibis Tranny – Geometrie
Zum Nachlesen: So sieht die Geometrie des Tranny 29 bei Verwendung einer 120 mm Federgabel aus. Alternativ kann eine Gabel mit nur 500 mm Einbaulänge verwendet werden, die Winkel sind dann 1° steiler. Wer nicht Singlespeed fährt, kann die Kettenstrebenlänge nach Geschmack zwischen 439 mm und 452 mm einstellen.
Small | Medium | Large | X-Large | |
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14.5” | 17” | 19" | 21" | |
Sitzrohr | 368mm | 432mm | 483mm | 533mm |
Oberrohr | 569mm | 589mm | 610mm | 626mm |
Steuerrohr | 78mm | 94mm | 100mm | 115mm |
Kettenstreben (min) | 435mm | 435mm | 435mm | 435mm |
Sitzwinkel | 72° | 72º | 72º | 72º |
Lenkwinkel | 70° | 70° | 70° | 70° |
Radstand | 1055mm | 1076mm | 1096mm | 1117mm |
Standover Height (mid toptube) | 690mm | 760mm | 760mm | 785mm |
Stack | 617mm | 632mm | 638mm | 652mm |
Reach | 363mm | 378mm | 396mm | 422mm |
Nachlauf | 80mm | 80mm | 80mm | 80mm |
Innenlagerhöhe mit 2,3″ Reifen | 312mm | 312mm | 312mm | 312mm |
Ibis Tranny 29 – Test-Fazit
So muss ein Hardtail sein: Der gezeigte Aufbau zeigt eine puristische Seite des Ibis Tranny, für die man am besten keine Mitfahrer will oder Gleichgesinnte hat. Die Kombination aus Bergaufrasen und in der Ebene entspannen ist jedenfalls nicht die übliche Schlagzahl – Spaß macht sie dennoch. Aber aus dem Tranny lässt sich noch viel mehr machen: Die Alleskönner-Geometrie prädestiniert das Bike für viele Einsätze, die Machart des Rahmens ist ebenso einzigartig wie genial.
Weitere Informationen
Website des Herstellers: www.ibiscycles.com
Text & Redaktion: Stefanus Stahl | MTB-News.de 2015
Bilder: Stefanus Stahl, Tobias Stahl
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