Ein Rennbericht von mir im Jahre 2020? Tja, wer hätte das gedacht! Nicht nur, dass ich mich in den letzten Monaten recht strikt von Menschen ferngehalten habe, nein, auch war irgendwie meine Lust größer, entspannt auf irgendwelche Berge zu kraxeln und hinunter zuradeln, als mit anderen Typen um die Wette zu fahren. Wenn jetzt allerdings das Enduro Team Rennen in Davos stattfindet, juckt es mich dann doch schon sehr in den Fingern, beziehungsweise den Oberschenkeln! Also flugs eine Teampartnerin gesucht und schon stehen Tanja Naber und ich als Mixed-Team in Davos am Start. Viel Spaß beim Rennbericht, bei dem wir nicht nur gemeinsam geradelt, sondern auch zusammen geschrieben haben.
Frauen und Männer – die perfekte Kombi zum Biken?
Jakob
Henry Kissinger hat anscheinend mal gesagt, dass das Schönste am Mann die Frau an seiner Seite sei. Dem stimme ich natürlich voll zu, ändere themenbezogen allerdings etwas ab: Das Schnellste am Mann ist in der Mixed Wertung die Frau an der Seite des Mannes. Heißes Pflaster jetzt, ich weiß schon, aber ich lasse ich mich zu der Aussage hinreißen, dass beim Mountainbiken meistens der Mann schneller fährt als die Frau. Daraus wiederum folgere ich, dass beim Team Rennen in der Mixed Wertung eben zu einem Großteil die Frau entscheidend ist. Warum dieses Geschwafel über Geschlechter in einem Rennbericht? Trommelwirbel: Für das einzige Rennen 2020 wage ich mich in neue Gewässer und fahre bei einem meiner Lieblingsrennen in einer mir völlig neuen Kategorie: dem Mixed Team.
Letztes Jahr habe ich mich stark exponiert und ganz hervorragende Tipps herausposaunt, wie man Teamrennen erfolgreich bestreiten kann. Oftmaliges Problem sind ja die unterschiedlichen Leistungsniveaus der beiden Partner. Ich bin jetzt nicht besonders krass schnell, würde mich aber dennoch jetzt mal selbstbewusst als recht stabilen Fahrer bezeichnen. Deshalb begebe ich Fuchs mich also auf die Suche nach einer möglichst flotten Dame. Meine erste Wahl – Missy Giove – kann leider nicht, hat irgendwie Stress mit der DEA. Doch ich Glückspils habe eine Dame ähnlichen Kalibers (zumindest was die Geschwindigkeit auf dem Rad angeht, weniger die Polizeibekanntschaften) in meinem engen Bekanntenkreis, weshalb ich schnell fündig werde: Tanja Naber, die ebenfalls in Freiburg wohnhafte Enduro-Rakete aus Bayern!
Tanja
Den Jakob kennt in und auch außerhalb Freiburgs jeder, der halbwegs auf dem MTB sitzt, gerne epische MTB-News-Artikel liest oder Augen und Ohren über lustige Instagram-Clips und YouTube-Trail-Technik-Tutorials schweifen lässt. Ich kenne Jakob von den Trails in Freiburg und weiß, dass er neben seiner vollgefüllten Trickkiste auch über einen recht ordentlich gefüllten Geschwindigkeitsrucksack verfügt und gut und gern mal allen Freiburgern davon fährt. Als er mich fragte, ob ich Bock hätte auf ein Duo-Rennen in Davos, war meine Antwort natürlich: „Ja klar!“ Nicht nur, weil ich an dem Termin sowieso noch keine anderen Rennen geplant hatte, sondern vor allem auch, weil es ja mit Sicherheit eine ziemlich interessante Erfahrung sein würde, ihm im Rennmodus hinterher zu flitzen!
Ob sie wohl genauso nervös ist?
Jakob
Ich habe Glück, denn Tanja ist sofort dabei. Frau Naber, so viel muss man wissen, pedaliert mich quasi in Grund und Boden und fährt gefühlt mehr Enduro-Rennen pro Woche als ich sonst in einer Dekade. Wenn ich nach fünf Hinterradhüpfern keine Lust mehr habe und das Training beende, strampelt Tanja gerade zum fünften Mal auf unseren Hausberg. Deshalb bin ich mir – ob du es jetzt glaubst oder nicht – bergauf nicht so ganz sicher, ob ich schneller als Tanja treten kann. Bergab sollte das hinhauen und mein Plan ist, ihr schöne Linien vorzuturnen. Spannend könnte es werden, wenn etwaige Differenzen auftreten sollten: Bei meinen bisherigen – männlichen – Teampartnern wusste ich bisher eigentlich immer, wie sie in Extremsituationen ticken und ich damit umgehen kann. Ob mir dies bei einem Wesen des anderen Geschlechts ebenfalls gelingen wird?
Tanja
Allzu viele Abfahrten hatte ich bisher noch nicht an seinem Hinterrad gemacht, weil meist noch ein paar andere Herren mit von der Partie waren, die sich beim Einreihen im gewöhnlichen Geschwindigkeitstrain zu Recht – oder manchmal auch zu Unrecht – vor mir einordneten. Naja, jetzt war auf jeden Fall die Chance auf einen freien Blick und auch gleich auf volle Action da!
Nach dem nassen und kalten EWS-Rennen in Zermatt konnte auch das Wetter quasi nur noch besser werden. Auch Davos, dessen Trails ich aus dem ein oder anderen Besuch der letzten Jahre kannte, ließ meine Vorfreude extrem steigen. Anspruchsvolle, lange und abwechslungsreiche Trails eignen sich ja wohl perfekt für drei Tage Vollgas. Vollgas? Ja, hinter Jakob wird es weder Halb-Gas noch eine andere Form eines Päuschens geben. Das war mir klar und ich stellte mich auf eine sehr „spannende“ Zeit an seinem Hinterrad ein!
Somit stieg die Vorfreude und der Rennstart in Davos konnte nicht schnell genug kommen.
Tag 1: Ein trauriger Start
Jakob
Nachdem ich an der Grenze anscheinend äußerst verdächtig aussehe und ausführlich untersucht werde, darf ich zu den Eidgenossen einreisen. Tanja muss auch noch arbeiten und kommt noch später in Davos an. Gut für uns, dass beim Enduro Team alles tiefenentspannt abläuft und wir so noch auf ausreichend Schönheitsschlaf kommen.
Tanja
Donnerstagmorgen, die Sonne scheint schon und beim Frühstück – diesmal elegant im Hotel Grischa und nicht Gypsy-Style im VW-Bus – erzählt mir Jakob noch etwas lächelnd, was ihm und Max bei der letzten Duo-Renn-Auflage alles so passiert ist, warum er für dieses Mal sogar neue Reifen drauf gezogen hat und sicher nicht unter 3 bar Druck fahren wird. Aha, denke ich und gehe nochmal in mich, warum ich nicht doch noch einen nigelnagelneuen Vorderreifen montiert habe. Sonst steht mein Bike ja quasi 1 A da, bis auf eine verlorene Kettenführung. Wird schon passen! Wir packen also noch alles Rennequipment zusammen und begeben uns zur Event-Location nahe der Jakobshornbahn. Ehe wir ins Rennen gehen, gibt’s noch Startnummern, ein kleines Package inklusive stylischem Mundschutz und den Transponder zur Zeitnahme.
Ich checke nochmal kurz den Reifendruck, Jakob rollt mit den Augen. „Ich prüf ja nur.“ Nach seinen Erzählungen habe ich jetzt mehr Angst vor einem technischen K.O. – also zum Beispiel einem Platten oder sonstigen Defekt – als dass ich ihm nicht hinterherkomme. Also prüfe ich lieber einmal mehr als zu wenig. Und schon geht’s auf in den ersten Renntag. In der Parsennbahn fahren wir hoch zur Mittelstation und ein paar Pedalschläge und Querungen später erreichen wir auch schon den Start. Strategie steht, Helm sitzt, Luftdruck stimmt. Es kann losgehen!
Jakob
Tanja hat bis zum Start von Stage 1 schon dreimal irgendetwas an ihrem Rad geschraubt, geprüft und geändert. Aus dem Augenwinkel fällt mir auf, dass keine Kettenführung montiert ist. Ich sag jetzt nichts, aber du weißt Bescheid … Wir schießen los, allerdings direkt so schnell, dass mein Prozessor kaum hinterherkommt. Gemeinsam fetzen wir ein kurzes Forstwegstück hinab, bis der eigentliche Trail beginnt: Die Augen schauen verschwommen aus der Goggle und das alpine Gelände rauscht nur so an uns vorbei, sodass mein Hirn erstmal klarkommen muss. Genau in solchen Momenten frage ich mich immer, wieso ich mich eigentlich nicht ordentlich aufgewärmt habe.
Ich düse vorneweg, Tanja folgt. Dank Integralhelm höre ich so gut wie gar nichts und drehe mich deshalb immer wieder so bald wie möglich um. Übrigens fährt es sich recht bescheiden, wenn man nach hinten guckt. Aber siehe da: Meine Teampartnerin folgt mir auf den Fuß. Hervorragend. Dann folgen ein paar etwas technischere Abschnitte, ich lasse es laufen. Anscheinend etwas zu viel, denn ich sehe nichts mehr von meinem Anhänger. Ich freue mich, da ich anscheinend noch einigermaßen schnell Rad fahren kann. Dann fällt mir aber ein, dass wir ja ein Team sind – Notiz an mich: an technischeren Stücken etwas kürzer machen. Tanja schließt schnell wieder auf und zusammen düsen wir grinsend ins Ziel.
Voller Vorfreude auf die nächsten drei Stages kommen wir zum Start-/Zielbereich, wo uns eine traurige Nachricht erreicht: Aufgrund eines schweren Zwischenfalls muss der heutige Renntag abgebrochen werden. Wir können dank unseres Lifttickets zwar die Zeit zum freien Fahren nutzen, dennoch liegt eine unangenehme Schwere in der Luft. Eine E-Mail des Veranstalters klärt uns schon bald auf: Ein Streckenposten hat einen Herzinfarkt erlitten und ist an diesem verstorben. Wir möchten den Hinterbliebenen unser Beileid aussprechen und den Veranstaltern unseren Respekt, da mit der Absage der restlichen Stages hier sicherlich die richtige Entscheidung getroffen wurde.
Tanja
Nach den bedrückenden Nachrichten steht erst einmal eine Pause auf dem Programm. Aber den Tag dann so ganz ohne Bike ausklingen lassen, können wir angesichts des tollen Wetters und den Trails vor der Nase auch nicht. Nach dem ersten Eingrooven wollen wir uns dann ja doch noch etwas besser als Team einspielen und die Gepflogenheiten des anderen verinnerlichen. Damit ist Folgendes gemeint: Jakob muss sich noch etwas genauer an meinen Rennspeed anpassen und ich sollte noch etwas mehr Vertrauen zu seinen außergewöhnlichen, aber zugegeben sehr schnellen Linien finden. Gesagt, getan. Auf zwei Abfahrten folgen noch Testruns auf nassen Wurzeln und verblockten Passagen, damit wir auch wirklich an das Gelände gewöhnt sind. Mein Hinterrad gewöhnt sich bei der Gelegenheit allerdings etwas zu sehr daran und geht etwas zu tief auf Tuchfühlung. Nach knapp zwei Jahren habe ich also auch mal wieder einen klassischen Platten gefahren. Naja, Salami rein und gut. Aber ob das ein gutes Omen fürs Rennen war? Wir werden sehen.
Tag 2: Operation geglückt
Tanja
Früh morgens um 8:20 Uhr geht der zweite von insgesamt neun Starterblöcken raus, in den wir durch unsere nicht allzu langsame Stagezeit vom Vortag gerutscht sind. Hoch zum Weissfluhjoch, wo Stage Nr. 4 wartet und uns schon als kleine Warmfahr-Stage angepriesen wurde. Im Enduro-Deutsch dürfte das etwas ironisch gemeinte „Warmfahren“ aber eher mit Pedalier-Hölle übersetzt werden. Und das am frühen Morgen. Lieber nochmal Reifendruck prüfen zur Ablenkung. Ich weiß in etwa, was uns erwartet: Ein enger, meist grader Trail auf Schotter-Kies-Gemisch, der so ganz leicht am Hang hochquert, dabei an die 20 Höhenmeter macht und erst danach in den spaßigen Downhill-Part einbiegt.
20 hm klingen nach wenig, fühlen sich hier aber auf Grund der Intensität nach mehr an. Deshalb heißt es direkt wieder reintreten, um an Herrn Breitwieser irgendwie dranzubleiben. Meine Beine werden schon schwer, das Atmen wird lauter, die Augen gehen mehr und mehr über Kreuz und sogar meine Arme fühlen sich durch das Pushen schon an wie ein paar Nudeln – ganz und gar durchgekocht. Ich kann Jakob noch sehen, aber irgendwie sieht es von hinten aus, als würde er nur rumspielen und sich gar nicht anstrengen müssen. Er dreht sich immer wieder um und guckt, wo ich bleibe. Echt jetzt? So unfit bin ich doch wirklich nicht. Wann kommt endlich dieser gute Bergab-Part der Stage?
Jakob
Ich kenne die Strecke nicht, es soll aber ein Gegenanstieg folgen. Ich schiele auf Tanjas Waden und vergleiche sie mit meinen dünnen, haarigen Stecken – die aufsteigende Nervosität lasse ich mir natürlich nicht anmerken. Ich überspiele diese einfach mit coolen Sprüchen. Sobald die Uhr läuft, muss ich aber voll Anschlag fahren, denke ich mir. Gesagt, getan. Ich sprinte los und fahre mit ordentlich Druck in den Anstieg hinein. Die Beine fühlen sich gut an und ich hab tatsächlich große Freude daran, den Motor mal wieder so richtig aufheulen zu lassen. Und jetzt kommt dieser spannende Moment: Werde ich gleich von hinten angeschrien, schneller zu fahren? Leicht ängstlich drehe ich mich um – und siehe da, ich sehe nichts! Ich bin tatsächlich zu schnell gefahren. Stolz wie Oskar fahre ich meinen Sattel hoch, setze mich und warte, bis Tanja wieder aufschließt. Über die Kuppe mache ich bewusst langsam, denn wenn ich eins gelernt habe: Als langsamerer fährt man im Teamrennen ständig am Limit. Drückt der andere dann noch voll über die Kuppen, geht man dermaßen blau in die nächste Abfahrt rein, dass das dann eh schonmal nichts mehr wird.
Der Rest läuft hervorragend – wir sind ehrlich gesagt zu gut unterwegs und erleben eigentlich nichts Außergewöhnliches. Also versteh mich nicht falsch, es macht grandiosen Spaß, gemeinsam hier über die sau lässigen Wegchen zu düsen, doch für den anspruchsvollen und sensationslüsternen Leser müssen wir nun eine Stage und ein leckeres Mittagessen überspringen.
Tanja
Der Saas-Trail auf der Madrisa-Seite, also Stage Nr. 6 und mir sowie Jakob noch komplett unbekannt, soll angeblich ein richtig flotter sein. Aha, noch schneller? Da es wohl kaum Kurven oder sonstige Geschwindigkeitshemmer gibt, bin ich sehr gespannt, wie schnell wir gleich wirklich werden. Also, Luftdruck geprüft, ich bin bereit und schon steche ich Jakob auf den wilden Ritt hinterher. Es rumpelt gleich ganz ordentlich auf dem ersten Abschnitt – links, rechts, ein schmaler Holzsteg über den Bach und gleich wieder in die Pedale treten. So flowig war das ja jetzt aber noch nicht!
Jakob tritt schnell vorneweg und der Abstand wird schon wieder größer – er hat auch noch die Zeit und Ruhe, um sich zu mir umzudrehen. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen und pedaliere wie eine Wilde hinterher. Nun kommen offene Wiesenkurven, in denen Jakob wie ein Wiesel von links nach rechts tänzelt und dabei wohl auch noch die besten kleinen Shortcuts findet, die man in dem Tempo erwischen kann. Geil! Innerlich staune ich, äußerlich bin ich schon wieder am Anschlag, halte den Lenker fest und versuche, alles genauso nachzufahren. Es fühlt sich gut an und wir rauschen den Trail, der nun wieder gerader, aber dafür etwas nasser und matschiger wird, weiter hinunter. Die Stage ist lang.
Ich peile nur Jakobs Hinterrad an und mache mich klein, also windschnittig über den Lenker gebeugt. Was macht der denn da vorne? Freihändig auf einem kurzen Schotterwegstück schüttelt sich der Herr die Hände aus? Ich muss irgendwie kurz schmunzeln, was mir aber auch gleich wieder vergehen wird. Über eine scharfe Linkskurve biegen wir auf ein kurzes Asphaltstück ein. Ok, jetzt Attacke! Die Straße macht einen großen Rechtsbogen und ich kante mein Bike. „Good grip!“, denke ich noch und schwups, schmiert mir das Vorder- und Hinterrad seitlich weg und ich schlittere über den rauen Boden. Ob ein neuer Reifen standhafter gewesen wäre?
Die Augen noch auf Jakob gerichtet, der schon einige Meter weiter ist, rapple ich mich sofort auf, packe mein Bike und pedaliere ihm direkt wieder hinterher. Es geht ja um die Zeit und nicht um die B-Wertung. Bis auf ein leichtes Brennen am Ellenbogen und am Finger merke ich nichts – also nochmal Glück gehabt, oder?! Ich bin schon wieder voll im Tunnel und die Stage macht auf jetzt wieder gewohntem Trail-Untergrund noch ein paar Kurven. Jakobs Hinterrad schwebt von einem übers andere Hindernis. Ich merke, dass mir irgendwas am Arm abwärts läuft, blende es aber aus und klammere mich an den Style und Speed des Vordermanns, so gut es geht. Endlich, Stageziel erreicht und mit dem blöden Sturz hoffentlich nicht zu viel Zeit verloren!
Jakob
Im Augenwinkel sehe ich Tanja über den Asphalt schlittern. Kurz vorher freue ich mich noch über unseren grandiosen Kurvenspeed auf der einzigen Asphaltkurve des Rennens – gar ein Paolo Savoldelli wäre stolz auf uns gewesen. Ich vergaß allerdings, dass der Falke immer mit dünnen Rennradreifen unterwegs war, die durch den Asphalt wie durch Butter schneiden, Tanja dagegen mit einem nassen DH-Reifen. Diese Kombi verträgt sich offensichtlich nicht ganz so gut und schon schmirgelt Tanja ihren Arm gekonnt am Bündner Straßenbelag ab. Ich muss schon beim Hinschauen schier weinen, doch Frau Naber hockt, ehe du dich versiehst, schon wieder auf dem Rad.
Kann also nicht so schlimm sein, denke ich mir noch, und gebe wieder Gas. Ein arg blutiger Ellbogen samt dem ein oder anderen Blutfleck auf dem Trikot sprechen im Ziel aber eine andere Sprache. Ich habe, klug wie ich bin, um Gewicht zu sparen, am Morgen mein Erste-Hilfe-Set aus dem Rucksack geworfen. Also schnell beim nächsten Streckenposten was schnorren. Als ich wieder bei meiner Patientin bin, drückt sie mir ihr Schweizer Taschenmesser in die Hand und sagt, ich solle ihr die rausgerissenen Hautfetzen abschneiden. Jetzt musst du wissen, dass Tanjas Messer dermaßen stumpf ist, dass ich gestern quasi den Käse nicht damit schneiden konnte. Mit der schartigen Klinge flutsche ich auf der blutigen Haut nur so herum. Ich überlege kurz, aus Gründen der optischen Professionalität zumindest meine Corona-Maske anzuziehen, verwerfe den Gedanken aber aus Praktikabilitätsgründen wieder.
Während ich also so vor mich hin schneide, kommen mir Begriffe wie „Epidermis“ und „Dermis“ in den Sinn. Klug, was? Ein Hoch auf den Bio-Unterricht! Begeistert bin ich auch von der Schmerzresistenz meiner Teamkollegin. Diese verzieht trotz mangelhafter Sedierung quasi keine Miene. So kann ich kurz darauf stolz verkünden, dass die OP geglückt sei und ich nun den Arm verbinden könne. Tanja prüft erstmal ihren Luftdruck, dann geht es schon weiter. Zumindest so lange, bis Tanja auf der letzten Stage des Tages ihre Kette verliert.
Tanja
Tag zwei ist fast geschafft. Nur noch eine Stage wartet oben am Gotschnagrat auf uns, technisch und steiler als bisher. Neben dem kleinen physischen Schaden an meinem Ellenbogen, den Herr Doktor Breitwieser ausgezeichnet verarztet hat, sind wir bisher ziemlich gut durchgekommen. Aber es wäre ja langweilig gewesen, wenn ansonsten wirklich alles funktioniert hätte. Der verblockte Teil der Stage läuft super und schon sind wir auf der langen Querung, auf der wir nochmal so richtig reintreten müssen. Oder eher hätten müssen. Ich lupfe mein Hinterrad gerade noch über ein paar Unebenheiten, als ich genau höre, wie sich meine Kette verabschiedet. Sayonara Kette! Meine Rufe scheinen Jakob nicht mehr zu erreichen, während er wie von der Tarantel gestochen vorne weg sprintet. Anhalten und draufziehen oder pushen und hoffen, dass das Ziel bald kommt? Ich entscheide mich für B, pushe wie blöd in jede Bodenwelle und sehe auch schon das 50 m-Finish-Schild, wobei ich die Ziellinie dann doch noch laufend überqueren muss und dort dann auf das verdutzte Gesicht von Jakob treffe, der mich offensichtlich schon sehnlichst erwartet. „Ja ok Herr Lehrer, ich schraub‘ später noch eine Führung hin“, stammel ich etwas leise und Jakob pflichtet mir wild nickend bei.
Tag 3: Kann ja gar nichts mehr schiefgehen – oder?
Jakob
Tatsächlich können wir nach Tag 2 die Führung übernehmen. Das uns folgende Team ist allerdings nur wenige Sekunden hinter uns. Mit Ausruhen ist also nix. Deswegen fahren wir auf der Stage ins Sertigtal besonders schnell. Wir funktionieren mittlerweile schon richtig gut und da Tanja bockstark fährt, macht es mir einfach sau viel Spaß, die Strecken am Stück hinunterzuscheppern, möglichst schöne Linien zu fahren und diese verbal noch an Tanja weiterzugeben. So bringen wir die ersten drei Wertungsprüfungen des Tages gut hinter uns und können gerade auf Stage 3 eine Zeit fahren, die selbst bei den reinen Männerteams nicht viele hinbekommen haben.
Tanja
Hammer, der dritte Tag in Folge, die Beine und Arme fühlen sich immer noch gut an und das Biken macht in der Kombo immer mehr und mehr Spaß. Teamleader Jakob fährt auch wie bisher vorne weg, ich düse nach und fühle mich dabei super, lerne viele Linien kennen und gucke mir unter den Rennbedingungen zumindest erstmal unterbewusst einige Sachen und Techniken ab. Hat sich jetzt schon gelohnt, die Aktion hier mitzumachen! Ob es sich auch im Hinblick auf die Platzierung und einen eventuellen kleinen Gewinn auszahlt?
Wir stehen am letzten Start, am Beginn der allerletzten Stage, dem Chörbschhorn-Trail: Lang ist er nochmal, verblockt ist er, auch sehr kurvig und auch nochmal sehr lang. Luftdruck stimmt, Kette läuft dank Führung und neuem Kettenblatt wie auf Schienen. Es kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen, oder?
Jakob
Ich glaube es kaum, aber es geht tatsächlich nichts mehr schief. Wir rauschen Endorphin-geflutet auch die letzte Stage hinunter und kommen freudestrahlend unten im Ziel an. Und da schau her, unsere Zeit reicht, um das Rennen als Gewinnerpärchen zu beenden. Logisch, dass ich, wenn ich es tatsächlich mal auf ein Podium schaffe, mich komplett vermummen muss. Aber gut, gibt Schlimmeres.
Nun müssen wir uns aber noch einmal mit der Einleitung beschäftigen. Ja, im Mixed Team ist sicherlich die Geschwindigkeit der Dame von entscheidender Wichtigkeit. Der Partner kann allerdings hilfreich zur Seite stehen, sei es bei Linienwahl, Transport von benötigten Teilen oder auch nur zur moralischen Unterstützung. Die Kombi aus Männlein und Weiblein kann dabei sehr gut harmonieren, etwas Kommunikation und Empathie vorausgesetzt. Wie halt immer, müssen sich Menschen miteinander arrangieren …
Und nach vielen Tiefenmetern mit Tanja zeigt sich mal wieder, wie fix die flotten Mädels unterwegs sind. Mit unserer, beziehungsweise Tanjas Zeit wären wir entspannt in die Top 30 der Männerteams gedüst. Also der motivierende Appell an die Damenwelt: Mit etwas Training, Übung und Herumgespiele auf dem Bike werdet ihr vielen Männern davon fahren.
Fazit: Mondraker Enduro Team – geteilter Spaß ist doppelter Spaß!
Nach all den zwangsläufigen Absagen 2020 war es eine große Freude, wieder ein Rennen fahren zu können. Die Veranstalter waren sehr darauf bedacht, in den heutigen Zeiten alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine etwaige Ansteckung zu verhindern. Dies ist beim Format Enduro zum Glück nicht sonderlich schwer, da man bis auf die Gondelfahrten keinen engeren Kontakt zu Leuten eingehen muss – wenn man dies denn nicht möchte.
Alle weiteren Informationen über das Rennen und die Ergebnisse gibt es hier zu finden. Die Austragung nächstes Jahr wird vom 2. bis 4. September 2021 sein.
Top Strecken, eine sehr gute Orga, grandiose Szenerie und bombastisches Wetter – und das alles gemeinsam mit den Kollegen und Kolleginnen. Team-Rennen machen einfach enormen Spaß und so bleibt mir nichts anderes übrig, als das Enduro Team in Davos als ganz klaren Tipp zu klassifizieren. Wer hierfür noch einen passenden Partner – oder natürlich eine Partnerin – an der Seite hat, wird sicherlich genauso begeistert sein wie ich.
Einzige Voraussetzung für ein grandioses Wochenende ist, dass man schon stabil auf dem Rad sitzt, denn hier werden sowohl technisch wie konditionell anspruchsvolle Strecken in alpinem Gelände auf Zeit gefahren. Diese sind selbst im Trocknen nicht ganz einfach, bei Nässe steigt der Anforderungsgrad aber noch einmal deutlich an. Wenn ich negative Aspekte benennen muss, so kann ich nur die Standard-Klage von uns Deutschen nennen: Die Schweiz ist einfach vergleichsweise teuer.
Mit der Möglichkeit, mit bis zu sechs Leuten in einem Team zu fahren, gibt es zudem eine weitere, sicherlich sehr spaßige Option. Dafür brauche ich nur noch fünf Mitstreiter*innen. Wer hat Lust?
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