Canyon/Syntace K.I.S. im Test: Das neue K.I.S.-System von Canyon und Syntace soll für frischen Wind in der Mountainbike-Lenkdynamik sorgen. Eine unauffällig in den Rahmen integrierte Feder zieht hierbei den Lenker gerade und soll eine erhöhte Lenkstabilität und ein natürliches Fahrgefühl garantieren. Wir konnten das System bereits für euch ausprobieren – hier gibt es unseren Ersteindruck.
Canyon/Syntace K.I.S. – kurz und knapp
Mit dem Adjektiv innovativ werden in der Bike-Industrie fast schon inflationär die allermeisten Neuheiten beschrieben. Eine Entwicklung, die dem Wort allerdings wirklich gerecht wird, ist das neue K.I.S.-System. K.I.S. steht für „Keep It Stable“ und soll die Lenkdynamik an Fahrrädern revolutionieren. Das System besteht aus einem Federmechanismus, der sowohl am Hauptrahmen als auch am Gabelschaft befestigt ist und diese beiden Komponenten miteinander verbindet. Beim Einschlagen des Lenkers spannen sich die Federn des Mechanismus und erzeugen dadurch eine Gegenkraft, die den Lenker wieder in die zentrale Position zurückzieht. Diese Selbstzentrierung ist laut Syntace vergleichbar mit der am Auto und soll die Lenkung und das Fahrgefühl präziser, ausbalancierter und einfach besser machen.
Entwickelt wurde das System von Liteville- und Syntace-Gründer Jo Klieber. Dieser präsentierte seine Idee bei Canyon, wo man direkt begeistert war und sich die exklusiven Lizenzrechte für ein Jahr sicherte. Das erste Mountainbike mit K.I.S.-System wird also ein Canyon. Genauer, ein Canyon Spectral CF 8 Cllctv. Zusätzlich wird selbstverständlich auch Liteville die Eigenentwicklung an ausgewählten Modellen verbauen. Den Anfang macht hier das Liteville 301CE Mk2-E-Mountainbike. Wir konnten das neue System bereits für euch ausprobieren.
Im Detail
Aufbau
Der Aufbau des K.I.S.-Systems ist relativ simpel: Ein Klemmring am Gabelschaft wird über ein Kevlarband mit zwei Stahlfedern verbunden, die wiederum an einem Ankerpunkt am Oberrohr des Rahmens befestigt sind. Dieser Anker lässt sich verschieben, wodurch die Vorspannung der Federn eingestellt werden kann. Von außen sieht man von diesem System nur sehr wenig, da es komplett in den Rahmen integriert ist. Lediglich ein kleines Loch im Steuerrohr, das dazu dient, den Klemmring festzuziehen und der bereits angesprochene Ankerpunkt zum Justieren der Feder-Vorspannung weisen auf das System hin.
Um dem Überdrehen des Lenkers und somit einer Überdehnung der Federn vorzubeugen, kommt zusätzlich ein Anschlag zum Einsatz, der den Lenkeinschlag auf maximal 90° begrenzt. Wenn der Lenker im Sturzfall doch mal über die 90° hinweg gedreht wird, verdreht sich der Klemmring auf dem Gabelschaft und schützt so das System. In diesem Fall muss nach dem Sturz allerdings die Zentrierung neu eingestellt werden. Sprich: Der Klemmring am Gabelschaft muss gelockert und in seiner ursprünglichen Position wieder festgezogen werden. Dies funktioniert im Prinzip genau wie das erneute Geradestellen des Vorbaus.
Das K.I.S.-System ist laut Canyon absolut wartungsfrei und wird genau wie der Rahmen mit einer Garantie von 6 Jahren ausgestattet. Im Teststand soll sich das System allerdings als deutlich langlebiger als die übrigen an Mountainbikes verbauten Komponenten erwiesen und problemlos über 50 Millionen Lastwechsel bewältigt haben. Das Mehrgewicht durch das K.I.S.-System beträgt beim Canyon Spectral CF 8 K.I.S. um die 110 g, während es bei Liteville 80 g sind.
Wenn einem das System nicht zusagen sollte, kann es problemlos in wenigen Handgriffen ausgebaut werden. Ab Frühjahr 2023 sollen für diesen Fall auch Blenden zum Verschließen der Rahmen-Aussparungen erhältlich sein. Auch der Ausbau der Federgabel wird durch das System nicht wirklich komplexer. Hierfür muss man lediglich die leichteste KIS-Vorspannung einstellen, den Klemmring lösen und die Federgabel anschließend wie gewohnt ausbauen. Nachrüst-Kits für bereits auf dem Markt befindliche Bikes wird es vorerst nicht geben.
Funktionsweise
Wer schon einmal freihändig ein modernes Mountainbike mit flachem Lenkwinkel gefahren ist, der weiß, was mit „Wheel Flop“ gemeint ist. Beim Einlenken senkt sich das Steuerrohr um einige Millimeter ab, – um zurückzulenken, muss man es also samt seinem eigenen Fahrergewicht wieder anheben. Ab einem gewissen Punkt ist das nicht mehr möglich – das Rad klappt zur Seite. Je flacher der Lenkwinkel ist, desto stärker ist der Effekt. Man kann sich dies veranschaulichen, indem man sich ein Rad mit 0° Lenkwinkel, also komplett horizontaler Gabel vorstellt: Steuerrohr und Nabe wären hier stets auf einer Höhe. Beim Einlenken senkt sich die Nabe um den Radius des Vorderrads ab, bis sie bei 90° Einschlag auf dem Boden liegen würde. Ein solches Rad wäre natürlich unfahrbar – der Effekt ist allerdings auch bei üblichen Mountainbikes in geringerem Maß vorhanden. Ein Rad mit 90° Lenkwinkel, also senkrechter Gabel, hingegen weist ihn nicht auf.
K.I.S. ist laut Syntace und Canyon dafür ausgelegt, dass es dieser als Wheel Flop bekannten Kraft entgegenwirkt und die Lenkung stabiler und intuitiver gestaltet. Das System ist durch die Auslegung der Befestigungspunkte am Klemmring in Kombination mit den flexiblen Kevlarbändern so gestaltet, dass das nötige Drehmoment auf den ersten 15° Lenkeinschlag stark ansteigt, sich zwischen 15° und 50° jedoch fast identisch anfühlt. Dadurch soll der Lenker in Highspeed-Passagen nicht verschlagen, die Gegenkraft in engen Serpentinen mit großem Lenkeinschlag aber nicht zu extrem ausfallen. Die Anpassung der Feder-Vorspannung ist zum einen für verschiedene Fahrergewichte notwendig, soll zum anderen jedoch auch für verschiedene Strecken und Fahrstile nützlich sein. Smoothe Fahrer, die gerne eine weite, schnelle Linie wählen, können laut Canyon auf etwas mehr Vorspannung setzen, wer hingegen mit dem Trail spielt und Kurven am liebsten inside nimmt, wählt etwas weniger.
Die Idee eines Lenkungsdämpfers ist keinesfalls neu – an Motorrädern werden solche Systeme bereits seit Jahrzehnten verbaut. Die Funktionsweise ist allerdings völlig anders, denn es handelt sich dabei – der Name verrät es – um eine Dämpfung, die hydraulisch arbeitet und Schwingungen aus der Lenkung filtern soll. Das K.I.S.-System hingegen arbeitet nur mit Federn, also quasi reibungslosen Kraftspeichern. Die Lenkung soll dadurch nicht erschwert oder verlangsamt, sondern stabilisiert werden. Kenner von Kinder- oder City-Bikes wissen, dass es auch für Fahrräder bereits Systeme gibt, die eine Zugfeder einsetzen, um die Lenkung einzuschränken oder ein Wegklappen des Lenkers beim Abstellen zu verhindern. Diese sind allerdings anders aufgebaut, nicht so schön integriert und natürlich für einen völlig anderen Zweck ausgelegt.
Canyon macht klar, dass man das System an so ziemlich jedem Rad, außer einem Dirtjump-Bike für nützlich erachtet. So ist das von uns gefahrene Spectral nur der Anfang. Tatsächlich soll das System bereits Anfang der Saison beim Downhill World Cup in Fort William vom Canyon-Team getestet worden sein. Hier dürfte sich in den kommenden Monaten und Jahren also einiges tun.
Verfügbare Modelle
Wie bereits erwähnt, wird K.I.S. nicht als Nachrüst-Kit erhältlich sein. Wenn man in den Genuss des Systems kommen will, muss man also ein bereits ab Werk mit K.I.S. ausgestattetes Bike kaufen. Derer gibt es aktuell allerdings lediglich zwei. Erstens das Liteville 301CE Mk2 E-Mountainbike und zweitens Canyon Spectral CF 8 K.I.S. Dieses basiert auf dem herkömmlichen Canyon Spectral CF 8 (Test) und unterscheidet sich dementsprechend weder in der Geometrie noch in der Ausstattung von seinem Konterpart. Den einzigen Unterschied stellt das K.I.S.-System dar. Hierfür ist ein Aufpreis von 400 € gegenüber dem gewöhnlichen Spectral CF8 nötig. Insgesamt liegt das Canyon Spectral CF8 K.I.S. somit bei einem Preis von 4.999 €. Dafür bekommt man ein Fox Performance Elite-Fahrwerk, Shimano XT-Komponenten und DT Swiss-Laufräder. Wer das neue Bike sein Eigen nennen möchte, muss allerdings schnell sein, denn die erste Auflage des K.I.S.-Spectrals ist auf lediglich 120 Stück limitiert.
2023 sollen weitere Canyon-Modelle mit der K.I.S.-Technologie vorgestellt werden.
Auf dem Trail
Genug der Theorie, wie fühlt sich das K.I.S.-System in der Praxis an? Die Zentrierung des Lenkers ist deutlich spürbar. Wenn das Vorderrad in der Luft ist, man stark einlenkt und anschließend den Lenker loslässt, schwingt er unmittelbar zurück und pendelt sich wieder in der Mitte ein. Die Rückstellkraft des Federsystems ist dabei allerdings nicht so stark, dass man zum Einlenken deutlich mehr Kraft aufwenden muss oder das Vorderrad – beispielsweise zum Transport im Auto – nicht einfach querstellen kann. Wenn das Bike mit beiden Rädern auf dem Boden steht, fällt die Reibung zwischen Reifen und Untergrund in der Regel höher aus als die Rückstellkraft des K.I.S.-Systems.
Auch beim Schieben und wenn das Bike abgestellt wird, merkt man die Zentrierung deutlich. Hier bleibt das Vorderrad stets geradeaus gerichtet und klappt nicht einfach ein. Dies allein ist bereits ein nettes Gimmick und kann in manchen Situationen recht praktisch sein. Schwingt man sich dann auf das Bike und dreht die ersten Runden auf dem Parkplatz, fühlt sich alles erst mal ein wenig ungewohnt und neuartig an. Das Einlenken erfordert etwas mehr Kraft als bei herkömmlichen Bikes und durch die Rückstellkraft fühlt sich die Lenkung etwas stabiler und weniger kippelig an. Obwohl man den zusätzlichen Kraftaufwand beim Einlenken definitiv spürt, liegt dieser auf einem relativ geringen Niveau. Ob das an langen, abfahrtslastigen Tagen zu einer schnelleren Ermüdung führt, konnten wir aufgrund der Kürze der Testdauer noch nicht ausprobieren.
Überraschenderweise gelingt mir das freihändig fahren bei den ersten Versuchen allerdings nicht wirklich gut. Der Grund dafür ist schnell gefunden: Ich mache aus Gewohnheit viel zu viele automatisierte Ausgleichsbewegungen und bringe so Unruhe ins eigentlich ruhige und geradeaus fahrende System. Das gleiche Bild zeigt sich dann auch auf der ersten Abfahrt. Auf einem schmalen Trail, der mit vielen kleinen, rutschigen Steinen und teilweise losem Geröll gespickt ist, fahre ich ungewohnt unpräzise und schlängele mich ungewollt von links nach rechts. Eigentlich passiert bei mir hier erst mal genau das Gegenteil von dem, was K.I.S. bewirken soll. Durch meine über Jahre hinweg antrainierten Automatismen scheine ich jede Menge kleine Lenkimpulse zu setzten, um das Bike in der Spur zu halten. Dabei werden diese dank K.I.S. scheinbar nicht, beziehungsweise nicht in dieser Intensität benötigt. So habe ich Anfangs das Gefühl, gegen das System zu arbeiten.
Nach einigen Fahrten setzt dann langsam ein Gewöhnungseffekt ein und ich beginne, mich immer mehr auf das System einzulassen. Auch das freihändig Fahren gelingt jetzt ausgezeichnet und sogar bei so langsamen Geschwindigkeiten, dass das Vorderrad normaler Bikes bereits lange eingeklappt wäre. Hier merkt man deutlich, wie das K.I.S.-System dem Wheel Flop entgegenwirkt. Auch auf dem Trail macht sich das positiv bemerkbar. Man stelle sich eine enge Kurve vor, in der man gerade so noch nicht zum Umsetzten gezwungen wird. Hier ist man auf dem Weg Richtung Kurvenausgang meist mit relativ großem Lenkeinschlag sowie nicht besonders schnell und dadurch recht kippelig unterwegs. In diesen Situationen sorgt K.I.S. für ein deutlich stabileres und vertrauenerweckenderes Fahrgefühl.
Aber auch bei hohen Geschwindigkeiten merkt man, dass K.I.S. zusätzliche Stabilität bietet und die Laufruhe des Bikes erhöht. Gerade auf dem bereits angesprochenen Pfad mit kleinen, rutschigen Steinen und losem Geröll kam ich am Ende des Test-Tages entgegen dem allerersten Eindruck etwas besser mit als ohne K.I.S. zurecht. Wenn man sich an die Zentrierung gewöhnt hat, kann sie dem Fahrer/der Fahrerin dabei helfen, kleine Ablenkungen, Rutscher oder seitliche Schläge einfacher auszugleichen und die gerade Linie beizubehalten. Man könnte sagen, das System funktioniert so in etwa wie eine externe Unterstützung der Körperspannung. Hier dürften ungeübte Anfänger allerdings stärker profitieren als der routinierte Mountainbiker. Für Trick-orientierte Mountainbiker, die gerne mal einen Barspin raushauen, ist das K.I.S.-System selbstverständlich nicht die richtige Wahl.
Ebenfalls einen Einfluss hat das System im Grenzbereich der Reifen. Rutscht einem das Vorderrad weg, so merkt man, dass durch die Federn eine Verbindung zwischen Hauptrahmen und Federgabel besteht. Mit K.I.S. gelingt es so einfacher, das driftende Vorderrad wieder einzufangen und beide Räder in Fahrtrichtung einzuregeln. Hier hat man das Gefühl, kontrollierter unterwegs zu sein. Dabei spielt natürlich auch eine Rolle, dass man durch die Zentrierungskraft jederzeit Rückmeldung vom Lenker bekommt, obwohl der Grip am Reifen längst abgerissen ist. Dadurch können hektische Lenk-Manöver bei Gripverlust effektiv unterbunden werden.
Last but not least hilft die Zentrierung in technischen und steilen Uphills, in denen gerne auch mal das Vorderrad abheben kann, eine gerade Linie beizubehalten.
Die Implementation des Systems scheint gut gelungen: Klappern, Knarzen oder andere störende Eigenschaften gibt es nicht zu beklagen. Auch das Einstellen der Federhärte sowie der Ein- und Ausbau der Federgabel oder gar des ganzen Systems gehen einfach und ohne kompliziertes Hexenwerk vonstatten.
Meinung @MTB-News.de
Mit der K.I.S.-Technologie haben Syntace und Canyon eine äußerst interessante Neuheit aus dem Hut gezaubert. Das System verspricht eine deutliche Verbesserung der Lenk-Dynamik und konnte in unserem ersten Test mit sehr interessanten Eigenschaften überzeugen. Dabei übernimmt das System allerdings vorwiegend Aufgaben, die routinierte Mountainbiker bereits automatisiert erledigen. Um das volle Potenzial des Systems auszuloten und herauszufinden, inwieweit auch fortgeschrittene Fahrer davon profitieren können, war der Testzeitraum zu knapp bemessen. Dies wird nach ausführlichen Testfahrten in den nächsten Monaten nachgereicht.
Was hältst du von der Syntace-Entwicklung – glaubst du, das K.I.S.-System kann dir auf dem Trail helfen?
Testablauf
Wir hatten die Möglichkeit, das neue Canyon Spectral K.I.S. auf einem Pressecamp bei Nizza für einen Tag testen. Dabei wurden die meisten Höhenmeter per Shuttle zurückgelegt. Allerdings stand auch eine kleine Enduro-Tour auf dem Programm. Die Kosten für das Pressecamp wurden von Canyon getragen.
Hier haben wir das Canyon Spectral K.I.S. getestet
- Nizza, Frankreich abwechslungsreiche, natürliche Trails, teilweise flowige teilweise enger und verblockt.
- Fahrstil
- sauber, hohes Grundtempo
- Ich fahre hauptsächlich
- Enduro, Trail, Downhill
- Vorlieben beim Fahrwerk
- vorne straffer als hinten, schneller Rebound, nicht zu viel Dämpfung
- Vorlieben bei der Geometrie
- moderater Reach, keine zu kurzen Kettenstreben, flacher Lenkwinkel
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