Der Downhill World Cup 2022 ist vor rund zwei Wochen mit einem packenden Saison-Finale in Val di Sole zu Ende gegangen. Nachdem sich der Staub nun im wahrsten Sinne des Wortes gelegt hat, werfen wir einen Blick zurück auf die Saison – und präsentieren unsere Gewinner und Aufsteiger 2022!
Amaury Pierron, Camille Balanche, Gracey Hemstreet und Jackson Goldstone heißen die Gewinner des Gesamt-Weltcups 2022. Doch niemandem aus diesem Quartett ist es gelungen, bei der unfassbaren WM in Les Gets Gold zu holen. Beim packenden Rennen Ende August konnten sich Jordan Williams, Jenna Hastings, Vali Höll und Loïc Bruni (natürlich, wer auch sonst?) durchsetzen. Doch über erste Plätze haben wir schon oft genug gesprochen. Nicht minder interessant ist es, einen Blick drauf zu werfen, wer dahinter im abgelaufenen Downhill World Cup 2022 einen großen Sprung nach vorne gemacht hat, wer besonders in den Fokus gerückt ist und wer zu den Gewinnern der Saison zählt. Und davon gibt es einige!
Andi Kolb
Hätten wir unserem Blogger zu Beginn der Saison gesagt, dass er beim World Cup-Finale in Val di Sole als letzter Fahrer des Tages über die Ziellinie fährt, am Ende nur Loris Vergier vor ihm liegt und er sich ärgert, dass er auf der härtesten Strecke des Jahres nur Zweiter geworden ist, dann hätte Andi uns wohl den Vogel gezeigt. Doch Fakt ist: Der Österreicher hat eine gigantische Saison hingelegt.
Spätestens mit seinem Wechsel zum markanten Schnurrbart kurz vorm Heim-World Cup in Österreich lief es für ihn wie am Schnürchen. Nach der Podium-Premiere in Leogang folgten drei weitere Podest-Platzierungen hintereinander. Auch bei der Weltmeisterschaft in Les Gets hätte er wohl eine realistische Chance auf Edelmetall gehabt, wenn man sich die Zwischenzeiten anschaut. Und der zweite Platz in Val di Sole war gleichbedeutend mit einem überragenden vierten Platz in der Gesamtwertung. Klare Sache: Andi Kolb ist einer der Gewinner der Downhill World Cup-Saison 2022!
Pivot Factory Racing
Eines der Highlights der Off-Season war sicherlich das ambitionierte Projekt von Bernard Kerr, einen ausrangierten Schulbus zum Team-Truck umzubauen. Doch nicht nur mit dem Vehikel, das die stets gut gelaunte und chaotische Truppe von A nach B bringt, hat Pivot Factory Racing in diesem Jahr für Furore gesorgt. Mit der Verpflichtung von Jenna Hastings hat das von Bernard Kerr gemanagte Team ein gutes Gespür bewiesen. Nach einigen Podium-Platzierungen hat die Neuseeländerin bei der WM in Les Gets ihre Konkurrentinnen alt aussehen lassen und die Regenbogenstreifen ins Team geholt.
Und auch Bernard Kerr selbst war in diesem Jahr so gut unterwegs wie noch nie. Der Brite ist eigentlich ein absoluter Trainings-Weltmeister, doch im Finale wollte es nie so recht für ihn laufen. 2022 hat er aber erfolgreich den Schalter umgelegt. Bei den letzten drei World Cups ist er jedes Mal auf dem Podium gelandet und konnte sich so sogar in den Top 5 der Gesamtwertung platzieren. Und auch, dass er seinen heftigen Crash bei der Red Bull Hardline weitestgehend schadlos verkraftet hat, ist definitiv ein Gewinn.
Ronan Dunne
Der typische Ablauf eines Downhill World Cups ist folgender: Beim Track Walk werden die wildesten Lines begutachtet, das Training geht dann normalerweise recht verhalten los. Dann: Jubel aus dem Wald – und man weiß, dass gerade irgendwer so richtig eskaliert ist. Dieser Irgendwer hieß 2022 normalerweise Ronan Dunne. Der junge Ire hat im Training immer wieder gezeigt, was für ein enormes Potenzial in ihm steckt. Und mittlerweile ist er auch regelmäßig im Finale dabei.
Das Highlight des Nukeproof-Fahrers war sicherlich der World Cup in Snowshoe, wo er mit einer beherzten wie rasanten Fahrt aufs Podium gehämmert ist. Noch wechseln sich Licht und Schatten zu regelmäßig ab, um bei Ronan Dunne von einem absoluten Top-Fahrer zu sprechen. Doch geht sein bisheriger Aufstieg so rasant weiter, dann dürfte er auch für die ganz großen Teams sehr interessant werden. In der abgelaufenen Saison hat er jedenfalls viel dafür getan, dass man ihn als einen der spektakulärsten und vielversprechendsten Fahrer wahrgenommen hat.
Gracey Hemstreet
Letztes Jahr haben höchstens Insider von der jungen Kanadierin Gracey Hemstreet, damals noch als Privateer-Fahrerin unterwegs, Notiz genommen. Doch in Kanada gilt Gracey schon länger als Star der Zukunft. Im Winter folgte der Wechsel zu Norco Factory Racing – und im Sommer dann eine starke Saison inklusive mehrerer Siege und dem souverän geholten Titel im Gesamt-World Cup. Dazu ist die stylishe Kanadierin, die zu Hause immer durch den von ihrem Papa gegründeten Coast Gravity Park fliegt, nun seit einigen Wochen mit Red Bull-Helm unterwegs. Wir sind sehr gespannt, wie Gracey Hemstreet der Wechsel in die Elite gelingen wird. 2022 lief jedenfalls richtig gut für sie.
Continental
Mit sehr viel Tam-Tam hat Continental in diesem Frühjahr eine komplett neue Reifen-Range der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Der Ort der Präsentation war der walisische Dyfi Bikepark von den Athertons. Das hat einerseits gut gepasst, denn das britische Trio war maßgeblich in die Entwicklung der neuen Reifen involviert. Andererseits hatte Continental wohl auch große Hoffnungen, dass die Athertons auf Continental weit vorne landen würden – doch abgesehen von einem World Cup in der Lenzerheide war in dieser Saison kein Atherton am Start.
Für ein sehr erfolgreiches Debüt der neuen Reifen-Range haben die verschiedenen Continental-Athlet*innen dann aber doch gesorgt. Andi Kolb ist wie erwähnt die beste Saison seiner Karriere gefahren, auch sein Team-Kollege Charlie Hatton war stark unterwegs. Bernard Kerr ist auf den griffigen Reifen diverse Male auf dem Podium gelandet, seine Team-Kollegin Jenna Hastings gar Weltmeisterin geworden. Und auch das Continental Nukeproof-Team war 2022 stark unterwegs. Die Reifen spielen natürlich nicht die Hauptrolle bei den starken Leistungen, doch auch von Fahrern anderer Teams hat man hier und da gehört, wie beeindruckt sie bei Tests von den neuen Continental-Produkten gewesen sind. Die harte Entwicklungsarbeit scheint sich für Continental also gelohnt zu haben.
Die Fahrerinnen und Fahrer
Wie so oft muss erst etwas passieren, bevor man aktiv wird. Und nachdem die Fahrerinnen und Fahrer schon länger ihre Bedenken hinsichtlich der oftmals mangelnden Sicherheitsvorkehrungen und dem geringen Mitspracherecht geäußert haben, hat der Wechsel von Red Bull zu Discovery nun das Fass zum Überlaufen gebracht. Auf Initiative von Loïc Bruni und Finn Iles haben die Fahrerinnen und Fahrer eine Art Gewerkschaft gegründet, um mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen und hoffentlich auch Gehör zu finden.
Mittlerweile hat diese Gewerkschaft einen Namen: In der Pro Riders Association stimmen die besten Downhiller*innen der Welt demokratisch über wichtige Anliegen ab. Praktisch jeder Fahrer hat bereits signalisiert, ein Teil der Union sein zu wollen. Und auch der Weltradsportverband UCI und die ESO, die ab dem kommenden Jahr gemeinsam mit Discovery einen erheblichen Einfluss auf den Downhill World Cup ausüben wird, hat die Gründung der Pro Riders Association zur Kenntnis genommen. Wie genau der Einfluss der Association ausfällt, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Doch prinzipiell ist den Fahrerinnen und Fahrern zu diesem mutigen und wichtigen Schritt zu gratulieren! (Mehr Infos gibt’s im Interview mit Emilie Siegenthaler zur Pro Riders Association)
Camille Balanche
1, 2, 1, 2, 3, 1, Knack: So ungefähr lässt sich die Saison von Camille Balanche zusammenfassen. Die Weltmeisterin des Jahres 2020 ist fantastisch in die Saison gestartet und hatte seit dem Saison-Auftakt in Lourdes die Startnummer 1 an ihrem Commencal montiert. Der Sieg in der Gesamtwertung schien nur noch Formsache zu sein – bis ein Sturz im Training des vorletzten World Cups die Aussicht auf das große Ziel genauso zerstörte wie das linke Schlüsselbein der Schweizerin.
Nach diesem Sturz und der danach folgenden OP, bei der das Schlüsselbein mit zwei Platten zusammengeschraubt wurde, dachte so ziemlich jeder, dass ihre Saison nun logischerweise gelaufen sei. Außer Camille Balanche selbst. Gut zwei Wochen nach der OP saß sie wieder auf dem Rad, wurde bei der WM in Les Gets sensationell Vierte – und ärgerte sich im Anschluss darüber, dass sie eine Medaille verpasst hat. Beim abschließenden World Cup saß sie kaum auf dem Rad, verzichtete am Quali-Tag komplett aufs Biken und fuhr im Finale genau so, dass sie ihre Führung in der Gesamtwertung verteidigen konnte. Diese psychische wie physische Leistung ist kaum in Worte zu fassen. Nicht nur aufgrund ihres Sieges in der Gesamtwertung ist Camille Balanche für uns ganz klar eine Gewinnerin der Saison.
OChain
Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Produkt nahezu flächendeckend im Downhill World Cup Verwendung findet, obwohl die Teams nicht vom Hersteller gesponsert werden. Doch inspiriert von den kettenlosen Leistungen von Aaron Gwin in Leogang 2015 und von Neko Mulally ein Jahr zuvor bei der WM hat der italienische Tüftler Fabrizio Dragoni ein System entwickelt, das Pedalrückschlag deutlich reduzieren und somit die Leistung von Downhill-Bikes deutlich verbessern soll.
Herausgekommen ist ein gedämpfter Spider von OChain, den man in der abgelaufenen Saison an zahlreichen Bikes entdeckt hat. Dass die Fahrerinnen und Fahrer von OChain bezahlt werden, um die Produkte zu benutzen, ist in Anbetracht der Firmengröße eher unrealistisch. Und einigen Teams ist es aufgrund des Einflusses anderer Sponsoren sogar untersagt, das OChain-System zu verwenden. Läuft man allerdings mit offenen Augen durch die Boxengasse, dann entdeckt man das Bauteil, teils geschwärzt, an vielen Bikes. Ein größeres Kompliment kann es für Fabrizio Dragoni wohl kaum geben.
Jordan Williams
Denkt man an schnelle Junioren-Fahrer, dann kommt einem natürlich sofort Jackson Goldstone in den Sinn. Der Kanadier hat die Gesamtwertung gewonnen, war kürzlich bei der Red Bull Hardline der schnellste Fahrer, ist auf Social Media ein Star und war vermutlich schon auf seinem Laufrad schneller, als es 99 % aller Mountainbiker jemals sein werden. Ebenfalls als gesichert gilt, dass 2022 in jedem Absatz über die grandiosen Leistungen von Jordan Williams in mindestens einem Nebensatz Jackson Goldstone erwähnt wurde. Doch wir versprechen: Das ändert sich im folgenden Abschnitt!
Jordan Williams konnte auf sehr überzeugende Art und Weise die Weltmeisterschaft in Les Gets gewinnen und war auch eine Woche später beim World Cup-Finale in Val di Sole der schnellste Fahrer – übrigens nicht nur bei den Junioren. Mit seinen Zeiten wäre der junge Brite schon jetzt regelmäßig in die Top 10 bei den Männern gerast. Die Leistungen von Jordan Williams waren dabei so beeindruckt, dass man schnell vergessen hat, dass es noch eine Weile bis zu seinem 20. Geburtstag dauert. Und wenn seine Entwicklung so weitergeht, dann wird er schon im kommenden Jahr um Podestplätze bei der Elite mitfahren. Ganz egal, wie die Konkurrenten dann heißen …
Propain Factory Racing
Ein Team, das immer etwas unter dem Radar fliegt, ist Propain Factory Racing. Doch inzwischen ist die von Ben Reid gemanagte Truppe ziemlich schlagkräftig und blickt auf einige starke Resultate in der abgelaufenen Saison zurück. So konnte der Junioren-Fahrer Remy Meier-Smith mehrfach aufs Podest fahren und sich auch bei der WM in Les Gets eine Medaille sichern, während sein großer Bruder Luke Meier-Smith nah dran am Podest war und sich in der erweiterten Weltspitze etablieren konnte. Und auch Henry Kerr hat beim Finale in Val di Sole gezeigt, dass er an einem guten Tag um absolute Top-Platzierungen mitfahren kann.
Bei Propain dürfte nun ein größerer Umbruch bevorstehen, denn insbesondere die Meier-Smith-Brüder haben sich für höhere Aufgaben empfohlen. Hier ist die Gerüchteküche bereits ordentlich am Brodeln. Und auch um das Team selbst gibt es diverse Spekulationen, denn Propain ist längst angekommen in der Riege der großen Bike-Hersteller. Glaubt man diversen Stimmen am Streckenrand und in der Boxengasse, dann werden im Hintergrund bereits die Weichen gestellt, um das Team insgesamt umzustrukturieren. Gut möglich also, dass Propain Factory Racing nächstes Jahr deutlich stärker wahrgenommen wird.
Finn Iles
Kann man einen Fahrer, der die Weltmeisterschaft, das World Cup-Finale und das Rennen auf der legendären Strecke in Fort William aufgrund von heftigen Stürzen verpasst hat, als Gewinner der Saison bezeichnen? Für uns ist die Sache klar: Finn Iles hat uns 2022 ganz schön beeindruckt. Kaum ein Fahrer wurde seit seiner Jugend so gehypt, doch lange Zeit hat er sich in der Elite schwergetan, sein volles Potenzial abzurufen. Auf starke Quali-Runs folgten immer wieder Stürze im Finale. Auch die Konstanz hat dem Specialized-Fahrer bis dato gefehlt.
2022 haben wir dann allerdings einen anderen, veränderten, erwachseneren Finn Iles gesehen. Der Kanadier war immer wieder extrem schnell unterwegs, doch nun ist es ihm gelungen, auch die nötige Kontrolle und Abgeklärtheit bei seinen Rennläufen an den Tag zu legen. Oft war er der einzige, dem man zugetraut hat, die Dominanz der Franzosen wirklich zu gefährden. Eines der absoluten Highlights des Jahres dürfte sicherlich der erste World Cup-Sieg von Finn Iles – ausgerechnet in Mont-Sainte-Anne, dazu in einem mehr als dramatischen Finale – gewesen sein. Und trotz zwei verpasster World Cups ist er in der Gesamtwertung auf einem starken dritten Platz gelandet. Dazu kommt sein lobenswerter Umgang mit Verletzungen. Wir könnten uns vorstellen, dass der junge Finn Iles zumindest bei der WM und beim World Cup-Finale auf Biegen und Brechen gefahren wäre. Doch 2022 ist der Kanadier erwachsen geworden – mit Erfolg!
Nina Hoffmann
Es war eine der Knaller-Meldungen des vergangenen Winters: Nina Hoffmann wechselt zum legendären Santa Cruz Syndicate und wird damit die erste Fahrerin in der Geschichte des ruhmreichen Teams. Sofort wurde gemutmaßt, wie die Thüringerin nach einigen Jahren als Privateer-Fahrerin den Wechsel zu einem großen Team, die mediale Aufmerksamkeit und den Druck verkraften würde. Und tatsächlich war die erste Saison-Hälfte rückblickend betrachtet etwas holprig.
Gleichzeitig konnte Nina Hoffmann aber den Downhill World Cup in Fort William gewinnen, was nicht nur ihren neuen Mentor Steve Peat durchaus berührte. Insbesondere die zweite Saison-Hälfte von Nina war grandios – bei den letzten fünf Rennen ist sie jeweils in den Top 3 gelandet. Knüpft sie an diese Leistungen an, dann ist sie im kommenden Jahr sicherlich eine der Favoritinnen auf die Gesamtwertung. Mit der Silber-Medaille bei der WM in Les Gets hat sie außerdem deutsche Radsport-Geschichte geschrieben. Kein schlechter Start im Syndicate!
Red Bull TV
Vom Energy Drink oder dem Konzern, der dahintersteht, kann man sicherlich halten, was man will. Doch gerade durch den bevorstehenden Wechsel zu Discovery, der auch mit dem Abschied von Red Bull TV im Downhill World Cup einhergeht, ist vielen erst bewusst geworden, wie unglaublich viel der österreichische Brause-Gigant im vergangenen Jahrzehnt für den Downhill-Sport getan hat.
Das Team rund um Red Bull Media House-Produzent Christoph Tritscher und Kult-Kommentator Rob Warner hat in den vergangenen Jahren für fantastische Unterhaltung gesorgt – nicht nur bei den Fans, sondern auch bei den Fahrer*innen, die die Arbeit von Red Bull insgesamt sehr geschätzt haben. Auch dank der spannenden Einblicke von Eliot Jackson oder der Erweiterung des Kommentatoren-Teams beispielsweise durch Tracey Hannah ist das Ansehen in den letzten Monaten nochmals gestiegen, zumal Rob Warner inzwischen den perfekten Mix aus Entertainment und seriöser Informationsvermittlung beherrscht. Der größte Erfolg von Red Bull dürfte aber darin liegen, dass das Media House-Team durch die harte und starke Arbeit in den vergangenen Jahren glaubhaft den Eindruck vermittelt hat, dass es praktisch ausschließlich um den Sport, um das Spektakel und um die Athlet*innen geht. Die letzte Saison mit Red Bull hat diesen Eindruck zum Abschluss deutlich verstärkt – die Red Bull-Zeit des Downhill World Cups wird sicherlich sehr positiv in Erinnerung bleiben. Wie die Zukunft wird? Warten wir es ab!
Was waren deine Highlights des Downhill World Cup 2022?
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