Die Eröffnungsrunde der diesjährigen Enduro World Series verzögerte sich Corona-bedingt um mehrere Monate. Die Stopps in Süd- & Nordamerika sind allesamt abgesagt – die Rennen finden 2021 ausschließlich auf europäischem Boden statt. Endlich ist es nun aber so weit und wir starten in den italienischen Dolomiten in Canazei mit einer Doppelrunde in die World Cup-Saison. Das erste Mal in der Geschichte der EWS finden zwei Rennen am selben Austragungsort und in derselben Woche statt. Die Woche ist also ziemlich durch getaktet und es geht Knall auf Fall los!
Für uns macht der Fakt, dass wir das neue Norco Range Bike (Artikel: Arbeitsgerät: Das neue Norco Range von Anita und Caro Gehrig) das erste Mal im Wettkampf fahren dürfen, die Sache natürlich umso spannender. Das Bike wurde bereits bevor dem offiziellen Release total gehyped. In den wenigen Tagen, die wir zuvor auf dem Bike verbracht hatten, versuchten wir uns natürlich so gut wie möglich darauf einzustellen, viel weiter als „Kennenlern-Phase“ kommt man in so kurzer Zeit nicht. Das erste Mal, seit wir für Norco fahren, stoßen endlich auch unsere Team-Kollegen aus der Norco Downhill-Fraktion hinzu. Das Bike wurde in dieser Woche den Medien offiziell vorgestellt (Vorstellung Norco Range) und die Jungs sind heiß darauf, endlich mal wieder eine EWS fahren zu können.
Der Saisonauftakt ist immer etwas speziell, alle Fahrer kommen im neuen Kit daher, neue Bikes werden vorgestellt und die meisten haben sich über die lange Winterpause nie gesehen. In all der Aufregung ist es umso wichtiger, einen kühlen Kopf zu bewahren und zu versuchen, ruhig und mit Selbstvertrauen wieder in den Rennmodus zu kommen. Den ersten Trainingstag am Dienstag fahren wir zusammen mit unseren Teamkollegen Blenki, Lucas Cruz, Henry Fitzgerald und U21-Fahrer Elliot Jamieson und den beiden Mechanikern.
Auf dem Mix aus schnellen alpinen Singletrails, vielen natürlichen Waldwegen und hängenden Wurzelteppichen merken wir schnell, dass unser neues Bike mit den Bedingungen bestens klarkommt. Gegen die zusätzlichen Zentimeter an Federweg haben wir gar nichts einzuwenden und wir fühlen uns gut auf dem Bike. Was uns noch etwas Mühe bereitet auf dem Range sind enge Kurven. Das Fahrrad ist so viel geschmeidiger unterwegs und daher ist es schwierig die Geschwindigkeit, in der man unterwegs ist abzuschätzen. Oft ist es dann halt schon zu spät, die Kurven schön sauber und in Kontrolle einzuleiten und endet ab und an mit einem Hick Hack… Aber alles in allem Top und wir haben Spaß!
Mittwoch: Rennen Nummer #1
Mitten unter der Woche ein Rennen zu fahren ist auf dem Papier etwas komisch, aber als wir gegen Mittag in die erste Etappe starten, finden sich sogar einige Zuschauer am Streckenrand. Wir beide haben etwas Mühe in den Rennflow zu finden und fahren in der ersten Stage enttäuschend langsam. Caro kann sich zum Glück auf der zweiten bis vierten Stage massiv steigern und klassiert sich am Ende auf dem siebten Rang auf der Endabrechnung. Für sie eine Riesen-Erlösung und Bestätigung, da sie seit der Saison 2018, in der sie sich die Hüfte gebrochen hatte, nie mehr in die Top 10 gefahren ist. Anita kann sich zwar nach den Anfangsschwierigkeiten auch etwas steigern, ist mit dem 13. Platz aber gar nicht zufrieden. Für sie ist der Maßstab Top 5 und diese hat sie verfehlt, dennoch sind die Zeitabstände aber nicht riesig. Nun heißt es aber nicht den Kopf in den Sand stecken, denn am Freitag/Samstag gibt es bereits eine zweite Chance auf ein besseres Resultat.
Freitag/Samstag: Rennen Nummer #2
Nach einem gemütlichen Ruhetag am Donnerstag geht es also am Freitagmittag schon wieder los mit dem Training für die „Pro Stage“ vom Freitagabend. Die Stimmung ist gemischt, denn nach unserem Rennen vom Mittwoch und dem Amateur-Rennen vom Freitag ist der Trail komplett zerstört und gleicht einem Bombenkraterfeld. Darauf sollen wir also noch zweimal Rennen fahren? Viele Fahrer und Teams hatten da schon zuvor bei der Organisation ihre Zweifel angebracht, dass dies nicht so eine tolle Idee ist, genützt hat es jedoch nichts. Am späteren Nachmittag ziehen bedrohliche Wolken am Horizont auf, welche sehr schnell in ausgiebigen Regen und Gewitter wechseln. Kurz nach dem Start in die Stage wird einem das Ausmaß der „Rutschigkeit“ bewusst und die vielen nassen Wurzeln verunmöglichen es, die Linien zu halten. Der Mix aus nass/rutschig/staubtrocken aber nassen Wurzeln/tiefer Waldboden ist zudem extrem schwierig zu lesen.
Anita lässt sich davon nicht beirren und fährt die Stage in gutem Tempo und mit Selbstvertrauen. In einer vermeintlich einfachen langsamen Passage passiert es und ihr Vorderrad verschwindet in einer tiefen Außenlinie, sie fällt unglücklich über ihr Bike und fängt sich mit ausgestrecktem Arm im Waldboden auf. Sie hört sofort einen Knall und verspürt riesige Schmerzen im linken Ellbogen, die Fahrt fortzusetzen ist absolut unmöglich.
Caro findet das Momentum vom ersten Rennen nicht und fährt sehr zögerlich, verbucht zwei Stürze und sieht aus dem Augenwinkel Anita am Streckenrand sitzen. Ach du Scheiße, was ist denn da passiert? Anita fährt sonst in so ziemlich jedem Zustand noch ins Ziel und sie dort sitzen zu sehen ist kein gutes Zeichen. Später holt sie ein Ambulanz-Fahrzeug von der Strecke und bringt sie in eine Klinik direkt in Canazei. Dort wird ein luxierter Ellbogen diagnostiziert. Anita ist super tapfer und lässt sich den Ellbogen noch vor Ort wieder einrenken, viele Schmerzmittel dürfen ihr die Ärzte dort nicht geben, denn es ist kein Anästhesie-Arzt zur Stelle. Es braucht den vollen Körpereinsatz von drei Personen, um diesen wieder zurück an den eigentlichen Platz zu ziehen. Die quälendsten Schmerzen lassen zum Glück direkt etwas nach, aber der dumpfe Schmerz im ganzen Gelenk bleibt.
Unser Mechaniker Alex ist zum Glück eine große Hilfe und bewahrt einen kühlen Kopf, redet Anita in der Ambulanz gut zu, bringt mein Bike nach dem Abend in der Klinik wieder auf Vordermann und findet die richtigen Worte, mich für den nächsten Tag zu motivieren. Die Stage „Titans“, die wir am Freitagabend noch gefahren sind, wird aus dem Rennen gestrichen und somit verbleiben nur noch drei Stages für das Rennen vom Samstag. Darüber bin ich nicht unglücklich …
Anita gibt mir zu verstehen, dass ich mich von ihrem Malheur nicht vom Kurs abbringen und umso mehr kämpfen soll. Die Worte scheinen genützt zu haben, denn obwohl ich am Vortag bereits eine Minute auf die Spitze verloren hatte, konnte ich das Feld so richtig von hinten aufrollen. Ich schaffe es von Platz 27. vom Freitag noch bis nach Platz 10 hervor und bin superglücklich, gleich zweimal hintereinander eine super solide Leistung abzuliefern.
Das stärkt das Selbstvertrauen für die kommenden Rennen in La Thuile und ich kann es kaum erwarten, dort Gas zu geben. Bis dahin sollte ich schon etwas mehr vertraut sein mit meinem neuen Geschoss und ich hoffe, dass wir uns langsam, aber sicher wieder in Richtung Top 5 bewegen können. Anita wird für die nächsten 6-8 Wochen leider eine Bike-Pause einlegen müssen, aber ist in den besten Händen für eine gute und schnelle Genesung!
Bis bald aus La Thuile!
Auf welches Enduro-Rennen freut ihr euch dieses Jahr besonders?
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