Auf keinen Hersteller wurde während der Craft Bike Days-Diskussionsrunden so oft Bezug genommen wie auf die deutsche Traditionsschmiede Nicolai aus Lübbrechtsen. Zwar war der namensgebende Firmengründer Kalle Nicolai nicht vor Ort, aber dennoch konnten wir zusammen mit Max und Johannes einige spannende Details zum aktuellen Bike-Portfolio herausfinden. Viel Spaß beim Interview!
MTB-News.de: Stellt euch ganz kurz vor – wer seid ihr und was macht ihr bei Nicolai?
Max Weigmann: Ich bin der Max, seit 2017 bei Nicolai beschäftigt und habe da als Studienabbrecher meine Lehre als Industriekaufmann angefangen. Die habe ich jetzt abgeschlossen und stecke eigentlich schon von Anfang an ziemlich weit drin, bin auf Events unterwegs, kümmere mich um den Verkauf von Kompletträdern und Rahmen und habe zusammen mit Vincent zusammen den Verkauf in der Hand. Zusätzlich habe ich auch noch einige Ausflüge in den Einkauf unternommen, was ich mit meinem Kollegen Philipp zusammen mache – da kriegt man schon einen ganz guten Einblick in die Branche.
Johannes Wild: Ich bin Johannes, Praktikant bei Nicolai. Ich studiere Maschinenbau, schaue mir an wie es bei Nicolai gemacht wird und schaue dem Max hier ein bisschen über die Schulter.
Wir sind jetzt hier bei den Craft Bike Days – wie gefällt es euch hier?
Es war cool, in einer großen Runde mit verschiedenen Herstellern in ganz verschiedenen Bereichen zusammenzusitzen und einfach über Materialien, über Laufräder und über die eigene Firmenphilosophie zu diskutieren. Außerdem war es ganz interessant, dass die Rückschlüsse im Aluminium-Rahmenbau in Deutschland immer wieder auf Nicolai zurückfielen (grinst). Man erstarrt dann ein bisschen vor Ehrfurcht – aber man freut sich und ist auch ein bisschen stolz, ein Teil davon zu sein.
Wir stehen jetzt vor einem der neuen Bikes von euch, dem G1 – wir haben es natürlich auch vorgestellt (zur Nicolai G1-Vorstellung), aber sagt doch mal kurz etwas zu diesem Boliden …
Vorgestellt haben wir das G1 letztlich als Nachfolger von G15 und G16, wobei sich die Ausrichtung dann doch nochmal sehr Richtung Abfahrt verstärkt hat. In der Zusammenarbeit mit Geometron Bikes haben wir einen Rahmen entwickelt, der vielleicht auf den ersten Blick auf dem Papier noch extremer ist, sich aber im Fazit noch ausbalancierter, noch harmonischer fährt als G15 und G16. Vielleicht ist es nicht moderater, aber zumindest von der Abfahrtsperformance hat das Bike nochmal deutlich zulegt und kombiniert mit den Erkenntnissen, die wir mit den Schwingenmutatoren gesammelt haben, können wir es einfach dem Kunden möglich zu machen, dass er beide Laufradgrößen fahren kann – sowohl 27,5 Zoll als auch 29 Zoll sind möglich.
Gefahren werden kann es aber auch als Mullet-Bike, da man die Geometrie mit den Schwingenmutatoren eben anpassen kann. Weiterhin haben wir die Zugführung ein wenig optimiert und in Zusammenarbeit mit EXT und Geometron mit dem EXT Storia einen Dämpfer entwickelt, der Abfahrts-Performance-mäßig alle Register zieht, die man sich vorstellen kann und das Fahrwerk nochmal auf ein ganz anderes Level hebt. Man fühlt sich letztlich sicherer als auf jedem anderen Downhillbike, was man vielleicht so kennt – und trotzdem hat man eigentlich ein Enduro!
Warum ist die Wahl für euch auf Dämpfer von EXT gefallen, die ja eher selten verbaut werden?
Das hat eigentlich alles mit der Entwicklung des G1-Rahmens angefangen. Mit den G-Modellen, die wir seit 2015 bauen, hatten wir bereits eine sehr gute Grundlage, was Geometrie und Kinematik angeht. Wir haben dabei den Dämpfer als zentrales Bauteil in der Konstruktion des Rahmens wahrgenommen, denn seine Charakteristik wirkt sich ja maßgeblich auf die Balance aus. Das G1 war das erste Rad für Nicolai, in dem die metrische Dämpferabmessung (230 x 65 mm) verbaut wurde.
Mit EXT haben wir einen Partner gefunden, der in der Lage ist, größeren Bauraum effektiv zu nutzen. Unser Technologie- und Entwicklungspartner Geometron in Großbritannien arbeitet schon seit 2017 mit EXT zusammen. Als es dann darum ging, das G1-Projekt zu starten, wurden viele Ideen ausgetauscht. EXT war sofort mit an Bord und wir hatten innerhalb von 8 Wochen die ersten fahrbereiten G1-Dämpfer. Das haben wir so von noch keinem Lieferanten erlebt, der sich auf Federungskomponenten spezialisiert hat! Nun kann man auch wirklich sagen: Der Storia, der bei uns im G1 verbaut ist, hat recht wenig mit dem Serien-Storia zu tun, den man sich kauft. Auch wenn es vielleicht von außen nicht so aussieht, aber im Inneren stecken nun ganz andere Werte drin.
Was genau sind die Unterschiede zwischen dem Seriendämpfer und dem Storia, den ihr verbaut?
Die beiden Hauptaugenmerke sind erstens die Gelenklagerung – das heißt, die Buchsen bewegen sich sowohl axial als auch radial. Das nimmt die sonst entstehenden Spannungen raus und erhöht natürlich die Lebensdauer der Buchsen, sodass man diese einfach nicht so schnell tauschen muss. Vor allem verbessert es tatsächlich auch das Ansprechverhalten, die Reibung wird dadurch verringert und der Dämpfer kann ungehindert ein- und ausfedern. Was natürlich zweitens sehr speziell ist, ist die verbaute Negativfeder im Dämpfer, die das Fahren nochmal ganz anders macht. Die Losbrechkraft reduziert sich und das bewirkt, dass das Rad schon im Stand einen negativen Federweg hat.
Auch die sehr wirkungsvolle Einstellmöglichkeit der Druckstufe, bei der man wirklich jeden Klick merkt, ist hervorzuheben. Zuletzt wurde noch das hydraulische Bottom Out-System aus dem Arma-Dämpfer übernommen, mit dem man die letzten 10 mm des Dämpferhubes effektiv kontrollieren kann. Und was bei EXT auch noch hervorzuheben ist: Die bemühen sich wirklich, auch kleinere Mängel oder Dinge, die uns aufgefallen sind, direkt zu beheben und besser zu machen. Da gab es zum Beispiel einen kleinen Ring, den sie jetzt aus einem anderen Material fertigen, außerdem hat EXT den Stahlfederlieferanten gewechselt. Interessant ist auch der Plattformhebel: Der erhöht nicht nur einfach die Druckstufe, man hat zudem durch die geringe Reibung der Stahlfeder und die grundsätzlich gute Performance eine gute Plattform, die einerseits immer noch einen guten Grip bietet, sich aber andererseits deutlich besser berghoch treten lässt. Die hat sich, obwohl wir einen sehr antriebsneutralen Hinterbau haben, auch wirklich bewährt.
Wenn man sich das Rad so anguckt, verkauft ihr viele Teile, die auch nicht so oft an Bikes vorkommen – speziell fällt mir neben den Hope-Komponenten auf, dass ihr viel von Cornelius von Intend verbaut. Seine Upside-Down-Gabel, seine Bremsscheiben und der Vorbau sind hier am Showbike montiert. Was hat euch dazu bewegt, auf diesen kleinen Hersteller zurückzugreifen und was habt ihr bislang für Erfahrungen mit den Komponenten gesammelt?
Letztendlich wollten wir einfach präsentieren. Wir wollten ein Showbike erschaffen um zu zeigen, was wir Neues anbieten – und da ist Intend dazugekommen. Wir haben festgestellt, dass es einfach gut passt. Cornelius ist ja quasi ein Ein-Mann-Betrieb, der in seiner WG die Federgabeln zusammenschraubt und die Teile konstruiert und verkauft – alleine das hast schon einen gewissen Charme. Es ging aber nicht primär darum, Cornelius zu unterstützen – wir finden einfach seine Produkte gut und wollen über den Konfigurator, den wir haben, letztendlich die Kunden entscheiden lassen, ob sie das haben wollen oder nicht. Tatsächlich wird die Gabel nicht so oft angefragt wie vielleicht ein Modell von RockShox oder Fox, aber Steuersatzoberteil, Vorbau oder Sattelklemme finden sich an unseren Kompletträdern doch öfter mal und ich freue mich, dass wir die Teile verbauen. Sodass wir uns ein bisschen von der Masse abheben und auch unsere Bikes so exklusiver machen zu können.
Das G1, vor dem wir hier stehen, wurde ja letztes Jahr vorgestellt – in diesem Jahr neu ist das Saturn 14. Ich habe schon einen sehr verrückten Aufbau von Ronny Racing gesehen – könnt ihr kurz beschreiben, was das Saturn 14 für ein Rad ist?
Das Saturn 14 ist unser Trailbike, was den kompletten Bereich von Feierabendrunde bis Alpencross abdecken sollte. Früher hieß das mal All Mountain, mittlerweile vielleicht „Progressive-Trailbike“ oder „Superlight-Enduro“ (grinst). Der Rahmen ist eine Kombination aus Saturn 11 und ION-G13. Nachdem wir das Saturn 11 vorgestellt hatten, kamen direkt die Anfragen: „wow, das sieht super aus, das gefällt uns richtig gut, das ist ein schöner Rahmen … gibt’s den auch mit mehr Federweg und kann ich da auch einen breiteren Reifen reinbekommen?“ Und wir sind natürlich nicht diejenigen, die sagen: „Gut, dann hören wir nicht auf unsere Kunden und nehmen das nicht ernst“, ganz im Gegenteil. Wir haben versucht, die Abfahrtsgene des G13 mit der Uphillperfomance des Saturn 11 zu kombinieren und eine Flasche im Rahmen unterzubringen. Wir nennen das Geometriekonzept „Geolution-Trail“. Im Endeffekt ist unsere Definition von Trailbike ein Bike, das dir auf nahezu allen Strecken viel Spass und Sicherheit bereitet. Effektiv und schnell bergauf, effektiv und schnell bergab. Das Feedback des Luftfahrwerks ist wirklich hervorragend. Ich möchte hier ganz entschieden Luftdämpfer betonen. Der Trend zu Stahlfederdämpfern macht nicht bei jeder Kinematik Sinn.
Wenn du schon den Ronny Racing-Aufbau ansprichst, möchte ich auch kurz darauf eingehen. Bei einem Testevent in St. Andreasberg hatten die drei Ronnys den ersten Kontakt mit dem Saturn 14. Das Feedback war extrem positiv und passte zu ihrer unkonventionellen Fahrweise. Da das Saturn 14 jedoch auch ein wenig auf Leichtbau getrimmt ist und es eigentlich nicht für den Bikepark freigegeben ist, haben wir den Ronnys Rahmen mit einem verstärken Rohrsatz gebaut. Bei uns haben die verstärkten Rahmen den Zusatz „ST – Super Trail“.
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Ihr seid vor ein paar Jahren mit der Geolution-Geschichte geo-mäßig sehr weit nach vorne geprescht – das Saturn 14 ist jetzt wieder ein etwas gemäßigteres Modell. Mit dem G13 seid ihr sehr extrem reingegangen, mit dem Saturn 14 geht es jetzt wieder etwas zurück – merkt ihr, dass ihr nun quasi die Mitte gefunden habt?
Einerseits ja, andererseits möchte ich auch sagen: Derjenige, der ein G13 haben will, kriegt es nach wie vor und der, der es hat, wird sich wahrscheinlich kein Saturn 14 holen, weil es nicht das richtige Rad für ihn ist. Die Bikes unterscheiden sich dann doch voneinander: Ich würde bei einem G13 immer sagen: „Fahr damit in den Bikepark, kein Problem.“ Beim Saturn 14 haben wir das ein bisschen eingeschränkt und sagen: Das Bike kann alles bis Bikepark. Das Rad ist eben nicht für das heftigste Gelände geeignet, dafür aber natürlich so optimiert, dass der Rahmen relativ leicht ist. Einen Tod muss man sterben.
Man kann nicht alles verkomplizieren und überall Kompromisse eingehen. Aber was uns wichtig ist und was wir mit der Zunahme der Mutatoren sowohl beim EBOXX als auch beim G1 gelernt haben, ist, dass es sehr gut ankommt, dass man sein Rad von den Laufrädern her flexibel aufbauen kann. Und das ist beim Saturn 14 auch der Fall. Du kannst es als reinen 29er, als reines 27.5“-Bike oder auch als Mullet-Bike fahren – wir haben zudem einen speziellen Steuersatz, sodass man nicht zwingend die längere Gabel einbauen muss. Um zur Frage zurückzukommen: Ja, es ist moderater geworden, aber gleichzeitig auch vielseitiger. Wir legen es nicht nur darauf an, auf dem Papier eine extreme Geometrie zu haben und vielleicht den einen oder anderen zu schocken – am Ende muss es dem Fahrer Spaß machen und ich kann beim Saturn 14 sagen, dass es ziemlich viel Spaß macht. Für seinen Einsatzbereich ist es eine absolute Rakete.
Wenn ihr einen Trail auf der Welt nennen könntet, bei dem ihr sagt: „Den würde ich jetzt sofort gerne fahren“ – Welcher wäre das?
Max: Also bei mir als altem Parkfahrer ist es glaube ich der Komatrau-Trail in Portes de Soleil in Châtel. Ich weiß noch, wie ich da das erste Mal runtergefahren bin – es war nass, vor uns so ein paar Schwaben, die schon zwei Wochen in dem Park rumhingen und mit Mach 5 da runter sind. Ich bin da hinterhergestuhlt, eine Klippe runtergefallen, 2 Meter auf einen anderen Stein drauf, wollte am liebsten am ersten Tag schon wieder nach Hause … und irgendwann habe ich das Ding echt lieben gelernt. Da ist einfach alles drin: Absätze, miese technische Stücke, fiese, aber auch total geil gebaute Sprünge, Wurzeln … es ist einfach alles der Hammer. Ich liebe das Ding.
Johannes: Ich würde ganz gerne wieder in den Dyfi-Bikepark. Der Slab Track ist ziemlich gut, den sollte man sich auf jeden Fall mal angucken. Triple Black, bin ich vorher auch noch nie gefahren (lacht). Oder auch zuhause in Koblenz.
Allerletzte Frage, ein Ausblick in die Zukunft: Gibt es schon Projekte, bei denen ihr als Firma Nicolai sagt – um es mit einem bekannten deutschen Film zu sagen – „da sind wir wat am Planen dran?“, da wollen wir hin?
Klar, Neuheiten sind immer geplant, wir sind immer in der Entwicklung von neuen Konzepten, neuen Rahmen. Wir merken natürlich, obwohl wir das Saturn 14 rausgebracht haben, dass wir immer noch ein Gap zwischen G1 und Saturn 14 haben. Natürlich decken wir das gerade ab, in dem wir vielleicht noch ein G15 verkaufen, weil das jemand unbedingt haben möchte – wir haben die Rahmenlehren, wir haben die Rohre, klar, machen wir – aber da ist auf jeden Fall Potenzial und ich denke, da wird es in Zukunft noch was geben, was dazwischen liegt.
Wir freuen uns drauf – danke euch fürs Gespräch!
Wie lautet eure Meinung zur Geolution-Geometrie?
Die MTB-News Craft Bike Days powered by DT Swiss feierten in diesem Jahr im nordrhein-westfälischen Münsterland Premiere. Ziel ist es, kleinen Herstellern ein Forum zu bieten, die dank ihrer Innovationskraft trotz geringer Größe immer wieder auf sich aufmerksam machen und dafür ein hohes Ansehen in der Fahrradbranche genießen. Diskussionen und Workshops zu Themen wie Werkstoffwahl, Vertriebsansätze kleinerer Marken oder Laufradbau stehen während der zweitägigen Veranstaltung im Fokus – und natürlich Bikes, Bikes Bikes! Hier erfahrt ihr mehr über die Craft Bike Days.
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